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AußensteuerrechtVerrechnungspreise bei Betriebsstätten – § 1 Abs. 5 AStG auf dem Prüfstand
| Der BFH bestätigt mit den Urteilen vom 18.12.24 (I R 45/22 und I R 49/23) die bereits in seinem Beschluss vom 24.11.21 (I B 44/21) angedeutete Auffassung, es handele sich bei § 1 Abs. 5 AStG um eine reine Einkünftekorrekturvorschrift. Zudem stellt er die grundsätzliche Wirksamkeit der deutschen Ausgestaltung des Authorized OECD Approach (AOA) infrage (BFH 18.12.24, I R 45/22, DStR 25, 1081 und I R 49/23, BeckRS 24, 45465). |
1. Die Sachverhalte
BFH I R 45/22 |
FA wendet Kostenaufschlagsmethode für die Betriebsstättengewinnermittlung an Eine ungarische Kapitalgesellschaft unterhielt im Jahr 2017 eine deutsche Betriebsstätte zur Erbringung von Werksvertragsleistungen im Montagebereich. Sie erklärte für diese Betriebsstätte einen körperschaftsteuerlichen Gewinn für das Jahr 2017 (vgl. FG Nürnberg 27.9.22, 1 K 1595/20, IStR 23, 211, Rz. 3). Das Finanzamt erkannte die Gewinnermittlung (wohl unter Anwendung des Veranlassungsprinzips) für die inländische Betriebsstätte jedoch nicht an. Da die inländische Betriebsstätte lediglich Routinetätigkeiten ausführe, sei der Gewinn unter Berücksichtigung des § 32 BsGaV unter Verwendung einer kostenorientierten Verrechnungspreismethode zu ermitteln. Auf die Kostenbasis, bestehend aus Materialaufwand, Personalaufwand und sonstigen betrieblichen Aufwendungen, schlug das Finanzamt einen Gewinnaufschlagssatz von 10 % auf. Gegen die Bescheide erhob die ungarische Kapitalgesellschaft Einspruch. Daraufhin minderte das Finanzamt die Kostenbasis um den Materialaufwand und reduzierte den Gewinnaufschlagssatz auf 5 %. Im Übrigen wies es den Einspruch als unbegründet zurück. Die ungarische Kapitalgesellschaft erhob dagegen erfolgreich Klage vor dem FG Nürnberg (27.9.22, 1 K 1595/20, IStR 23, 211), woraufhin das Finanzamt Revision einlegte. |
BFH I R 49/23 |
Steuerpflichtiger ermittelt für inländische Betriebsstätte einen Verlust Auch in diesem Verfahren war die Klägerin eine ungarische Kapitalgesellschaft. Die Kapitalgesellschaft unterhielt eine Betriebsstätte in Deutschland, über die sie Werkvertragsleistungen im Bereich der Fleischzerlegung erbrachte. Für diese Betriebsstätte erstellte die Klägerin eine eigene Buchführung, die als Grundlage für die körperschaftsteuerliche Gewinnermittlung diente. Dabei wurden der Betriebsstätte die laufenden Betriebsausgaben zugerechnet, was im Ergebnis zu einem körperschaftsteuerlichen Verlust führte. Im Rahmen der Betriebsprüfung stellte das Finanzamt fest, dass bei der Ermittlung der im Inland steuerpflichtigen Einkünfte bislang keine anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehungen mit dem Stammhaus berücksichtigt worden seien. |
