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GutachtenDie Bestimmung der Höhe von Pflichtteilsergänzungsansprüchen
| Mit den Regelungen über den Pflichtteilsergänzungsanspruch will der Gesetzgeber verhindern, dass der Erblasser durch Verfügungen über sein Vermögen zu Lebzeiten seinen Nachlass schmälert und damit das Pflichtteilsrecht seiner nächsten Angehörigen aushöhlt (BGH NJW 04, 1382). Dieser Beitrag stellt die Grundsätze der Bestimmung bzw. Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs dar. |
1. Allgemeines
Hat der Erblasser einem Dritten in dem maßgeblichen Zeitraum, der in § 2325 Abs. 3 BGB festgelegt ist, eine Schenkung gemacht, wird der verschenkte Gegenstand mit seinem gem. § 2325 Abs. 2 BGB zu bestimmenden Wert dem am Todestag des Erblassers vorhandenen Nachlass hinzugerechnet. Ergibt sich dadurch eine Erhöhung des Pflichtteils, kann der Pflichtteilsberechtigte den Erhöhungsbetrag als Ergänzung des Pflichtteils verlangen. § 2325 Abs. 2 BGB regelt, wie der verschenkte Gegenstand zu bewerten ist.
2. Die Art der Berechnung
a) Allgemeines
Die Berechnung geht davon aus, als ob der verschenkte Gegenstand noch als Aktivbestand im Nachlass vorhanden wäre. Hinzugerechnet wird nicht etwa die Bereicherung des Beschenkten, sondern der Wert des verschenkten Gegenstandes, weshalb ein Abzug etwaiger durch den Schenkungsvorgang entstandener Kosten nicht stattfindet.
Die Berechnung des Ergänzungspflichtteils geschieht in fünf Schritten (vgl. Staudinger/Herzog, BGB, [2021] § 2325 Rn. 228):
- Feststellung des ordentlichen Pflichtteils;
- Bildung des fiktiven Ergänzungsnachlasses durch Zurechnung sämtlicher Schenkungen zum realen Nettonachlass;
- Bildung des fiktiven Ergänzungserbteiles aufgrund der gesetzlichen Erbquote des Ergänzungsberechtigten;
- Bildung des fiktiven Gesamtergänzungspflichtteils durch Halbierung des fiktiven Ergänzungserbteils;
- Feststellung des Ergänzungsbetrages durch Subtraktion des ordentlichen Pflichtteils vom Ergänzungspflichtteil.
Die Ergänzung wird durch die Differenz zwischen dem ordentlichen Pflichtteil und dem durch fiktive Hinzurechnung der Schenkung festgestellten Pflichtteil gebildet. Dieser Geldbetrag steht dem Pflichtteilsberechtigten zu.
b) Bewertungsgrundsätze
Es gelten zunächst die gleichen Grundsätze wie bei der Ermittlung des Nachlasses zur Bestimmung des ordentlichen Pflichtteils. Grundsätzlich ist auch hier der Verkehrswert (gemeine Wert) anzusetzen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Aufl., 2024, § 2325 Rn. 18). Für ein übergebenes Landgut ist nach § 2312 BGB der Ertragswert anzusetzen.
Im Unterschied zum ordentlichen Pflichtteil, bei dem der maßgebliche Zeitpunkt für die Wertbestimmung der Erbfall ist (§ 2311 Abs. 1 S. 1 BGB), stellt das Gesetz für die Pflichtteilsergänzung für die Bestimmung des als Wert des verschenkten Gegenstandes zum Nachlass hinzuzurechnenden Betrages besondere Regeln auf und unterscheidet danach,
- ob der Gegenstand der Schenkung eine verbrauchbare oder
- nicht verbrauchbare Sache ist.
aa) Verbrauchbare Sachen
Verbrauchbare Sachen, wie z. B. Geld und Wertpapiere, kommen mit dem Wert in Ansatz, den sie zum Zeitpunkt der Schenkung hatten, wobei es nicht darauf ankommt, ob sie in der Zwischenzeit verbraucht oder sonst vernichtet oder entwertet wurden. Auf den Erlass einer Geldforderung ist § 2325 Abs. 2 S. 1 BGB entsprechend anzuwenden (Grüneberg/Weidlich a. a. O.).
