Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe 20.03.2025 abgeschlossen.
Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Apr. 2025 abgeschlossen.
UmsatzsteuerTeilrücktritt vom Kaufvertrag unschädlich für eine Geschäftsveräußerung im Ganzen
| Eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen (GiG) wird trotz eines späteren Teilrücktritts vom Kaufvertrag nicht nachträglich zu einer steuerbaren Leistung. Die spätere Aufgabe des Betriebs infolge der Insolvenz des Käufers wirkt sich nicht auf die Beurteilung einer Geschäftsveräußerung aus (FG Münster 27.8.24, 15 K 2717/22 U). |
Inhaltsverzeichnis
1. Sachverhalt
Die Klägerin betrieb ein Busunternehmen. Sie erbrachte überwiegend Beförderungsleistungen im Linienverkehr. Dazu unterhielt sie zuletzt 14 Linienbusse. Die Wartung und Instandhaltung der Linienbusse sowie die Verwaltung des Unternehmens erfolgten auf dem eigenen Betriebsgrundstück. Mitte 2017 veräußerte die Klägerin die Linienbusse samt Betriebsgrundstück und Inventar an einen anderen Busunternehmer. Es gingen keinerlei Konzessionen, Genehmigungen oder Kundenverträge auf den Käufer über.
Die Parteien gingen davon aus, dass es sich um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung handelte. Der Kaufvertrag wurde hinsichtlich der Veräußerung der Linienbusse vereinbarungsgemäß abgewickelt. Anfang 2018 bat der Käufer die Klägerin jedoch um Teilrücktritt vom Kaufvertrag, da er den noch ausstehenden Kaufpreis für das Betriebsgrundstück und das Inventar nicht finanzieren konnte. Im März 2018 erklärte die Klägerin gegenüber dem Käufer den Teilrücktritt vom Kaufvertrag und forderte den Käufer zur Räumung und Herausgabe des Grundstücks samt Inventar auf. Dieser Aufforderung entsprach der Käufer erst nach zivilgerichtlicher Entscheidung. Am 1.4.19 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Käufers eröffnet.
Das Finanzamt kam zu dem Ergebnis, dass infolge des Teilrücktritts keine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung vorliege. Stattdessen sei die Veräußerung der Linienbusse als Einzelveräußerung umsatzsteuerbar und auch umsatzsteuerpflichtig, und zwar seit dem Zeitpunkt des Teilrücktritts im März 2018. Die hiergegen gerichtete Klage war jedoch erfolgreich.
2. Entscheidungsgründe
Als „Lieferung von Gegenständen“ gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. Umfasst sind sowohl die Eigentumsübertragung auf den Erwerber als auch die freiwillige Übergabe durch den Eigentümer an den Erwerber. Ob die Verfügungsmacht übertragen worden ist, ist unter Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls zu bestimmen, das heißt unter Berücksichtigung der konkreten vertraglichen Vereinbarungen und deren tatsächlichen Durchführung unter Berücksichtigung der Interessenlage der Beteiligten.
Auch wenn die Übergabe des Besitzes an einem Betriebsgrundstück vorbehaltlich der vollständigen Kaufpreiszahlung vereinbart worden ist und der Eigentumsübergang Zug um Zug gegen Zahlung des Gesamtkaufpreises erfolgen soll, kann die Verfügungsmacht für umsatzsteuerliche Zwecke tatsächlich schon vorher auf den Käufer übergehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Erwerber die Wirtschaftsgüter auch vor dem vertraglichen Besitz- oder zivilrechtlichen Eigentumsübergang nutzt. Die umsatzsteuerliche Verschaffung der Verfügungsmacht weicht in diesem Fall von der zivilrechtlichen Eigentumsübertragung ab.
