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UmsatzsteuerZur Abgrenzung des therapeutischen vom (auch) kosmetischen Behandlungsziel

Abo-Inhalt23.04.20256 Min. LesedauerVon StB Dipl.-Finw. Philipp Peplowski, LLM, Köln

| Umsatzsteuerbefreiungen, vor allem solche nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL, sind in der Praxis häufig ein Streitgegenstand. Die Beurteilung dieser Befreiungsvorschrift verlangt eine differenzierte Betrachtung gerade im Grenzbereich von rekonstruktiven Heilbehandlungen und ästhetischen Behandlungen zu kosmetischen Zwecken. Der Beitrag befasst sich mit zwei Entscheidungen zu diesem Thema. |

1. Umsatzsteuerbefreite Heilbehandlungen

Zum Vorliegen der Umsatzsteuerbefreiung einer Leistung nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG benötigt es eine Heilbehandlung im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt oder arztähnlicher Beruf durchgeführt wird. Problembehaftet ist dabei insbesondere die Beurteilung, ob es sich bei der Leistung um eine Heilbehandlung handelt, d. h. ob ein therapeutisches Ziel verfolgt wird. Heilbehandlung umfasst die Vorbeugung, Diagnose, Behandlung und – soweit möglich – auch Heilung von Krankheiten und Gesundheitsstörungen. Auch ästhetische Behandlungen können Heilbehandlungen sein, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (EuGH 21.3.13, C-91/12, PFC Clinic).

Beachten Sie | Umsatzsteuerbefreite Heilbehandlungsleistungen sind abzugrenzen von Maßnahmen, die ausschließlich kosmetisch-ästhetische Zwecke verfolgen. Diese sind umsatzsteuerpflichtig. Die Differenzierung ist gerade bei operierenden ärztlichen Disziplinen oftmals schwierig, allerdings ist die Diagnosetätigkeit immer umsatzsteuerbefreit (FG Düsseldorf 16.6.21, 5 K 2710/17 U, Rz. 57).

Aus dem Sinn und Zweck der Umsatzsteuerbefreiung, die Kosten ärztlicher Heilbehandlungen zu senken (EuGH 11.1.01, C-76/99 R. 23), folgt aber auch, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung nicht in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist. Die Steuerbefreiung ist damit nicht auf solche Leistungen beschränkt, die unmittelbar der Diagnose, Behandlung oder Heilung einer Krankheit oder Verletzung dienen. Sie erfasst auch Leistungen, die erst als Folge solcher Behandlungen erforderlich werden, seien sie auch ästhetischer Natur (Folgebehandlung). So verhält es sich, wenn die medizinische Maßnahme dazu dient, die negativen Folgen der Vorbehandlung zu beseitigen (BFH 19.3.15, V R 60/14, BStBl II 15, 946, Rz. 13 b).

1.1 Beseitigung von negativen Behandlungsfolgen (Bleaching)

In diesem Zusammenhang wird z. B. auch das Aufhellen der Zähne (Bleaching) nach einer vorangehenden behandlungsbedingten Zahnverdunkelung (Wurzelkanalbehandlung) als umsatzfrei behandelt. Der BFH (19.3.15, V R 60/14, BStBl II 15, 946) erachtete die als Folge von Zahnbehandlungen notwendig gewordenen Zahnaufhellungsbehandlungen – als ästhetischer Eingriff – ebenfalls nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG als steuerbefreit. Der Eingriff ästhetischer Natur war im Streitfall medizinisch erforderlich. Zwar hatte die Zahnaufhellungsbehandlung ausschließlich eine optische Veränderung des Zahnes (Aufhellung) zur Folge. Gleichwohl erfolgte der Eingriff nicht zu rein kosmetischen Zwecken. Die Zahnaufhellungen dienten dazu, die infolge der Vorschädigung eingetretene Verdunklung der Zähne zu behandeln. Damit standen die Zahnaufhellungsbehandlungen in einem sachlichen Zusammenhang mit den vorherigen Behandlungen, weil sie deren negative Auswirkungen (Verdunklung) zu beseitigen bezweckten.

1.2 Ausgleich für krankheitsbedingten Mangel (Haarwurzeltransplantation)

Ferner sind bei einer ursächlichen Krankheit (hier: angeborene oder vernarbte Alopezie) die Behandlungsmaßnahmen zur Wiederherstellung des Gesundheitszustands (Haartransplantationen) Teil der umsatzsteuerfreien Heilbehandlungsleistung. Dabei muss nicht die Ursache einer Krankheit selbst therapiert werden. Es reicht für ein therapeutisches Ziel, wenn ein Ausgleich eines durch eine Krankheit ausgelösten Mangels erwirkt werden soll (BFH 25.9.24, XI R 17/21).

Beachten Sie | Eine Krankheit liege nach der ertragsteuerrechtlichen Rechtsprechung des BFH, deren Anwendung auf den Streitfall unionsrechtlichen Erwägungen nicht entgegenstehe, bei einem anormalen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand vor, der den Betroffenen in der Ausübung normaler psychischer oder körperlicher Funktionen derart beeinträchtige, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedürfe.

