Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Dez. 2024 abgeschlossen.
UmsatzsteuerPhysiotherapeuten und die Umsatzsteuer: So nutzen Sie die Kleinunternehmerregelung
| Anders als physiotherapeutische Heilbehandlungen aufgrund ärztlicher Verordnung sind Physiotherapeuten z. B. für Selbstzahlerleistungen ohne Verordnung oder für Zusatztätigkeiten wie den Betrieb einer Photovoltaik-anlage umsatzsteuerpflichtig (Abruf-Nr. 50119836). Die sog. Kleinunternehmerregelung kann die Umsatzsteuerpflicht für Praxisinhaber jedoch verhindern oder ihnen zumindest dabei helfen, durch ein optimales Gestaltungsmodell die Steuerlast für Praxisinhaber zu minimieren. |
Die Kleinunternehmerregelung kann eine Umsatzsteuerpflicht verhindern
Die Umsatzsteuerpflicht für Zusatztätigkeiten (Abruf-Nr. 50119836) führt nicht nur zu einem erhöhten Bürokratieaufwand, sondern infolge der regelmäßig den Vorsteuerabzug übersteigenden Umsatzsteuer auch zu einer finanziellen Belastung. Damit bleibt unterm Strich weniger Netto vom Brutto übrig und viele Therapeuten überlegen deshalb, ob die Aufnahme von Zusatztätigkeiten überhaupt sinnvoll ist.
Um Therapeuten von den zusätzlichen umsatzsteuerlichen Pflichten zu entbinden und eine Vereinnahmung der Zusatzerlöse wie bei den verordneten Heilbehandlungen von bekannterweise „brutto wie netto“ zu ermöglichen, kann für Zusatztätigkeiten in kleinerem Umfang die in § 19 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) verankerte Kleinunternehmerregelung angewandt werden. Der Vorteil: In diesem Fall wird die Umsatzsteuer vom Finanzamt nicht erhoben. Es gibt aber auch einen Haken: Bei der Kleinunternehmerregelung ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen.
Beispiel 1: Kleinunternehmerregelung bewirkt 1.850 Euro Steuervorteil |
Physiotherapeut Thomas erbringt netto 230.000 Euro steuerfreie und netto 15.000 Euro steuerpflichtige Umsätze. Insgesamt sind Vorsteuern von 10.000 Euro angefallen, wovon sich 1.000 Euro absetzen lassen. Thomas wendet allerdings die Kleinunternehmerregelung an. Lösung: Grundsätzlich müsste Thomas 2.850 Euro Umsatzsteuer an das Finanzamt zahlen (19 Prozent von 15.000 Euro) und könnte 1.000 Euro Vorsteuern zurückfordern. Durch die Kleinunternehmerregelung erhebt das Finanzamt jedoch weder die Umsatzsteuer noch besteht ein Vorsteuerabzug. Effektiv umgeht Thomas damit die umsatzsteuerlichen Verpflichtungen und generiert auch eine Steuerersparnis von effektiv 1.850 Euro (2.850 Euro abzgl. 1.000 Euro). |
Wichtig | Bei Anwendung der Kleinunternehmerregelung darf der Therapeut auf seinen Rechnungen keine Umsatzsteuer offen ausweisen, sondern muss auf die Kleinunternehmerregelung hinweisen. Andernfalls schuldet er die ausgewiesene Steuer gemäß § 14c UStG. Im obigen Beispiel rechnet Thomas seinen Patienten gegenüber also nicht 15.000 Euro zzgl. 2.850 Euro Umsatzsteuer, sondern 17.850 Euro ohne Umsatzsteuer ab.
Dabei ist „klein“ im Sinne der Kleinunternehmerregelung alles andere als klein. Zwar lässt sich die Privilegierung nur anwenden, wenn der Bruttoumsatz im vergangenen Kalenderjahr maximal 22.000 Euro betragen hat und im laufenden Kalenderjahr voraussichtlich 50.000 Euro nicht übersteigen wird (Prognose, § 19 Abs. 1 S. 1 UStG). Und diese Grenzen sind wahrlich nicht hoch. Maßgebend für die Grenzen ist jedoch nicht der Gesamtumsatz des Therapeuten aus allen seinen Tätigkeiten, sondern der über § 19 Abs. 1 S. 2 und Abs. 3 definierte Bruttoumsatz:
Gesamtumsatz (brutto, nach vereinnahmten Entgelten ermittelt)
./. Umsätze von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens (z. B. Verkauf PKW)
./. steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 8 i), Nr. 9 b) und Nummer 11 bis 29 UStG
./. steuerfreie Hilfsumsätze nach § 4 Nr. 8 a) bis h), Nr. 9 a) und Nr. 10 UStG
= Gesamtumsatz für Zwecke der Kleinunternehmerregelung
Merke | Da die Umsätze aus verordneten Heilbehandlungen gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG steuerfrei sind, werden diese Umsätze nicht berücksichtigt. Damit kann auch ein Therapeut mit sechsstelligen Umsätzen Kleinunternehmer sein! |
Kleinunternehmer oder nicht? So funktioniert die Prüfung
Die Umsatzgrenzen für die Kleinunternehmerregelung von 22.000 bzw. 50.000 Euro sind zweistufig zu prüfen. Beide Grenzen müssen eingehalten werden. Dabei ist als Umsatz für beide Grenzen immer der Umsatz im Sinne des § 19 Abs. 3 UStG maßgebend, also der nach vereinnahmten Entgelten ermittelte Gesamtumsatz gekürzt um die steuerfreien Umsätze aus verordneten Heilbehandlungen. Konkret:
- 1. Stufe: Hat der Umsatz des Vorjahres 22.000 Euro überschritten?
