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KapitalgesellschaftenDas „Aus“ für die gezielte Verlustrealisierung bei GmbH-Anteilen durch § 17 Abs. 2a S. 5 EStG

Abo-Inhalt01.04.202417 Min. LesedauerVon Prof. Dr Hans Ott, StB/vBP, Köln

| Nachdem der BFH mit seinem Grundsatzurteil vom 11.7.17 (IX 36/15, BStBl II 19, 208) seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung ausgefallener Finanzierungshilfen des Gesellschafters nach § 17 EStG geändert hatte, hat der Gesetzgeber mit § 17 Abs. 2a EStG die frühere Rechtsprechung gesetzlich reaktiviert und qualifiziert nunmehr in § 17 Abs. 2a S. 3 Nr. 2 und 3 EStG – bei gesellschaftsrechtlicher Veranlassung – Darlehensverluste sowie Ausfälle von Bürgschaftsregressforderungen und vergleichbaren Forderungen als nachträgliche Anschaffungskosten. Die Finanzverwaltung hat hierzu mit dem BMF-Schreiben vom 7.6.22 (IV C 6 – S 2244/20/10001 :001, vgl. Ott, GStB 22, 321) umfassend Stellung genommen. Verhältnismäßig wenig Beachtung gefunden hat allerdings bisher die Regelung in § 17 Abs. 2a S. 5 EStG, mit der der Gesetzgeber das „Aus“ für die gezielte Verlustnutzung bei GmbH-Anteilen erreichen wollte. Inwieweit ihm das tatsächlich gelungen ist, wird nachfolgend aufgezeigt. |

1. BFH-Urteil vom 3.5.23

Der Grund für die Einführung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG, der in der Vermeidung von Gestaltungsmaßahmen zu sehen ist, wird nunmehr durch das BFH-Urteil vom 3.5.23 (IX R 12/22, DStR 23, 1763) erhellt. Mit der Entscheidung hatte der BFH – noch vor Einführung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG – die gezielte Verlustrealisierung bei GmbH-Anteilen nach Vornahme einer Kapitalerhöhung mit Zahlung eines hohen Aufgeldes (Überpari-Emission) anerkannt. Dieses Urteil wird nachfolgend im Detail analysiert und es wird aufgezeigt, welche Gestaltungsmöglichkeiten künftig noch verbleiben.

Mit dem o. a. Urteil hat der BFH entschieden, dass die gezielte Verlustrealisierung bei GmbH-Anteilen grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO darstellt. Der Streitfall betraf das in der Vergangenheit praktizierte Gestaltungsmodell, bei dem durch die Veräußerung eines GmbH-Anteils gezielt ein Verlust i. S. v. § 17 EStG herbeigeführt wurde, nachdem zuvor die Anschaffungskosten des veräußerten Anteils durch eine Kapitalerhöhung mit Aufgeld (Agio) gezielt erhöht worden waren. Die Kapitalerhöhung war so dimensioniert, dass die Summe aus dem Nennbetrag und dem Aufgeld den Verkehrswert des Anteils überstieg. Vor diesem Hintergrund hat sich der BFH zum einen mit der Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht und zum anderen mit der Frage des Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO auseinandergesetzt.

Beachten Sie | Das Urteil vom 3.5.23 betrifft nur Veräußerungsverluste, die nach der Rechtslage bis zum 31.7.19 realisiert worden sind. Denn nach der gesetzlichen Einführung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG ist das Gestaltungsmodell – jedenfalls für im Privatvermögen gehaltene Anteile i. S. d. § 17 EStG – nicht mehr umsetzbar.

Sachverhalt

A war als Alleingesellschafterin an der im November 2015 gegründeten X-GmbH beteiligt, deren Stammkapital in 25.000 Geschäftsanteile im Nennbetrag von jeweils 1 EUR (Geschäftsanteile Nr. 1 bis 25.000) eingeteilt war. Am 21.12.15 wurde bei der GmbH eine Kapitalerhöhung um 1.000 EUR beschlossen und der weitere Geschäftsanteil Nr. 25.001 EUR im Nennbetrag von 1.000 EUR geschaffen. Auf diesen Geschäftsanteil zahlte A neben dem Betrag von 1.000 EUR ein Aufgeld i. H. v. 500.000 EUR, das bilanziell gem. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB in der Kapitalrücklage der GmbH ausgewiesen wurde.