FA schätzt Gewinn nach der Kostenaufschlagsmethode Da wesentliche Funktionen, wie die Verhandlung von Verträgen mit Auftraggebern und Lieferanten, aus Ungarn heraus ausgeübt würden, lägen wesentliche Geschäftsbeziehungen zwischen dem Stammhaus und seiner Betriebsstätte vor. Indes habe die deutsche Betriebsstätte lediglich Routinefunktionen ausgeübt. Daher schätzte das Finanzamt den Gewinn der Betriebsstätte unter Anwendung der Kostenaufschlagsmethode mit einem Gewinnaufschlagsatz von 5 %. Die gegen die Bescheide eingelegten Einsprüche wies das Finanzamt als unbegründet zurück. In der Folge erhob die ungarische Kapitalgesellschaft Klage vor dem FG München. Das FG München (10.7.23, 7 K 1938/22, DStRE 24, 705) gab der Klage statt und stellte fest, dass die Voraussetzungen für eine Korrektur nach § 1 Abs. 5 AStG nicht vorlagen. Gegen dieses Urteil legte das Finanzamt Revision beim BFH ein. |
2. Entscheidungsgründe in beiden Rechtssachen
Der BFH wies die Revision gegen das Urteil des FG Nürnberg als unbegründet zurück (vgl. BFH 18.12.24, I R 45/22, DStR 25, 1081, Rz. 8). Die Entscheidung des FG München hob der BFH im Hinblick auf die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlusts wegen eines Verfahrensfehlers auf und wies die Revision im Übrigen ebenfalls als unbegründet zurück (vgl. BFH 18.12.24, I R 49/23, BeckRS 24, 45465, Rn. 14). Laut dem BFH könne eine veranlassungsbezogene Gewinnermittlung nicht ohne weitere Prüfung verworfen werden, um eine Einkünftekorrektur nach § 1 Abs. 5 S. 1 AStG vorzunehmen. § 1 Abs. 5 AStG sei weder als allgemeine Einkünfteermittlungsvorschrift einzuordnen noch beinhalte § 1 Abs. 5 AStG eine vollständige Fiktionskette, die aber für eine Einkünftekorrektur erforderlich sei. Dazu im Einzelnen:
2.1 Keine Verdrängung des Veranlassungsprinzips durch § 1 Abs. 5 AStG
Nach § 1 Abs. 5 AStG finden die Vorschriften des § 1 Abs. 1, 3 und 4 AStG Anwendung, wenn für eine sog. anzunehmende schuldrechtliche Beziehung keine fremdvergleichskonformen Verrechnungspreise vereinbart wurden und dies zu einer Minderung der inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen oder zu einer Erhöhung der ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen geführt hat.
Betriebsstätte wie eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln Merke | Für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist die Betriebsstätte eines Unternehmens grundsätzlich wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln. Um die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von Betriebsstätten zu erreichen, sind nach dem derzeitigen Gesetzeswortlaut zwei Schritte zu beachten: Zunächst sind der Betriebsstätte gemäß § 1 Abs. 5 S. 3 AStG ihre Personalfunktionen, ihre zur Ausübung dieser Funktionen notwendigen Vermögenswerte, Chancen und Risiken und ein angemessenes Eigenkapital (Dotationskapital) zuzuweisen. Basierend auf dieser Zuordnung sind gemäß § 1 Abs. 5 S. 4 AStG die vorliegenden Geschäftsbeziehungen abzuleiten und Verrechnungspreise festzusetzen. |
Laut dem BFH muss für die Annahme einer fiktiven schuldrechtlichen Beziehung i. S. d. § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG zwischen einem Unternehmen und seiner Betriebsstätte eine tatsächliche Handlung vorliegen (sog. Dealings), sodass fremde Dritte deswegen eine schuldrechtliche Vereinbarung getroffen hätten oder eine Rechtsposition geltend machen würden. Letzteres werde durch § 1 Abs. 4 S. 2 AStG gesetzlich vermutet, wenn der Steuerpflichtige nicht im Einzelfall etwas anderes nachweise.
