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Zulässigkeit des RechtswegsZahlungsansprüche des Betreibers von Obdachlosenunterkünften
| Der BGH hat bereits geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag zwischen einem privaten Unterkunftsbetreiber und einem öffentlichen Leistungsträger über den Betrieb einer Gemeinschaftsunterkunft zur vorübergehenden Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern („Betreibervertrag“) als öffentlich-rechtlicher Vertrag anzusehen ist. Folge: Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten ist nicht eröffnet (BGH 9.2.21, VIII ZB 20/20; VIII ZB 21/20). Er hat diese Rechtsprechung nun für das Betreiben von Unterkünften zur Beherbergung wohnungsloser Personen bestätigt. Die – nicht § 17a GVG-konformen – Entscheidungen der Vorinstanzen gaben ihm Gelegenheit, das Verfahren bei fehlender Rechtswegzuständigkeit zu erläutern und zu zeigen, wie ein Rechtsstreit in einem (sehr) späten Stadium auf die richtige (Rechtsweg-)„Spur“ gesetzt werden muss. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Die Klägerin betreibt im Land Berlin verschiedene Unterkünfte zur Beherbergung wohnungsloser Personen, meist Flüchtlingen. Diese legten ein vom beklagten Jobcenter ausgestelltes, an die jeweilige Einrichtung adressiertes formularmäßiges Schreiben vor, das mit „Information über den Leistungsanspruch“ überschrieben ist und den Namen der zu beherbergenden Person sowie den Zeitraum und den Tagessatz für die Beherbergung ausweist. Das Schreiben enthält neben der Erklärung, dass die Kosten zu dem angegebenen Tagessatz – längstens für die Dauer des tatsächlichen Aufenthalts in der Einrichtung – übernommen werden, u. a. folgende Hinweise: „Diese Information ist nicht übertragbar und begründet keinen eigenständigen Anspruch des Vermieters. […] Durch diese Erklärung wird kein Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin und dem Wohnungsgeber begründet. […] Der Wohnungsgeber kann unter Vorlage dieser Bestätigung […] direkt mit dem Jobcenter N. abrechnen. Diese Bestätigung begründet jedoch keine Rechte des Wohnungsgebers gegenüber dem Jobcenter N., sondern dient nur der Information über die Höhe des Leistungsanspruchs des/der Leistungsberechtigten. Sofern dieser Leistungsanspruch wegfällt, sich mindert oder abgelehnt wird, obliegt es dem/der Leistungsberechtigten, dem Wohnungsgeber darüber Mitteilung zu machen. Das Jobcenter N. übernimmt solche Mitteilungspflichten nicht.“
Mit der Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf (restliche) Entgeltzahlung für die Erbringung von Unterkunftsleistungen ab 9/17 aus insgesamt 151 Rechnungen in Anspruch. Das LG hat der Klage in Höhe von 80.299,78 EUR nebst Zinsen und Verzugspauschale stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des Beklagten hat das KG das erstinstanzliche Urteil – unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen – abgeändert und die Verurteilung zur Zahlung nur in Höhe von 63.574,06 EUR nebst Zinsen aufrechterhalten, im Übrigen die Klage abgewiesen.
Der Beklagte verfolgt mit der für ihn zugelassenen Revision die vollständige Klageabweisung weiter. Die Klägerin begehrt mit der Anschlussrevision die Verurteilung des Beklagten über den ihr vom KG zugesprochenen Betrag hinaus zur Zahlung weiterer 12.872,98 EUR.
Entscheidungsgründe
Der BGH verneint die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten. Er hebt die vorinstanzlichen Urteile auf und verweist den Rechtsstreit an das zuständige SG Berlin (BGH 15.5.24, VIII ZR 293/23, Abruf-Nr. 242254). Das KG sei zu Unrecht davon ausgegangen, an die – verfahrensfehlerhaft erfolgte – Bejahung der Zulässigkeit des Zivilrechtswegs durch das LG nach § 17a Abs. 5 GVG gebunden zu sein. In der Folge habe es – seinerseits verfahrensfehlerhaft – von der gebotenen Verweisung des Rechtsstreits an das zuständige SG abgesehen und stattdessen – trotz fehlender Rechtswegzuständigkeit – selbst eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen.
