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SozialversicherungspflichtBeitragspflicht für Lehrkräfte: Kein Vertrauensschutz für die Vergangenheit

Abo-Inhalt22.01.20258 Min. LesedauerVon StB Christian Herold, Herten

| Eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer Volkshochschule – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre, existiert nicht. Ob Lehrende sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind, ist von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig. Von daher können sich Betroffene auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen, wenn ihre Tätigkeit nach dem Herrenberg-Urteil des BSG (28.6.22, B 12 3/20 R) – auch mit Wirkung für die Vergangenheit – als abhängig und damit beitragspflichtig gewertet wird (BSG 5.11.24, B 12 BA 3/23 R). |

1. Hintergrund

In den letzten Jahren ist eine Tendenz zu erkennen, wonach die Deutsche Rentenversicherung Bund und das BSG die Beauftragung von freien Mitarbeitern und Honorarkräften zunehmend als abhängige Beschäftigung und damit als sozialversicherungspflichtig werten. Dies betrifft auch Lehrkräfte und Dozenten, beispielsweise Lehrer an Musikschulen, die immer häufiger als abhängig beschäftigt angesehen werden und auf deren Honorare folglich Sozialversicherungsbeiträge erhoben werden. Die Versicherungspflicht sei nicht deshalb von vornherein ausgeschlossen, weil die Beteiligten erkennbar eine selbstständige Tätigkeit vereinbaren wollten – so das Urteil des BSG (28.6.22, B 12 3/20 R). Das BSG hat sich mit diesem Herrenberg-Urteil von seiner „Sonderrechtsprechung“ für Lehrkräfte distanziert.

Es stellte sich aber die Frage, wie mit bereits bestehenden Honorarverträgen umzugehen ist, die unter Berücksichtigung und vor allem im Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung gestaltet wurden. Das LSG Niedersachsen-Bremen (20.12.22, L 2 BA 47/20) hatte sich mit dieser Frage befasst und wie folgt entschieden: Angesichts der Schutzwürdigkeit des Vertrauens in die bisherige langjährige höchstrichterliche Rechtsprechung zur sozialrechtlichen Statusbeurteilung bei Lehrkräften ist deren vom BSG (28.6.22, B 12 R 3/20 R) intendierte Neuausrichtung für zurückliegende Zeiträume noch nicht zu berücksichtigen. Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache wurde die Revision zum BSG zugelassen.

2. Das aktuelle Urteil des BSG

Das BSG hat entgegen der Vorinstanz entschieden, dass kein Vertrauensschutz in eine vermeintliche Sonderrechtsprechung bestehe. Inhaltlich ging es dabei um den folgenden Fall.

Sachverhalt

Klägerin war eine Volkshochschule, die unter anderem Kurse zur Vorbereitung auf die Erlangung eines Realschulabschlusses auf dem zweiten Bildungsweg anbietet. Eine nebenberuflich tätige Lehrkraft (ein Student) vereinbarte mit ihr die Erteilung von Unterricht im Rahmen solcher Kurse in Recht und Politik. Nach den Vertragsbedingungen der VHS war ein Weisungsrecht ausgeschlossen. Die VHS stellte die Unterrichtsräume zur Verfügung und stimmte die Unterrichtseinheiten zeitlich mit der Lehrkraft und den anderen Dozenten ab. Den Unterricht gestaltete die Lehrkraft selbstständig. Der Lehrer übermittelte regelmäßig eine Leistungseinschätzung für die einzelnen Schüler an die Fachbereichsleitung, die diese in einer Art Zwischenzeugnis von allen Lehrenden zusammenstellte. Die Deutsche Rentenversicherung Bund stellte Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung fest.
Das LSG war anderer Ansicht. Für die Zeit vor Juni 2022 habe es eine maßgebliche höchstrichterliche „Sonderrechtsprechung“ gegeben, nach der lehrende Tätigkeiten grundsätzlich als selbstständige Tätigkeiten zu beurteilen gewesen seien (v. a. BSG 12.2.04, B 12 KR 26/02 R). Erst durch das Herrenberg-Urteil des BSG vom 28.6.22 sei eine Änderung eingetreten. Auf davor liegende Zeiträume seien die vermeintlich geänderten Grundsätze nicht übertragbar.

