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SachverständigengutachtenSachverständigengutachten im Erbprozess: das Gutachten zur Testierfähigkeit (Teil 2)
| Nachdem sich Teil 1 des Beitrages in der letzten Ausgabe von EE mit den Grundlagen des Sachverständigengutachtens im Erbprozess insbesondere zur Frage der Testierfähigkeit befasst hat, erhalten Sie mit Teil 2 vertiefende Hinweise zu der Thematik, einschließlich verschiedener Arbeitshilfen. |
1. Der Sachverständige
Die Frage, ob der Erblasser im Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierfähig war oder nicht, lässt sich nach ständiger Rechtsprechung in der Regel nur mithilfe eines psychiatrischen Sachverständigen beantworten (vgl. BayObLG FamRZ 85, 742; BayObLGZ 95, 383). Der Sachverständige muss Facharzt für Neurologie und/oder Psychiatrie sein.
Allerdings ist die Hinzuziehung eines Sachverständigen nur erforderlich, wenn aufgrund konkreter Anhaltspunkte Anlass besteht, an der Testierfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung zu zweifeln (vgl. auch BayObLG FamRZ 98, 1242,1243).
Der Sachverständige kann die Frage der Testierfähigkeit nur dann wissenschaftlich fundiert beurteilen, wenn ihm umfassende Anknüpfungstatsachen zur Verfügung gestellt werden. Das betrifft alle Tatsachen, die sich aus den angebotenen und eingeholten Beweismitteln ergeben, und natürlich etwaig vorhandene ärztliche Unterlagen. Beim notariellen Testament ist der beurkundende Notar, der die Frage der Testier- bzw. Geschäftsfähigkeit vor der Beurkundung zu prüfen hat (§ 28 BeurkG), als Zeuge zu vernehmen. Zur Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen ist der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung zu laden, damit er Fragen an die Zeugen stellen kann. Das Gutachten sollte stets erst nach der mündlichen Verhandlung und in Kenntnis aller Beweismittel sowie der Gerichts- und eventuellen Betreuungsakten abgeben werden (OLG Frankfurt ErbR 18, 516). Im Allgemeinen machen die Gerichte von ihrer Befugnis zur Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen nach § 404a ZPO Gebrauch.
Mit dem Tatsachenvortrag und Beweisangebot können die Parteien/Beteiligten aber auch anregen, dass das Gericht von den Befugnissen nach § 404a ZPO Gebrauch macht.
Musterformulierung / Anregung zur Leitung nach § 404a ZPO |
Es wird angeregt, dass das erkennende Gericht von seiner ihm gesetzlich nach § 404a ZPO verliehenen Befugnis zur Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen und der Möglichkeit, diesem Weisungen zu erteilen, umfassend Gebrauch macht und zu jeder mündlichen Verhandlung, in der Zeugen zum Vortrag über die Testierfähigkeit des Erblassers geladen sind, ebenfalls geladen und ihm die Möglichkeit gegeben wird, Fragen an die Parteien/Beteiligten und die Zeugen zu richten. |
2. Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung
Zwar stellt § 411 Abs. 3 S. 1 ZPO die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens in das Ermessen des Gerichts. Nach der Rechtsprechung muss diese Ladung indes bei Unklarheiten und Zweifeln getroffen werden, sofern eine schriftliche Ergänzung nach § 411 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht ausreicht oder nicht gleich nach § 412 ZPO ein anderer Sachverständiger beauftragt wird (BGH NJW 11, 852). Auch Einwände gegen das Gutachten durch die Parteien/Beteiligte bzw. in einem Privatgutachten können hierzu Anlass geben (BGH NJW-RR 98, 1527).
Aber auch eine Partei kann nach Kenntnisnahme vom Gutachten aufgrund festgestellter Mängel (z. B. Unvollständigkeit oder Widersprüchlichkeit) einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen (§ 411 Abs. 3 S. 1 ZPO) zur mündlichen Erläuterung seines schriftlich erstellten Gutachtens in einer anzuberaumenden mündlichen Verhandlung stellen (vgl. Gottwald in: jurisF-ZPO-0174). Einem solchen Antrag hat das Gericht – unabhängig davon, ob es selbst noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher nachvollziehbar dargetan wurde – nach § 402 ZPO i. V. m. § 397 ZPO stets zu entsprechen (BGH MDR 19, 1013). Die Nichtbeachtung verletzt grundsätzlich das rechtliche Gehör (BVerfG NJW 98, 2273; 12, 1346; 18, 3097).
Merke | Das Gericht kann (auch) gestatten oder anordnen, dass der Sachverständige sich zur Erläuterung seines Gutachtens per Video zuschaltet. Es gilt dann dasselbe wie bei der Videovernehmung (vgl. § 284 ZPO). Auch insoweit haben die Parteien/Beteiligten ein Antragsrecht (§ 128a Abs. 1, 2, 4 S. 1 und 2 ZPO). |
Musterformulierung / Antrag auf Erläuterung des Gutachtens |
Nach Kenntnisnahme vom Inhalt des Gutachtens stellt der (Kläger/Beklagte oder Antragsteller/Beteiligte) den Antrag, den Sachverständigen … zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens vom … zur mündlichen Verhandlung zu laden. Oder alternativ: die Anhörung des Sachverständigen zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens vom … per Bild- und Tonübertragung anzuordnen. |
Dieser Antrag ist zweckmäßigerweise mit den im Gutachten festgestellten Mängeln im Einzelnen zu begründen (vgl. Gottwald a. a. O.).