Beachten Sie | Gemäß § 17a Abs. 5 GVG prüft ein Gericht, das über ein Rechtsmittel in der Hauptsache entscheidet, nicht, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Diese Beschränkung der Prüfungsbefugnis des Rechtsmittelgerichts gilt jedoch nicht, wenn die Zulässigkeit des Rechtswegs schon in erster Instanz gerügt worden ist. Das Erstgericht hätte auf die Rüge nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG einen beschwerdefähigen Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtswegs fassen müssen. Ist das – wie hier – unterblieben, ist die Prüfung des Rechtswegs im Rechtsmittelverfahren nachzuholen. Andernfalls wäre der Partei, die die Zulässigkeit des Rechtswegs gerügt hat, das vom Gesetzgeber vorgesehene Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde (§ 17a Abs. 4 S. 3 GVG) allein deshalb abgeschnitten, weil das Gericht der ersten Instanz verfahrensfehlerhaft erst mit der Entscheidung über die Hauptsache ausdrücklich oder stillschweigend auch über die Zulässigkeit des Rechtswegs entschieden hat.
Verfahrensfehler: Prüfung des Rechtswegs nachzuholen
Die Nachholung der durch die Rechtswegrüge veranlassten Prüfung des Rechtswegs erfolgt dann in der Weise, dass das zweitinstanzliche Gericht die Zulässigkeit des Rechtswegs selbst in einem Vorabverfahren nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG prüft, das Verfahren also entweder – unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils – in den aus seiner Sicht richtigen Rechtsweg verweist oder die eigene Rechtswegzuständigkeit ausspricht. Unter den Voraussetzungen des § 17a Abs. 4 S. 5 GVG muss es in dieser Entscheidung die Rechtsbeschwerde zulassen. Ein Vorabverfahren erübrigt sich in einem solchen Fall nur, wenn das Berufungsgericht die eigene Rechtswegzuständigkeit bejaht und keinen Anlass für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nach § 17 Abs. 4 S. 4, 5 GVG sieht.
Beachten Sie | Ist eine solche Nachholung der Prüfung des Rechtswegs durch das zweitinstanzliche Gericht unterblieben, weil dieses zu Unrecht eine Bindung an den beschrittenen Rechtsweg angenommen hat, ist ausnahmsweise das Revisionsgericht befugt, im Revisionsverfahren über den Rechtsweg zu befinden, um den Parteien in diesem Punkt eine Nachprüfung des erstinstanzlichen Urteils zu ermöglichen. Diese Prüfung ist durch § 545 Abs. 2 ZPO nicht ausgeschlossen, da § 17a Abs. 5 GVG insoweit vorgeht. Sie ist auch ohne Verfahrensrüge von Amts wegen vorzunehmen.
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nach den Feststellungen des BGH vor. Das LG hat die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs verfahrensfehlerhaft erst mit der Entscheidung über die Hauptsache – stillschweigend – bejaht, anstatt hierüber – wie gemäß § 17a Abs. 3 S. 2 GVG geboten – vorab durch einen beschwerdefähigen Beschluss zu entscheiden. Die Voraussetzungen, unter denen das erstinstanzliche Gericht über die Zulässigkeit des eingeschlagenen Rechtswegs eine Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 S. 2 GVG – zwingend – zu treffen hatte, lagen im Streitfall auch vor. Der Beklagte hatte bereits in erster Instanz eine Rechtswegrüge im Sinne von § 17a Abs. 3 S. 2 GVG erhoben.
Rechtswegrüge Merke | Eine Rechtswegrüge im Sinne des § 17a Abs. 3 S. 2 GVG muss – wie auch andere Prozesserklärungen – nicht ausdrücklich als solche bezeichnet werden. Erforderlich ist nur ein Vorbringen, das die Zulässigkeit des Rechtswegs eindeutig bestreitet; dies kann auch konkludent geschehen. Nicht ausreichend sind hingegen bloße Zweifelsäußerungen. Es gilt allgemein, dass bei der Auslegung von Prozesserklärungen nicht allein auf deren Wortlaut abzustellen ist; vielmehr ist im Zweifel das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (st. Rspr.; BGH 25.10.17, VIII ZR 135/16; 13.12.22, VIII ZB 43/22; 27.9.23, VIII ZB 90/22). |
Hier hatte der Beklagte unter Verweis auf eine Entscheidung des BGH zu einem vergleichbaren Fall (5.8.20, VIII ZB 46/19) ausgeführt, dass die Klägerin sich zwar nicht festlegen müsse, ob sie in den formularmäßigen Schreiben des Beklagten eine Schuldübernahme, eine Garantie oder einen Schuldbeitritt sehe, jedoch dann „ein Verwaltungsgericht anrufen“ müsse, wenn sie sich auf eine öffentlich-rechtliche Zusage berufe, weil „die Zivilgerichte […] dann unzuständig“ seien. Die Zulässigkeit des Zivilrechtswegs war damit hinreichend bestritten. Dem stehen die Ausführungen über die verschiedenen im Streitfall ggf. in Betracht kommenden – auch privatrechtlichen – Grundlagen für die von der Klägerin verfolgten Zahlungsansprüche nicht entgegen. Sie stellten sich auch nicht als bloßes Zweifeln an der Zulässigkeit des von der Klägerin gewählten Rechtswegs dar.
