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ErbvertragEnde der Bindungswirkung eines Erbvertrags durch begrenzte Anwendung des § 2287 BGB?
von RA Holger Siebert, FA Erbrecht und FA Steuerrecht, Berlin
| Wie weit reicht die Bindung eines Erbvertrages und welche Konsequenzen ergeben sich hieraus für lebzeitige Schenkungen des vertraglich gebundenen Vertragspartners? Diese praxisrelevanten Fragen erlangen im Lichte jüngerer obergerichtlicher Rechtsprechung besondere Bedeutung, gerade auch in Bezug auf bindend gewordene Verfügungen aus einem gemeinschaftlichen Testament, für die § 2287 BGB analog angewendet wird. |
1. Hintergrund
§ 2286 BGB belässt dem Erblasser das Recht, über sein Vermögen durch Rechtsgeschäft zu verfügen. Nur unter den weiteren Bedingungen der §§ 2286 und 2287 BGB kann ein Vertragsvermächtnisnehmer bzw. ein Vertragserbe Wertersatz (§ 2288 Abs. 1 BGB) bzw. Herausgabe des Geschenks vom Beschenkten (§ 2287 Abs. 1 BGB) verlangen. Wegen der gleichen Interessenlage sind nach allgemeiner Meinung die §§ 2287, 2288 auf die nach dem ersten Erbfall unwiderruflich gewordenen wechselbezüglichen Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten entsprechend anzuwenden (vgl. BGHZ 26, 274 (278 f.); 31, 13 (16); 59, 343 (348); BGH DNotZ 61, 343 (345); LM § 2301 Nr. 6 m. Anm. Johannsen; NJW 83, 2376 (2377 f.); Johannsen WM 79, 630 (632); Speth NJW 85, 463 (464)). In objektiver Hinsicht verlangt § 2287 Abs. 1 BGB eine Schenkung, die subjektiv seitens des Erblassers in Beeinträchtigungsabsicht vorgenommen worden sein muss. Hierbei handelt es sich um zwei selbstständige und unabhängige Tatbestandsvoraussetzungen, die kumulativ gegeben sein müssen, um die Norm anwenden zu können.
2. Der Schenkungsbegriff bei § 2287 BGB
Der Begriff der Schenkung wird in § 2287 BGB im gleichen Sinn wie in den §§ 516 ff. BGB gebraucht (BGHZ 82, 274 (281) = NJW 82, 43; BGH NJW 17, 329 Rn. 8 m. Anm. Keim; BGH NJW-RR 86, 1135; OLG München BeckRS 15, 00659 Rn. 26.). Danach ist als Schenkung eine den Empfänger bereichernde Zuwendung aus dem Vermögen des Schenkers anzusehen, über deren Unentgeltlichkeit beide einig sind. Es fällt somit jede Art der Schenkung unter § 2287 BGB, wie etwa
- Pflicht- und Anstandsschenkungen,
- gemischte oder verschleierte Schenkungen,
- Schenkungen unter Auflagen und
- noch nicht vollzogene Schenkungsversprechen von Todes wegen ohne Überlebensbedingung,
- Schenkungen unter Überlebensbedingung des Beschenkten, die lebzeitig vollzogen worden sind (§ 2301 Abs. 2 BGB),
- Schenkungen durch Vertrag zugunsten Dritter auf den Todesfall (§ 331 BGB),
- Schenkungen mit aufgeschobener Erfüllung zum Todestag.
Gleichgültig ist, ob die Schenkung aus dem Stamm, den Erträgen des Vermögens oder den Einkünften resultiert (Staudinger/Kanzleiter, BGB, 2023, § 2287 Rn. 5). Auch ausgleichungspflichtige Zuwendungen, zu denen auch die Ausstattung zählt, können durch § 2287 BGB angegriffen werden, ggf. nur hinsichtlich ihres Übermaßanteils.
3. Streitpunkt Beeinträchtigungsabsicht bei § 2287 BGB
Hauptstreitpunkt bei Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit den Ansprüchen aus § 2287 BGB ist die erforderliche Beeinträchtigungsabsicht.
Hierfür kommt es darauf an, dass die Schenkung auf eine Korrektur des Erbvertrags ausgerichtet war. Dies sei der Fall, wenn der Erblasser kein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse daran habe, wesentliche Vermögenswerte an einen anderen als den Bedachten zuzuwenden (BGH DNotZ 73, 626; NJW 80, 2307; 86, 1755; NJW-RR 98, 577). Die hierfür maßgeblichen Umstände müssen sich seit Abschluss des Erbvertrages geändert haben (BGH NJW 80, 2307; 84, 731). Allein das Fehlen des lebzeitigen Eigeninteresses reicht für die Annahme von Beeinträchtigungsabsicht indes nicht aus, denn der Erblasser könnte dem Vertragserben mit der Schenkung gerade einen Vorteil verschaffen wollen (BGH DNotZ 87, 115). Notwendig ist keine bloß rechnerische Gegenüberstellung, sondern vielmehr eine Gesamtabwägung (BGH ZEV 16, 641; OLG Karlsruhe 4.8.14, 8 U 120/13, BeckRS 14, 23075).