- a. Ja? Ab dem 01.01. des laufenden Jahres gilt die Regelbesteuerung, selbst wenn der Umsatz für dieses Jahr voraussichtlich weniger als 22.000 Euro betragen wird (BFH, 18.10.2007 – V B 164/06).
- b. Nein? Prüfung der zweiten Stufe.
- 2. Stufe: Wird der Umsatz des laufenden Jahres voraussichtlich 50.000 Euro überschreiten (wieder ohne die steuerfreien Umsätze als Therapeut)?
- a. Ja? Ab dem 01.01. des laufenden Jahres gilt die Regelbesteuerung.
- b. Nein? Für das Jahr gilt weiterhin die Kleinunternehmerregelung.
Ob die Umsatzgrenze von 50.000 Euro im laufenden Jahr überschritten wird, erfordert eine Prognose (Umsatzschätzung). Diese ist zum 01.01. des Jahres aufzustellen. Ändert sich im laufenden Jahr durch unvorhergesehene Ereignisse die Prognose oder wird entgegen der Prognose doch ein Umsatz von mehr als 50.000 Euro generiert, hat das keinen rückwirkenden Einfluss auf die für das laufende Jahr geltende Kleinunternehmerregelung (Abschnitt 19.1 Abs. 3 Umsatzsteuer-Anwendungserlass [UStAE]).
Beispiel 2: (Keine) Überschreitung der Grenzwerte im laufenden Jahr |
Physiotherapeut Thomas ist Kleinunternehmer und erzielt 2023 steuerfreie Erlöse durch verordnete Heilbehandlungen über 250.000 Euro. Zudem erbringt er Zusatztätigkeiten (nicht verordnete und nicht verordnungsfähige Leistungen wie z. B. Yogakurse) und generiert dadurch einen Umsatz von 20.000 Euro. Er erwartet am 01.01.2024, dass 2024 der Umsatz aus den grundsätzlich steuerpflichtigen Zusatztätigkeiten durch weitere Kurse auf 45.000 Euro steigen wird. Lösung: Bei Prüfung der Grenzwerte bleiben die steuerfreien Umsätze unberücksichtigt. Der verbleibende Umsatz beträgt für 2023 20.000 Euro. Da dieser nicht die Grenze von 22.000 Euro überschreitet und auch 2024 die Grenze von voraussichtlich 50.000 Euro nicht überschreiten wird, bleibt der Therapeut auch für das Jahr 2024 umsatzsteuerlicher Kleinunternehmer. Abwandlung: Der zum 01.01.2024 prognostizierte Umsatz für die grundsätzlich steuerpflichtigen Zusatztätigkeiten beträgt aufgrund der Einstellung einer neuen Mitarbeiterin ausschließlich für Yogakurse 90.000 Euro. Lösung: Es gilt ab dem 01.01.2024 die Regelbesteuerung (Prognose > 50.000 Euro) und das Privileg der Kleinunternehmerregelung lässt sich nicht mehr anwenden. |
Beispiel 3: Überschreitung der Grenzwerte im Vorjahr |
Physiotherapeut Thomas ist Kleinunternehmer. Für 2023 beträgt sein Umsatz aus verordneten steuerfreien Heilbehandlungen 250.000 Euro. Zudem erbringt er Zusatztätigkeiten (nicht verordnete und nicht verordnungsfähige Leistungen wie z. B. Yogakurse) und generiert dadurch einen Umsatz von 25.000 Euro. Lösung: Ab 2024 gilt die Regelbesteuerung. Die Kleinunternehmerregelung lässt sich nicht mehr anwenden, weil der Gesamtumsatz im Sinne des § 19 Abs. 3 UStG im Jahr 2023 mit 25.000 Euro die Grenze von 22.000 Euro überschritten hat. |
Verzicht auf die Kleinunternehmerregelung – lohnt sich das?
Die Kleinunternehmerregelung bietet neben Bürokratieerleichterungen einen effektiven Steuervorteil, wenn die abzuführende Umsatzsteuer höher als der Vorsteuerabzug ausfällt. Doch vor allem in Jahren mit hohen Ausgaben kann es auch sein, dass der Vorsteuerabzug die abzuführende Umsatzsteuer übersteigt und deshalb die Regelbesteuerung lukrativer als die Kleinunternehmerregelung wäre. Deshalb gestattet § 19 Abs. 2 UStG eine Optionsmöglichkeit. Der eigentlich als Kleinunternehmer tätige Therapeut kann auch freiwillig zur Regelbesteuerung optieren. Dadurch unterliegen alle umsatzsteuerpflichtigen Tätigkeiten der Umsatzsteuer (z. B. nicht verordnete und nicht verordnungsfähige Leistungen) und insoweit ist auch ein Vorsteuerabzug möglich. Die gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a) UStG steuerfreien Umsätze aus verordneten Heilbehandlungen bleiben hingegen steuerfrei und insoweit ist kein Vorsteuerabzug zulässig. Die Option zur Regelbesteuerung wirkt also nur auf solche Umsätze, welche ohne die Kleinunternehmerregelung der Umsatzsteuer unterliegen würden. Steuerfreie Umsätze bleiben auch nach der Option steuerfrei.