Am 28.12.15 veräußerte A sodann die Geschäftsanteile Nr. 24.701 bis 25.000 sowie den neuen Geschäftsanteil mit der Nr. 25.001 für insgesamt 26.300 EUR an ihren Ehemann, der anschließend mit 5 % an der X-GmbH beteiligt war. Für das Streitjahr 2015 erklärte A einen Veräußerungsverlust nach § 17 EStG i. H. v. 475.000 EUR (vor Anwendung des Teileinkünfteverfahrens), der sich wie folgt ergab:

Ermittlung des Veräußerungsverlustes
Veräußerungspreis
26.300 EUR
abzgl. Anschaffungskosten
Geschäftsanteile 24.701 bis 25.000
300 EUR
Geschäftsanteil 25.001
1.000 EUR
Aufgeld für Geschäftsanteil 25.001
500.000 EUR– 501.300 EUR
Veräußerungsverlust
475.000 EUR
Anzusetzen im Teileinkünfteverfahren zu 60 %
285.000 EUR

Das FA hat den Verlust aus der Veräußerung des neu geschaffenen Geschäftsanteils (Nr. 25.001) wegen der hohen Anschaffungskosten und der nur kurzen Haltezeit von sieben Tagen nicht anerkannt, weil es der Klägerin insoweit an einer Gewinnerzielungsabsicht gefehlt habe. Für die Veräußerung der Geschäftsanteile Nr. 24.701 bis 25.000 ermittelte das FA vielmehr einen Gewinn nach § 17 EStG i. H. v. 5.770 EUR (6.070 EUR anteiliger Veräußerungspreis abzgl. 300 EUR Anschaffungskosten). Der BFH hat dann aber den Veräußerungsverlust i. S. v. § 17 EStG in der erklärten Höhe von 475.000 EUR (bzw. nach Anwendung des Teileinkünfteverfahrens i. H. v. 285.000 EUR) anerkannt.

2. Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht bei § 17 EStG

Entgegen der Ansicht des FA hat der BFH auch das Vorliegen einer Gewinnerzielungsabsicht bejaht. Denn die Anwendung von § 17 EStG setzt nur voraus, dass der Steuerpflichtige zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung an der Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Weiterhin ist die Prüfung der Gewinnerzielungsabsicht – trotz der zivilrechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Geschäftsanteile nach § 15 Abs. 2 GmbHG – nicht geschäftsanteilsbezogen, sondern beteiligungsbezogen unter Heranziehung der gesamten Beteiligung vorzunehmen, wobei der Gewinn oder Verlust nicht nur eines Jahres – also abschnittsbezogen – zu betrachten ist, sondern der Totalgewinn als Ergebnis der steuerrelevanten Tätigkeit oder Nutzung von Kapitalvermögen (vgl. BFH 29.6.95, VIII R 68/93, BStBl II 95, 1543). Denn Gewinne oder Verluste aus einzelnen Anteilsveräußerungen sagen bei einer isolierten Betrachtung nichts darüber aus, ob der Steuerpflichtige eine Beteiligung mit der Absicht erworben und gehalten hat, hieraus einen Totalgewinn zu erzielen.

Merke | Nach Ansicht des BFH geht auch der Gesetzgeber von einer solchen beteiligungsbezogenen Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht aus, denn die im Jahre 2019 neu eingeführte Regelung in § 17 Abs. 2a S. 5 EStG wäre überflüssig, wenn die steuerliche Anerkennung eines – gezielt herbeigeführten – Verlusts aus der Veräußerung eines Geschäftsanteils bei einer Überpari-Emission bereits an der fehlenden Gewinnerzielungsabsicht scheiterte.

Bei der Feststellung eines Totalgewinns nach § 17 EStG sind – so der BFH – im Rahmen einer Gesamtbetrachtung neben der Wertsteigerung der Beteiligung auch die Erträge aus Ausschüttungen einzubeziehen, weil die Höhe des Veräußerungsgewinns und das Ausschüttungsverhalten in einer Wechselwirkung stehen. Während thesaurierte Gewinne den Veräußerungsgewinn erhöhen, führen Ausschüttungen zu einer entsprechenden Ermäßigung (vgl. BFH 29.6.95, VIII R 68/93, BStBl II 95, 1543). Eine nur auf die Anteilsveräußerung begrenzte Betrachtung findet somit nicht statt.

