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HaftungsrechtOLG Stuttgart bestätigt: Einvernehmliche Abweichungen von a.a.R.d.T. sind möglich

Abo-Inhalt25.03.20256 Min. Lesedauer

| Immer wieder kommt es vor, dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik kurz: a.a.R.d.T. (u. a.: DIN-Normen) für bestimmte Situationen nicht geeignet sind. Das gilt insbesondere bei Umbauten. Das OLG Stuttgart hat jetzt bestätigt, dass man davon einvernehmlich abweichen kann. Erfahren Sie nachfolgend, wie das OLG individuelle Planungslösungen fördert und dabei Haftungsrisiken für Planer nicht erhöht, sondern gerecht verteilt hat – und ziehen Sie daraus für das Tagesgeschäft die richtigen Schlüsse. |

Die Kernaussagen des OLG Stuttgart

Das OLG Stuttgart hat drei Dinge klargestellt (OLG Stuttgart, Urteil vom 17.12.2024, Az. 10 U 38/24, Abruf-Nr. 246635):

  • 1. Zwischen einem Architekten und seinem Auftraggeber kann eine von den allgemein anerkannten Regeln der Technik abweichende Planung (und Bauausführung) vereinbart werden, wenn der Planer den Auftraggeber auf die Bedeutung der allgemein anerkannten Regeln der Technik und die mit der Nichteinhaltung verbundenen Konsequenzen und Risiken nachvollziehbar hinweist.
  • 2. Eine Ausnahme von Punkt 1 wäre nur möglich, falls die mit der Abweichung verbundenen Risiken dem Auftraggeber bekannt sind oder sich ohne Weiteres selbstredend aus den Umständen ergeben (siehe auch BGH, Urteil vom 14.11.2017, Az. VII ZR 65/14, Abruf-Nr. 198204).
  • 3. Weist der Architekt seinen Auftraggeber z. B. darauf hin, dass die zu planende Wohnung ohne außen angeordneten Sonnenschutz nicht sachgerecht funktioniert, muss der Auftraggeber eigenständig aufgrund eines solchen klaren Hinweises erkennen, dass bei Umsetzung der Planung eine im Hinblick auf den Wärmeschutz nicht ausreichend funktionstüchtige Wohnung errichtet wird und auch eine Abweichung von den a.a.R.d.T vorliegt.

Das sind die Folgen für das Tagesgeschäft

Das bedeutet, dass Beratung und Dokumentation in entsprechenden Fällen oberstes Gebot ist. Mögliche „a.a.R.d.T.-Abweichungsfälle“ sind z. B.:

  • Weggelassene Bodeneinläufe in Feuchträumen gewerblicher Objekte, obschon diese in bestimmten Fällen als Bestandteil der a.a.R.d.T. gelten
  • Behördlich geduldete Kompromisse bei Rettungswegen in Baudenkmälern (z. B. bei Bestandsschutz)
  • Schallschutz bei Modernisierungen von Altbauten
  • Sommerlicher Wärmeschutz (z. B. durch Sonnenschutz an der Fassade oder raumklimatische Anlagentechnik)
  • Balkonentwässerung bei Mehrgeschosswohnungsbau

Urteil ist kein Freibrief für „a.a.R.d.T.-Abweichungen“ jeglicher Art

Bedenken Sie aber: Das Urteil ist kein Freibrief. Die „Grenze der möglichen a.a.R.d.T.-Abweichung“ (trotz Auftraggeber-Beratung) kann überschritten werden, wenn Sie z. B. ohne behördliche Zustimmung vom öffentlichen Baurecht abweichen. Das wäre unzulässig – und Sie wären wohl wieder in der Haftung.

Sorgfältige Beratung ernst nehmen

Dass die Beratung sehr ernst zu nehmen ist, zeigt auch ein etwas anderes Urteil des OLG Celle. Dessen Tenor lautet: Ein Ausschluss der Mängelhaftung kommt nur in Betracht, wenn der Auftragnehmer den Auftraggeber ausreichend über die Risiken aufgeklärt hat.

Im vorliegenden Fall ging es um einen Brunnen, der gebaut wurde. Im Zuge der Erteilung der Baugenehmigung hatte die Behörde das ausführende Unternehmen auf evtl. technische Probleme durch benachbartes Grundwasser hingewiesen und vorgegeben, diese Hinweise bei der Errichtung des Brunnens zu berücksichtigen. Die ausführende Firma gab den Hinweis einfach an den Auftraggeber weiter und baute den Brunnen, ohne die Hinweise der Behörde zu berücksichtigen. Es kam, wie es komme musste. Der Brunnen wies Mängel auf.