Dem hat das BSG widersprochen: Nach den maßgeblichen Verhältnissen des Einzelfalls war die Lehrkraft in der Zeit vom 7.8.17 bis zum 22.6.18 versicherungspflichtig beschäftigt. Auch wenn die VHS geltend macht, durch die Beitragszahlung für vergangene Zeiträume ggf. unzumutbar zusätzlich belastet zu werden, vermag allein dies einen Vertrauensschutz nicht zu begründen. Eine gefestigte und langjährige Rechtsprechung, wonach eine lehrende Tätigkeit – insbesondere als Dozent an einer VHS – bei entsprechender Vereinbarung stets als selbstständig anzusehen wäre, existiert nicht. Daher kann sich die VHS auch nicht auf den Fortbestand einer früheren Rechtsprechung berufen. Entscheidungen über das Vorliegen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen beruhen stets auf einer Einzelfallbeurteilung.

Das BSG hat die Sache – bezüglich der Zeiträume nach dem 22.6.18 – zur Durchführung weiterer Ermittlungen an die Vorinstanz zurückverwiesen, denn bislang musste sie hierzu keine Stellung nehmen. Allerdings dürfte aus Sicht der VHS wohl nur wenig Hoffnung bestehen, dass die Lehrkraft als selbstständig beurteilt wird. Maßgeblich ist insoweit, inwieweit die Lehrkräfte in die Arbeitsorganisation der Schule eingebunden sind. Und auch da stellt die BSG-Rechtsprechung insbesondere an die Eingliederung in die Arbeitsorganisation keine hohen Anforderungen sodass sehr häufig von einer abhängigen Beschäftigung (= Beitragspflicht) ausgegangen wird.

3. Relevanz für die Praxis

Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger haben beschlossen, das Herrenberg-Urteil des BSG und die von ihnen präzisierten Beurteilungsmaßstäbe bei Lehrkräften spätestens für Zeiträume ab dem 1.7.23 anzuwenden (Besprechung der Spitzenverbände vom 4.5.23). Das Besprechungsergebnis muss wohl so gewertet werden, dass es auch bei einem bereits durchlaufenen Statusfeststellungsverfahren anzuwenden ist, denn die Ausführungen sollen „auch in laufenden Bestandsfällen“ gelten. Mit dem hier besprochenen BSG-Urteil vom 5.11.24 erhalten die Sozialversicherungsträger entsprechende Rückendeckung. Soweit anhängige Widerspruchsverfahren ruhend gestellt wurden (dies geschah zumeist bis zum 15.10.24) oder aber entsprechende sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfungen ausgesetzt wurden, ist wohl davon auszugehen, dass diese nun wieder aufgenommen werden – mit möglicherweise enormen finanziellen Folgen für die Beteiligten und mit unabsehbaren Konsequenzen für den Schul- und Unterrichtsbetrieb gerade von Musikschulen.

3.1 Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht

Natürlich gibt es auch Fälle, in denen keine abhängige Beschäftigung von Lehrkräften anzunehmen ist. So hat das LSG Hamburg zugunsten einer anerkannten Berufsfachschule entschieden, die Schüler nach den Vorgaben der jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung und der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen unter anderem im Bereich Ergotherapie ausbildet. Es sah im konkreten Fall keine abhängige Beschäftigung. Wenn ein Lehrer, der an einer Berufsfachschule tätig ist, nicht in deren Betriebsorganisation eingegliedert und nicht an Weisungen hinsichtlich seiner Lehrtätigkeit gebunden ist, habe er ein unternehmerisches Risiko nicht zu tragen. Dies gelte vor allem, wenn die Vergütung nach einem Stundensatz vereinbart wurde, ausdrücklich eine selbständige Dozententätigkeit vereinbart und keine Pflicht zur Teilnahme an Lehrerkonferenzen bestehe (LSG Hamburg 27.4.23, L 1 BA 12/22). Die Revision wurde nicht zugelassen.

Betroffene sollten das Urteil des LSG Hamburg genau studieren, da es gute Anhaltspunkte für den Fall gibt, dass eine Beschäftigung als unabhängig gewertet werden soll. Andererseits zeigt es denjenigen Honorarkräften, die lieber als abhängig beschäftigt gelten möchten, auf, dass der Weg zu einer – gegebenenfalls rückwirkenden – Sozialversicherungspflicht trotz des BSG-Urteils und trotz der Haltung der Deutschen Rentenversicherung Bund steinig sein kann.