Beachten Sie | Den Ausführungen des Beklagten kommt in Bezug auf die Erhebung einer Rechtswegrüge deshalb keine einschränkende Wirkung zu, weil es für die Frage des zulässigen Rechtswegs allein auf die – vom Gericht zu ermittelnde – wahre Natur des Rechtsverhältnisses ankommt, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird, nicht aber auf die Bewertung durch die klagende Partei (st. Rspr.: BGH 9.2.21, VIII ZB 20/20).
Das KG war deshalb nicht nur befugt, sondern verpflichtet, die durch die Rechtswegrüge veranlasste Prüfung des Rechtswegs nachzuholen und hierüber vorab durch Beschluss zu befinden. Ein solches Vorabverfahren hatte sich vorliegend auch nicht ausnahmsweise erübrigt. Dies wäre nur der Fall gewesen, wenn das Berufungsgericht die eigene Rechtswegzuständigkeit bejaht und keinen Anlass für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde nach § 17 Abs. 4 S. 4, 5 GVG gesehen hätte.
Diese Voraussetzungen lagen hier jedoch schon deshalb nicht vor, weil das KG ausdrücklich davon ausgegangen ist, dass es sich nach Maßgabe der Rechtsprechung des BGH (9.2.21, VIII ZB 20/20) vorliegend um eine sozialgerichtliche Streitigkeit, also um eine an sich nach § 51 Abs. 1 SGG der Sozialgerichtsbarkeit zugewiesene Sache handelte. Richtigerweise hätte es den Rechtsstreit demnach – unter Aufhebung des erstgerichtlichen Urteils im Umfang der Anfechtung – durch Beschluss an das zuständige SG Berlin verweisen müssen.
An dieser Verfahrensweise wäre das KG nur gehindert gewesen, wenn der Beklagte die Unzulässigkeit des Rechtswegs in der zweiten Instanz nicht (erneut) gerügt hätte. Das war hier jedoch mit der Berufungsbegründung geschehen. Der Beklagte hatte darin ausdrücklich eingewandt, dass die – aus Sicht des LG die Ansprüche der Klägerin begründenden – Schreiben des Beklagten „eine ausschließlich hoheitliche Tätigkeit“ darstellten, da in ihnen „etwaige zivilrechtliche Wirkungen ausdrücklich ausgeschlossen“ worden seien, weshalb „der Rechtsweg zu den Zivilgerichten unter keinem Gesichtspunkt möglich“ sei.
Öffentlich-rechtliche Streitigkeit mit Rechtsweg zu Sozialgerichten
In der Folge gelangt der BGH im Rahmen der von ihm ausnahmsweise vorzunehmenden Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges zu dem Ergebnis, dass es sich im Streitfall nicht um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit (§ 13 GVG), sondern um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit handelt, für die der Rechtsweg zu den SG gegeben ist (§ 51 Abs. 1 SGG). Der BGH verweist auf seine Rechtsprechung, wonach für einen Zahlungsanspruch, den ein Betreiber von Unterkünften aus einem an ihn gerichteten, die Beherbergung eines Flüchtlings betreffenden „Kostenübernahmeschein“ eines öffentlichen Leistungsträgers ableitet, in der Regel nach § 51 Abs. 1 SGG der Rechtsweg zu den Sozialgerichten gegeben ist (BGH 9.2.21, VIII ZB 20/20; VIII ZB 21/20). Das gelte vor allem, wenn in dem als „Kostenübernahmeschein“ bezeichneten Schreiben – wie auch hier – die Begründung eines Vertragsverhältnisses zwischen Leistungsträger und Unterkunftsanbieter ausdrücklich ausgeschlossen wird.
