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SozialversicherungsprüfungSo lassen sich sozialversicherungsrechtliche Herausforderungen geschickt mit CMS meistern

Top-Beitrag Abo-Inhalt 20.03.2024 9 Min. Lesedauer Von Kerstin Kind, Director und Rentenberaterin, WTS GmbH, Frankfurt

| Die sozialversicherungsrechtlichen Herausforderungen sind für Unternehmen sehr hoch. Fallstricke im Sozialversicherungsrecht lauern überall. Fehleinschätzungen sind an der Tagesordnung, Nachzahlungen sind die Konsequenz. LGP erläutert daher nachfolgend die Gefahrenstellen und zeigt, wie Unternehmen mit einem Compliance Management System (CMS) versicherungs- und beitragsrechtliche Risiken minimieren können. |

Das hat Compliance mit Sozialversicherung zu tun

Compliance-Verstöße im Sozialversicherungsrecht sind gar nicht so selten. Das zeigen die statistischen Daten zu Nachzahlungen aus den Betriebsprüfungen sowie aus Anlass von Schwarzarbeit und illegaler Beschäftigung.

Unternehmer sehen Sozialversicherungsbeiträge wie Steuern und Abgaben nicht selten als Last. Deshalb misst die Unternehmensführung ihnen häufig nur geringe Bedeutung bei. Dabei wird übersehen, dass die Gesamtsozialversicherungsbeiträge gemäß § 28e SGB IV Leistungsansprüche begründen. Folglich betreffen Compliance-Verstöße auch die Mitarbeiter und ihre Ansprüche auf Sozialleistungen. Schlimmstenfalls erlöschen Leistungsansprüche vollständig, wenn z. B. bestimmte Vorversicherungszeiten nicht mehr erfüllt werden. Dies betrifft z. B. Ansprüche auf Arbeitslosengeld, Leistungen aus der Pflegeversicherung sowie Wartezeiten in der Rentenversicherung. Auch kann eine unterlassene Beitragsabführung Lücken in der späteren Rentenhöhe begründen.

Arbeitgeber ist alleine für SV-Beiträge verantwortlich

Den Gesamtsozialversicherungsbeitrag schuldet im Außenverhältnis gegenüber der Einzugsstelle der Arbeitgeber alleine. Hierdurch tritt die besondere Verantwortung der Arbeitgeber zu Tage. Schließlich treffen den Arbeitgeber nach § 28f SGB IV auch verschiedene Dokumentations- und Nachweispflichten, die für die Überwachung der ordnungsgemäßen Abführung der Sozialversicherungsbeiträge notwendig sind. In der betrieblichen Praxis zeigen sich zum Teil sowohl fahrlässige Falscheinschätzungen der Versicherungspflicht als auch bewusstes Inkaufnehmen fehlerhafter Beurteilung.

Nichtabführung von SV-Beiträgen wird sanktioniert

Die Nichtabführung bzw. fehlerhafte Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen wird deshalb durch verschiedene Normen aus den unterschiedlichsten Rechtsgebieten sanktioniert. Flankiert wird dies durch eine engmaschige Prüfung der Rentenversicherungsträger, der Steuer- und der Zollbehörden sowie einem entsprechenden Informationsaustausch dieser Behörden. Schließlich existiert auch eine grenzüberschreitende Amtshilfe bezüglich Sozialversicherungsbeiträgen nach dem Übereinkommen über die gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen.

Irrtümer und unterlassene Beitragsabführungen können Geldbußen und Säumniszuschläge nach sich ziehen. Verstößt ein Arbeitgeber vorsätzlich oder leichtfertig gegen die Melde- und Beitragspflichten, liegt eine Ordnungswidrigkeit vor. Es kann ein Bußgeld verhängt werden. Strafbar machen sich Arbeitgeber, die den Einzugsstellen vorsätzlich Beiträge vorenthalten. Die Straftat kann mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder mit Geldstrafe geahndet werden. Werden Beiträge vorsätzlich nicht abgeführt, erhöht sich zudem die allgemeine Verjährungsfrist von vier Jahren auf 30 Jahre.

