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AbmahnungDie richtige Sanktion im Arbeitsverhältnis zur richtigen Zeit – die Kündigung

Abo-Inhalt29.07.2024723 Min. LesedauerVon RAin Heike Mareck, Dortmund

| Manches Fehlverhalten von Beschäftigten verlangt aus Sicht des Arbeitgebers nach Sanktionen: Doch ist gleich die fristlose Kündigung geboten oder genügt auch eine Abmahnung. Diese Frage beantwortet PP in zwei Beiträgen. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Kündigung. |

Formale Fehler bei der Kündigung

Wer den Arbeitsvertrag beenden möchte, beendet ein Schuldverhältnis. Wie bei jedem anderen Vertrag auch, müssen bei der Beendigung sowohl formale als auch inhaltliche Anforderungen eingehalten werden. Die formalen Anforderungen beziehen sich unter anderem auf die Schriftform und die Einhaltung der Kündigungsfrist. Die faktischen Anforderungen auf den Zugang des Schreibens nach § 130 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) und dessen Nachweis.

Jede Kündigung bedarf der Schriftform

Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder Auflösungsvertrag bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 623 BGB). Gemeint ist die Schriftform im Sinne des § 126 BGB. Danach muss die Kündigung vom Aussteller eigenhändig unterschrieben werden (oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden). § 623 BGB 2 HS. schließt dabei die elektronische Form aus. Allein die eigenhändige Unterschrift genügt also den Anforderungen der Schriftform. Anderweitige, von den gesetzlichen Vorschriften abweichende Vereinbarungen im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder in den Betriebsvereinbarungen sind unwirksam. Nicht nur die Kündigung per E-Mail ist damit ausgeschlossen, sondern auch die Kündigung per Fax und erst recht per WhatsApp genügen den gesetzlichen Anforderungen nicht.

Auch bevollmächtigte Stellvertreter dürfen die Kündigung aussprechen

Die Kündigung kann durch einen Stellvertreter ausgesprochen werden, wenn dieser Vertretungsmacht hat. Diese wird in der Regel durch die Zusätze ppa. oder i. V. vor der Unterschrift des Ausstellers des Kündigungsschreibens kenntlich gemacht. Das ebenfalls gängige Kürzel i. A. genügt hingegen allein nicht für den wirksamen Ausspruch einer Kündigung. Grundsätzlich ist stets § 174 BGB zu beachten. Danach ist die Kündigung unwirksam, wenn der Bevollmächtigte dem gekündigten Arbeitnehmer keine Vollmachtsurkunde vorlegt (eine beglaubigte Kopie reicht nicht aus) und der Gekündigte die Kündigung aus genau diesem Grund unverzüglich zurückweist. Eine Kündigungszurückweisung nach mehr als einer Woche ist in der Regel nicht mehr „unverzüglich“.

Eine Zurückweisung der Kündigung durch den gekündigten Arbeitnehmer bei fehlender Vorlage der Vollmachtsurkunde ist nicht möglich, wenn er über die Bevollmächtigung ausdrücklich informiert wurde oder sich diese Bevollmächtigung schlüssig aus den Umständen ergibt (z. B. der Personalleiter i. V., da diese Position in der Regel mit der Befugnis zur Anfertigung von Kündigungen einhergeht). Unterzeichnet ein Prokurist (ppa.) die Kündigung, wird regelmäßig auch von einer Kündigungsberechtigung auszugehen sein.

Allein für schriftliche Kündigungen gilt eine dreiwöchige Kündigungsfrist

Bei Missachtung der Schriftform durch den Arbeitgeber ist der Arbeitnehmer nicht an die im Normalfall zu beachtende dreiwöchige Klagefrist des § 4 S. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gebunden. Diese dreiwöchige Frist gilt ausschließlich für „schriftliche Kündigungen“. Ist die Kündigung nicht schriftlich erfolgt, kann auch keine Frist in Gang gesetzt und damit versäumt werden.

Wie viele Abmahnungen sind nötig? Wann ist es zu viel?

Viele Arbeitnehmer, aber auch Arbeitgeber, sind der Ansicht, dass mindestens drei Abmahnungen vorliegen müssen, bevor dem Arbeitnehmer gekündigt werden kann: Das ist falsch. Eine genaue Aussage darüber zu treffen, nach wie vielen Abmahnungen eine Kündigung ausgesprochen werden kann, ist schwierig. Denn einerseits wiegen die Vorfälle häufig unterschiedlich schwer und die Zeitabstände zwischen den einzelnen Geschehnissen differieren, andererseits weichen die einzelnen Situationen häufig voneinander ab.

Grundsätzlich gilt: Eine Abmahnung ist nicht mehr erforderlich, wenn sie den erstrebten Zweck (keine weitere Vertragsverletzung) nicht mehr erreichen kann. Wiederholt der mehrfach Abgemahnte dennoch erneut die gerügte Pflichtverletzung, ist eine erneute Abmahnung sinnlos, es kann eine Kündigung ausgesprochen werden. Auch darf der wiederholte Vertragsverstoß nicht als geringfügig angesehen werden (z. B. das vierte Mal eine Minute zu spät).