Der Gewinnerzielungsabsicht stand schließlich auch die nur kurze Haltedauer von sieben Tagen nicht entgegen, denn daran fehlt es (nur) dann, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass aufgrund der individuellen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft und/oder ihrer Gesellschafter auch langfristig mit positiven Einkünften nicht zu rechnen ist oder rein persönliche Gesichtspunkte – wie freundschaftliche oder verwandtschaftliche Beziehungen – für die Beteiligung des Steuerpflichtigen bestimmend waren (BFH 2.5.01, VIII R 32/00, BStBl II 01, 668). Die Gewinnerzielungsabsicht wird jedoch nicht dadurch infrage gestellt, dass gezielt Verluste realisiert werden, um steuerliche Vorteile zu generieren. Solche Fälle sind vielmehr unter dem Gesichtspunkt zu würdigen, ob ein Gestaltungsmissbrauch gem. § 42 AO vorliegt.

3. Anteilsbezogene Ermittlung des Veräußerungsverlusts

Während die Gewinnerzielungsabsicht beteiligungsbezogen zu prüfen ist, wird im Rahmen des § 17 EStG der Gewinn bzw. Verlust aus einer Anteilsveräußerung sowohl hinsichtlich des Veräußerungspreises als auch der Anschaffungskosten anteilsbezogen ermittelt (BFH 11.12.13, IX R 45/12, BStBl II 14, 578). Dabei waren im Streitjahr 2015 mangels einer eigenständigen einkommensteuerlichen Definition die Anschaffungskosten der Beteiligung gem. § 255 Abs. 1 S. 1 HGB zu bestimmen (grundlegend dazu BFH 11.7.17, IX R 36/15, BStBl II 19, 208).

Beachten Sie | Für § 17 EStG folgt daraus, dass normspezifisch als Anschaffungskosten diejenigen Aufwendungen zu berücksichtigen sind, die geleistet wurden, um die Anteile i. S. v. § 17 Abs. 1 S. 1 EStG zu erwerben (vgl. nur Levedag in: Schmidt, EStG, 42. Aufl. 23, § 17 Rz. 168).

Werden Anteile zu verschiedenen Zeiten und zu unterschiedlichen Anschaffungskosten erworben, ist nach dem Grundsatz der zivilrechtlichen Selbstständigkeit und Unterscheidbarkeit der Geschäftsanteile eine Zusammenrechnung der einzelnen Anteile und die Bildung eines durchschnittlichen Anschaffungspreises nicht zulässig (BFH 29.7.97, VIII R 80/94, BStBl II 97, 727). Zu den Anschaffungskosten im vorstehenden Sinne gehört auch ein über den Nennbetrag des Geschäftsanteils hinaus geleistetes und nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB als Kapitalrücklage auszuweisendes Aufgeld. Dies gilt auch bei einer sog. Überpari-Emission, wenn also die Summe aus dem Nennbetrag des neuen Anteils und dem Aufgeld den Verkehrswert des neuen Anteils übersteigt. Der den Verkehrswert übersteigende Teil (im Streitfall: 500.000 EUR) stellt auch keine verdeckte Einlage dar, die sich somit von einem Aufgeld wie folgt abgrenzen lässt:

  • Eine verdeckte Einlage (z. B. die freiwillige Zuzahlung in das Gesellschaftsvermögen i. S. v. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) erfolgt als Zuwendung eines bilanzierbaren Vermögensvorteils aus gesellschaftsrechtlichen Gründen ohne Entgelt in Gestalt von Gesellschaftsrechten und führt zu – nachträglichen – Anschaffungskosten für sämtliche Geschäftsanteile.
  • Ein Aufgeld wird dagegen als Bestandteil der Gegenleistung für den Erwerb von Gesellschaftsrechten nicht unentgeltlich entrichtet (BFH 29.7.97, VIII R 80/94, BStBl II 97, 727) und ist wegen der zivilrechtlichen Selbstständigkeit jedes Geschäftsanteils nur demjenigen Anteil als Anschaffungskosten zuzurechnen, für dessen Erwerb es aufzubringen war.