Beispiel 4: Paralleler Betrieb eines Fitnessstudios |
Therapeut Thomas ist Kleinunternehmer. Ab 2024 möchte er parallel ein Fitnessstudio betreiben. Weil er 2024 infolge der Anschaffung der Geräte mit hohen Ausgaben und Investitionen rechnet, möchte er zur Regelbesteuerung optieren, um in den Genuss des Vorsteuerabzugs zu gelangen. Lösung: Die Option zur Regelbesteuerung wirkt nur für die Umsätze, die ohne Kleinunternehmerregelung steuerpflichtig wären (therapeutische Zusatztätigkeiten ohne Verordnung, Umsätze aus dem Betrieb des Fitnessstudios). Parallel ist Thomas bezogen auf diese Umsätze zum Vorsteuerabzug berechtigt. Die Umsätze aus verordneten Heilbehandlungen bleiben steuerfrei – ohne Vorsteuerabzug. |
Wichtig | Bisher musste die Option bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung erklärt werden. Ab dem Jahr 2024 ist die Option hingegen nur noch bis zum Ablauf des zweiten auf den Besteuerungszeitraum folgenden Kalenderjahres zulässig. Soll also auf eine für 2024 geltende Kleinunternehmerregelung verzichtet werden, so muss der Verzicht bis zum Ablauf des 31.12.2026 dem Finanzamt erklärt werden.
Die Kleinunternehmerregelung ist oft die bessere Option
Die Option zur Regelbesteuerung ist in der Praxis nur dann zu empfehlen, wenn dadurch infolge von Investitionen hohe Vorsteuerüberhänge vom Finanzamt erstattet werden. Ansonsten fährt der Therapeut mit der Kleinunternehmerregelung besser. Dennoch sollten Therapeuten nicht vorschnell optieren, nur weil sich für ein Jahr höhere Vorsteuern als abzuführende Umsatzsteuern ergeben. Denn das Finanzamt hat noch zwei Asse im Ärmel:
Fazit | Auch wenn die Umsatzsteuerpflicht weitreichende Folgen hat, sollten Physiotherapeuten nicht vorschnell vor lukrativen Zusatztätigkeiten zurückschrecken. Denn zumindest innerhalb der Kleinunternehmerregelung kann wie bisher verfahren werden, ohne mit der Umsatzsteuer konfrontiert zu werden. Und falls die Grenzen aufgrund des Umfangs der umsatzsteuerpflichtigen Zusatztätigkeiten zu gering und deshalb nicht anwendbar sind, kann immer noch eine Aufsplittung der Tätigkeitsfelder zur Umgehung der Umsatzsteuerpflicht erwogen werden. Denn die Kleinunternehmerregelung gilt wie dargestellt für jeden Unternehmer und bezieht sich auf alle seine unternehmerischen Tätigkeiten. Wird das Fitnessstudio im Beispiel 4 z. B. durch den Ehepartner betrieben, bestehen zwei Unternehmer: Der Therapeut mit der Praxis und der Ehepartner mit dem Fitnessstudio. Für beide Unternehmer lässt sich die Kleinunternehmerregelung gesondert prüfen und anwenden – und entsprechend auch isoliert, z. B. nur für das zu Beginn investitionsträchtige Fitnessstudio, zur Regelbesteuerung zur Erlangung des begehrten Vorsteuerabzugs optieren. |
- 1. Die Option zur Regelbesteuerung bindet den Therapeuten für mindestens fünf Kalenderjahre und die Option kann nur mit Wirkung von Beginn eines Kalenderjahres an widerrufen werden. Damit muss der optierende Therapeut die umsatzsteuerlichen Konsequenzen nicht nur für das Jahr mit dem hohen Vorsteuerabzug, sondern mindestens für fünf Jahre tragen.Diese Möglichkeiten hat das Finanzamt bei einer Rückoption
- 2. Erfolgt nach fünf Jahren eine Rückoption zur Kleinunternehmerregelung, liegt eine Änderung der Verhältnisse für den bisherigen Vorsteuerabzug vor (§ 15a Abs. 7 UStG). Ist der Berichtigungszeitraum des § 15a UStG noch nicht verstrichen (bei Anlagegütern regelmäßig fünf Jahre und bei Gebäuden zehn Jahre), dann kann das Finanzamt den bisherigen Vorsteuerabzug zeitanteilig zurückfordern. Auch das ist in der Praxis oft nicht gewünscht.
AUSGABE: PP 12/2024, S. 16 · ID: 50120662