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KindergeldSechsmonatige Kindergeldausschlussfrist ist rechtmäßig

Abo-Inhalt28.02.20254 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

| § 70 Abs. 1 S. 2 EStG bestimmt, dass das festgesetzte Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats ausgezahlt wird, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Diese Regelung ist sowohl verfassungsgemäß als auch unionsrechtskonform. Für inländische Saisonarbeitnehmer gilt zudem, dass ein im Heimatland gestellter Kindergeldantrag nur dann als relevant für die inländische Familienkasse zu verstehen ist, wenn die antragstellende Person ihr Recht auf Freizügigkeit im Zeitpunkt ihres im Heimatland gestellten Antrags bereits ausgeübt hat (BFH 8.8.24, III R 19/22, BB 24, 2774). |

Sachverhalt

Die Mutter ist rumänische Staatsangehörige, die von 2017 bis 2019 als Saisonarbeitnehmerin in Deutschland beschäftigt war. Die im Jahr 2013 und 2015 geborenen Kinder, für die sie in Rumänien Familienleistungen bezog, lebten in dem Zeitraum in Rumänien. Am 15.11.19 beantragten die Bevollmächtigten der Mutter deutsches Kindergeld. Dem Antrag waren weder ein Steuerbescheid noch sonstige Unterlagen beigefügt sowie keine Angabe der Monate, für welche Kindergeld beansprucht werde.

Nach Vorlage weiterer Unterlagen, insbesondere eines Steuerbescheides, aus dem sich eine Veranlagung für 2021 nach § 1 Abs. 3 EStG ergab, setzte die Familienkasse für die beiden in Rumänien lebenden Kinder Differenzkindergeld für die Monate Juni 2017 bis August 2017, Juni 2018 bis August 2018 und April 2019 bis Oktober 2019 fest. Mit Hinweis auf § 70 Abs. 1 S. 2 EStG erläuterte sie aber, dass das Kindergeld nur für die Zeit ab Mai 2019 rückwirkend gezahlt werden kann, weil der Kindergeldantrag erst am 15.11.19 eingegangen war. Einspruch und Klage der Mutter blieben erfolglos (FG Nürnberg 30.3.22, 3 K 783/21), ebenso die Revision vor dem BFH (8.8.24, III R 19/22).

Anmerkungen

Nach § 70 Abs. 1 S. 2 EStG (eingeführt durch Art. 9 Nr. 9 des Gesetzes vom 11.7.19; BGBl I 19, 1066 mit Wirkung vom 18.7.19) erfolgt die Auszahlung von festgesetztem Kindergeld rückwirkend nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats, in dem der Antrag auf Kindergeld eingegangen ist. Der Anspruch auf Kindergeld nach § 62 EStG bleibt von dieser Auszahlungsbeschränkung unberührt (§ 70 Abs. 1 S. 3 EStG). S. 2 ist erstmals auf Kindergeldanträge anzuwenden, die nach dem 18.7.19 eingehen (§ 52 Abs. 50 S. 1 EStG).

Beachten Sie | Anders als die Vorgängerregelung des § 66 Abs. 3 EStG (i. d. F. des StUmgBG vom 23.6.17, BStBl I 17, 865) betrifft § 70 Abs. 1 S. 2 EStG nicht mehr das Festsetzungsverfahren, sondern das Erhebungsverfahren. Die Vorschrift regelt ein spezialgesetzliches Auszahlungshindernis (BFH 22.9.22, III R 21/21, BStBl II 23, 249, Rn. 20).

Der BFH hat die Revision der Mutter als unbegründet zurückgewiesen und klargestellt, dass die Ausschlussfrist des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG zeitlich anwendbar ist. § 70 Abs. 1 S. 2 EStG normiert ein spezialgesetzliches Auszahlungshindernis. Aufgrund des erst am 15.11.19 eingegangenen Antrags ist die Auszahlung auf die Monate ab Mai 2019 beschränkt. Etwaige bei der Geburt der Kinder in Rumänien gestellte Familienleistungsanträge sind irrelevant, da die Mutter zu dieser Zeit ihr Freizügigkeitsrecht noch nicht ausgeübt hat und der bloße Bezug von Familienleistungen in Rumänien einen Antrag nicht ersetzen kann.

Unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung bestätigt der BFH jetzt abermals die Verfassungsmäßigkeit des § 70 Abs. 1 S. 2 EStG (BFH 22.9.22, III R 21/21, BStBl II 23, 249; BFH 25.4.24, III R 27/22). Soweit das Kindergeld dem Schutz des Kinderexistenzminimums dient (§ 31 S. 1 EStG), wird dieser Schutz vom Gesetzgeber zulässigerweise primär über die Freibetragsregelungen des § 32 Abs. 6 EStG gewährleistet. Soweit das Kindergeld der Förderung der Familien dient (§ 31 S. 2 EStG), liegt die Einführung einer Ausschlussfrist innerhalb des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers.

Der BFH verweist insbesondere auf das Urteil des EuGH vom 29.9.22 (C-3/21, „Chief Appeals Officer u. a). sowie auf die Entscheidung des BFH vom 11.7.24 (III R 31/23, BB 24, 2645). Danach ist ein im Heimatland (z. B. gleich nach der Geburt des Kindes) gestellter Kindergeldantrag nur dann als ein auch für die inländische Familienkasse relevanter Antrag zu verstehen, wenn die antragstellende Person ihr Recht auf Freizügigkeit im Zeitpunkt ihres im Heimatland gestellten Antrags bereits ausgeübt hat. Auch im Übrigen begegnet § 70 Abs. 1 S. 2 EStG keinen unionsrechtlichen Zweifeln. Insbesondere liegt keine Verletzung des Diskriminierungsverbots oder des Äquivalenzprinzips vor. Ferner stellt der BFH klar, dass die Ausschlussfrist in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG auch für inländische Saisonarbeitnehmer gilt.

Praxistipps |
Für Kindergeldanträge kommt es für die Wahrung der in § 70 Abs. 1 S. 2 EStG genannten Frist nicht auf die Entstehung des Kindergeldanspruchs, sondern auf den Zeitpunkt des Antragseingangs an (BFH 25.4.24, II R 27/22, DStRE 24, 1056; Jahn, PIStB 24, 310).
Auch die auf Kindergeldanträge im Zeitraum 31.12.17 bis 18.7.19 anwendbare Vorgängerregelung in § 66 Abs. 3 EStG a. F., wonach das Kindergeld nur für die letzten sechs Monate vor Beginn des Monats gezahlt wird, in dem der Antrag (§ 67 EStG) auf Kindergeld eingegangen ist, hat der BFH für verfassungs- und gemeinschaftsrechtskonform erklärt (BFH 11.7.24, III R 31/23, BB 24, 2645, s. Jahn, PIStB 25, 2).

AUSGABE: PIStB 3/2025, S. 62 · ID: 50271543

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