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UmsatzsteuerAußenprüfung: Kein „echtes Mehrergebnis“ bei jahresübergreifender Umsatzverlagerung
| Wenn im Rahmen einer Außenprüfung festgestellt wird, dass Umsätze oder Vorsteuerbeträge einem anderen Veranlagungszeitraum zuzuordnen sind, ist dieser Vorgang zunächst einmal lästig, weil er viel Arbeit verursacht. Doch mitunter versuchen die Finanzämter daraus „echte Mehrergebnisse“ zu erzielen, indem korrespondierende Änderungen verweigert werden. So wird die Umsatzsteuer des einen Veranlagungszeitraums erhöht, die Steuer des anderen Veranlagungszeitraums aber nicht gemindert, obwohl es de facto um ein und denselben Sachverhalt geht. Zumindest für Fälle wie den nachfolgend geschilderten kann nun aber Entwarnung gegeben werden. Der Weg zu einer Änderung nach § 174 AO ist eröffnet und Umsätze müssen nicht doppelt versteuert werden (BFH 29.8.24, V R 19/22; BFH/NV 25, 117 Nr. 1, Abruf-Nr. 244975). |
Inhaltsverzeichnis
1. Sachverhalt
Die Klägerin führte in ihrer Werkstatt Reparaturen an Fahrzeugen des Herstellers X durch, die dieser im Rahmen von „Gewährleistungen“ vergütete. Die Klägerin berechnete ihre Steuer nach vereinbarten Entgelten. Sie verbuchte ihre Ansprüche gegen X für die Reparaturleistungen auf einem „Vergütungskonto“. Der Saldo auf diesem „Vergütungskonto“ belief sich am Ende des Jahres 2012 auf 32.518,58 EUR wobei die Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen nicht bereits in 2012 versteuerte, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2013 (Streitjahr). Zum Ablauf des Streitjahrs ergab sich ein Vergütungssaldo von 102.642,67 EUR, wobei die Klägerin die hierfür erbrachten Leistungen wiederum nicht im Streitjahr, sondern erst mit der Vereinnahmung in 2014 versteuerte.
Das Finanzamt beanstandete die erst mit Vereinnahmung vorgenommene Versteuerung und erhöhte die Bemessungsgrundlage der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2013 in Höhe von 102.642,67 EUR. Die Klägerin beantragte daraufhin, die Umsatzsteuerfestsetzung 2013 – korrespondierend zu der vorgenommenen Erhöhung – um den Vergütungssaldo 2012 in Höhe von 32.518,58 EUR zu mindern, der ja bereits in 2013 versteuert wurde, tatsächlich aber im Jahr 2012 hätte versteuert werden müssen. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt ab. Die Klage beim FG hatte zwar keinen Erfolg, doch der BFH sah die Revision als begründet an und tenorierte wie folgt:
Der Leitsatz des aktuellen BFH-Urteils lautet |
... der BFH hatte aber ein Einsehen |
2. Entscheidungsgründe
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 1 UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 S. 1 UStG) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass im Rahmen der Sollbesteuerung das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt wird, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist. Von dieser sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a S. 1 und 4 UStG ergebenden Rechtslage darf nicht abgewichen werden, und zwar auch nicht im Rahmen einer Analogie zu § 20 S. 3 UStG. Nach § 20 S. 3 UStG gilt: Wechselt der Unternehmer die Art der Steuerberechnung, so dürfen Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben.
Die analoge Anwendung einer Rechtsnorm setzt eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Eine solche Lücke liegt vor, wenn eine Regelung gemessen an ihrem Zweck unvollständig, das heißt ergänzungsbedürftig ist und wenn ihre Ergänzung nicht einer vom Gesetzgeber beabsichtigten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht. Zudem müssen der vom Gesetzgeber geregelte und der nicht geregelte Fall durch eine vergleichbare Interessenlage gekennzeichnet sein. Eine planwidrige Regelungslücke ist somit nur gegeben, wenn das Gesetz, gemessen an seiner eigenen Absicht und der ihm immanenten Teleologie, unvollständig und somit ergänzungsbedürftig ist. Im Übrigen kommt eine analoge Anwendung einer Vorschrift nur in Betracht, wenn die für einen bestimmten Sachverhalt vorgesehene gesetzliche Regelung auf einen anderen, vom Gesetz nicht erfassten, aber nur unwesentlich abweichenden Sachverhalt anwendbar ist.
