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EinkommensteuerDoch keine Besteuerung teilentgeltlicher Grundstücksübertragungen nach § 23 EStG?
Abruf-Nr. 243483
| Wird ein Grundstück teilentgeltlich (z. B. im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge) innerhalb der zehnjährigen Veräußerungsfrist des § 23 EStG übertragen, führt dies nach bisheriger Sichtweise hinsichtlich des entgeltlichen Teils zu einem steuerpflichtigen Veräußerungsgeschäft. Das FG Niedersachsen (29.5.24, 3 K 36/24, Abruf-Nr. 243483) hat aber nun entschieden, dass § 23 EStG bei einer teilentgeltlichen Übertragung unterhalb der historischen Anschaffungskosten keine Anwendung finden soll. |
1. Bisherige Rechtslage
Bei teilentgeltlicher Übertragung kann sich ein steuerpflichtiges Veräußerungsgeschäft hinsichtlich des entgeltlichen Teils ergeben. Hier ist die Trennungstheorie anzuwenden (BMF 26.2.07, IV C 2 - S 2230 - 46/06 IV C 3 - S 2190 - 18/06 sowie BFH 12.12.23, IX R 15/23 zur teilentgeltlichen Übertragung von GmbH-Anteilen i. S. des § 17 EStG).
Beispiel |
V ist Vater von zwei Kindern und Eigentümer eines unbebauten Grundstücks, das er zum 1.8.18 für 100.000 EUR angeschafft hat. Er überträgt das Grundstück im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge zum 1.1.24 auf seinen Sohn S, der das Grundstück bebauen will. Das Grundstück hat zum Übertragungszeitpunkt einen Verkehrswert i. H. von 180.000 EUR. Entsprechend muss S seine Schwester mit 90.000 EUR auszahlen. V hat das Grundstück innerhalb des Zehnjahreszeitraums des § 23 EStG hinsichtlich des Gleichstellungsbetrags teilentgeltlich (zu ½) an S veräußert und erzielt in diesem Umfang einen steuerpflichtigen Veräußerungsgewinn nach § 23 EStG. Dieser beträgt 40.000 EUR (90.000 EUR Teilentgelt abzüglich der hälftigen Anschaffungskosten von 50.000 EUR). Der unentgeltlich übertragene Teil löst bei V keine Steuerpflicht aus. Allerdings gehen die Besteuerungsmerkmale (Anschaffung am 1.8.18 zu 50.000 EUR) auf S als unentgeltlichen Rechtsnachfolger über (§ 23 Abs. 1 S. 3 EStG). |
2. Auffassung des FG Niedersachsen
Das FG Niedersachsen hat es nun in einem vergleichbaren Fall abgelehnt, die teilentgeltliche Grundstücksübertragung der Besteuerung nach § 23 EStG zu unterwerfen. Das FG verweist hierzu auf die Rechtsprechung des BFH (23.4.21, IX R 8/20), wonach die gänzlich unentgeltliche Übertragung einer Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nicht den Tatbestand des § 23 EStG erfüllt – und zwar selbst dann, wenn die auf diese Weise begünstigten Kinder die Immobilie alsbald weiterveräußern (keine Anwendung von § 42 AO).
Das FG kommt nun im Wege der teleologischen Reduktion zu dem Ergebnis, dass auch die teilentgeltliche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aus dem Tatbestand des § 23 EStG ausscheidet. Denn Steuergegenstand der Regelung in § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind realisierte Werterhöhungen oder -minderungen aus verhältnismäßig kurzfristigen Umsatzgeschäften von Immobilien im Privatvermögen.
Bei der Übertragung von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unterhalb der historischen Anschaffungskosten kann es zu keinem realisierten Wertzuwachs kommen, der der ertragsteuerlichen Besteuerung zugänglich ist. Anderenfalls unterläge ein fiktiver steuerlicher Ertrag, nämlich aus einem reinen Vermögenstransfer im Wege der vorweggenommenen Erbfolge als Anknüpfungspunkt (steuerliches Substrat) – im Streitfall unter nahen Angehörigen – ohne einen positiven Cashflow beim Übertragenden zusätzlich der Ertragsteuer.
Beachten Sie | Das FG Niedersachsen stellte zudem heraus, dass eine tatsächliche Doppelbesteuerung des identischen Sachverhalts stattfindet,
- einerseits in der Ertragsteuer nach § 23 EStG als privates Veräußerungsgeschäft und
- andererseits nach § 7 ErbStG als gemischte Schenkung.
Bei einer teilentgeltlichen Grundstücksübertragung realisiert der Schenker keinen tatsächlichen Wertzuwachs. Und ein nach § 23 EStG zu besteuernder Gewinn kann nicht entstehen, da der Ertragsteuer keine Vermögensverschiebungen im Privatvermögen unterliegen. Ein Wertzuwachs erfolgt nur beim Beschenkten, der damit den Regularien des ErbStG unterliegt.
3. Rechtsfolgen für die Besteuerungspraxis
Die Finanzverwaltung hat gegen die Entscheidung die Revision eingelegt (BFH IX R 17/24). Man darf – auch wegen der nicht unerheblichen praktischen Bedeutung der Rechtsfrage – gespannt sein, wie die Entscheidung des BFH ausfallen wird. In geeigneten Fällen sollten Steuerpflichtige die entsprechenden Steuerbescheide im Einspruchsweg offenhalten und auf die gesetzliche Verfahrensruhe nach § 363 Abs. 2 S. 2 AO verweisen.
- Schenkung eines Grundstücks an die Kinder kurz vor dem Verkauf ist kein Gestaltungsmissbrauch (MBP 21, 183)
AUSGABE: MBP 10/2024, S. 166 · ID: 50108534