bb) Nicht verbrauchbare Sachen
Nicht verbrauchbare Sachen, wie z. B. Grundstücke, kommen nach § 2325 Abs. 2 S. 2 Hs. 1 BGB mit dem Wert in Ansatz, den sie zur Zeit des Erbfalls haben. Hatte der zu bewertende Gegenstand jedoch zum Zeitpunkt der Schenkung einen geringeren Wert, was der Erbe darzulegen hat und ggf. beweisen muss, ist dieser Wert maßgeblich (§ 2325 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 BGB; sog. Niederstwertprinzip).
cc) Berücksichtigung des Kaufkraftschwundes
Nach der Rechtsprechung des BGH ist der Kaufkraftschwund bei den Schenkungen generell zu berücksichtigen (BGH ZEV 96, 186).
Die Berücksichtigung erfolgt dadurch, dass der Wert der Zuwendung im Zeitpunkt ihrer Vornahme mit dem Verbraucherpreisindex im Zeitpunkt des Erbfalls multipliziert und dann durch die Indexzahl im Zeitpunkt der Zuwendung geteilt wird. Der sich daraus ergebende Betrag ist mit dem Wert des Gegenstandes zum Zeitpunkt des Erbfalls zu vergleichen.
3. Beteiligte des Pflichtteilsergänzungsanspruchs
a) Gläubiger, Schuldner und Inhalt des Anspruchs
Berechtigt, den Anspruch geltend zu machen, sind Pflichtteilsberechtigte. Gleichwohl ist der Anspruch unabhängig vom sog. ordentlichen Pflichtteilsanspruch und kann auch bestehen, wenn ein ordentlicher Pflichtteilsanspruch nicht besteht. Verpflichtet (Schuldner) sind vorrangig die Erben. Gegenstand des Geldanspruchs ist die Zahlung desjenigen Betrages, um den sich der ordentliche Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand dem Nachlass hinzugerechnet wird.
Anders als die Gutachten betreffend die Testierfähigkeit und die Beurteilung, ob eine Fälschung vorliegt (Schriftgutachten), ist der Pflichtteilsanspruch stets und ausschließlich vor dem Prozessgericht geltend zu machen. Hat der Pflichtteilsberechtigte bereits Kenntnis vom Wert des Nachlassbestands, insbesondere auch über den Wert der Gegenstände des Nachlasses, ist die Einholung eines Gutachtens nicht erforderlich und der Pflichtteilsberechtigte kann sogleich auf Zahlung eines bestimmten Geldbetrages klagen.
b) Örtliche und sachliche Zuständigkeit
Im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit des Prozessgerichts ist die Bestimmung des § 27 ZPO – besonderer Gerichtsstand der Erbschaft – zu beachten. Diese Vorschrift bestimmt keinen ausschließlichen Wahlgerichtsstand im Sinne von § 35 ZPO und knüpft an den allgemeinen Gerichtsstand des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes an. Die Klage kann auch beim Wohnsitzgericht des Beklagten, §§ 12, 13 ZPO, erhoben werden. Die sachliche Zuständigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln, meist also nach den §§ 71 Abs. 1, 23 Nr. 1 GVG. Für die Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts sind die Vorschriften der §§ 2 ff. ZPO maßgebend.
c) Beweislast
Hinsichtlich der Beweislast muss der Pflichtteilsberechtigte die Zugehörigkeit des Gegenstands zum fiktiven Nachlass, die Schenkung (Unentgeltlichkeit) und den von ihm behaupteten Wert des verschenkten Gegenstands in den nach § 2325 Abs. 2 S. 1 und S. 2 Hs. 1 BGB maßgeblichen Zeitpunkten beweisen (Grüneberg/Weidlich, BGB, 83. Aufl. 2024 § 2325 Rn. 30). Beweisschwierigkeiten hat die Rechtsprechung berücksichtigt, indem der Anspruchsgegner die Tatsachen für die Gegenleistung durch substanziiertes Bestreiten vorzutragen hat. Bei auffallend grobem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung spricht eine Vermutung für die Einigung über die Unentgeltlichkeit (Grüneberg/Weidlich a. a. O.).
