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UmsatzsteuerPositives Urteil zum Vorsteuerabzug aus der Erschließung eines Gewerbegebietes
. 238152
| Einem Unternehmen steht der Vorsteuerabzug aus der im Rahmen eines städtebaulichen Vertrages übernommenen Erschließung eines Gewerbegebietes zu. Dies gilt auch dann, wenn die Leistungen der Allgemeinheit zugutekommen (FG Münster 29.8.23, 15 K 871/22 U, rkr., Abruf-Nr. 238152). |
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, an der eine Stadt zu 85 % und eine Bank zu 15 % beteiligt sind. Ihr Zweck besteht darin, in der betreffenden Stadt neue Gewerbegebiete zu erschließen und deren Baureife herzustellen. Hierzu brachte die Stadt in ihrem Eigentum stehende Grundstücke in die GmbH unter der Bedingung ein, dass diese die Grundstücke als Gewerbeflächen erschließt. In einem im Jahr 2010 abgeschlossenen städtebaulichen Vertrag übertrug die Stadt die Erschließung des Baugebiets nach § 124 BauGB auf die Klägerin. Nach der Erschließung veräußerte die Klägerin die Grundstücke an verschiedene Unternehmer, wobei sie zur Umsatzsteuerpflicht optierte.
Das FA versagte der Klägerin den Vorsteuerabzug für die in den Streitjahren 2014 bis 2016 hergestellten Erschließungsanlagen (insbesondere Straßen und Entwässerungsanlagen), da diese durch die öffentliche Widmung unentgeltlich auf die Stadt übertragen worden seien. Ein wirtschaftlicher Zusammenhang mit den Grundstücksverkäufen bestehe insoweit nicht. Anderenfalls läge eine Wettbewerbsverzerrung vor, da die Stadt die Grundstücke auch selbst hätte erschließen und veräußern können, ohne einen Vorsteuerabzug zu bekommen. Die Klägerin machte demgegenüber geltend, dass die Herstellung der Erschließungsanlagen mit den steuerpflichtigen Grundstücksveräußerungen zusammenhinge, weil die Veräußerungen ohne die Erschließung nicht möglich gewesen wären. Ihre Klage war erfolgreich.
Entscheidungsgründe
Für den Vorsteuerabzug muss ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung bestehen. Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird zugunsten des Steuerpflichtigen allerdings auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und als solche Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen.
Der EuGH hat entschieden, dass ein Steuerpflichtiger ein Recht auf Abzug der Vorsteuer für die zugunsten einer Gemeinde durchgeführten Arbeiten zum Ausbau einer Gemeindestraße hat, wenn diese Straße sowohl von diesem Steuerpflichtigen im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit als auch von der Öffentlichkeit benutzt wird. Dies gilt allerdings nur, soweit diese Ausbauarbeiten nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um diesem Steuerpflichtigen die Ausübung seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu ermöglichen, und soweit diese Kosten im Preis der von diesem Steuerpflichtigen getätigten Ausgangsumsätze enthalten sind (EuGH 16.9.20, C-528/19, Rs. Mitteldeutsche Hartstein-Industrie).
Das Gleiche muss für den Fall gelten, dass die Erschließung eines Gewerbegebietes für die wirtschaftliche Tätigkeit eines Steuerpflichtigen unerlässlich ist. Ob eine Gemeinde anstelle eines Unternehmens bzw. Marktteilnehmers die Erschließung selbst hätte durchführen können, ist irrelevant.
Die Kosten der erhaltenen Eingangsleistungen (hier: Kosten der Erschließung) gehen als Kostenelemente in die steuerpflichtigen Ausgangsumsätze ein, wenn sie den Verkaufspreis beeinflussen (hier: die Quadratmeterpreise beim Verkauf der Grundstücke).
Dem Vorsteuerabzug steht auch nicht entgegen, wenn das Ergebnis der Erschließungsmaßnahmen (hier: insbesondere die Straßen) der Öffentlichkeit kostenlos zur Verfügung steht. Mit der unentgeltlichen Übertragung von Erschließungsmaßnahmen liegt keine unentgeltliche Zuwendung i. S. d. § 3 Abs. 1b S. 1 Nr. 3 UStG oder § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG vor. Voraussetzung ist aber, dass der Vorteil eines Dritten – hier der Allgemeinheit – lediglich nebensächlich ist. Kommen Erschließungsmaßnahmen nicht nur nebensächlich der Allgemeinheit zugute, kann eine unentgeltliche Wertabgabe zu versteuern bzw. hilfsweise eine Reduzierung des Vorsteuerabzugs erforderlich sein.