Beachten Sie | Es handelt sich dann im Ergebnis um einen Verkauf unter Eigentumsvorbehalt, bei dem umsatzsteuerlich bereits eine Lieferung vorliegt. Unerheblich ist es dabei, wenn für die Nutzung der Wirtschaftsgüter, für die der Käufer den Kaufpreis nicht entrichtet hat, nicht eigens ein Nutzungsentgelt vertraglich vereinbart worden ist. Umsatzsteuerlich ist insoweit das tatsächliche Geschehen maßgeblich.
Der Erwerber darf aber den von ihm erworbenen Geschäftsbetrieb z. B. aus betriebswirtschaftlichen oder kaufmännischen Gründen in seinem Zuschnitt ändern oder modernisieren. Ob das übertragene Unternehmensvermögen als hinreichendes Ganzes die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit ermöglicht und ob die vor und nach der Übertragung ausgeübten Tätigkeiten übereinstimmen oder sich hinreichend ähneln, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden. Dabei ist der Art der wirtschaftlichen Tätigkeit, deren Fortführung geplant ist, besondere Bedeutung zuzumessen. Dass der Begünstigte vor der Übertragung eine wirtschaftliche Tätigkeit derselben Art ausgeübt hat, ist nicht erforderlich, aber auch nicht schädlich.
Genehmigungen oder Kundenverträge sind keine das Unternehmen prägenden Elemente, wenn nach dem Gesamtbild der Verhältnisse die übergegangenen Wirtschaftsgüter für die Fortführung der Tätigkeit ausreichen. Gehen Genehmigungen oder Kundenverträge nicht auf den Erwerber über, kann trotzdem eine nicht steuerbare GiG vorliegen. Gleiches gilt, wenn keinerlei Arbeitsverträge auf den Käufer übergehen.
Die sofortige Abwicklung des übergegangenen Unternehmens ist – wie gesagt – angesichts des Vereinfachungszwecks der nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung nicht begünstigt. Insoweit erfordert die Annahme einer GiG ein Zeitmoment, um festzustellen, ob die erforderliche Fortführungsabsicht des Erwerbers gegeben ist. Nur im Fall eines über gewisse Zeit fortgeführten Betriebs bzw. zumindest der Absicht der Betriebsfortführung für eine gewisse Zeit ist die Begünstigung (Liquiditätsschonung, Vereinfachung) zu rechtfertigen.
Beachten Sie | Das Zeitmoment dient damit vornehmlich der Feststellung der subjektiven Tatsache der Fortführungsabsicht. Ein sehr langer Zeitraum der Fortführung mag die Fortführungsabsicht indizieren. Eine nur kurze Fortführung mag unter Umständen die fehlende Fortführungsabsicht des Erwerbers indizieren, wenn nicht andere Umstände hinzutreten, die gewichtig für die Fortführungsabsicht streiten.
Ein Zeitraum der Betriebsfortführung von mehreren (hier: knapp acht) Monaten ist ausreichend, um unabhängig von späteren Ereignissen von einer Geschäftsveräußerung i. S. d. § 1 Abs. 1a UStG auszugehen. Dies gilt jedenfalls, wenn der Käufer in diesem Zeitraum im Wesentlichen die gleiche Tätigkeit wie zuvor der Verkäufer erbringt. Eine spätere Geschäftsaufgabe des Käufers, vor allem wenn sie allein aus finanziellen Gründen erfolgt, ist unschädlich – es sein denn, es ergeben sich doch Anhaltspunkte dafür, dass der Erwerber die Fortführung des Betriebs nicht beabsichtigt haben könnte.
Gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 UStG hat der Unternehmer, der einen steuerpflichtigen Umsatz i. S. d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG ausgeführt hat, für den sich die Bemessungsgrundlage geändert hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen – und zwar gemäß S. 8 der Vorschrift für den Besteuerungszeitraum, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Dies gilt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG sinngemäß, wenn eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder ein steuerpflichtiger innergemeinschaftlicher Erwerb rückgängig gemacht worden ist. Die Änderung der Bemessungsgrundlage setzt aber eine steuerpflichtige Leistung voraus, während eine GiG gerade nicht steuerbar ist, sodass die Vorschrift in entsprechenden Fällen nicht anwendbar ist.