4. Bewertung durch einen Gutachter
Zu bewerten sind lediglich die Schenkungen betreffend der unverbrauchbaren Gegenstände. Liegt kein zeitnaher Verkauf vor, ist ein Verkehrswert nicht festzustellen, sondern der Wert durch einen Sachverständigen zu ermitteln. Es gelten hier die gleichen Grundsätze wie bei der Bewertung von Gegenständen zur Ermittlung der Höhe des Pflichtteilsanspruchs. Es wird insoweit auf den Beitrag in EE 25, 50 Bezug genommen, auch bezüglich der Checkliste betreffend die Einwendungen gegen ein erstattetes Gutachten. Die Besonderheit ist, dass hier zwei Werte ermittelt werden müssen, der Wert zum Zeitpunkt des Vollzugs der Schenkung und der Wert des Gegenstandes zum Zeitpunkt des Erbfalls. Darauf hat der bestellte Sachverständige zu achten.
5. Beispielsfälle zur Berechnung
Sind mehrere Pflichtteilsberechtigte vorhanden, ist für jeden der Pflichtteilsberechtigten eine gesonderte Berechnung erforderlich, bei der alle Schenkungen zu berücksichtigen sind, die im Verhältnis zu dem jeweiligen Pflichtteilsberechtigten ergänzungspflichtig sind.
Beispiel 1: Ausführliche Berechnung |
A und B sind die alleinigen gesetzlichen Erben des am 8.10.24 an seinem letzten gewöhnlichen Aufenthalt verstorbenen verwitweten Vaters der Parteien. Durch eigenhändiges Testament hat der Vater den B als seinen alleinigen Erben bestimmt und den A auf den Pflichtteil gesetzt. B hat die Erbschaft angenommen. B hat Auskunft über den Bestand des Nachlasses erteilt und einen Nachlasswert von 800.000 EUR ermittelt. Den daraus resultierenden Pflichtteilsbetrag i. H. v. 200.000 EUR hat B an A gezahlt. Nicht berücksichtigt wurde bei der Pflichtteilsberechnung, dass der Erblasser seinem Skatbruder S durch notariellen Schenkungsvertrag ein Grundstück im Wert von 400.000 EUR geschenkt hat. Die Eigentumsänderung wurde am 5.11.19 in das Grundbuch eingetragen. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des A errechnet sich wie folgt:
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des A beträgt damit 100.000 EUR. Da die Eintragung des Eigentums am Grundstück zum 5.11.19 – Fristbeginn bei Grundstücksschenkung (BGH NJW 11, 3082) – im fünften Jahr vor dem Tod des Erblassers stattfand, steht dem A nach § 2315 Abs. 3 BGB ein Anspruch i. H. v. 6/10 zu, das sind 60.000 EUR von dem vollen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 100.000 EUR. |
Beispiel 2: Ausführliche Berechnung |
Ausgangssachverhalt wie in Beispiel 1 Absatz 1. B hat Auskunft über den Bestand des Nachlasses erteilt und einen Nachlasswert von 100.000 EUR ermittelt. Den daraus resultierenden Pflichtteilsbetrag i. H. v. 25.000 EUR hat B an A gezahlt. Nicht berücksichtigt wurde bei der Pflichtteilsberechnung, dass der Erblasser seiner Lebensgefährtin am 7.11.22 einen Betrag von 40.000 EUR (indexiert) geschenkt hat. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des A errechnet sich wie folgt:
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch des A beträgt damit 10.000 EUR. Da die Schenkung im zweiten Jahr vor dem Tod des Erblassers vollzogen wurde, steht dem A nach § 2315 Abs. 3 BGB ein Anspruch i. H. v. 9/10 zu, das sind 9.000 EUR von dem vollen Pflichtteilsergänzungsanspruch in Höhe von 10.000 EUR. |
Beispiel 3: Verkürzte Berechnung |
Bei einer verkürzten Berechnung wird der Schenkungswert mit der Pflichtteilsquote multipliziert (vgl. Blum FF 04, 111–113; Staudinger/Herzog (2021), BGB, § 2325 Rn. 229, 230). Diese Berechnung sieht im Beispiel 1 wie folgt aus: 400.000 EUR × 1/4 = 100.000 EUR (ohne Abschmelzung nach § 2325 Abs. 3 BGB). |
AUSGABE: EE 4/2025, S. 69 · ID: 50294278