3. Neues Gutachten, § 412 Abs. 1 ZPO
Die Prüfung der Einwendungen gegen ein erstelltes Gutachten kann auch zu dem Ergebnis führen, dass nach § 412 ZPO ein neues Gutachten einzuholen ist. Die Prüfung der Notwendigkeit obliegt zunächst dem Gericht nach § 286 ZPO, wenn es nach Prüfung des Gutachtens zu dem Ergebnis kommt, dass das Gutachten z. B. unvollständig, nicht nachvollziehbar oder in sich widersprüchlich ist, die Anschlusstatsachen nicht mehr zutreffen oder dem Sachverständigen erkennbar die notwendige Sachkenntnis fehlt oder er neueste Forschungen nicht berücksichtigen konnte. Ist das Gericht der Auffassung, dass das Gutachten mangelhaft ist, muss es ein weiteres (neues) Gutachten einholen, weil andernfalls der angeordnete Sachverständigenbeweis nicht ordnungsgemäß durchgeführt wäre (Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl. 2023, § 412 Rn. 2).
Die Parteien/Beteiligten können einen Antrag auf neue Begutachtung durch einen weiteren Sachverständigen nach § 412 Abs. 1 ZPO stellen. Sie sollten es dann tun, wenn sie Mängel des Gutachtens bei dessen Lektüre festgestellt haben. Auch dieser Antrag ist zweckmäßigerweise zu begründen.
Musterformulierung / Antrag auf neue Begutachtung |
Nach Kenntnisnahme vom Inhalt des Gutachtens stellt der (Kläger/Beklagte oder Antragsteller/Beteiligte) gemäß § 412 Abs. 1 PO den Antrag, eine neue Begutachtung durch einen anderen Gutachter anzuordnen. |
Musterformulierungen / Antragsbegründung neue Begutachtung |
Das vorgelegte Gutachten leidet an folgenden gravierenden Mängeln: (ist auszuführen). Es ist in sich nicht widerspruchsfrei, weil …. Darüber hinaus steht es in Widerspruch zu dem vom Kläger vorgelegten Privatgutachten des Sachverständigen … vom … Diese Mängel konnte der Gutachter auch in der mündlichen Verhandlung zur Erläuterung seines Gutachtens nicht abstellen. Nach alledem ist nach § 412 Abs. 1 ZPO eine neue Begutachtung anzuordnen. |
Die Anordnung erfolgt durch Beschluss des Gerichts, der nicht anfechtbar ist und nur mit Rechtsmitteln gegen das Urteil bzw. den Beschluss anfechtbar ist. Die Ablehnung erfordert nicht den Erlass eines gerichtlichen Beschlusses.
Beachten Sie | Ist der Gutachter durch eine der Parteien/Beteiligten mit Erfolg wegen Befangenheit abgelehnt worden, darf das Gutachten nicht mehr verwendet werden. Das Gericht muss, sofern die Beweisfrage – wie im Regelfall – noch erheblich ist, gem. § 404 ZPO einen neuen Sachverständigen beauftragen.
Merke | Das im Verfahren vor dem Nachlassgericht erstellte Sachverständigengutachten kann sowohl vor als auch nach der Entscheidung in einer zivilrechtlichen Feststellungsklage nach § 411a ZPO verwertet werden und umgekehrt. |
4. Einwendungen gegen das Gutachten
Die folgende Checkliste fasst die wesentlichen Einwendungen gegen ein erstelltes Sachverständigengutachten zusammen (zu weiteren möglichen Einwendungen ausführlich Bonefeld in: „Der Erbprozess“, 6. Aufl. 2023, § 1 H III):
Checkliste / Einwendungen gegen das Gutachten |
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Beachten Sie | Damit das Gericht die Einwendungen anerkennt und daraufhin entsprechende Maßnahmen trifft, sollten diese stets umfänglich und ausführlich dargelegt werden. Dabei ist auf die Besonderheiten des Einzelfalls abzustellen. Wenn es um den Einwand der Voreingenommenheit des Sachverständigen geht, kann z. B. wie folgt formuliert werden:
Beispiel Begründung der Voreingenommenheit |
Der Sachverständige hat in der Vergangenheit in finanziellen Verbindungen zu der Gegenpartei gestanden. So ist bekannt, dass er Dienstleistungen für diese erbracht und dabei nicht unerhebliche Honorare erhalten hat. Zudem pflegt die Gegenpartei seit Jahren persönliche Beziehungen zu dem Sachverständigen und hat diesen schon mehrfach zum Essen in Restaurants eingeladen. |
- Ein Beitrag demnächst in EE befasst sich mit dem Schriftgutachten.
AUSGABE: EE 11/2024, S. 192 · ID: 50208857