Unternehmenspflichten auch bei Delegation an Steuerberater

Die Geschäftsführung bleibt auch dann für die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten aus dem Sozialversicherungsrecht verantwortlich, wenn das Unternehmen die Lohn- und Gehaltsabrechnungen nebst den damit verbundenen Pflichten an einen Steuerberater, eine Steuerkanzlei oder eine Lohnabrechnungsstelle delegieren. Zudem sind Steuerberater nur für die Beratung und Hilfeleistung in Steuersachen autorisiert. Die sozialversicherungsrechtliche Beratung ist davon nicht erfasst, da sie der anwaltlichen Beratung zugeordnet wird. Daher dürfen lediglich Rechtsanwälte und Rentenberater im Bereich des Sozialversicherungsrechts beratend tätig werden.

Das sind die typischen Fallstricke aus der Praxis

Fallstricke im Sozialversicherungsrecht sind zahlreich. Eine „offizielle“ Auflistung gibt es nicht. Die folgenden Problemfelder sind nach unserer Auffassung häufig eine Gefahrenstelle und bedürfen besonderer Aufmerksamkeit.

1. Statusbeurteilung – Selbstständige Tätigkeit vs. abhängige Beschäftigung

Einer der Klassiker ist die Frage der korrekten Statusbeurteilung. Die abhängige Beschäftigung eines Mitarbeiters in einem Unternehmen führt grundsätzlich dazu, dass diese Person in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung versicherungspflichtig ist (Sozialversicherungspflicht). Selbstständige zählen dagegen nicht zum Kreis der versicherungspflichtigen Personen. Ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist zunächst anhand der in § 7 Abs. 1 SGB IV genannten Merkmale zu entscheiden.

  • Freie Mitarbeiter (Freelancer): Bei freien Mitarbeitern kommt je nach Art und Durchführung der Tätigkeit eine selbstständige Tätigkeit oder eine abhängige Beschäftigung (Scheinselbstständigkeit) in Betracht.
  • Geschäftsführender GmbH-Gesellschafter: Sozialversicherungsrechtlich kann der mitarbeitende Gesellschafter einer GmbH selbstständig oder abhängig beschäftigt sein, in Ausnahmefällen (z. B., wenn er kein Entgelt für seine Tätigkeit erhält) allerdings auch ausschließlich in Wahrnehmung seiner Gesellschaftsrechte arbeiten.
  • Ehegatten und Verwandte: Familienangehörige können in den verschiedensten Formen zusammenarbeiten, um Einkünfte zu erzielen; z. B. auf gesellschaftsrechtlicher Grundlage, in einem Arbeitsverhältnis oder in (sozialversicherungsrechtlich nicht erheblicher, d. h. unversicherter) familienhafter Mitarbeit. Vor allem die Abgrenzung der Beschäftigung als Arbeitnehmer zur familienhaften Mitarbeit, bei der es keine Beitragspflicht aber auch keine Leistungsansprüche gibt, ist in der Praxis bedeutend. Ein wichtiges Kriterium der familienhaften Mitarbeit ist, dass Leistung und Gegenleistung in keinem ausgewogenem Verhältnis zueinanderstehen. Hier bedarf es durch die HR-Abteilung teilweise akribischer Detektivarbeit, um eine Entscheidung über den Versicherungsstatus zu treffen.
Praxistipp | Für die Statusbeurteilung sind die Unternehmen selbst verantwortlich. Im Zweifel können beide Parteien ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung einleiten (sofern nicht bereits obligatorisch). Es empfiehlt sich, von diesem Instrument Gebrauch zu machen, um böse Überraschungen zu vermeiden. Wird nämlich anlässlich einer Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung eine bislang vom Unternehmen verneinte Versicherungspflicht festgestellt, ist das Unternehmen mit einer Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge für die vorangegangenen vier Kalenderjahre konfrontiert, die neben den Arbeitgeberanteilen auch die Arbeitnehmeranteile sowie Säumniszuschläge enthält. Ein Regress ist nur in sehr engen Grenzen möglich.

Wichtig | Nach § 2 S. 1 Nr. 9 SGB VI kann auch ein Selbstständiger zur Rentenversicherung beitragspflichtig sein, wenn er keine Mitarbeiter beschäftigt und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig ist. Bestimmte Personengruppen unterliegen – trotz Selbstständigkeit – bereits Gesetzes wegen der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung. Dazu zählen z. B. Handwerker, Lehrer, Hebammen, Erzieher und in der Pflege Beschäftigte.