Merke | Nach § 13 GVG gehören vor die ordentlichen Gerichte alle bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für die nicht entweder die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden oder Verwaltungsgerichten begründet ist oder aufgrund von Vorschriften des Bundesrechts besondere Gerichte bestellt oder zugelassen sind. Nach § 51 Abs. 1 SGG entscheiden die SG über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten unter anderem in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende (§ 51 Abs. 1 Nr. 4a SGG). |
Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (st. Rspr.; Gemeinsamer Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes 4.6.74, GmS-OGB 2/73; 10.4.86, GmS-OGB 1/85; 29.10.87, GmS-OGB 1/86). Dabei kommt es nicht auf die Bewertung durch den Kläger, sondern darauf an, ob sich das Klagebegehren nach den zur Begründung vorgetragenen Tatsachen bei objektiver Würdigung aus einem Sachverhalt herleitet, der von Rechtssätzen des Zivilrechts oder des öffentlichen Rechts geprägt wird. Bei der Abgrenzung ist zu berücksichtigen, dass die öffentliche Verwaltung die ihr anvertrauten öffentlichen Aufgaben auch in Form und mit Mitteln des Privatrechts erfüllen kann, wenn und soweit keine öffentlich-rechtlichen Normen oder Rechtsgrundsätze entgegenstehen. Deshalb darf nicht ohne Weiteres von der öffentlichen Aufgabe auf den öffentlich-rechtlichen Charakter ihrer Ausführung geschlossen werden. Bei Streit um die Aufgabenerfüllung kommt es für die Rechtswegzuordnung daher nicht entscheidend auf das rechtliche Gepräge der Aufgabe, sondern auf das ihrer Erfüllung an. Der BGH verweist auf die Begründung der Entscheidungen zu den Flüchtlingsunterkünften (9.2.21, VIII ZB 20/20; VIII ZB 21/20). Dort waren die Streitigkeiten als Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitsuchende und damit öffentlich-rechtlich zu qualifizieren (Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung gemäß § 19 Abs. 1 S. 3, § 22 SGB II).
Beachten Sie | Grundsätzlich kann die von einem öffentlichen Leistungsträger an einen Unterkunftsanbieter gerichtete rechtsverbindliche Erklärung, die Kosten für die Unterkunft einer leistungsberechtigten Person (Hilfeempfänger) zu übernehmen, eine öffentlich-rechtliche oder eine privatrechtliche Erklärung darstellen. Im Rahmen des öffentlichen Rechts kann eine solche Willenserklärung Bestandteil eines öffentlich-rechtlichen Vertrags sein oder ein einseitiges Leistungsversprechen. Im Rahmen des Privatrechts kommt ein Bürgschafts- oder Garantieversprechen, eine befreiende Schuldübernahme oder ein Schuldbeitritt in Betracht. Die jeweilige Zuordnung richtet sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.
Maßgeblich waren insoweit – wie hier – die Erklärungen in den Kostenübernahmescheinen der Beklagten als Leistungsträger (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i. V. m. § 1 AG-SGB II Berlin). Der BGH ging davon aus, dass der Rechtsinhalt der etwaigen Ansprüche maßgeblich von Rechtssätzen des öffentlichen Rechts geprägt sei, namentlich – wie die Befassung des örtlich zuständigen Jobcenters mit der Leistungsbewilligung gegenüber den betroffenen Flüchtlingen bzw. wohnungslosen Personen zeige – durch die Vorschriften des SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende).
Merke | Soweit einer Kostenübernahmeerklärung überhaupt ein rechtlicher Bindungswille des öffentlichen Leistungsträgers im Verhältnis zu dem Unterkunftsanbieter zu entnehmen sei, setze diese – so der BGH – ersichtlich die Hilfebedürftigkeit der zu beherbergenden Person voraus und gelte auch nur für die Dauer sowie in dem – nach den sozialrechtlichen Vorgaben anzuerkennenden – Umfang dieser Hilfebedürftigkeit. Der Leistungsanspruch des Hilfesuchenden und die etwaige Selbstverpflichtung des öffentlichen Leistungsträgers gegenüber dem Unterkunftsanbieter stehe somit in einem untrennbaren rechtlichen Zusammenhang. Diese Akzessorietät rechtfertige in aller Regel die Annahme, dass der öffentliche Leistungsträger mit der (behaupteten) Selbstverpflichtung die Handlungsebene des öffentlichen Rechts nicht habe verlassen wollen und für seine Erklärung die Form eines öffentlich-rechtlichen – einseitigen oder vertraglichen – Leistungsversprechens gewählt habe. Eine privatrechtliche Natur der Erklärung kommt nur in Betracht, wenn ihr selbst oder den sie begleitenden Umständen besondere Anhaltspunkte dafür zu entnehmen seien, dass sich der Leistungsträger privatrechtlicher Handlungsformen bedienen wollte. |
Darauf deutete in allen Fällen schon deshalb nichts hin, weil die Kostenübernahmescheine den ausdrücklichen Hinweis enthielten, es werde „durch diese Erklärung (…) kein Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin bzw. der Arbeitsgemeinschaft und dem Unterkunftsanbieter begründet“. Das spreche entscheidend dagegen, dass sich der Beklagte privatrechtlicher Handlungsformen bedienen wollte. Es könne sich bei den betreffenden Erklärungen daher allenfalls um öffentlich-rechtliche einseitige Leistungsversprechen der Beklagten handeln.
