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MKMietrecht kompakt

Kündigung„Zerrüttung“ des Mietverhältnisses kein Selbstläufer

Abo-Inhalt24.04.2024207 Min. LesedauerVon VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

| Wir alle kennen Vertragsverhältnisse, die irreparabel „zerrüttet“ erscheinen, weil die Parteien zerstritten sind. Dem BGH lag nun ein Fall vor, in dem erschwerend hinzukam, dass beide Parteien im Haus wohnten. Über die Zerrüttung als solche bestand Einigkeit. Die Vermieter wollten dem Konflikt durch Kündigung ein Ende setzen. Der BGH musste klären: Reicht die Zerrüttung allein, ohne dass festgestellt werden kann, dass sie (auch) durch pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist? |

Sachverhalt

Die Beklagten sind seit 2011 Mieter einer im 1. OG eines Mehrfamilienhauses gelegenen Vier-Zimmer-Wohnung der Kläger. Die Kläger bewohnen eine Wohnung im Erdgeschoss des Hauses. Seit 2014 kam es zwischen den Parteien zu regelmäßigen Auseinandersetzungen wegen angeblicher beidseitiger Vertragsverletzungen (z. B. Lärmbelästigungen, fehlerhaftem Befüllen und Abstellen von Mülltonnen sowie Zuparken von Einfahrten).

In einem Schreiben, das auch an eine im Haus lebende Familie türkischer Abstammung gerichtet war, erklärten die Kläger inhaltlich falsch, die Beklagten hätten sich rassistisch über Ausländer geäußert. Im Mai 2020 erstatteten die Beklagten eine Strafanzeige gegen die Kläger wegen Verleumdung, in der sie u. a. angaben, die Kläger hätten behauptet, die Beklagten hätten sich rassistisch über türkischstämmige Mitbürger geäußert. Ferner hätten die Kläger die Mutter des Beklagten zu 2) aufgrund der Anzahl ihrer Kinder als „asozial“ bezeichnet. Die Klägerin habe den Beklagten zu 2) zudem mit den Worten „Du Penner“ beleidigt und sich im Treppenhaus schreiend über das mangelnde Putzverhalten der Beklagten diesen gegenüber geäußert. Darüber hinaus parke die Klägerin die von den Beklagten angemietete Garage regelmäßig absichtlich zu. Wegen der Strafanzeige und des „zerrütteten“ Mietverhältnisses erklärten die Kläger im November 2020 die außerordentliche fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung des Mietverhältnisses. Das AG hat die Räumungsklage abgewiesen, das LG die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Die zugelassene Revision hatte keinen Erfolg (BGH 29.11.23, VIII ZR 211/22, Abruf-Nr. 239678).

Entscheidungsgründe

Der BGH verneint ebenso wie zuvor das AG und das LG einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von den Beklagten angemieteten Wohnung (§ 546 Abs. 1, § 985 BGB). Die Zerrüttung des Mietverhältnisses und die von den Beklagten gegen die Kläger erstattete Strafanzeige rechtfertigte die außerordentliche fristlose Kündigung der Kläger mangels Vorliegens eines wichtigen Grunds im Sinne der § 543 Abs. 1 S. 2, § 569 Abs. 2 BGB nicht.

§ 569 Abs. 2 BGB ergänzt § 543 Abs. 1 BGB dahin, dass auch die nachhaltige Störung des Hausfriedens einen solchen wichtigen Grund darstellen kann. Der Hausfrieden ist nachhaltig gestört, wenn eine Mietpartei die gemäß §  241 Abs. 2 BGB aus dem Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme folgende Pflicht, sich bei der Nutzung der Mietsache so zu verhalten, dass die anderen Mieter – und der wie hier im Haus lebende Vermieter – nicht mehr als unvermeidlich gestört werden, in schwerwiegender Weise verletzt (BGH 18.2.15, VIII ZR 186/14; 25.8.20, VIII ZR 59/20; 22.6.21, VIII ZR 134/20).

Merke | Eine Zerrüttung des Mietverhältnisses i. S. e. Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage reicht im Wohnraummietrecht – so der BGH – allein grundsätzlich nicht aus, einer Vertragspartei ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen. Ausnahme: Es kann nicht festgestellt werden, dass diese zumindest auch durch pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht wurde.

Hier hatte das LG eine konkrete, für die Zerrüttung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses ursächlich gewordene Pflichtverletzung der Beklagten nicht feststellen können. Eine außerordentliche fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen der Störung des Hausfriedens gemäß § 543 Abs. 1, § 569 Abs. 2 BGB oder des Vorliegens eines sonstigen wichtigen Grunds im Sinne von § 543 Abs. 1 S. 2 BGB war deshalb nicht gerechtfertigt.

Teilweise wird vertreten, dass die Zerrüttung als solche schon ausreicht, um den Mietvertragsparteien – und damit hier auch den Klägern – ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen (so OLG Dresden 23.6.21, 5 U 2366/20; AG Dortmund 30.10.18, 425 C 4296/17; LG Düsseldorf 6.1.16, 23 S 225/14; Lützenkirchen, Mietrecht, § 543 BGB Rn. 123).

Merke | Nach dem BGH ist demgegenüber ein wichtiger Grund zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen nach § 626 Abs. 1, § 543 Abs. 1, § 314 Abs. 1 BGB im Allgemeinen nur gegeben, wenn der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des anderen Vertragsteils liegt (19.4.23, XII ZR 24/22 [zur Kündigung eines Fitnessstudiovertrags]; 7.3.13, III ZR 231/12 [zur Kündigung eines DSL-Vertrags]; 10.12.80, VIII ZR 186/79 [zur Kündigung eines Gewerberaummietvertrags]).