Das Bauunternehmen lehnte jede Haftungsübernahme ab. Er begründete das damit, dass der Bauherr ja Bescheid gewusst und damit für die Folgen selbst einzustehen habe. Das ließen die Richter nicht gelten. Denn der Bauunternehmer habe den Auftraggeber nicht im gebotenen Umfang darauf hingewiesen, dass der angebotene und später ausgeführte Brunnen für den Fall artesischen Grundwassers nicht ausreicht bzw. nicht geeignet war. Außerdem hatte der ausführende Unternehmer den Auftraggeber nicht auf die Tragweite des Sachverhalts hingewiesen. Und zur Erläuterung der Tragweite der Situation gehöre auch, dass der Auftragnehmer den Auftraggeber darauf hinweisen muss, dass er für diese Lösung keine Haftung übernehmen kann (OLG Celle, Urteil vom 03.07.2023, Az. 6 U 69/22, Abruf-Nr. 247160; rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 09.10.2024, Az. VII ZR 152/23).

So können Beratung und Dokumentation konkret aussehen

Um in solchen Situationen keine Kompromisse und kein Haftungsrisiko einzugehen, sollten Sie folgende Dinge beachten:

  • Beraten Sie Ihren Auftraggeber immer schriftlich.
  • Stellen Sie (durch ausführliche Beschreibung) sicher, dass Ihr Auftraggeber die Tragweite seiner Entscheidung eindeutig wahrnimmt und aus Alternativen auswählen kann.
  • Geben Sie ihm in der Korrespondenz ein Zeitfenster für seine Entscheidung vor und bitten Sie um entsprechende Entscheidung bis dahin.

Nutzen Sie das folgende Musterschreiben (für die Ausführungsplanung einer Fassade) und formulieren Sie es auf Ihren „a.a.R.d.T.-Abweichungsfall“ um. Sie finden das Musterschreiben auf https://www.iww.de/pbp/downloads → Abruf-Nr. 46600585

Musterschreiben / Ausführungsplanung Fassade

Betreff: Ausführungsplanung Fassade ….
hier: Abweichung von den Regelwerken zum sommerlichen Wärmeschutz
Sehr geehrte Damen und Herren,
im Zuge der Ausführungsplanung ergibt sich die Notwendigkeit, eine wichtige Planungsentscheidung zu treffen, die von großer Tragweite für Sie ist. Im Zuge der Planung ergibt sich zwar die theoretische Möglichkeit (wie von Ihnen in der letzten Besprechung am … gefordert), die Fassade ohne außenliegenden Sonnenschutz auszuführen. Eine Klimatisierung der davon betroffenen Büro- und Besprechungsräume haben Sie im Rahmen der Besprechung ebenfalls abgelehnt.
Eine solche Vorgehensweise stellt eine bedeutende Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik (kurz: a.a.R.d.T.) dar. Sie hätte erhebliche Folgen, die wir keinesfalls für angemessen halten, sondern als mangelhafte Ausführung einstufen würden.
Eine solche Planung kann zwar bei den Investitionskosten einen Vorteil bringen. Es ist aber davon auszugehen, dass die von Ihrem Wunsch betroffenen Räume (siehe in der Anlage beigefügter Planausschnitt) im Sommer durch Überhitzung nur sehr eingeschränkt oder nicht angemessen benutzbar sind. Das bedeutet, dass hier erhebliche funktionelle Beeinträchtigungen der Räume durch Überhitzung zu disponieren sind.
Wir raten Ihnen daher von einer solchen Vorgabe dringend ab. Beachten Sie, dass eine Nachrüstung (falls Sie sich nach Fertigstellung des Gebäudes unserem Vorschlag doch nähern wollen), deutlich teurerer werden dürfte, als wenn die allgemein anerkannten Regeln der Technik bereits jetzt im Zuge der Bauausführung uneingeschränkt eingehalten werden.
Wir bitten Sie, sich unserem Vorschlag, auf die von uns geplanten Maßnahmen zur Vermeidung der sommerlichen Überhitzung nicht zu verzichten, anzuschließen und keine Abweichung von den o. g. Regeln anzuordnen. Für Ihre Entscheidung bitten wir, ein Zeitfenster von drei Wochen ab heute zu beachten. Denn eine spätere Entscheidung dürfte dazu führen, dass sich die mit den Projektbeteiligten vereinbarten Termine erheblich verzögern und daraus Mehrkosten entstehen.
Sollten Sie an der Abweichung von den a.a.R.d.T. festhalten, können wir für die diesbezüglichen Leistungen keinerlei Haftung übernehmen. Sollten Sie weitere Beratung für erforderlich halten, stehen wir Ihnen dafür gerne zur Verfügung. Das o. g. Zeitfenster sollte aber eingehalten werden.
Ihrer Antwort sehen wir gern entgegen.
Mit freundlichen Grüßen
Fazit | Die auch für den Auftraggeber verständliche Beratung ist sehr bedeutend, um das spätere Haftungsrisiko zu reduzieren. Bedenken Sie, dass auch ein Bauherr, der durch ein Bauamt vertreten wird, genauso intensiv zu beraten ist wie ein baulicher Laie. Veranlasst er trotz Ihrer entsprechenden Warnhinweise eine Ausführung, die nicht den a.a.R.d.T. entspricht, muss er eine Mitverantwortung übernehmen, falls es später Ärger geben sollte. Dies muss geklärt werden.

AUSGABE: PBP 4/2025, S. 18 · ID: 50324296

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