2. Künstlersozialversicherung

Es ist ein häufiger und verhängnisvoller (weil finanziell belastender) Irrglaube, anzunehmen, dass die Regeln des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) nur die Künstler und ihre Agenten angehen. Einer der wesentlichen Regelungsbereiche des KSVG betrifft die Abgabe durch Unternehmen, die künstlerische und publizistische Leistungen verwerten.

Für (fast alle) Unternehmen besteht eine gesetzliche Meldepflicht, wenn die Tatbestandsmerkmale des KSVG erfüllt sind. Z. B. sind alle Unternehmen zur Abgabe verpflichtet, die für Zwecke ihres Unternehmens nicht nur gelegentlich künstlerische oder publizistische Werke und Leistungen nutzen und im Zusammenhang mit dieser Nutzung Einnahmen erzielen wollen. Dies sind bspw. Aufträge, um Geschäftsberichte, Kataloge, Prospekte, Zeitschriften, Broschüren, oder Zeitungsartikel zu erstellen.

Wichtig | Deswegen ist die Frage nach der Abgabepflicht von Unternehmen regelmäßig Gegenstand von Betriebsprüfungen. Alle Entgelte, die ein Abgabepflichtiger im Laufe eines Jahres an selbstständige Künstler und Publizisten für entsprechende Leistungen entrichtet, werden summiert und mit dem für jedes Jahr neu festgelegten Abgabesatz multipliziert. Die Künstlersozialabgaben werden für einen Zeitraum von fünf Jahren nacherhoben. Die künstlersozialabgabepflichtigen Unternehmer sind verpflichtet, Aufzeichnungen über alle Entgelte zu führen, die sie an selbstständige Künstler und Publizisten gezahlt haben. In der Praxis fehlt es häufig an einer Verknüpfung zwischen dem Einkauf, der die Künstler beauftragt, der Buchhaltung, die die Rechnungen der Künstler einbucht und der Abrechnungsstelle, die für die Zahlungen an die Künstlersozialversicherung zuständig ist. Mithin werden Zahlungen häufig erst im Rahmen der Betriebsprüfung aufgedeckt.

3. Versicherung von Werkstudenten

Studenten, die eine Beschäftigung neben dem Studium ausüben, sind in dieser Beschäftigung in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung nur versicherungsfrei, wenn die wöchentliche Arbeitszeit nicht mehr als 20 Stunden beträgt. In allen anderen Fällen sind sie wie normale Arbeitnehmer versicherungspflichtig. Die Eigenschaft als Student erhält jemand nicht allein durch die Immatrikulation oder Rückmeldung, sondern dadurch, dass er nach Immatrikulation ordentlich studiert, d. h. an einer Hochschule mit dem Ziel eines akademischen Abschlusses wissenschaftlich arbeitet.

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Studenten, die während ihrer Ausbildung eine Beschäftigung ausüben, nur versicherungsfrei sein, wenn sie ihrem Erscheinungsbild nach weiterhin Student sind bzw. der Beschäftigung neben dem Studium keine prägende Bedeutung zukommt. Studenten sind grundsätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig, d. h., sie müssen zur Rentenversicherung Beiträge zahlen. Versicherungsfreiheit kann ausnahmsweise aber auch bestehen, wenn der Student mehr als 20 Stunden in der Woche arbeitet, weil die Rechtsprechung eine starre Grenze ablehnt. Entsprechend unterliegt die betriebliche Tätigkeit einer Studentin, die allein dazu dient, die für den Studienabschluss erforderliche Diplomarbeit zu erstellen, regelmäßig nicht der Versicherungspflicht.

Wichtig | Unternehmen sind gehalten, die Arbeitszeiten und damit verbunden versicherungsrechtliche Themen im Blick zu behalten. Arbeitet der Student aufgrund betrieblicher Notwendigkeiten z. B. mehr als die zugelassenen 20 Stunden, tritt Versicherungs- und Beitragspflicht auch in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung ein.