Die Vorschrift ist mangels planwidriger Regelungslücke auch nicht analog auf andere Fallgestaltungen anwendbar. § 17 UStG dient der Anpassung der Umsatzbesteuerung und des Vorsteuerabzugs an die letztlich tatsächlich aufgewendete Gegenleistung. Er fungiert damit als Korrektiv zur Soll-Besteuerung nach § 16 Abs. 1 S. 1 UStG und sichert die periodengerechte Besteuerung. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung des § 17 UStG nicht insofern unvollständig, als dass nicht steuerbare Vorgänge wie eine GiG bei Änderung der zugrunde liegenden tatsächlichen Vorgänge (insbesondere Rückgängigmachung der Leistung, § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG) erfasst werden müssten. Besteht nämlich aufgrund objektiv nachprüfbarer Umstände im Zeitpunkt der Lieferung kein Zweifel an der Fortführungsabsicht des Erwerbers und liegen die Voraussetzungen der Geschäftsveräußerung im Übrigen vor, gibt es keinen Grund, eine Geschäftsveräußerung im Falle späterer Ereignisse mit Auswirkung auf das zugrunde liegende Rechtsverhältnis (hier insbesondere der Teilrücktritt) zu negieren. Vielmehr deckt § 1 Abs. 1a UStG diesen Fall ab, weil er über die objektiv zu bestimmende Fortführungsabsicht ein zeitliches Moment enthält. Die spätere Umqualifizierung einer einmal tatsächlich manifestierten Geschäftsveräußerung ist damit verwehrt. Nur bei nicht ausreichend langer Fortführung des Unternehmens kann die GiG von vornherein auszuschließen sein.
Beachten Sie | Diese Beurteilung trägt auch dem Vereinfachungscharakter des § 1 Abs. 1a UStG Rechnung. Sie gewährt die durch die Annahme der Nichtsteuerbarkeit der Geschäftsveräußerung vorgesehenen Vereinfachungen und vermeidet angesichts etwa der Vorschriften des § 1 Abs. 1a S. 3 und des § 15a Abs. 10 UStG unnötige Komplikationen bei der erstmaligen Besteuerung einer vormals als Geschäftsveräußerung behandelten Übertragung, ohne den Neutralitätsgrundsatz zu verletzen.
3. Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung bringt für Unternehmensveräußerer eine gewisse Rechtssicherheit, auch wenn bei der Beurteilung der Frage der nicht steuerbaren GiG oftmals ein Restrisiko verbleibt. Denn anders als bei der ertragsteuerlichen Betriebsveräußerung kommt es bei der umsatzsteuerlichen steuerbaren GiG auch auf das Verhalten des Erwerbers an, also auf die Frage, ob er das Unternehmen tatsächlich nahezu unverändert fortführt. Darauf hat der Veräußerer nur bedingten Einfluss.
Im Rahmen des (Notar-)Vertrags über Geschäftsveräußerungen, vor allem auch beim (Mit-)Verkauf von Geschäftsgrundstücken, sollte stets eine Optionsklausel für den Fall aufgenommen werden, dass die Parteien von einer GiG ausgehen und sich diese Annahme als falsch erweisen könnte. Konkret: Gehen die Vertragspartner übereinstimmend von einer GiG aus und beabsichtigen sie lediglich für den Fall, dass sich ihre rechtliche Beurteilung später als unzutreffend herausstellt, eine Option zur Steuerpflicht, so sollte diese Option vorsorglich und im Übrigen unbedingt im notariellen Kaufvertrag erklärt werden (vgl. BMF 23.10.13, BStBl I 13, 1304).
AUSGABE: GStB 4/2025, S. 119 · ID: 50291388