Die Behandlung des Aufgeldes hat sich erst mit der Einführung des Verteilungsgebots nach § 17 Abs. 2a S. 5 EStG im Jahre 2019 geändert, das im Streitjahr 2015 noch nicht einschlägig war. Nach dem Verteilungsgebot hat der Steuerpflichtige die über den Nennbetrag seiner Anteile hinaus geleisteten Einzahlungen in das Kapital der Gesellschaft gleichmäßig auf seine gesamten Anteile einschließlich seiner im Rahmen von Kapitalerhöhungen erhaltenen neuen Anteile aufzuteilen. Die Regelung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG findet nach § 52 Abs. 25a S. 1 EStG erstmals Anwendung für Veräußerungen nach dem 31.7.19.

Das FA hatte im Streitfall geltend gemacht, nach der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf vom 23.9.19 (BT-Drs. 19/13436 vom 23.9.19, 111) habe die Neuregelung in § 17 Abs. 2a S. 5 EStG „lediglich deklaratorischen Charakter“ und entspreche „inhaltlich der bisherigen Verwaltungsauffassung“. Dieser fragwürdigen Ansicht ist der BFH unmissverständlich entgegengetreten und hat ausgeführt, dass in der Gesetzesbegründung allerdings unerwähnt bleibt, „dass die Neuregelung die Rechtsprechung des BFH (7.5.09, I R 53/08, BFH/NV 2010, 375) überschreibt … und daher insoweit konstitutiv wirkt.“

Somit stand im Streitfall – vor Einführung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG – die Zahlung eines Aufgeldes für den Erwerb des neu geschaffenen Geschäftsanteils Nr. 25.001 der Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts nicht entgegen, sodass der BFH den geltend gemachten Veräußerungsverlust i. H. v. 475.000 EUR (vor Anwendung des Teileinkünfteverfahrens) nicht beanstandet hat.

4. Zum Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs

Den vom FA angenommenen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO hat der BFH ebenfalls verneint, weil die verlustauslösende Veräußerung der Anteile zu fremdüblichen Konditionen an den Ehemann der A erfolgt ist. Für die Anwendung des § 42 AO ist nämlich Folgendes zu beachten: Sofern der Tatbestand einer Missbrauchsverhinderungsnorm in einem Einzelsteuergesetz erfüllt ist, bestimmen sich die Rechtsfolgen nach dieser Vorschrift. Existiert eine solche einzelsteuergesetzliche Missbrauchsnorm nicht, liegt ein Missbrauch nach § 42 Abs. 2 S. 1 AO nur vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nach § 42 Abs. 2 S. 2 AO nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

Eine einzelsteuergesetzliche Missbrauchsverhinderungsnorm, nach der die Anwendung von § 42 AO generell gesperrt ist, besteht erst seit der Einführung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG im Jahr 2019. Daher hat der BFH im Streitfall das Vorliegen einer unangemessenen Gestaltung geprüft, dies aber verneint:

  • Zum einen steht es dem Steuerpflichtigen im Rahmen des § 17 EStG grundsätzlich frei, ob, wann und an wen er seine Anteile veräußert. Die Berücksichtigung eines Veräußerungsverlusts entspricht dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und ist nicht von vornherein rechtsmissbräuchlich.
  • Weiterhin kann ein Gestaltungsmissbrauch dann in Betracht kommen, wenn ein Verlust nur durch die Vereinbarung eines die Wertverhältnisse des zur Veräußerung bestimmten Kapitalgesellschaftsanteils in krasser Weise verfehlenden Kaufpreises zustande kommt. Ein solcher Fall lag dem BFH-Urteil vom 20.9.22 zur Anteilsrotation zugrunde (IX R 18/21, BStBl II 23, 315; vgl. dazu Pflüger, GStB 23, 160; Gummels, GStB 23, 362).