3.2 Zur Rolle der genauen Sachverhaltsaufklärung

Es soll an dieser Stelle noch auf einen wichtigen Punkt des aktuellen BSG-Urteil, aufmerksam gemacht werden. Das BSG weist eindeutig darauf hin, dass die Einordnung als abhängige oder unabhängige Beschäftigung „von den konkreten Umständen des jeweiligen Einzelfalls abhängig“ ist. Dies setzt eine genaue Aufklärung des Sachverhalts voraus – typisierende oder pauschalierende Annahmen verbieten sich geradezu. Die Praxis der Sozialversicherungsträger ist aber eine vollkommen andere und allzu oft – mitunter aus Überlastung heraus – werden diese typisierenden oder pauschalierenden Annahmen sogar von den Gerichten übernommen. Insoweit wird in jüngster Zeit beispielsweise gerne ein Urteil des LSG Berlin-Brandenburg (23.6.22, L 4 BA 52/18) zitiert, in dem es heißt: „Wer als Erfüllungsgehilfe eine Dienstleistung für einen Auftraggeber erbringt, die dieser einem Dritten (Kunden) vertraglich als Hauptleistungspflicht schuldet, ist typischerweise in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert. Weisungen und Vorgaben dieser Kunden wirken dann gegenüber Erwerbstätigen, als ob ihr Auftraggeber sie geäußert hätte; von diesen Kunden zur Verfügung gestellte Arbeits- und Betriebsmittel kommt die gleiche Bedeutung zu wie den unmittelbar vom Auftraggeber überlassenen.“ Mit dieser Entscheidung lässt es sich nahezu immer rechtfertigen, eine abhängige Beschäftigung anzunehmen, denn wohlgemerkt soll man ja sogar typischerweise in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliedert sein.

Die Entscheidungen der Deutschen Rentenversicherung oder der Gerichte dann später anzufechten, ist extrem schwierig, kann zermürbend sein und dauert mitunter fünf oder sechs Jahre. Und selbst wenn man dann auf verständnisvolle Richter in einer höheren Instanz trifft, kann es geschehen, dass man zwar den Sachverhalt nach vielen Jahren richtig stellen konnte, sich die Rechtsprechung des BSG aber noch weiter verschärft hat und man letztlich doch unterliegt. Und ein Vertrauensschutz auf die bis dahin geltende positive Rechtsprechung wird zu allem Überfluss auch noch verneint – siehe das aktuelle Besprechungsurteil.

3.3 Merkmale für die Eingliederung in den Betrieb des Trägers

Nach der Besprechung vom 4.5.23 der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger sind Lehrer/Dozenten/ Lehrbeauftragte an Universitäten, Hoch- und Fachhochschulen, Fachschulen, Volkshochschulen, Musikschulen sowie an sonstigen – auch privaten – Bildungseinrichtungen in den Schulbetrieb eingegliedert und stehen in einem Beschäftigungsverhältnis zu diesen Schulungseinrichtungen, wenn die Arbeitsleistung insbesondere unter folgenden Umständen erbracht wird.

Indizien für die Eingliederung eines Privatlehrers

  • Pflicht zur persönlichen Arbeitsleistung
  • Festlegung bestimmter Unterrichtszeiten und Unterrichtsräume (einzelvertraglich oder durch Stundenpläne) durch die Schule/Bildungseinrichtung
  • Kein Einfluss auf die zeitliche Gestaltung der Lehrtätigkeit
  • Meldepflicht für Unterrichtsausfall aufgrund eigener Erkrankung oder sonstiger Verhinderung
  • Ausfallhonorar für unverschuldeten Unterrichtsausfall
  • Verpflichtung zur Vorbereitung und Durchführung gesonderter Schülerveranstaltungen
  • Verpflichtung zur Teilnahme an Lehrer- und Fachbereichskonferenzen oder ähnlichen Dienst- oder Fachveranstaltungen der Schuleinrichtung (dem steht eine hierfür vereinbarte gesonderte Vergütung als eine an der Arbeitszeit orientierter Vergütung nicht entgegen)
  • Selbst gestalteter Unterricht auf der Grundlage von Lehrplänen als Rahmenvorgaben geht nicht mit typischen unternehmerischen Freiheiten einher. Die zwar insoweit bestehende inhaltliche Weisungsfreiheit kennzeichnet die Tätigkeit insgesamt nicht als eine in unternehmerischer Freiheit ausgeübte Tätigkeit, insbesondere wenn
    • keine eigene betriebliche Organisation besteht und eingesetzt wird,
    • kein Unternehmerrisiko besteht,
    • keine unternehmerischen Chancen bestehen, weil zum Beispiel die gesamte Organisation des Schulbetriebs in den Händen der Schuleinrichtung liegt und keine eigenen Schüler akquiriert und auf eigene Rechnung unterrichtet werden können, sowie die geschuldete Lehrtätigkeit nicht durch Dritte erbracht werden kann.

AUSGABE: PFB 2/2025, S. 32 · ID: 49915067

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