Der BFH (25.9.24, XI R 17/21) betont erneut, dass das für die Steuerbefreiung erforderliche therapeutische Ziel in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL nicht im engen Sinne zu verstehen sei. Ausschließlich bei Behandlungen, die den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern und das allgemeine Wohlbefinden steigern, könne von vornherein eine Heilbehandlung verneint werden. Der therapeutische Zweck einer Heilbehandlung könne vorliegen, auch wenn nicht auf die Ursache einer Krankheit eingewirkt werde. Es gehe um den Ausgleich eines durch eine Krankheit ausgelösten Mangels, dem ein Krankheitswert zukomme oder der ursächlich für psychische Folgeerkrankungen sei.

Beispiel: Verlust von Körperteilen mit Krankheitswert

Die Ersetzung oder Wiederherstellung eines von Geburt an fehlenden oder im Laufe des Lebens verloren gegangenen Teils des menschlichen Körpers hat nach Auffassung des BFH (25.9.24, XI R 17/21) einen therapeutischen Zweck, wenn und soweit der sich aus dem Fehlen ergebende Zustand behandlungsbedürftig (d. h. eine Krankheit oder sonstige Gesundheitsstörung) ist. Hingegen können fehlende oder verloren gegangene Teile des Körpers nicht umsatzsteuerfrei ersetzt werden, wenn ihr Fehlen oder Verlust keinen Krankheitswert aufweist und auch nicht zu (ggf. auch psychischen) Folgeerkrankungen führt, weil dann die Maßnahme kosmetischen Zwecken dient.

2. Relevanz für die Praxis

2.1 Nachweis von Krankheitswert oder Folgeerkrankung

Im Grenzbereich von rekonstruktiven Heilbehandlungen und ästhetischen Behandlungen zu kosmetischen Zwecken genügen dem BFH (25.9.24, XI R 17/21) nicht näher substantiierte, pauschale Erklärungen des behandelnden Arztes nicht. Vielmehr verlangt er eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, die Angaben insbesondere dazu enthalten soll, auf welcher tatsächlichen Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, welche Methode der Tatsachenerhebung angewandt wurde, wie die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) lautet, welchen Schweregrad die Erkrankung aufweist und welche (entstellenden oder psychischen) Folgen sich aus ihr ergeben. Ferner weist der BFH darauf hin, dass die Feststellung einer entstellenden Wirkung oder einer psychischen Erkrankung typischerweise nicht durch einen Chirurgen (wie den Kläger), sondern durch einen dafür zuständigen Facharzt erfolgt.

2.2 Weitere – umsatzsteuerliche – Konsequenzen

Bisher erteilte Rechnungen enthalten ggf. die offen ausgewiesene Umsatzsteuer. Nach den vorgenannten Überlegungen könnten jedoch einzelne Umsätze durchaus steuerfrei sein. Bei einer Umsatzsteuererstattung könnte aber das Risiko einer „14c-Steuer“ bestehen (§ 14c Abs. 1 UStG). Dadurch würde der Unternehmer/Arzt die Steuer nicht erstattet bekommen, solange die Rechnung nicht korrigiert wird. Bei Heilbehandlungsleistungen besteht das Risiko einer Anwendung von § 14c UStG und die Erforderlichkeit einer Rechnungskorrektur nicht mehr, da der Leistungsempfänger i. d. R. eine Privatperson ist oder die Leistung für außerunternehmerische Zwecke bezieht. Eine Gefährdung des Steueraufkommens durch einen Vorsteuerabzug ist dann nicht gegeben (vgl. EuGH 8.12.22, C-378/21). Die Finanzverwaltung erkennt diese Rechtsprechung an (BMF 27.2.24, III C 2 - S 7282/19/10001, BStBl I 24, 361).

Vor einer Berufung auf die Umsatzsteuerbefreiung sollten Wechselwirkungen mit dem Mietvertrag geprüft werden. Der Vermieter hat die Möglichkeit, zur Umsatzsteuerpflicht zu optieren. Viele Ärzte der plastischen Chirurgie können dann aus den Mietzahlungen Vorsteuer ziehen, da sie i. d. R. umsatzsteuerpflichtige Umsätze ausführen. Werden nun die Umsätze des Arztes/Mieters unter Berufung auf die Rechtsprechung zu mehr als 5 % umsatzsteuerfrei, sind die Voraussetzungen für die Option des Vermieters nach § 9 Abs. 2 UStG nicht mehr erfüllt (vgl. Abschn. 9.2 Abs. 3 UStAE). In den meisten Mietverträgen sind in diesem Fall Schadenersatzansprüche zugunsten des Vermieters geregelt. Denn der Vermieter verliert seinerseits ohne die umsatzsteuerliche Option das Recht auf Vorsteuerabzug. Vorsteuer aus den Gebäudeerrichtungskosten muss dann z. B. in einem Zehnjahreszeitraum nach § 15a UStG vom Vermieter an das FA anteilig zurückgezahlt werden. Dieser Schaden ist zivilrechtlich bei entsprechenden Klauseln im Mietvertrag vom Mieter/Arzt zu ersetzen. Im Ergebnis können Ärzte zwar eine Umsatzsteuererstattung erhalten (auch ohne Rechnungskorrektur), aber würden ggf. aus dem Mietvertrag heraus einen Schadenersatz gegenüber dem Vermieter provozieren. Diese Wechselwirkung gilt es in der Praxis im Blick zu halten.

AUSGABE: PFB 5/2025, S. 128 · ID: 50307444

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