Liegen nur leichtere Verstöße gegen Verhaltens- oder Leistungspflichten vor (Verstöße gegen die Betriebsordnung, Nichtvorlage der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung etc.), bedarf es jedenfalls vor Ausspruch einer Kündigung mehrerer Abmahnungen.

Nach Auffassung u. a. des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm müssen die Wiederholungsfälle für den Ausspruch einer Kündigung zumindest gleichartig sein, etwa häufiges Zuspätkommen, unerlaubtes Fernbleiben von der Arbeit, Verlassen des Arbeitsplatzes, Unzuverlässigkeit oder Unbeherrschtheit. Ansonsten muss jeweils wieder erneut abgemahnt werden. Auf jeden Fall muss neu abgemahnt werden, wenn zwischen dem abgemahnten Verhalten und der Wiederholung eine längere Zeit unbeanstandeter Vertragserfüllung liegt. Denn in solchen Fällen wird die Wirkung der zuvor ausgesprochenen Abmahnung je nach Zeitverlauf immer schwächer.

Bei mehreren Abmahnungen ist andererseits zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des BAG eine hohe Anzahl an Abmahnungen wegen gleichartiger Pflichtverletzungen (im Streitfall zwei mündliche Ermahnungen und sieben schriftliche Abmahnungen wegen verspäteter Arbeitsaufnahme), denen keine weiteren Konsequenzen folgen, die Warnfunktion der Abmahnungen schwächen kann. Nach dieser Entscheidung muss der Arbeitgeber in solchen Fällen die letzte Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung besonders eindringlich gestalten, um dem Arbeitnehmer klarzumachen, dass ein weiterer gleichgelagerter Pflichtverstoß nunmehr zu einer Kündigung führen wird.

Voraussetzung für eine Abmahnung ist zunächst, dass die vom Arbeitnehmer geschuldete Tätigkeit so weit konkretisiert ist, dass ein Fehlverhalten objektiv begründbar ist. Bei Eignungsmängeln wie z. B. durch Krankheit, schlechte Ausbildung und Ähnlichem zeigt eine Abmahnung hingegen keine Wirkung, da der Arbeitnehmer hierauf keinen Einfluss hat, sich also nicht ändern kann. Bestehen mehrere Vorwürfe gegen den Arbeitnehmer, empfiehlt es sich, für jeden Vorwurf eine gesonderte Abmahnung auszusprechen. Ist nur ein Vorwurf einer „Sammelabmahnung“ nicht hinreichend konkretisiert, ist die gesamte Abmahnung unwirksam.

Merke | Mit den weiteren formalen und inhaltlichen Anforderungen an eine Abmahnung befasst sich ein Folgebeitrag in PP, Abruf-Nr. 50086966.

Wann ist vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich?

Eine Abmahnung ist nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz u. a. dann nicht erforderlich, wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 13.12.2018, Az. 2 AZR 370/18, Abruf-Nr. 207878; Urteil vom 27.02.2020, Az. 2 AZR 570/19, Abruf-Nr. 216239 und Urteil vom 20.05.2021, Az. 2 AZR 596/20, Abruf-Nr. 223999).

Diese Fallgruppe betrifft dabei ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Sie bemisst sich unabhängig von einer Wiederholungsgefahr oder sonstigen Umständen, die Gegenstand der weiteren Interessenabwägung sein können – wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis (BAG, Urteil vom 20.05.2021, Az. 2 AZR 596/20, Abruf-Nr. 223999 und LAG Düsseldorf, Urteil vom 04.10.2022, Az. 3 Sa 374/22, Abruf-Nr. 232978).

Beispiele: „Abmahnung entbehrlich“

Stichwort

Entscheidung

Fundstelle

Arbeitszeitbetrug, Störung des Betriebsfriedens, Lüge gegenüber Arbeitgeber

Einmaliger Arbeitszeitbetrug von ca. zehn Minuten. Das LAG Hamm kommt hier zur Überzeugung, dass eine Abmahnung nicht dazu geführt hätte, dass die Beschäftigte ihr Verhalten ändert. Als besonders gravierend wertete das Gericht das „Nachtatverhalten“ der Arbeitnehmerin, da sie ihren Chef auf Anfrage angelogen und den Betrug zunächst geleugnet und verschleiert hatte.

LAG Hamm, Urteil vom 27.01.2023, Az. 13 Sa 1007/22,

Abruf-Nr. 234587

Sexuelle Belästigung: kein Pardon auf der Weihnachtsfeier

Wer eine Kollegin mit Äußerungen grob sexuell belästigt und beleidigt, muss mit der fristlosen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses rechnen: Eine vorherige Abmahnung war entbehrlich. Das Fehlverhalten des Arbeitnehmers wog so schwer, dass eine Hinnahme durch die Beklagte ausgeschlossen war. Dies musste dem Arbeitnehmer auch erkennbar sein. Er hat sich weder entschuldigt noch wenigstens Reue gezeigt.