Ein lebzeitiges Eigeninteresse kann beispielsweise dann bejaht werden, wenn der Erblasser eine Verfügung getroffen hat, um die Versorgung für sein Alter sicherzustellen oder zu verbessern, wobei davon auszugehen ist, dass das Bedürfnis alleinstehender Erblasser, im Alter versorgt und ggf. auch gepflegt zu werden, mit den Jahren immer dringender und gewichtiger wird. Eine weitere Rechtfertigung ist die Schenkung als Dank für noch zu leistende Dienste, Hilfe oder Pflege. Schließlich kann auch das Bedürfnis eines alleinstehenden Erblassers nach einer seinen persönlichen Vorstellungen entsprechenden Versorgung und Pflege im Alter ein anzuerkennendes lebzeitiges Eigeninteresse sein, wenn der Erblasser durch die Schenkung eine ihm nahestehende Person an sich binden will (st. Rspr, BGH 17.6.92, IV ZR 88/91, NJW 92, 2630; 5.7.72, IV ZR 125/70, NJW 73, 240; 21.5.86, IVa ZR 171/84, NJW-RR 86, 1135; 26.11.75, IV ZR 138/74, BGHZ 66, 8, NJW 76, 749; BGHZ 77, 264, NJW 80, 2307; 23.9.81, IVa ZR 185/80, BGHZ 82, 274, NJW 82, 43; 27.1.82, IVa ZR 240/80, BGHZ 83, 44, NJW 82, 1100; 28.9.83, IVa ZR 168/82, BGHZ 88, 269, NJW 84, 121).
4. Sonderfall Pflichtteilsansprüche
Nach ganz h. M. (BGH NJW 80, 2307 (2308); BGH NJW 84, 121; BGH NJW-RR 96, 133 (134); BGH ZEV 05, 479 (480)) fehlt eine Beeinträchtigung, soweit ein Geschenk Pflichtteilsansprüche des Pflichtteilsberechtigten deckt. Das OLG Düsseldorf (8.7.22, I-7 U 136/21, Abruf-Nr. 242635) erweitert diese Rechtsprechung dahin, dass eine objektive Beeinträchtigung des Vertragserben selbst dann fehle, wenn irgendein Dritter noch Pflichtteilsansprüche hätte. Mit anderen Worten: Der Vertragserbe ist nicht beeinträchtigt, solange nur aus dem Nachlass Pflichtteilsansprüche zu bedienen wären, ohne dass es auf ihre Geltendmachung ankäme (vgl. insoweit die Besprechung Raff, ErbR 23, 667 ff.).
5. Sonderfall Anfechtbarkeit
In Rechtsprechung und Literatur (vgl. Vgl. BGH 3.5.06, IV ZR 72/05, ZEV 06, 505; Grüneberg/Weidlich, BGB, § 2287 BGB, Rn. 5; Müko, BGB, 9. Aufl., § 2287 BGB, Rn. 10; Spellenberg NJW 86, 2531 (2534 f.) wird teilweise angenommen, dass § 2287 BGB für vorgenommene Schenkungen nicht angewendet werden könne, wenn der Erbvertrag oder das gemeinschaftliche Testament anfechtbar ist und die Anfechtungsfrist zum Zeitpunkt der Schenkung noch nicht abgelaufen war. Begründet wird die Auffassung damit, dass bei einer Anfechtbarkeit des Erbvertrages/gemeinschaftlichen Testamentes die Erwerbsaussicht des Vertragserben/Schlusserben nicht gesichert sei, weil er seine Erbeinsetzung durch die Anfechtung verliere und er damit schlechter stehe als im Falle benachteiligender Schenkung, aber fortbestehender Gültigkeit des Erbvertrages.
Diese Rechtsansicht wird in einer neueren Entscheidung des OLG Hamm bestätigt:
a) Sachverhalt
Der spätere Erblasser errichtete gemeinsam mit seiner ersten Ehefrau, der Mutter des Klägers, 1997 ein Berliner Testament, in dem sie sich gegenseitig als Alleinerben und den Kläger als Schlusserben einsetzten. Die erste Ehefrau des E verstarb 2001. Die Schlusserbeneinsetzung des Klägers war wegen der angeordneten Wechselbezüglichkeit bindend geworden. 2008 heiratete der Erblasser die Beklagte. Mit Vertrag vom 13.2.08 erwarben der Erblasser und die Beklagte zu einem Miteigentumsanteil von jeweils 1/2 die von ihnen bewohnte Wohnung für 80.000 EUR. Im späteren Rechtsstreit wurde die Herausgabe des Miteigentumsanteils an der Wohnung verlangt, mit der Begründung, diese sei ausschließlich aus Mitteln des Erblassers bezahlt worden.