Nach diesen Grundsätzen und bei der gebotenen anteilsbezogenen Betrachtung hat A im vorliegenden Fall durch den Erwerb und die zeitnahe Veräußerung des Geschäftsanteils Nr. 25.001 einen „realen Verlust“ erlitten und damit im Streitjahr ihre Leistungsfähigkeit gemindert. Eine solche verlustgenerierende Gestaltung ist nach Ansicht des BFH noch nicht unangemessen i. S. v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO. Schließlich hatte A als Steuerpflichtige auch die freie Entscheidung darüber, welchen Geschäftsanteil ihrer Beteiligung sie veräußert (so auch BFH 10.10.78, VIII R 126/75, BStBl II 79, 77). Unerheblich ist dabei, ob eine Veräußerung an einen fremden Dritten oder einen nahen Angehörigen erfolgt.

Merke | Laut BFH bleibt es dem Steuerpflichtigen unbenommen, seine Veräußerungsgeschäfte möglichst steuergünstig zu gestalten. Ebenso hat er die Freiheit, seiner GmbH in einer steuerlich vorteilhaften Weise Kapital zuzuführen. Im Rahmen dieser Finanzierungsfreiheit besteht auch keine Verpflichtung, eine GmbH von vornherein mit einem höheren Stammkapital auszustatten oder eine (sonstige) Zuzahlung in die Kapitalrücklage zu leisten, die als verdeckte Einlage anteilig zu nachträglichen Anschaffungskosten bei sämtlichen Anteilen führt.
Im Streitfall hatte der mit der Zahlung des Aufgelds verbundene Erwerb des Geschäftsanteils Nr. 25.001 vielmehr den Zweck, der GmbH Finanzmittel zukommen zu lassen. Der Erwerb war also nicht unangemessen und diente nicht ausschließlich dem Zweck der Steuerminderung, sondern auch der Ausstattung der GmbH mit Finanzmitteln. Dabei kommt es nicht darauf an, ob A als Alleingesellschafterin der GmbH die Finanzmittel in Form eines Darlehens, als Aufgeld im Rahmen einer Kapitalerhöhung oder als freiwillige Zahlung in die Kapitalrücklage zuführte.

Als unerheblich abgewiesen hat der BFH schließlich den Einwand des FA, die Veräußerung von insgesamt 5 % der Geschäftsanteile an den Ehemann der Klägerin habe keinen wirtschaftlichen Grund gehabt. Die Veräußerung von Anteilen zu fremdüblichen Bedingungen bedarf nämlich keines wirtschaftlichen Grundes.

5. Verteilungsgebot nach § 17 Abs. 2a S. 5 EStG

Nach Einführung der in § 17 Abs. 2a S. 5 EStG normierten Missbrauchsbekämpfungsregelung in Form eines Verteilungsgebots führt das vom BFH mit Urteil vom 3.5.23 anerkannte Gestaltungsmodell der Überpari-Emission bei Anteilen i. S. v. § 17 EStG nicht mehr zu dem gewünschten Ergebnis. Denn danach sind Einzahlungen des Steuerpflichtigen in das Kapital der Gesellschaft über den Nennbetrag seiner Anteile hinaus bei der Ermittlung der Anschaffungskosten gleichmäßig auf seine gesamten Anteile einschließlich seiner im Rahmen von Kapitalerhöhungen erhaltenen neuen Anteile aufzuteilen. Das Verteilungsgebot gilt auch dann, wenn die Einzahlungen zivilrechtlich ausdrücklich nur auf einen Teil der Anteile des Anteilseigners geleistet werden (vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf, BT-Drs. 19/13436 v. 23.9.19, 111).

Nach § 17 Abs. 2a S. 5 EStG sind die Einzahlungen des Steuerpflichtigen bei der Ermittlung der Anschaffungskosten „gleichmäßig“ auf seine gesamten Anteile zu verteilen. Dies wird nach herrschender Ansicht im Schrifttum im Sinne einer verhältnismäßigen Aufteilung verstanden, wobei sich der Aufteilungsmaßstab aus dem Verhältnis der einzelnen Anteilsnennwerte zum Gesamtnennwert ergibt (vgl. z. B. Ott, DStR 20, 313; Jachmann-Michel, BB 23, 2967; Pitzal/Thor, DStR 22, 1401). Die Wirkungsweise zeigt das folgende Beispiel:

Beispiel

Bei der X-GmbH, an der A einen Altanteil im Nennbetrag von 10.000 EUR und mit gleich hohen Anschaffungskosten hält, wird eine Kapitalerhöhung vorgenommen. Im Rahmen der Kapitalerhöhung wird für A ein neuer Anteil im Nennbetrag von 5.000 EUR geschaffen. Neben der Einzahlung von 5.000 EUR hat A auf den neuen Anteil ein Aufgeld i. H. v. 60.000 EUR zu leisten.
Nach der gleichmäßigen bzw. verhältnismäßigen Aufteilung wird das Aufgeld von 60.000 EUR mit 10/15 = 40.000 EUR dem Altanteil und mit 5/15 = 20.000 EUR dem neuen Anteil zugeordnet. Die Anschaffungskosten des neuen Anteils betragen damit insgesamt 25.000 EUR, während sich die Anschaffungskosten des Altanteils auf insgesamt 50.000 EUR erhöhen.

Bis zur Einführung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG wäre das Aufgeld nur dem neuen Geschäftsanteil zuzuordnen gewesen, dessen Anschaffungskosten sich damit auf 65.000 EUR (5.000 EUR zzgl. Aufgeld von 60.000 EUR) belaufen hätten.

Beachten Sie | Es empfiehlt sich, die jeweils den Alt- und Neuanteilen zuzuordnenden Anschaffungskosten sorgfältig zu dokumentieren, damit sie z. B. bei einer späteren Anteilsveräußerung zwecks Ermittlung des zutreffenden Veräußerungsgewinns oder -verlusts berücksichtigt werden.

Im oben skizzierten Urteilsfall hätte – bei unterstellter Geltung des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG – die Zahlung des Aufgelds von 500.000 EUR mit 25.000/26.000 = ca. 480.769 EUR insgesamt den Altanteilen (Nr. 1 bis 25.000) sowie mit 1.000/26.000 = ca. 19.231 EUR dem neuen Anteil Nr. 25.001 zugeordnet werden müssen. Bei einem Verkehrswert der GmbH von insgesamt 526.000 EUR (Stammkapital von 26.000 EUR zzgl. Aufgeld von 500.000 EUR) hätte sich bei der Veräußerung von insgesamt 5 % der Anteile (Geschäftsanteile Nr. 24.701 bis 25.000 sowie des neuen Geschäftsanteils Nr. 25.001) zum Preis von 26.300 EUR (5 % von 526.000 EUR) ein ausgeglichenes Veräußerungsergebnis wie folgt ergeben:

Ermittlung des Veräußerungsgewinns
Veräußerungspreis
26.300 EUR
abzgl. Anschaffungskosten
Geschäftsanteile 24.701 bis 25.000
300 EUR
anteiliges Aufgeld 300/25.000 von 480.769 EUR
5.769 EUR
Geschäftsanteil 25.001
1.000 EUR
anteiliges Aufgeld für Geschäftsanteil 25.001
19.231 EUR– 26.300 EUR
Veräußerungsgewinn bzw. -verlust
0 EUR

Die verhältnismäßig den Altanteilen zuzuordnende Zahlung des Aufgelds i. H. v. 480.769 EUR bewirkt bei diesen eine entsprechende Erhöhung der Anschaffungskosten und kann erst berücksichtigt werden, soweit im Hinblick auf die Altanteile ein Realisationstatbestand i. S. v. § 17 Abs. 1, 4 oder 5 EStG nach dem 31.7.19 verwirklicht wird.

6. Zeitliche Anwendung des Verteilungsgebots

Nach § 52 Abs. 25a S. 1 EStG ist § 17 Abs. 2a S. 5 EStG erstmals für Veräußerungen i. S. v. § 17 Abs. 1, 4 oder 5 EStG nach dem 31.7.19 anzuwenden. Daher brauchte sich der BFH in seinem Urteil zum Streitjahr 2015 nicht dazu zu äußern, ob auch bereits bis zum 31.7.19 geleistete Einzahlungen vom Verteilungsgebot erfasst werden. Hierzu wird die Ansicht vertreten, das Verteilungsgebot sei erst für nach dem 31.7.19 geleistete Einzahlungen anzuwenden. Anderenfalls bestehe die Gefahr einer Doppel- oder Nichterfassung von Anschaffungskosten (vgl. dazu Pitzal/Thor, DStR 22, 1401).