Beachten Sie | Mit der Einführung des § 1 Abs. 5 AStG i. V. m. § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG setzte der Gesetzgeber im JStG 2013 den AOA in nationales Recht um. Die Anwendung der Grundsätze des Fremdvergleichs für grenzüberschreitende Geschäftsbeziehungen zwischen Betriebsstätten soll seither zu einer einheitlichen Aufteilung des Besteuerungsaufkommens für unterschiedliche Investitionsformen führen (vgl. BT-Drs. 17/10000, 61). Wie der AOA zu einer Gleichstellung von Betriebsstätten und Kapitalgesellschaften führen kann, zeigt Kudert beispielhaft (vgl. PIStB 24, 191, 193). Mit § 1 Abs. 6 AStG ermächtigte der Gesetzgeber die Finanzverwaltung zudem, die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes auf Betriebsstätten zu konkretisieren. Dieser Ermächtigung ist die Finanzverwaltung durch den Erlass der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) im Jahr 2014 nachgekommen.
Laut dem BFH ersetzt § 1 Abs. 5 S. 1 AStG i. V. m. der BsGaV jedoch nicht das Veranlassungsprinzip. Denn § 1 Abs. 5 AStG stelle ausschließlich eine Einkünftekorrekturvorschrift und keine Einkünfteermittlungsvorschrift dar. Dies sei sowohl am Wortlaut des § 1 Abs. 5 S. 3 AStG als auch an der systematischen Stellung der Norm im AStG zu erkennen. Auch wenn der Gesetzgeber mit der Norm den AOA in nationales Recht umsetzen wollte, sei jedoch mangels Verortung der Regelung in den §§ 4 ff. EStG keine Anpassung des allgemeinen Gewinnbegriffs vorgenommen worden.
Daher entfalte § 1 Abs. 5 AStG keine generelle Wirkung für eine (Neu-)Aufteilung der Gewinne zwischen inländischen und ausländischen Betriebsstätten. Einkünfte könnten daher nur auf Basis von § 1 Abs. 5 AStG korrigiert werden, wenn
BFH I R 45/22, Rn. 14; BFH I R 49/23, Rn. 21 |
„Dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 AStG und insbesondere dessen S. 3 lässt sich insoweit gerade nicht entnehmen, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 1 AStG und insbesondere für die allgemeine Gewinnermittlung nach §§ 4 ff. EStG eine Veranlassungsprüfung (allein) nach den in den jeweiligen Unternehmensteilen ausgeübten Personalfunktionen vorzunehmen wäre.“ |
- a) die tatsächlichen Verhältnisse von denen abweichen, die fremde Dritte miteinander vereinbaren würden, und
- b) diese die inländische steuerliche Bemessungsgrundlage minderten.
2.2 Keine Korrektur auf Basis von § 1 Abs. 5 AStG mangels vollständiger Fiktionskette
Neben der Fiktion einer anzunehmenden schuldrechtlichen Beziehung setze § 1 Abs. 5 S. 1 AStG als zusätzliches Kriterium für eine Einkünftekorrektur voraus, dass die Einkünfteminderung durch fremdunübliche Verrechnungspreise verursacht wurde. Eine solche Einkünfteminderung werde allerdings weder durch § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG noch durch die BsGaV fingiert. Zwar enthielten beide Normen die Fiktion eines „Geschäftsvorfalls“ und Vorgaben zum Fremdvergleichspreis – allerdings keine Aussagen zum tatsächlich vereinbarten Verrechnungspreis. Da es folglich an der Fiktion eines fremdvergleichsungerechten Verrechnungspreises fehle, sei die Fiktionskette zur Korrektur der Einkünfte von Betriebsstätten unvollständig. Somit scheide eine Korrektur nach § 1 Abs. 5 AStG aus.
BFH I R 45/22 und I R 49/23, jeweils 2. Leitsatz |
„Die in § 1 Abs. 5 S. 1 AStG vorausgesetzte Einkünfteminderung muss – als kausale Bedingung – „durch“ die Vereinbarung nicht fremdvergleichsgerechter Bedingungen (Verrechnungspreise) entstehen und sie wird weder durch § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG noch durch § 32 BsGaV fingiert.“ |
3. Anmerkungen
In den beiden Besprechungsurteilen legt der BFH § 1 Abs. 5 AStG sehr restriktiv aus. Für die Praxis stellt sich daher die Frage, welche Auswirkungen die Urteile für die Betriebsstättengewinnermittlung haben.