Ebenso verhielt es sich in der gegebenen Fallkonstellation. Auch hier leitete die Klägerin als Betreiberin einer Obdachlosenunterkunft die geltend gemachten Zahlungsansprüche aus an sie gerichteten Schreiben des Beklagten ab, der ausschließlich die Aufgaben des Landes Berlin als öffentlichem Leistungsträger wahrnahm (§ 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II i. V. m. § 1 AG-SGB II Berlin; § 44b Abs. 1 S. 2, Abs. 3 SGB II; zur Parteifähigkeit und Prozessführungsbefugnis der Jobcenter vgl. BGH 11.1.12, XII ZR 22/10). Die Schreiben enthielten eine Erklärung über die Übernahme der Kosten für die Beherbergung einer namentlich genannten obdachlosen Person sowie den Hinweis, dass durch diese Erklärung ein „Vertragsverhältnis zwischen dem Land Berlin und dem Wohnungsgeber“ nicht begründet wird.
Beachten Sie | Der BGH hebt die Urteile der Vorinstanzen auf, erklärt den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig und verweist den Rechtsstreit im Umfang der Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile an das zuständige Sozialgericht Berlin (§ 17a Abs. 2 GVG).
Der BGH begründet näher, weshalb er selbst die Verweisung vornehmen kann: Muss ein Oberster Gerichtshof des Bundes – wie hier – auf das gegen eine inhaltlich unrichtige Instanzentscheidung eingelegte Rechtsmittel ausnahmsweise über die Rechtswegfrage befinden, folgt daraus auch die Kompetenz zur Verweisung an das Gericht des zulässigen Rechtswegs. Das gelte jedenfalls, wenn die Verweisung die rechtlich einzig mögliche Entscheidung ist, die nach einer Zurückverweisung auch das Berufungsgericht treffen müsste.
Ein solcher Fall ist hier zu bejahen, weil sich das Berufungsgericht der BGH-Rechtsprechung hinsichtlich des vorliegend eröffneten sozialgerichtlichen Rechtswegs in dem angefochtenen Urteil der Sache nach bereits angeschlossen hatte. Es widerspräche daher (auch) dem Grundsatz der Prozessökonomie, die Verweisung nicht selbst auszusprechen, sondern dies dem Berufungsgericht in dem wiederzueröffnenden Berufungsverfahren zu überlassen.
Relevanz für die Praxis
Das Verfahren bei Rüge der Zulässigkeit des Rechtswegs unterscheidet sich ganz grundlegend von dem bei Rüge der Zulässigkeit einer Klage etwa wegen der Unzuständigkeit des Gerichts. Hier hatten die Vorinstanzen die zwingende Regelung in § 17a Abs. 3 S. 2 GVG nicht beachtet: Danach ist bei Rüge der Zulässigkeit des Rechtswegs darüber vorab zu entscheiden. Das Interesse, diese Frage frühzeitig rechtskräftig zu klären, sollten beide Parteien, insbesondere die Klägerseite, haben.
Die Entscheidung zeigt: Es geht nicht nur viel Zeit verloren, es kann auch teuer werden. Der BGH hat hier keine Kostenentscheidung getroffen, dies aber nur deshalb nicht, weil die in dem Verfahren vor den Zivilgerichten entstandenen Kosten gemäß § 17b Abs. 2 GVG als Kosten zu behandeln sind, die nun im weiteren Verfahren, hier vor dem SG, entstehen werden.
AUSGABE: MK 10/2024, S. 184 · ID: 50155413