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UmsatzsteuerMissbräuchliche Ausnutzung der Kleinunternehmerregelung

Abo-Inhalt20.03.20254 Min. LesedauerVon Dipl.-Finw. StB Christian Herold, Herten/Westf.

| Wenn feststeht, dass eine Gesellschaft lediglich zur Ausnutzung der Kleinunternehmerregelung gegründet wurde und die maßgebende Tätigkeit eigentlich von einer anderen Gesellschaft ausgeübt wird, so ist dies missbräuchlich und die gegründete Gesellschaft kann die Kleinunternehmerregelung nicht in Anspruch nehmen. Dies gilt auch dann, wenn es in der nationalen Rechtsordnung keine spezifischen Bestimmungen gibt, in denen das Verbot solch missbräuchlicher Praktiken verankert ist. Das EuGH-Urteil ist zwar zu einem Fall aus Kroatien ergangen, letztlich sind die Ausführungen aber auch auf Deutschland übertragbar (EuGH 4.10.24, C-171/23, Abruf-Nr. 245206). |

Sachverhalt

Die Klägerin ist ein Gastronomiebetrieb mit Sitz in Kroatien. Eine Steuerprüfung hatte festgestellt, dass die Gründung der Gesellschaft Teil einer Steuerplanung gewesen sei, die betrieben wurde, um weiterhin die Mehrwertsteuerfreigrenze, also die Kleinunternehmerregelung, in Anspruch zu nehmen. In Wirklichkeit sei die maßgebende Tätigkeit von einer anderen Gesellschaft ausgeübt worden, die die Kleinunternehmerregelung nicht hätte in Anspruch nehmen können. Die Gründung der neuen Gesellschaft sei in Wirklichkeit fiktiv. Das Verwaltungsgericht Zagreb hatte beschlossen, das Verfahren auszusetzen und den EuGH anzurufen, zumal das nationale Gesetz die Gründung einer zusätzlichen Gesellschaft lediglich zur Ausnutzung der Kleinunternehmerregelung nicht untersagt. Der EuGH hat wie eben geschildert entschieden.

Entscheidungsgründe

Die Feststellung einer missbräuchlichen Praxis auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer setzt zum einen voraus, dass der fragliche Umsatz trotz formaler Anwendung der MwStSystRL (hier Art. 287 Nr. 19) und der nationalen Rechtsvorschriften einen Steuervorteil zum Ergebnis hat, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderliefe. Zum anderen muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit dem fraglichen Umsatz im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, eine eventuell missbräuchliche Praxis zu ermitteln. Die Kleinunternehmerregelung (hier: Art. 287 Nr. 19 MwStSystRL) ist eine Vorschrift zur Verwaltungsvereinfachung, die sowohl den entsprechenden Unternehmen als auch den Steuerverwaltungen zugutekommen soll. Unternehmen, die die Mehrwertsteuerfreigrenze nicht überschreiten, sollen in ihrer Wettbewerbsfähigkeit gestärkt werden. Auch soll ein angemessenes Verhältnis zwischen dem mit der Steuerprüfung verbundenen Verwaltungsaufwand und den zu erwartenden geringen Steuereinnahmen gewahrt werden.

Wenn eine Gesellschaft gegründet wird, um weiterhin in den Genuss der in Art. 287 Nr. 19 MwStSystRL vorgesehenen Regelung über die Mehrwertsteuerfreigrenze zu kommen, und zwar für eine Tätigkeit, die zuvor von einer anderen Gesellschaft ausgeübt wurde – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Letztere die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Regelung nicht mehr erfüllte –, würde die Gewährung eines solchen Steuervorteils nicht den mit dieser Regelung verfolgten Zielen entsprechen. Die nationalen Behörden und Gerichte haben die Inanspruchnahme der Regelung zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass ihre Anwendung missbräuchlich geltend gemacht wird.

Der Umstand, dass das nationale Recht keine spezifischen Bestimmungen über das Verbot missbräuchlicher Praktiken enthält, hindert diese Schlussfolgerung nicht. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die nationalen Gerichte gehalten sind, das nationale Recht so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und der Zielsetzung der MwStSystRL auszulegen. Sollte sich jedoch herausstellen, dass das nationale Recht keine konform auslegbaren Regeln enthält, kann daraus jedenfalls nicht der Schluss gezogen werden, dass die nationalen Behörden und Gerichte daran gehindert wären, die Anforderungen der MwStSystRL zu beachten und somit den Vorteil aus einem in dieser Richtlinie vorgesehenen Recht im Fall einer missbräuchlichen Praxis zu versagen.

Eine solche Versagung entspricht dem Grundsatz, wonach sich niemand in missbräuchlicher Weise auf Vorschriften des Unionsrechts berufen darf. Denn die Anwendung dieser Vorschriften kann nicht so weit gehen, dass missbräuchliche Praktiken gedeckt werden. Demnach müssen die nationalen Behörden und Gerichte im Fall einer missbräuchlichen Praxis, mit der bezweckt wird, in den Genuss der Mehrwertsteuerfreigrenze zu kommen, die Inanspruchnahme dieser Regelung versagen, auch wenn das nationale Recht keine dahin gehenden spezifischen Bestimmungen enthält. Zudem sind bei solchen missbräuchlichen Praktiken die betroffenen Umsätze in der Weise neu zu definieren, dass auf die Lage abgestellt wird, die ohne die diese missbräuchliche Praxis darstellenden Umsätze bestanden hätte, und dass diese Umqualifizierung jedoch nicht über das hinausgehen darf, was erforderlich ist, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern.

Relevanz für die Praxis

Die künstliche oder rein fiktive Abspaltung einer Tätigkeit zur Ausnutzung der Kleinunternehmerregelung wäre somit missbräuchlich. Auch der BFH hat bereits entschieden, dass die missbräuchliche Aufspaltung einer unternehmerischen Tätigkeit zur (mehrfachen) Inanspruchnahme des § 19 UStG zweckwidrig ist (BFH 11.7.18, XI R 26/17). Dabei wurde der „Gestaltungsmissbrauch“ nicht über § 42 AO hergeleitet, sondern bereits aus dem Unionsrecht sowie einer teleologischen Reduktion.

Im Urteilsfall hatte eine Steuerberatungsgesellschaft sechs KGs gegründet, an denen sie jeweils als Kommanditistin beteiligt war. Die KGs erbrachten ihre Leistungen auf Grundlage von im eigenen Namen geschlossenen Verträgen ausschließlich gegenüber Kunden, die nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt waren, weil sie steuerfreie Leistungen erbrachten (insbesondere Heilberufler) oder Kleinunternehmer waren. Die Umsätze der einzelnen KGs blieben jeweils unterhalb der Kleinunternehmergrenze.

AUSGABE: GStB 4/2025, S. 115 · ID: 50316089

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