3.1 § 1 Abs. 5 AStG ist keine Regelung zur Betriebsstättengewinnermittlung, sondern eine Einkünftekorrekturvorschrift
Bis zur Umsetzung der OECD-Grundsätze zur Betriebsstättengewinnermittlung in nationales Recht war das Veranlassungsprinzip der alleinige Maßstab für die steuerliche Gewinnermittlung von Betriebsstätten. Bis dahin blieben Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätten steuerlich unberücksichtigt und hatten damit keinen Einfluss auf die Einkünftezuordnung zwischen dem Stammhaus eines Unternehmens und seiner ausländischen Betriebsstätte. Daher waren auch die Personalfunktionen bis zur Einführung des AOA kein Einkünftezuordnungskriterium.
Insofern stellte die Einführung des AOA in § 1 Abs. 5 AStG einen vollständigen Paradigmenwechsel im Rahmen der Einkünfteabgrenzung dar und löste – nun schon langwährende – Diskussionen über die Anwendbarkeit und das Verhältnis zum Veranlassungsprinzip aus. Seither stellt sich insbesondere die Frage, ob die durch die BsGaV konkretisierten Vorschriften zu Betriebsstättengewinnermittlung die Grundsätze des Veranlassungsprinzips vollständig verdrängen können. Denn während § 1 Abs. 5 AStG überwiegend als bloße Einkünftekorrekturvorschrift verstanden wird, die das Veranlassungsprinzip ergänzt, sieht ein Teil der Literatur in der Vorschrift eine eigenständige Gewinnermittlungsvorschrift in Konkurrenz zum Veranlassungsprinzip:
Merke | Mit seinen Entscheidungen vom 18.12.24 folgt der BFH nun der Auffassung derer, die in der Umsetzung des AOA immer eine bloße Einkünftekorrekturvorschrift sahen. Wie im Beschluss vom 24.11.21 (I B 44/21, IStR 22, 284) macht der BFH dies am Wortlaut und an der systematischen Stellung der Vorschrift im AStG fest. Diese Argumente sind aus der Sicht des BFH gewichtiger zu bewerten als der in den Gesetzesmaterialien festgehaltene Zweck der Vorschrift, den AOA in nationales Recht umzusetzen. Daher könne in den zugrunde liegenden Sachverhalten eine veranlassungsbezogene Gewinnermittlung nicht ohne Weiteres durch § 1 Abs. 5 AStG verdrängt werden. |
- Für die letztere Auffassung wird angeführt, dass die allgemeinen steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften keine gesonderten Vorschriften für Betriebsstätten enthielten. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Vorschrift, die Gewinnabgrenzung von Betriebsstätten an die von Kapital- und Personengesellschaften anzugleichen, fülle der AOA diese „regulatorische Lücke“ (Leonhardt, IStR 19, 677, 679 f.). Der Wortlaut des § 1 Abs. 5 S. 1 AStG zeige außerdem, dass der Gesetzgeber den AOA bereits auf Ebene der allgemeinen Gewinnermittlung anwenden wolle. Die Bezugnahme der Norm auf „Bedingungen, insbesondere Verrechnungspreise, die der Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte […] steuerlich zugrunde gelegt werden“ verdeutliche, dass die Selbständigkeits- und Unabhängigkeitsfiktion der Betriebsstätte bereits im Rahmen der allgemeinen Gewinnermittlung zugrunde zu legen sei. Denn eine „Aufteilung der Einkünfte“ erfordere die Ermittlung eines unternehmerischen Gesamtgewinns, der sowohl Außen- als auch Innentransaktionen berücksichtigen müsse (vgl. Leonhardt/Tcherveniachki, in: F/W/D/S, § 1 AStG, 2024, Rn. 2812). Ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer Gewinnermittlungsvorschrift seien zudem die speziellen Zuordnungsregelungen der BsGaV, die typischerweise der ersten Stufe der Gewinnermittlung zugeordnet würden (vgl. Blindert/Niederquell, StB 25, 53, 55).Indizien für das Vorliegen einer Gewinnermittlungsvorschrift