Für die Gewerberaummiete hat der BGH bereits entschieden, dass ein Recht zur fristlosen Kündigung gemäß § 543 Abs. 1 BGB in der Fallgruppe der Zerrüttung nur bestehen kann, wenn infolge des (pflichtwidrigen) Verhaltens des anderen Vertragsteils die Durchführung des Vertrags wegen der Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage derart gefährdet ist, dass dem Kündigenden unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mietverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur sonstigen Beendigung des Mietverhältnisses auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs nicht mehr zugemutet werden kann (BGH 15.9.10, XII ZR 188/08; 23.1.02, XII ZR 5/00). Es darf demnach grundsätzlich nicht allein darauf abgestellt werden, ob das Vertrauensverhältnis zwischen den Mietvertragsparteien zerstört worden ist (BGH 29.11.23, VIII ZR 211/22).

Der BGH teilte auch nicht die Auffassung der Kläger, dass § 573a Abs. 1 BGB entnommen werden könne, dass bei einem Dauerkonflikt – unabhängig von dessen Ursachen – dem Mieter fristlos gekündigt werden könne.

Beachten Sie | § 573a Abs. 1 BGB regelt die ordentliche Kündigung des Vermieters bei einem von ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen. Hier bewohnen die Vermieter zwar auch das Gebäude, in dem sich die von den Beklagten gemietete Wohnung befindet. Es handelt sich jedoch um ein Mehrfamilienhaus. Die Vorschrift ist daher nicht anzuwenden.

In der gegen die Kläger gerichteten Strafanzeige der Beklagten sah der BGH – ebenso wie das LG – keine die fristlose Kündigung rechtfertigende Verletzung mietvertraglicher Pflichten durch die Beklagten.

Beachten Sie | Ob die Erstattung einer Strafanzeige einen schwerwiegenden Verstoß gegen die mietvertraglichen Pflichten darstellt, der eine fristlose (oder hilfsweise eine ordentliche) Kündigung rechtfertigt, ist unter Berücksichtigung und Abwägung aller Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Eine grundlos falsche Strafanzeige gegen den Vertragspartner kann einen zur Kündigung berechtigenden Umstand darstellen, ebenso wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben im Rahmen einer Strafanzeige. Bei der einzelfallbezogenen Gesamtabwägung ist aber auch zu berücksichtigen, ob der Anzeigeerstatter zur Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen oder staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gehandelt hat (BGH 21.12.60, VIII ZR 50/60; 8.8.23, VIII ZR 234/22; BVerfG NZM 02, 61; 15.12.08, 1 BvR 1404/04).

Hier entsprach der in der Strafanzeige erhobene zentrale Vorwurf der Wahrheit, die Kläger hätten den Beklagten fälschlicherweise rassistische Äußerungen über Ausländer unterstellt. Die Strafanzeige der Beklagten war daher berechtigt. Sie hatten die Kläger wegen des begründeten Verdachts einer Straftat zu ihrem Nachteil angezeigt und damit in Wahrnehmung eigener berechtigter Interessen (vgl. § 193 StGB) gehandelt. Wegen weiterer in der Strafanzeige enthaltener – wohl unberechtigter – Vorwürfe gegen die Kläger trug diese denunziatorischen Charakter. Auch darin kann ausnahmsweise ein wichtiger Kündigungsgrund liegen. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der weiteren Vorwürfe in der Strafanzeige maß der BGH diesen im Rahmen der gemäß § 543 Abs. 1 S 2 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Interessen der Mietvertragsparteien unter den hier gegebenen Umständen jedoch kein derartiges Gewicht bei, dass den Klägern eine Fortsetzung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses nicht zumutbar wäre.

Relevanz für die Praxis

Die Entscheidung entspricht dem Gesetz. § 543 Abs. 1 S. 2 BGB verlangt die „Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere eines Verschuldens der Vertragsparteien“. Der BGH stellt klar, dass die „Zerrüttung des Mietverhältnisses“ kein „Selbstläufer“ ist, der die Beendigung des Mietverhältnisses garantiert. Die Zerstörung der das Dauerschuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage ist nichts, was den Parteien „passiert“; es beruht auf ihrem Verhalten, ist von ihnen oder einem Vertragsteil verursacht worden. Führt eine Partei – möglicherweise gezielt – die Zerstörung der Vertragsgrundlage herbei, wird sie nach dem Gesetz nicht mit einem Kündigungsrecht „belohnt“.

§ 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB bringt das für die ordentliche Kündigung noch deutlicher zum Ausdruck: Der Vermieter kann das Mietverhältnis nur bei einer schuldhaften Pflichtverletzung des Mieters kündigen, nicht dann, wenn er selbst es vor allem ist, der seine Pflichten aus dem Mietverhältnis verletzt. Der Mieter kann ohnehin jederzeit ordentlich kündigen.

Die Entscheidung sollte von Mietern nicht als „Freibrief“ missverstanden werden. Der BGH hält die Instanzgerichte – erneut – zur umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls an (12.10.21, VIII ZR 91/20; 8.8.23, VIII ZR 234/22; 25.10.23, VIII ZR 147/22). Diese kann auch zulasten des Mieters ausgehen.

AUSGABE: MK 5/2024, S. 84 · ID: 49990005

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