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Privates VeräußerungsgeschäftTeilentgeltliche Immobilienübertragung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge
| Gestaltungen durch teilweise oder unentgeltliche Immobilienübertragung sind gerade i. R. d. Unternehmens- bzw. Erbnachfolge praxisrelevant. Hierbei hat die Finanzrechtsprechung in einem aktuellen Fall entschieden, dass teilentgeltliche Übertragungen von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unterhalb der historischen Anschaffungskosten keine tatbestandlichen Veräußerungen nach § 23 EStG darstellen. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Der Kläger hatte 2014 ein bebautes Grundstück erworben und anschließend (weiter) vermietet. Er erzielte insoweit Vermietungseinkünfte. Einen Teil des Erwerbs hatte er durch ein Bankdarlehen finanziert. Anfang 2019 übertrug der Kläger diese Immobilie im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seine Tochter. Das Bankdarlehen valutierte noch. Die Tochter übernahm diese Verpflichtung im Rahmen der Übertragung und finanzierte diese anderweitig. Beim Notar gaben die Vertragsparteien den aktuellen Verkehrswert der Immobilie an.
Im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung berücksichtigte das Finanzamt diesen Vorgang als nach § 23 EStG steuerpflichtiges „privates Veräußerungsgeschäft“. Die Übertragung sei in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Vorgang aufzuteilen. Maßstab für die Aufteilung sei dabei der Verkehrswert der Immobilie im Zeitpunkt der Übertragung im Verhältnis zu den übernommenen Verbindlichkeiten. Abziehbar seien dann nur die anteiligen Anschaffungskosten auf den entgeltlichen Teil. Insgesamt habe der Kläger durch die teilweise schenkweise Übertragung an die Tochter einen Veräußerungsgewinn erzielt. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Entscheidungsgründe
Abruf-Nr. 243483
Das FG Niedersachsen (29.5.24, 3 K 36/24, Abruf-Nr. 243483) hält die Klage für begründet (Revision beim BFH anhängig: IX R 17/24).
Kein privates Veräußerungsgeschäft bei teilentgeltlicher Übertragung unterhalb der Anschaffungskosten
Teilentgeltliche Übertragungen von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge sind unterhalb der historischen Anschaffungskosten keine tatbestandlichen Veräußerungen i. S. d. § 23 EStG, so die Ansicht des Gerichts.
Es entspricht bereits der Rechtsprechung des BFH, dass die gänzlich unentgeltliche Übertragung einer Immobilie – also ohne Übernahme von darauf lastenden Verbindlichkeiten – im Wege der vorweggenommenen Erbfolge nicht den Tatbestand des § 23 EStG erfüllt (BFH 23.4.21, IX R 8/20, BStBl. II 2021, S. 743). Die Weiterveräußerung unterfalle dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 S. 3 EStG und stelle daher ungeachtet einer zeitlichen Nähe zwischen der Übertragung und einer Weiterveräußerung grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i. S. d. § 42 AO dar. Andererseits hat der BFH entschieden, dass eine solche Übertragung mit der Übernahme von Verbindlichkeiten dazu führt, dass der Erwerber hinsichtlich dieser Übernahme von Verbindlichkeiten Anschaffungskosten zu tragen habe (BFH 5.7.90, GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, S. 847). Demgemäß sei auch bei der Veräußerung eines Betriebes die Übernahme von Verbindlichkeiten durch den Erwerber zum Veräußerungsentgelt gezählt worden (BFH 15.2.57, VI 150/55 U, BStBl. III 1957, S. 134; BFH 17.1.89, VIII R 370/83, BStBl. II 1989, S. 563).
Hiervon sei im Grundsatz ebenfalls auszugehen, wenn ein Wirtschaftsgut unentgeltlich, jedoch unter Übernahme der auf ihm lastenden Verbindlichkeiten übertragen werde. Dabei sei wiederum nicht hinderlich, dass der Übergeber den Vorteil durch eine vom Übernehmer akzeptierte Auflage erhalte; ausschlaggebend sei vielmehr, dass der Übergeber die Vermögensübertragung von der Gewährung des in der Übernahme der Verbindlichkeiten liegenden Vorteils durch den Übernehmer abhängig mache und dadurch ein Entgelt erlange. Im Ergebnis könne es keinen Unterschied machen, ob der Vermögensempfänger den zur Ablösung der Verpflichtung erforderlichen Betrag an den Übergeber zahlt oder ob er die Verpflichtung vom Übergeber übernimmt.