Es fehlt bereits an einer für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Die Korrektur einer im Widerspruch zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG stehenden zeitlichen Zuordnung von Umsätzen erfolgt auf der Grundlage der Änderungsvorschriften der §§ 164 Abs. 2, 172 ff. AO unter den darin niedergelegten Voraussetzungen. Dabei ist der Fall, dass aus einem Antrag des Steuerpflichtigen Folgerungen für andere Besteuerungszeiträume zu ziehen sind, insbesondere durch § 174 Abs. 4 AO geregelt.
Ist aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der aufgrund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können danach aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden. Dies gilt auch dann, wenn der Steuerbescheid durch das Gericht aufgehoben oder geändert wird (§ 174 Abs. 4 S. 1 und 2 AO). Zudem ist der Ablauf der Festsetzungsfrist unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheids gezogen werden (§ 174 Abs. 4 S. 3 AO). War allerdings die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen, als der später aufgehobene oder geänderte Steuerbescheid erlassen wurde, gilt dies nach § 174 Abs. 4 S. 4 AO nur unter den Voraussetzungen von § 174 Abs. 3 S. 1 AO.
Damit liegt eine gesetzliche Regelung für die hier zu beurteilende Fallgestaltung vor. Wenn aufgrund einer rechtsirrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts (Besteuerung der bereits in 2012 ausgeführten Leistungen erst bei Vereinnahmung des Entgelts in 2013) ein entsprechender Steuerbescheid erlassen wurde, der aufgrund des vom Steuerpflichtigen gestellten Antrags zu seinen Gunsten geändert werden soll (keine Besteuerung der in 2012 ausgeführten Leistungen in 2013), können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines Steuerbescheids (hier für 2012) die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wobei dies unter den in § 174 Abs. 4 S. 3 und 4 AO genannten Voraussetzungen selbst dann möglich ist, wenn die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2012 bereits abgelaufen sein sollte.
Beachten Sie | Fehlt es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke, ist es im Übrigen unerheblich, ob die Anwendung von § 174 Abs. 4 AO im Streitjahr eine Folgeänderung (hier für 2012) ermöglicht oder ob dies an den Besonderheiten des Sachverhalts scheitert – zum Beispiel im Hinblick auf eine nach § 174 Abs. 4 S. 4 AO bereits abgelaufene Festsetzungsfrist und die deshalb zu erfüllenden Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 S. 1 AO.
3. Relevanz für die Praxis
Die Klägerin hatte einen Anspruch auf die beantragte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2013. Weder griff die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO noch ein vom Finanzamt gegen das Änderungsbegehren erhobener Einwand der Treuwidrigkeit. Auch § 351 Abs. 1 AO stand dem Änderungsbegehren nicht entgegen. Das Finanzamt war zur beantragten Änderung verpflichtet.
Wichtig war, dass der Antrag der Klägerin den Bestimmtheitsanforderungen genügt hat, nach denen sich das Änderungsbegehren über die bloß betragsmäßige Nennung hinaus zumindest in groben Zügen bereits aus dem fristgerecht gestellten Antrag ergeben muss (BFH 20.12.06, X R 30/05, BStBl II 07, 503), denn die Klägerin begehrte ausdrücklich die Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuerfestsetzung 2013 um den Vergütungssaldo 2012.
Wie eingangs erwähnt ist das aktuelle BFH-Urteil hilfreich, um Umsatzsteuernachzahlungen zu vermeiden. Zumindest in früheren Jahren haben die Prüfer der Finanzverwaltung die falschen zeitlichen Zuordnungen oft beanstandet, um ihr Mehrergebnis „nur“ durch die anfallenden Nachzahlungszinsen von damals 6 % p. a. erreichen zu können. In 2023 hat der BFH allerdings entschieden, dass Steuerpflichtigen das Recht auf einen Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen zustehen kann, wenn das Finanzamt Zinsvorteile abschöpfen will, die in Wahrheit gar nicht vorhanden waren (BFH 23.2.23, V R 30/20, BStBl II 23, 1079). Bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes durch die Finanzbehörde, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und zu einer Steuererstattung führt, sollen durch § 233a AO keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind (so bereits BFH 11.7.96, V R 18/95, BStBl II 97, 259).
AUSGABE: GStB 3/2025, S. 75 · ID: 50296647