Andererseits sind die Anteilsanschaffungskosten – unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Entstehung – erst bei der Veräußerung der Anteile oder bei der Liquidation der GmbH zu berücksichtigen. Daher könnte das Verteilungsgebot auch bereits bis zum 31.7.19 geleistete Einzahlungen erfassen, wenn ein Veräußerungstatbestand i. S. v. § 17 EStG erst nach diesem Zeitpunkt realisiert wird. Denn die vom Veräußerungspreis abzuziehenden Anschaffungskosten haben die Funktion, den steuerlich zutreffenden Veräußerungsgewinn bzw. -verlust zu ermitteln. So erfolgt z. B. auch die Berücksichtigung ausgefallener Gesellschafterdarlehen als nachträgliche Anschaffungskosten nach § 17 Abs. 2a S. 3 Nr. 2 EStG unabhängig vom Zeitpunkt der Darlehensgewährung.

Wurden Anteile bereits vor der erstmaligen Anwendung von § 17 Abs. 2a EStG (also bis zum 31.7.19) veräußert, war ein früher geleistetes Aufgeld anteilsbezogen zuzuordnen und wurde bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinns oder -verlusts entsprechend berücksichtigt. Erfolgt die Anteilsveräußerung dagegen erst nach dem 31.7.19, greift das gleichmäßige Verteilungsgebot des § 17 Abs. 2a S. 5 EStG. Soweit durch ein Aufgeld erhöhte Anschaffungskosten eines Anteils bereits bei einer Veräußerung vor dem 31.7.19 vom Kaufpreis abgezogen wurden, können diese bei einer Veräußerung nach diesem Zeitpunkt nicht noch ein weiteres Mal berücksichtigt werden. Die Gefahr einer Doppel- oder Nichterfassung besteht somit nicht. Solange zu dieser Frage keine eindeutige Rechtsprechung vorliegt, wäre eine gesetzliche Klarstellung in § 17 Abs. 2a S. 5 EStG oder zumindest eine Stellungnahme der Finanzverwaltung zu begrüßen.

Merke | Obwohl der Gesetzeswortlaut von geleisteten „Einzahlungen“ spricht, werden von § 17 Abs. 2a S. 5 EStG nicht nur effektive Zahlungsvorgänge in Geld erfasst, sondern auch z. B. ein Aufgeld durch Sacheinlagen oder durch Verzicht auf werthaltige Forderungen. Dies bestätigt auch das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 6.2.23 (10 K 1285/20, EFG 23, 844, Rev. BFH: IV 12/23), in dem ein Aufgeld durch Einlage einer Darlehensforderung als Einzahlung gewertet und als Anschaffungskosten dem neu geschaffenen Anteil zugeordnet wurde.

7. Kein Verteilungsgebot bei Anteilen im Betriebsvermögen

Das in § 17 Abs. 2a S. 5 EStG normierte Verteilungsgebot gilt – zumindest bisher – nur für Anteile im Privatvermögen. Daraus folgt, dass bei Anteilen im Betriebsvermögen oder im Sonder-BV ein Aufgeld im Rahmen einer Kapitalerhöhung weiterhin nur den hierdurch geschaffenen neuen Anteilen zuzuordnen ist (so BFH 7.5.09, I R 53/08, BFH/NV 10, 375). Solange der Gesetzgeber keine gesetzliche Änderung vornimmt, kann das Gestaltungsmodell der gezielten Verlustrealisierung bei Anteilen im Betriebsvermögen weiterhin umgesetzt werden und dürfte auch nicht zu einem Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO führen. Werden Anteile i. S. v. § 17 EStG vor einer verlustrealisierenden Veräußerung z. B. im Wege der Einlage in das Betriebsvermögen überführt oder übertragen, erfolgt die Einlagebewertung nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 S. 1 Buchst. b EStG höchstens mit den historischen Anschaffungskosten.