4. Geringfügige Beschäftigungen

Fehler, zum Teil aber auch bewusstes Zuwiderhandeln (z. B. „Lohnsplitting“) gegen die gesetzlichen Vorschriften (§ 8 SGB IV), finden sich vermehrt bei der Anwendung der Privilegierungsregeln über die (teilweise) Beitragsfreiheit geringfügig Beschäftigter. Häufig wird nicht zwischen den beiden Arten der geringfügigen Beschäftigungen, der Geldgeringfügigkeit (Minijob) nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV und der Zeitgeringfügigkeit (kurzfristige Beschäftigung) nach § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV unterschieden. Dabei empfiehlt sich die Unterscheidung, weil die Folgen für den Arbeitgeber erheblich sind.

5. Probleme rund um Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung (AÜ)

Probleme bei der Anwendung von Werkverträgen sind oft besonders schwerwiegend, weil die zu beachtenden Regeln vielfältig, aber nicht ausreichend bekannt sind und ein nicht wirksamer Werkvertrag auch für den Werkbesteller außerordentlich negative Folgen haben kann. Im Extremfall droht eine Bestrafung wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung.

Die Prüfbehörden achten ebenso wie die Sozialgerichte vermehrt darauf, dass es sich nicht um einen „Schein-Werkvertrag“ handelt, der in Wirklichkeit eine Arbeitnehmerüberlassung ist. Wird festgestellt, dass kein Werkvertrag vorliegt, haftet der Werkbesteller für die Beitragspflicht aller bei ihm eingesetzten Arbeitnehmer gesamtschuldnerisch mit dem Werkunternehmer. Die Beitragspflicht trifft das aufnehmende Unternehmen/den Entleiher allerdings auch, wenn der Verleiher im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung keine AÜ-Erlaubnis vorlegen kann und der AÜ-Vertrag damit unwirksam ist. Wegen der einschneidenden Folgen ist es unumgänglich, im betrieblichen Alltag regelmäßig zu kontrollieren, dass Werkbesteller und Werkunternehmer die Regeln einhalten.

6. Arbeitsentgelt und Beitragspflicht

Der Begriff des Arbeitsentgelts ist nicht einfach zu fassen. Nach § 14 SGB IV gehören dazu alle laufenden und einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie gezahlt werden. Zu beachten ist, dass das Entgelt grundsätzlich aus einer Beschäftigung stammt, d. h. einer abhängigen Arbeitnehmertätigkeit. Nicht zum Arbeitsentgelt gehören steuerfreie Aufwandsentschädigungen und steuerfreie Einnahmen, die in § 3 Nr. 26 und 26a EStG genannt sind. Weitere Ausnahmen von dem Grundsatz enthält die Sozialversicherungsentgelt-Verordnung (SvEV). Diese enthält z. B. besondere Regelungen für pauschalbesteuertes Arbeitsentgelt. Allerdings löst nicht jede Pauschalbesteuerung Beitragsfreiheit aus, sondern nur die Tatbestände, die in der SvEV genannt sind!

7. Wertguthabenvereinbarungen

Ein „Muss“ jeder Betriebsprüfung stellen die Überprüfungen über Wertguthaben nach §§ 7b ff. SGB IV dar. Im Vordergrund steht dabei die Überprüfung, ob die Wertguthaben „insolvenzfest“ sind. Kommt es wegen eines nicht geeigneten oder nicht ausreichenden Insolvenzschutzes zu einer Verringerung oder einem Verlust des Wertguthabens, haftet der Arbeitgeber.

Darum profitiert jedes Unternehmen von einem CMS

Mithilfe eines Compliance Managements können Unternehmen sicherstellen, dass sich sowohl die Unternehmensleitung als auch die Mitarbeiter regelkonform verhalten. Ein effektives CMS muss das Sozialversicherungsrecht ebenso einbeziehen wie das Steuer-, Arbeits- oder Umweltrecht, um Risiken zu minimieren und die Einhaltung der relevanten Vorschriften sicherzustellen. Dazu gilt es, die internen Maßnahmen, Strukturen und Prozesse zu identifizieren, „compliancefähig“ zu machen und deren Regelkonformität sicherzustellen.

Ausgabe: 05/2024, S. 125 · ID: 49959665

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