- Nach überwiegend im Schrifttum vertretener Auffassung handelt es sich bei § 1 Abs. 5 AStG jedoch allein um eine Einkünftekorrekturvorschrift. Dies ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 AStG – auf den in § 1 Abs. 5 AStG verwiesen wird. Des Weiteren spreche die systematische Einordnung der Vorschrift im AStG gegen eine Qualifikation als eigenständige Gewinnermittlungsvorschrift (vgl. Gosch, ISR 18, 404, 407). Somit sei § 1 Abs. 5 AStG ausschließlich auf Innentransaktionen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte anzuwenden, während Außentransaktionen weiterhin unter dem Veranlassungsprinzip zu beurteilen seien (vgl. Gosch, ISR 18, 404, 407 f.).Begründung für die Einordnung als Einkünftekorrekturvorschrift
3.2 Einkünfteminderung und Kausalzusammenhang zu nicht fremdvergleichskonformen Preisen erforderlich
Wie der BFH zutreffend ausführt, erfordert eine Korrektur nach § 1 Abs. 5 AStG dem Wortlaut nach eine Einkünfteminderung im Inland. Damit steht die tatsächliche Ausgestaltung des AOA im Widerspruch zum im OECD-Betriebsstättenbericht und in den Gesetzesmaterialien ausgewiesenen Zweck der Vorschrift. Denn eine gleichlaufende Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse für sämtliche Investitionsformen lässt sich durch die asymmetrische Umsetzung des AOA in § 1 AStG nicht erreichen.
Voraussetzung ist laut dem BFH zudem, dass die Einkünfteminderung in kausalem Zusammenhang mit der Vereinbarung nicht fremdvergleichsgerechter Bedingungen (Verrechnungspreise) stehe. § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AStG fingiere jedoch lediglich anzunehmende schuldrechtliche Beziehungen. Eine Einkünfteminderung durch fremdunübliche Verrechnungspreise werde auch nicht durch die BsGaV fingiert. Folglich fehle es an der Fiktion eines Verrechnungspreises, der einem Fremdvergleich unterzogen werden könne. Da Betriebsstätten tatsächlich nicht selbstständig und unabhängig sind, seien nach Auffassung des BFH daher zwei Fiktionen erforderlich:
- a) eine schuldrechtliche Beziehung und
- b) ein vereinbarter Verrechnungspreis, der auf seine Fremdüblichkeit hin untersucht werden könne.
Daher mangele es laut dem BFH an einer vollständigen Fiktionskette. In der Literatur wird aus der mangelnden Vollständigkeit der Fiktionskette gefolgert, § 1 Abs. 5 AStG laufe weitgehend leer (vgl. Gosch, ISR 18, 404, 408). Auch wenn der BFH diese Schlussfolgerung in den Besprechungsurteilen nicht ausdrücklich zieht, dürfte das an den Auswirkungen des Urteils nichts ändern: Solange der Gesetzgeber die Fiktionskette nicht vervollständigt, wird der BFH Einkünftekorrekturen auf Basis von § 1 Abs. 5 AStG wahrscheinlich nicht anerkennen.
3.3 Relevanz für die Praxis
Der durch die OECD eingeführte AOA soll eine Aufteilung des Besteuerungsaufkommens nach Maßgabe der tatsächlichen Wertschöpfungsbeiträge garantieren. Steuerpflichtige, die die Gewinne ihrer Betriebsstätten im Einklang mit dem Verrechnungspreisverständnis der OECD ermittelt haben, stehen jedoch weiterhin vor Unsicherheiten. Denn die bestehende Rechtslage kann grundsätzlich nicht zu der von der OECD beabsichtigten Lösung führen.