Relevanz für die Praxis
Das FG hat der Klage stattgegeben. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Vorsteuerabzug aus den Kosten der Erschließungsanlagen, da sie diese für umsatzsteuerpflichtige Leistungen verwendet habe. Sie habe die Durchführung der Erschließung als Gegenleistung für die Übertragung der Grundstücke von der Stadt im Rahmen eines tauschähnlichen Umsatzes erbracht. Hierfür komme es nicht darauf an, dass nach den schriftlichen Verträgen keine Gegenleistung vereinbart worden sei. Abzustellen sei vielmehr auf den materiellen Gehalt der eingegangenen Verpflichtungen. Danach habe sich die Klägerin verpflichtet, die Erschließung des Baugebiets durchzuführen. Zwischen dieser Auflage und der Grundstücksübertragung von der Stadt habe ein unmittelbarer Zusammenhang bestanden. In welcher Höhe dieser tauschähnliche Umsatz aufseiten der Klägerin Umsatzsteuer ausgelöst hat, ließ das FG offen, da die Grundstücksübertragung bereits im Jahr 2010 und damit außerhalb der Streitjahre erfolgt sei.
Selbst wenn man nicht von einem tauschähnlichen Umsatz ausginge, sei jedenfalls im Hinblick auf einen Großteil der Kosten ein Vorsteuerabzug zu gewähren, weil diese als allgemeine Kostenelemente ihrer umsatzsteuerpflichtig an die Gewerbetreibenden gelieferten Grundstücke anzusehen seien.
Das Besprechungsurteil liegt auf einer Linie mit weiteren Urteilen der jüngeren Vergangenheit, in denen das unternehmerische Interesse an dem Bezug von Eingangsleistungen höher gewichtet wurde als die Tatsache, dass eine Leistung – auch – einer vermeintlich unentgeltlichen Wertabgabe dient. Neben der erwähnten EuGH-Entscheidung „Mitteldeutsche Hartstein-Industrie“ sind es beispielsweise die BFH-Urteile
- vom 7.12.22 (XI R 16/21 zum Vorsteuerabzug aus Reparaturkosten für Hausdach in Zusammenhang mit einer PV-Anlage),
- vom 30.6.22 (V R 32/20 zum Vorsteuerabzug in Zusammenhang mit Leistungen eines beabsichtigten Personalabbaus) und
- vom 6.6.19 (V R 18/18 zum Vorsteuerabzug aus übernommenen Umzugskosten der Arbeitnehmer).
Das FA hat auf eine Revision gegen das aktuelle Urteil verzichtet, obwohl diese zugelassen wurde. Insofern kann zumindest die Rechtsprechung für gleichartige Fälle als gesichert gelten. Das BMF hat jedoch aktuell mit Schreiben vom 24.1.24 (III C 2 – S 7109/19/10004 :001) sehr restriktiv auf das EuGH-Urteil „Mitteldeutsche Hartstein-Industrie“ reagiert. Es hat zwar die Abschnitte 3.2, 3.3 und insbesondere 15.2b UStAE geändert, das EuGH-Urteil aber äußerst eng ausgelegt, sodass zuweilen gar von einem „Nichtanwendungserlass“ gesprochen wird (so Küffner, KMLZ-Newsletter 7/2024).
Beachten Sie | Das BMF will zwar den Vorsteuerabzug auch gewähren, wenn der Bezug einer Eingangsleistung unerlässlich ist. Bezüglich der „Nebensächlichkeit“ von gewissen Leistungen legt es aber einen strengen Maßstab an, der wohl über den des EuGH und des FG Münster hinausgeht. Beispielsweise seien eine Begrünung oder ein freiwillig erbauter Fahrradweg keine „unerlässlichen“ Maßnahmen, sodass der Vorsteuerabzug insoweit zu kürzen wäre. Das Thema „Vorsteuerabzug aus Erschließungsmaßnahmen“ wird daher für weiteren Streit sorgen.
AUSGABE: GStB 4/2024, S. 120 · ID: 49904612