Merke | Bei der Übertragung von Anteilen in das Betriebsvermögen einer Personengesellschaft (z. B. eine GmbH & Co. KG) sollte die Einlage aus dem Privatvermögen als Buchung auf dem Kapitalkonto II oder dem gesamthänderisch gebundenen Rücklagekonto vorgenommen werden. Denn bei einer Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten (Buchung auf dem Festkapitalkonto I) liegt eine gewinnrealisierende Veräußerung i. S. d. § 17 EStG mit Auflösung etwaiger stiller Reserven vor.
Dies gilt auch bei einer im Privatvermögen gehaltenen 100%igen Kapitalgesellschaftsbeteiligung. Denn ein fiktiver Teilbetrieb, der mit Buchwertfortführung nach § 24 UmwStG übertragen werden kann, liegt nach Rn. 24.02 UmwSt-Erlass nur bei einer 100%igen Beteiligung vor, die im Betriebsvermögen gehalten wird. Wird nach der Einlage von Anteilen in das Betriebsvermögen einer GmbH & Co. KG gezielt eine verlustrealisierende Veräußerung nach erfolgter Kapitalerhöhung mit Aufgeld durchgeführt, ist ggf. die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 15a EStG zu beachten.

Derzeit ist weiterhin ungeklärt, ob und inwieweit § 17 Abs. 2a S. 5 EStG anzuwenden ist, wenn die Anteile eines Gesellschafters teils im Privatvermögen und teils im Betriebsvermögen gehalten werden.

Beispiel

Die Anteile an der X-GmbH werden i. H. v. 50 % unmittelbar von A im Privatvermögen gehalten, während die anderen 50 % im Betriebsvermögen einer Holding-GmbH bzw. einer Holding-GmbH & Co. KG gehalten werden, deren alleiniger Anteilseigner wiederum A ist. Bei der X-GmbH erfolgt eine Kapitalerhöhung, und die neuen Geschäftsanteile werden dem A zugeordnet, der neben dem Nennwert ein Aufgeld zahlt.
Lösungsmöglichkeiten: Soweit die im Rahmen der Kapitalerhöhung neu geschaffenen Anteile dem Privatvermögen des A zugeordnet werden, kann das gleichmäßige Verteilungsgebot nach § 17 Abs. 2a S. 5 EStG für das Aufgeld nicht zur Anwendung kommen, weil für die dann erforderliche anteilige Zuordnung des Aufgeldes zu den im Betriebsvermögen der Holding-GmbH bzw. der Holding-GmbH & Co. KG gehaltenen Anteilen keine Rechtsgrundlage existiert. Werden die neu geschaffenen Anteile zum Betriebsvermögen der Holding-GmbH bzw. Holding-GmbH & Co. KG zugeordnet, scheidet die gleichmäßige Verteilung des Aufgeldes nach § 17 Abs. 2a S. 5 EStG – mangels einer Rechtsgrundlage und vorbehaltlich einer entsprechenden Gesetzesänderung – bereits von vornherein aus.

Auch hierzu wäre eine Klarstellung für die praktische Anwendung entweder durch den Gesetzgeber oder die Finanzverwaltung wünschenswert.

Fazit | Nach dem BFH-Urteil vom 3.5.23 ist bei einer verlustrealisierenden Veräußerung von Anteilen i. S. v. § 17 EStG die Gewinnerzielungsabsicht beteiligungsbezogen zu prüfen, während der Gewinn oder Verlust aus der Anteilsveräußerung anteilsbezogen ermittelt wird. Jedenfalls für Veräußerungen bis zum 31.7.19 erhöht das für einen im Rahmen einer Kapitalerhöhung erworbenen neuen Geschäftsanteil gezahlte Aufgeld die Anschaffungskosten dieses Anteils auch bei einer sog. Überpari-Emission. Ein hierdurch gezielt herbeigeführter Veräußerungsverlust ist auch nicht ohne Weiteres rechtmissbräuchlich i. S. d. § 42 AO. Seit Einführung des Verteilungsgebots nach § 17 Abs. 2a S. 5 EStG führt das zuvor praktizierte Gestaltungsmodell bei einer Überpari-Emission – jedenfalls bei Anteilen i. S. v. § 17 EStG – wegen der gleichmäßigen Verteilung des Aufgeldes auf die gesamten Anschaffungskosten nicht mehr zu einer gezielten Verlustrealisierung. Solange keine entsprechende Gesetzesänderung erfolgt, kann das Gestaltungsmodell bei Anteilen im Betriebsvermögen weiterhin zum Einsatz kommen.

AUSGABE: GStB 4/2024, S. 144 · ID: 49867885

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