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UmsatzsteuerIrrtümlich gezahlte USt: Kein Direktanspruch bei grenzüberschreitenden Fällen

Abo-Inhalt29.01.20255 Min. LesedauerVon Dipl.-Finw. StB Christian Herold, Herten/Westf.

| Ein Leistungsempfänger, der Umsatzsteuer irrtümlich gezahlt hat, die er vom Leistenden aufgrund dessen Insolvenz nicht mehr mit Erfolg zurückfordern kann, kann die Erstattung der Umsatzsteuer nicht unmittelbar bei der deutschen Finanzverwaltung verlangen, wenn die Steuer vom Leistenden zwar an den deutschen Fiskus entrichtet wurde, diese aber eigentlich in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist. Eine Erstattung an den Leistungsempfänger scheidet jedenfalls dann aus, wenn die Steuerbehörde des Leistenden diesem die Umsatzsteuer bereits erstattet hat (EuGH 5.9.24, C-83/23). |

Sachverhalt

Die im Inland ansässige Klägerin kaufte Motorboote von einer ebenfalls in Deutschland ansässigen GmbH. Diese erteilte hierüber Rechnungen mit Ausweis der Umsatzsteuer; die Klägerin nahm den Vorsteuerabzug vor. Die GmbH meldete die Umsatzsteuer in ihren Steuererklärungen an und führte sie an das für sie zuständige Finanzamt in Deutschland ab. Die deutsche Finanzverwaltung stellte fest, dass sich die Boote im Zeitpunkt des Verkaufs nicht in Deutschland, sondern in Italien befanden. Folglich sei der Verkauf der Boote nicht in Deutschland, sondern in Italien als Belegenheitsort der Boote steuerbar gewesen.

Über das Vermögen der GmbH wurde zwischenzeitlich das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Insolvenzverwalter berichtigte die Rechnungen über die Lieferung der Boote, indem er die darin zu Unrecht angegebenen Mehrwertsteuer strich. Zudem stellte er beim Finanzamt einen Berichtigungsantrag, woraufhin diese die Mehrwertsteuer an die Insolvenzmasse erstattete. Zugleich teilte das Finanzamt dem Insolvenzverwalter mit, dass er verpflichtet sei, die Umsätze in Italien der Mehrwertsteuer zu unterwerfen. Der Insolvenzverwalter weigerte sich aber, der Klägerin eine Rechnung mit italienischer Umsatzsteuer auszustellen.

Die Klägerin hat sich hiergegen zivilrechtlich nicht gewehrt. Vielmehr beantragte sie beim deutschen Finanzamt eine abweichende USt-Festsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO, hilfsweise einen Erlass nach § 227 AO, nachdem das Finanzamt die Vorsteuer der Klägerin gekürzt hat. Es wurde also gegenüber dem deutschen Fiskus ein Direktanspruch (sog. Reemtsma-Anspruch) auf Erstattung geltend gemacht. Der BFH sah nach der bisherigen EuGH-Rechtsprechung die Möglichkeit eines solchen Anspruchs zwar als durchaus gegeben an, hat die Sache aber insbesondere wegen des grenzüberschreitenden Sachverhalts dem EuGH vorgelegt. Dieser hat nun wie eingangs erwähnt abschlägig entschieden. Die wesentlichen Aussagen lauten:

„Einem Leistungsempfänger, der mit irrtümlich in Rechnung gestellter Umsatzsteuer belastet ist, kann gegenüber dem Fiskus ein Anspruch wegen rechtsgrundlos gezahlter Beträge zustehen. Dies setzt aber voraus, dass die Erstattung der Mehrwertsteuer durch den Leistenden unmöglich oder übermäßig erschwert ist, insbesondere im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Leistenden“ (EuGH 15.2.07, Reemtsma Cigarettenfabriken, C‑35/05).

Ein Direktanspruch („Reemtsma-Anspruch“) auf Erstattung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer bezieht sich auf die Steuer des Mitgliedstaats, in dem sie in Rechnung gestellt wurde und an den sie gezahlt wurde. Der Direktanspruch bezieht sich somit auf die Mehrwertsteuer, die der betreffende Mitgliedstaat vom Aussteller der Rechnung erhalten hat.

Die sog. Reemtsma-Rechtsprechung kann nicht ohne Weiteres auf grenzüberschreitende Sachverhalte übertragen werden. Müsste nämlich im Fall einer zu Unrecht in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer die Finanzverwaltung, die auf Antrag des Leistungserbringers bereits die Mehrwertsteuer erstattet hat, diese Mehrwertsteuer auch dem Leistungsempfänger erstatten, wäre die Finanzverwaltung verpflichtet, die Mehrwertsteuer zweimal zu erstatten.