Arbeitsgericht Elmshorn, Urteil vom 26.04.2023, Az. 3 Ca 1501 e/22 (LAG Schleswig-Holstein, Az. 6 Sa 71/23)

Abruf-Nr. 235796

Verdacht auf Arbeitszeitbetrug

Ein Arbeitgeber muss bei einer Gleitzeitregelung darauf vertrauen können, dass die Arbeitszeit korrekt dokumentiert wird. Ein vorsätzlicher Verstoß würde dieses Vertrauen jedenfalls ausreichend erschüttern, da die Arbeitszeit ansonsten vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollieren ist. Eine vorherige Abmahnung braucht es daher nicht.

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.03.2023, Az. 5 Sa 128/22, Abruf-Nr. 235224

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Verwendung eines gefälschten Impfnachweises

Verschafft sich ein Arbeitnehmer wiederholt unberechtigten Zugang zum Betrieb unter Verwendung eines gefälschten Impfnachweises, um die Zutrittsbeschränkungen des § 28b Abs. 1 IfSG idF ab 24.11.21 zu umgehen (sog. 3G-Regelung), liegt darin eine gravierende Pflichtverletzung, die grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Auf den tatsächlichen Eintritt einer konkreten Gefährdungssituation komme es dabei nicht entscheidend an. Eine Abmahnung sei ebenfalls entbehrlich.

LAG Rheinland-Pfalz Urteil vom 23.05.2023, Az. 8 Sa 310/22,

Abruf-Nr. 236875

Tankkartennutzung

Die private Nutzung einer Tankkarte entgegen den Regelungen einer Dienstwagenrichtlinie kann eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.

LAG Niedersachsen Urteil vom 29.03.2023, Az. 2 Sa 313/22,

Abruf-Nr. 236576

Krankfeiern

Eine Abmahnung war hier entbehrlich wegen der besonderen Schwere des der Arbeitnehmerin vorgeworfenen Verstoßes (Fallbesprechung in PP 03/2023, Seite 8).

Arbeitsgericht Siegburg, Urteil vom 01.12.2022, Az. 5 Ca 1200/22, Abruf-Nr. 234876

Fortgesetzte sexuelle Belästigungen

Fortgesetzte sexuelle Belästigungen einer bzw. mehrerer Praktikantinnen können die fristlose Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers auch dann rechtfertigen, wenn eine einschlägige Abmahnung nicht vorausgegangen ist.

LAG Niedersachsen Urteil vom 20.06.2022, Az. 12 Sa 434/21, Abruf-Nr. 231731

Beispiele: „Abmahnung erforderlich“

Stichwort

Entscheidung

Fundstelle

Störung des Betriebsfriedens

Der Betriebsfrieden wird gestört, indem der Arbeitnehmer durch einen Sprung in den Rhein sich selbst aufgrund der Strömungen und des Schiffsverkehrs in Lebensgefahr begibt und potenziell Dritte gefährdet, die zum Helfen hätten veranlasst werden können.

LAG Düsseldorf, Urteil vom 08.07.2023, Az. 3 Sa 211/23 Abruf-Nr. 236360

Beleidigungen gegen Chef und Arbeitskollegen

Beleidigungen eines Arbeitnehmers gegen den Chef und Arbeitskollegen sind in einem milderen Licht zu sehen, wenn der Arbeitnehmer unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen leidet. In diesem Fall kann der Blick auf die Bedeutung der Äußerung verstellt sein. Der Arbeitnehmer kann aber abgemahnt werden.

LAG Thüringen

Urteil vom 29.06.2022, Az. 4 Sa 212/13, Abruf-Nr. 230694

Unterdurchschnittliche Leistungs-erbringung

Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt in Betracht, wenn das subjektive Leistungspotenzial vom Arbeitnehmer nicht ausgeschöpft wird. Daher liegt pflichtwidriges Handeln (Unterlassen) des Arbeitnehmers vor (BAG, Urteil vom 11.12.03, Az. 2 AZR 667/02). Grundsätzlich ist insbesondere hier eine Abmahnung erforderlich.

LAG Köln

Urteil vom 23.05.2002, Az. 7 Sa 71/02

Fehlen in der Probezeit

Eine Arbeitnehmerin, die bereits am dritten Tag in der Probezeit unentschuldigt fehlt, kann nicht fristlos gekündigt werden.

LAG Schleswig- Holstein, Urteil vom 03.06.2020, Az. 1 Sa 72/20, Abruf-Nr. 218577

Termin vergessen

Ein Kirchenmusiker war beschäftigt mit den Vorbereitungen eines Kindermusicals und vergaß den Termin für eine Trauerfeier. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber ihm fristlos. Das Gericht entschied, dass eine Abmahnung ausgereicht hätte. Es sei zu erwarten, dass der 61-jährige Kirchenmusiker, der zum Zeitpunkt des Vorfalls schon seit 15 Jahren bei der Gemeinde beschäftigt war, sein Verhalten künftig ändere.

Arbeitsgericht Lübeck Urteil vom 15.06.2023, Az. 1 Ca 323 öD/23

AUSGABE: PP 8/2024, S. 14 · ID: 50076707

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