b) Entscheidungsgründe
. 242636
Das OLG Hamm (9.3.23, 10 U 28/22, Abruf-Nr. 242636) hat insoweit einen Anspruch nach § 2287 BGB verneint. Es geht davon aus, dass der Erblasser schenkweise verfügen könne, ohne die Rechtsfolgen des § 2287 BGB auszulösen, wenn im Zeitpunkt der Schenkung die Anfechtung der letztwilligen Verfügung für den Erblasser möglich gewesen wäre. Begründet wird die Auffassung damit, dass bei einer Anfechtbarkeit des Erbvertrages / gemeinschaftlichen Testamentes die Erwerbsaussicht des Vertragserben / Schlusserben nicht gesichert sei, weil er seine Erbeinsetzung durch die Anfechtung verliere und er damit schlechter stehe als im Falle benachteiligender Schenkung, aber fortbestehender Gültigkeit des Erbvertrages.
c) Kritik
Die Argumentation des OLG ist für einen einseitigen Erbvertrag nachvollziehbar. Denn bei einem einseitigen Erbvertrag hat der Vertragserbe lediglich die Erwerbsaussicht auf das Vermögen des Erblassers. Im Falle der Anfechtung des Erbvertrages würde er diese vollständig verlieren.
Anders sieht dies jedoch bei einer bindend gewordenen Verfügung aus einem gemeinschaftlichen Testament aus, für die § 2287 BGB analog angewendet wird. Betrachtet man hier die Rechtsfolgen einer möglichen Anfechtung, sieht das Ergebnis anders aus. Bei Anfechtung gem. § 2079 BGB würde bei einem gemeinschaftlichen Testament gem. § 2270 Abs. 1 BGB auch die Verfügung der vorverstorbenen ersten Ehefrau unwirksam werden. Es kommt mithin zur gesetzlichen Erbfolge gem. §§ 1922 ff. BGB. So hätte auch die Rechtsfolge einer Anfechtung im Falle des OLG Hamm ausgesehen. In diesem Fall hätte dies dazu geführt, dass dem Erblasser dann lediglich die Hälfte des Vermögens seiner Ehefrau verblieben wäre und die andere Hälfte direkt an den Kläger des hiesigen Rechtsstreites gegangen wäre. Der Erblasser hätte bei dieser Vorgehensweise erheblich schlechter gestanden als im Falle des Lösens von einem Erbvertrag.
Folgt man nunmehr der Sichtweise des OLG Hamm, so kann sich der Erblasser innerhalb der möglichen Anfechtungsfrist durch lebzeitige Schenkungen risikolos aus den bindend gewordenen Verfügungen lösen, ohne dass dies im Hinblick auf seine vorausgegangene Erbenstellung irgendeinen Einfluss hätte. Dies steht aber im Widerspruch zu den Rechtsfolgen der Bindungswirkung beim gemeinschaftlichen Testament, das den Wegfall der Stellung als Testamentserben mit sich bringt und den Erblasser in die regelmäßig schlechtere Position eines gesetzlichen Erben versetzt. Die Bindungen in einem gemeinschaftlichen Testament werden damit in einer vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewünschten Art und Weise aufgeweicht.
Praxistipp | Will man unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung eine effektive Bindungswirkung für den späteren Erblasser erreichen, bleibt nur der Weg in die dingliche Bindung durch Anordnung der Vor- und Nacherbfolge. Dies wiederum bedeutet eine erhebliche Handlungseinschränkung des späteren Erblassers, der ja in diesem Konstrukt nur die Rolle des Vorerben einnimmt. Man wird daher im Rahmen der letztwilligen Gestaltungen die jeweiligen Konsequenzen genau gegeneinander abwägen müssen. Sollen bestimmte Sachen für den Vertragserben geschützt werden, kann daran gedacht werden, diese bereits vorab dinglich auf den Vertragserben zu übertragen und dem späteren Erblasser hieran den Nießbrauch einzuräumen. Dieser wäre dann ebenfalls an dinglichen Verfügungen gehindert. Eine Sicherung könnte auch dadurch bewirkt werden, dass der Erblasser sich schuldrechtlich verpflichtet, über bestimmte Vermögenswerte seines (künftigen) Nachlasses unter Lebenden nicht zu verfügen. Diese Verpflichtung entfaltet ihre Wirkung jedoch nur zwischen den Vertragsparteien (schuldrechtlich), nicht jedoch dinglich gegenüber Dritten. |
- Roth, Vorgehen des Vertragserben gegen beeinträchtigende Schenkungen, NJW-Spezial 23, 743
- Friedrich/Heuser, Keine beeinträchtigende Schenkung bei vorausgegangener Pflege durch den Beschenkten, NJOZ 22, 481
- Raff, Den Vertragserben beeinträchtigende Schenkungen an den Pflichtteilsberechtigten nach §§ 2287 ff. BGB, ErbR 23, 667
AUSGABE: EE 8/2024, S. 135 · ID: 49944892