Vorerst steht der Steuerpflichtige im Rahmen dieser Unsicherheiten nun vor den folgenden Szenarien:
- 1. Sofern das BMF die Urteile im Bundessteuerblatt veröffentlicht, würde sich das BMF der Auffassung des BFH anschließen und Gewinne ausschließlich nach dem Veranlassungsprinzip zuordnen. Eine Anwendung des § 1 Abs. 5 AStG würde in diesem Fall ausscheiden.
- 2. Sollte das BMF von einer Veröffentlichung absehen und mit einem Nichtanwendungserlass reagieren, würden die Finanzämter § 1 Abs. 5 AStG i. S. d. Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung weiterhin als Einkünftekorrekturvorschrift anwenden. Insoweit erscheint fraglich, ob die Finanzämter die Anwendung des AOA auch dann akzeptieren, wenn der AOA zu einer Minderung der inländischen Einkünfte gegenüber einer reinen Anwendung des Veranlassungsprinzips führt.
Damit bleibt der Steuerpflichtige dem Risiko einer Doppelbesteuerung ausgesetzt (vgl. Wenzel/Gäberlein, IWB 25, 504, 508). Denn während im Ausland regelmäßig der AOA zur Anwendung gelangen wird, wäre in Deutschland – bei Anwendung der Rechtsprechung des BFH – allein das Veranlassungsprinzip maßgeblich. Da unter der Anwendung des Veranlassungsprinzips eine Zuordnung von Einkünften nach Maßgabe der Personalfunktionen i. S. d. BsGaV ausscheidet, ist eine wirksame Vermeidung der Doppelsteuerung insoweit nur in Konstellationen möglich, in denen der AOA bereits im jeweiligen DBA verankert ist (vgl. Schnitger, IStR 12, 633, 634).
Für den Gesetzgeber stellt sich nunmehr die dringende Aufgabe, den AOA rechtssicher auszugestalten. Aus der Praxis wurde vielfach gefordert, den AOA in die Gewinnermittlungsvorschriften der §§ 4 ff. EStG zu integrieren, um eine wertschöpfungsgerechte Gewinnermittlung zu gewährleisten. Sollte der Gesetzgeber gleichwohl eine Anpassung innerhalb des § 1 AStG vornehmen, wäre es aus systematischer und teleologischer Sicht notwendig, die Vorschriften zur Betriebsstättengewinnermittlung nicht nur bei einer Einkünfteminderung, sondern auch in Fällen einer Einkünfteerhöhung zur Anwendung zu bringen. Zu einer sachgerechten Aufteilung der Bemessungsgrundlage kann es dann kommen, wenn die Außentransaktionen eines Unternehmens in einem ersten Schritt nach dem Veranlassungsprinzip zugeordnet werden und Innentransaktionen zwischen den Betriebsstätten des Unternehmens in einem zweiten Schritt nach den Vorschriften des AOA berücksichtigt werden (vgl. Kudert, PIStB 24, 191, 193).
Fazit | Mit den beiden Besprechungsurteilen bestätigt der BFH, dass § 1 Abs. 5 ausschließlich eine Einkünftekorrekturvorschrift und keine Einkünfteermittlungsvorschrift darstellt. Mangels vollständiger Fiktionskette liegt zudem nahe, dass der BFH Einkünftekorrekturen basierend auf § 1 Abs. 5 AStG auch in zukünftigen Entscheidungen nicht anerkennen wird. Insoweit könnte das noch anhängige Verfahren zur Rechtssache des FG Düsseldorf (12.5.23, 3 K 70/18 F, DStRE 24, 582) Aufschluss bringen (BFH I R 38/23). Die Urteile verdeutlichen einmal mehr die Schwierigkeiten, die mit der unsystematischen Ausgestaltung der Verrechnungspreisregelungen in § 1 AStG einhergehen. Es bleibt daher zu hoffen, dass der Gesetzgeber die Anwendung des AOA zukünftig unabhängig von der Voraussetzung einer Einkünfteminderung gesetzlich festschreibt. |
AUSGABE: PIStB 9/2025, S. 242 · ID: 50507428