Von der deutschen Finanzverwaltung kann nicht verlangt werden, zu überprüfen, ob der Insolvenzverwalter des Leistungserbringers die im Ausland (hier Italien) geschuldete Mehrwertsteuer erklären wird. Ob die vermeintliche Nichterklärung der Steuer nach dem Recht des anderen Staates einen Mehrwertsteuerbetrug darstellt, geht über das hinaus, was einer nationalen Finanzverwaltung an Prüfung zumutbar ist. In einem grenzüberschreitenden Fall könnte die zweimalige Erstattung – wenn man einen Direktanspruch bejahen würde – also endgültig sein, ohne dass der benachteiligten Steuerbehörde effektive Instrumente zur Prüfung eines Mehrwertsteuerbetrugs zur Verfügung stünden.

Ohnehin stellt der Reemtsma-Anspruch eine Ausnahme dar, die nur dann eröffnet ist, wenn die Beitreibung dieser Mehrwertsteuer beim Leistungserbringer unmöglich oder übermäßig erschwert ist, was voraussetzt, dass der Leistungsempfänger alle Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um seine Rechte anderweitig geltend zu machen. Folglich muss der Leistungsempfänger, um die Kosten der betreffenden Mehrwertsteuer nicht tragen zu müssen, gegen den Insolvenzverwalter des Leistungserbringers (zunächst) eine zivilrechtliche Klage (hier: auf Erteilung einer Rechnung mit italienischem Mehrwertsteuerausweis) erheben.

Relevanz für die Praxis

Rein fiskalisch betrachtet ist das Ergebnis des EuGH verständlich, denn es kann der Steuerbehörde eines Mitgliedstaates nicht zugemutet werden, eine Steuer zweimal zu erstatten – vor allem dann nicht, wenn sie aufgrund eines grenzüberschreitenden Sachverhalts kaum Möglichkeiten hat, ihrerseits zu überprüfen, ob die korrekte Steuer dann in dem anderen Mitgliedstaat erklärt und entrichtet worden ist, sodass – EU-übergreifend – letztlich kein Steuerschaden entstehen würde. Andererseits macht der Grundsatz der Steuerneutralität, auf dem wiederum der Direktanspruch basiert, gerade nicht an EU-Grenzen halt. Insofern ist die EuGH-Entscheidung durchaus kritisch zu sehen.

Bemerkenswert an dem Sachverhalt ist übrigens, wie schnell die deutsche Finanzverwaltung die Umsatzsteuer – es ging immerhin um 539.605 EUR – nach der Rechnungsberichtigung durch den Insolvenzverwalter erstattet hatte. Abschnitt 14c.1 Abs. 5 S. 4 UStAE lautet: „Wurde ein zu hoch ausgewiesener Rechnungsbetrag bereits vereinnahmt und steht dem Leistungsempfänger aus der Rechnungsberichtigung ein Rückforderungsanspruch zu, ist die Berichtigung des geschuldeten Mehrbetrags erst nach einer entsprechenden Rückzahlung an den Leistungsempfänger zulässig …“. Gerade diese Rückzahlung an den Leistungsempfänger ist aber nicht erfolgt. Möglicherweise wäre das Verfahren für den Leistungsempfänger anders ausgegangen, das heißt, ein Direktanspruch hätte bestanden, wenn das Finanzamt die Umsatzsteuer (noch) nicht zugunsten der Insolvenzmasse erstattet hätte. Doch mit der eventuell zu frühzeitigen Erstattung der Umsatzsteuer hat sich der EuGH nicht näher befasst.

In ähnlich gelagerten Fällen werden Betroffene wohl nicht umhinkommen, den beschwerlichen Weg einer zivilrechtlichen Klage – oftmals im Ausland – beschreiten zu müssen, bevor sie überhaupt eine geringe Chance haben, ihren Direktanspruch in Deutschland geltend machen zu können.

Beachten Sie | Zur Frage des Direktanspruchs in rein nationalen Fällen sei unter anderem auf das EuGH-Urteil vom 7.9.23 (C-453/22), das Urteil des FG Münster vom 23.1.24 (15 K 2327/20 AO) sowie das BMF-Schreiben vom 12.4.22 (BStBl I 22, 652) hingewiesen.

AUSGABE: GStB 2/2025, S. 46 · ID: 50242947

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