Im Wege der teleologischen Reduktion ist nach Ansicht des Senats daher auch die teilentgeltliche Übertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge aus dem Tatbestand des § 23 EStG auszuscheiden. Steuergegenstand der Regelung in § 23 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind realisierte Werterhöhungen oder Wertminderungen aus verhältnismäßig kurzfristigen Umsatzgeschäften von Immobilien im Privatvermögen. Bei Übertragungen von Immobilien im Wege der vorweggenommenen Erbfolge – jedenfalls unterhalb der historischen Anschaffungskosten – kann es daher zu keinem „realisierten Wertzuwachs“ kommen, der der ertragsteuerlichen Besteuerung zugänglich ist.
Fiktive Einkünftebesteuerung verfassungsrechtlich ausgeschlossen
Im Wege der verfassungskonformen Auslegung des § 23 EStG sind im Streitfall keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften zu versteuern.
Nach der Rechtsprechung des BVerfG gebietet der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (BVerfG 29.3.17, 2 BvL 6/11; 19.11.19, 2 BvL 22/14). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (BVerfG 28.11.23, 2 BvL 8/13). Danach ist es zwar grds. Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils Betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht als Rechtfertigungsgrund für Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands anzuerkennen.
Insbesondere kennen die anderen Besteuerungstatbestände für Einkünfte nach § 2 EStG ebenfalls keine Besteuerung fiktiver Einkünfte. Arbeitnehmer müssen nicht ein Gehalt versteuern, das sie erzielen könnten, wenn sie sich einen besser entlohnenden Arbeitgeber suchen würden (etwa als „Verkehrswert“ ihrer Arbeitsleistung). Auch die Einkünfte etwa als Vermieter bestimmen sich nicht danach, welche Mieten fiktiv erlangt werden könnten (i. S. d. „Verkehrswertes“ der Mietobjekte am Mietmarkt). Erst recht besteht kein Anlass, gerade bei den Einkünften nach § 23 EStG eine vom Gesetzgeber vorgesehene Besteuerung rein fiktiver Einkünfte annehmen zu wollen. Im Tatbestand oder in der Entstehungsgeschichte der Norm finden sich dafür keine Anhaltspunkte.
Ganz evident hat der Kläger im Streitfall keinen Wertzuwachs realisiert. Überdies dürfte eine solche Besteuerung sogar dem verfassungsrechtlich geschützten Erbrecht und der Eigentumsgarantie jeweils wegen der darin gewährleisteten Freiheit zur Übertragung von Vermögen innerhalb des Generationenverbandes – und damit grundrechtlich geschützter Freiheiten – widersprechen. Anderenfalls unterläge ein fiktiver steuerlicher Ertrag, nämlich aus einem reinen Vermögenstransfer im Wege der vorweggenommenen Erbfolge als Anknüpfungspunkt (steuerliches Substrat) – hier unter nahen Angehörigen – ohne einen positiven Cashflow beim Übertragenden zusätzlich der Ertragsteuer. Diese Art der Besteuerung ist insoweit „keine Besteuerung eines fiktiven Sachverhalts“ (so zutreffend BFH 12.12.23, IX R 15/23, BFH/NV 24, S. 664), denn die Übertragung auf die Tochter hat tatsächlich stattgefunden.
Relevanz für die Praxis
Bei der Übertragung von Wirtschaftsgütern i. R. d. vorweggenommenen Erbfolge liegt zivilrechtlich regelmäßig eine gewöhnliche Schenkung unter Lebenden vor, da bei Vermögensübertragungen zwischen Angehörigen eine (widerlegbare) Vermutung für den unentgeltlichen Übergang des Vermögens spricht (grundlegend bereits BFH 5.7.90, GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, S. 847). Während im betrieblichen Bereich der teilentgeltliche Erwerb als einheitlicher Vorgang behandelt wird (sog. Einheitstheorie), ist der Erwerb von Privatvermögen hingegen in einen unentgeltlichen und einen entgeltlichen Teil aufzuteilen (sog. – strenge - Trennungstheorie). Der IV. Senat des BFH favorisiert hierbei die sog. modifizierte Trennungstheorie (BFH 19.9.12, IV R 11/12, BFH/NV 12, S. 1880), nach der die teilentgeltliche Veräußerung eines Wirtschaftsguts keine Gewinnrealisierung auslöst, soweit (bzw. solange) das Entgelt den Buchwert (die Anschaffungskosten) nicht übersteigt (Brandis/Heuermann, EStG, § 23, Rn. 156, m. w. N.). Letztlich wurde im Streitfall die Revision gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen, da eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. In der Rechtsprechung des BFH ist hierbei bisher ungeklärt, ob bei teilentgeltlichen Übertragungen i. R. d. § 23 EStG durch die Heranziehung von Verkehrswerten auf den Zeitpunkt der Übertragung lediglich fiktive, aber nicht tatsächlich realisierte Überschüsse im Sinne der sog. strengen Trennungstheorie der Besteuerung unterliegen.
AUSGABE: EE 11/2024, S. 196 · ID: 50123148