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KanzleientwicklungLegal Tech aus Sicht einer Erbrechtskanzlei

Abo-Inhalt21.02.2024243 Min. LesedauerVon RA Dr. Stefan Schimke, AdvoConsultants, Beratung und Fortbildung für Kanzleien, Münster

| Die Digitalisierung verändert den Rechtsberatungsmarkt permanent und weitreichend. Ein Begriff, der hierfür wie kein anderer steht, ist „Legal Tech“, kurz für Legal Technology. Dieser Beitrag führt in die Welt von Legal Tech ein und zeigt aus dem Blickwinkel einer erbrechtlich ausgerichteten Kanzlei, wie diese durch den Einsatz spezieller Technologien bzw. Anwendungen moderner, effizienter und mandantenorientierter werden kann. Dazu erhalten Sie am Ende eine konkrete Strategie, wie Sie mit diesem komplexen Thema zielführend umgehen können. |

1. Was ist Legal Tech eigentlich genau?

So gerne Juristen mit (Legal-)Definitionen arbeiten, für den Terminus Legal Tech existiert zumindest keine allgemeingültige Definition. Der Begriff wird je nach Sichtweise und Verständnis unterschiedlich ausgefüllt. Bei einem weiten Verständnis von Legal Tech verbergen sich dahinter folgende Bereiche:

a) Technologien zur Unterstützung der juristischen / anwaltlichen Arbeit

Der erste Bereich umfasst Technologien, die darauf ausgerichtet sind, die tägliche Arbeit von Juristen, respektive Anwälten zu erleichtern und zu optimieren. Die „Mutter“ aller Legal Tech-Anwendungen ist sicher die klassische Kanzleisoftware, wie z. B. RA-MICRO. Hier gibt es mittlerweile zahlreiche Anbieter und eine Entwicklung, die immer mehr sogenannte cloudbasierte Lösungen hervorbringt. Dabei befinden sich die Anwendungen, Daten und Akteninhalte nicht auf Geräten in der Kanzlei (on premise), sondern in einer virtuellen Umgebung (der Cloud) auf Servern des Anbieters. Eine solche Umgebung kann Teil bzw. Wesen der Kanzleisoftware sein, es gibt aber auch Lösungen, bei denen die gesamte IT der Kanzlei ausgelagert wird, wie z. B. beim Deutschen Anwaltsrechenzentrum.

Weitere, lang etablierte digitale Anwendungen sind juristische Datenbanken wie z. B. juris oder beck-online. Ein neuartiges Angebot in diesem Bereich ist mit iur.crowd eine Plattform, auf der Rechtsanwälte Entscheidungen, an denen sie beteiligt waren, anonymisieren lassen und hochladen können, damit Kollegen und Kolleginnen von den Entscheidungsinhalten – unterstützt durch die Option einer digitalen Analyse (Legal analytics) – profitieren. Dazu kommen immer mehr digitale Werkzeuge, insbesondere zur Automatisierung der Mandantenkommunikation, zur Optimierung anwaltlicher Arbeitsprozesse sowie zur Recherche (hierzu Näheres unter 2.). Dieser Bereich bildet den Schwerpunkt dessen, was unter Legal Tech in der Anwaltskanzlei verstanden wird, und ist auch Schwerpunkt dieses einführenden Beitrags.

Soweit wie in jeder Kanzlei auch Hardware, also „körperliche“ Technik, zum Einsatz kommt, zählt man diese eher zum Bereich „Office Tech“, da diese Produkte oft nicht spezifisch für den Bereich der Rechtsberatung entwickelt sind, wie z. B. digitale Diktiergeräte. Auch hier macht die Entwicklung rasante Fortschritte, gibt es doch mittlerweile z. B. Drucker / Scanner mit Übersetzungsfunktion, die von Kanzleien eingesetzt werden.

b) Plattformen für automatisierten Zugang zu juristischen Leistungen

Eine weitere Form von Legal Tech betrifft Anwendungen und Plattformen, die Rechtssuchenden einen möglichst einfachen und dennoch effektiven Zugang zum Recht ermöglichen wollen. Angebote finden sich etwa in Bereichen, in denen eine große Zahl gleich gelagerter Sachverhalte ein hohes Maß an Standardisierung ermöglicht. Bekannte Beispiele sind die Portale www.flightright.de, www.geblitzt.de oder www.conny.de. Daneben gibt es Angebote, die es ermöglichen, Verträge oder andere juristische Dokumente anhand von Vorlagen zu erstellen, z. B. smartlaw.de.

c) Marktplätze

Marktplätze sind Plattformen im Internet, auf denen Rechtssuchende und Rechtsanwälte zueinanderfinden sollen. Solche Marktplätze sind z. B. Anwalt.de, anwaltssuche.de oder 123Recht.de.

d) Digitalisierung der Justiz

Teil von Legal Tech im weitesten Sinn ist auch die gesamte Digitalisierung der Justiz als ein Prozess der Einführung und Nutzung digitaler Technologien in der Justizverwaltung und der Rechtsprechung. Die übergeordnete Zielsetzung ist, das Justizsystem effizienter, transparenter und zugänglicher zu machen. Kernelemente sind z. B. der elektronische Rechtsverkehr, die elektronische Aktenführung sowie onlinegestützte Gerichtsverfahren. Laufend kommen hier Pilotprojekte hinzu, z. B. zur Bewältigung von Massenverfahren.

e) Verhältnis von Legal Tech zu künstlicher Intelligenz

Im Verhältnis zur künstlichen Intelligenz (KI) steht Legal Tech nicht eigenständig daneben, da immer mehr Anbieter KI in ihre Legal Tech-Anwendungen integrieren. Dort, wo KI lediglich Bestandteil einer – in der Regel von einem Drittanbieter zu erwerbenden – Software oder Anwendung ist, lässt sich also eher von Legal Tech sprechen. Daneben gibt es eigenständige KI-Anwendungen wie insbesondere ChatGPT oder Copilot, die der Rechtsanwalt unmittelbar selbst nutzen kann (siehe hierzu den Beitrag in EE 24,27).

2. Legal Tech in der erbrechtlichen Kanzlei

Die möglichen Anwendungen von Legal Tech in einer Kanzlei sind sehr vielfältig und lassen sich im Rahmen dieser Einführung nicht annähernd erschöpfend darstellen. Hier daher eine Übersicht ausgewählter Schwerpunkte:

a) Kontaktaufnahme und „Digitales Onboarding“

Unabhängig davon, ob Mandanten über Empfehlungen, Anzeigen, Ergebnisse in Suchmaschinen oder sonstige Kanäle auf eine Kanzlei aufmerksam werden, machen sich Rechtssuchende in der Regel zunächst ein Bild von der Kanzlei im Internet. Der Internetauftritt der Kanzlei sollte daher mehr als eine reine digitale Visitenkarte sein und Mandanten zur möglichst einfachen Kontaktaufnahme aktivieren. Inzwischen gibt es eine Reihe von Tools, die in die Kanzleiwebsite integriert werden können, um potenzielle Mandanten automatisiert zu einer ersten Interaktion mit der Kanzlei zu animieren und ihnen die Möglichkeit zu geben, vorbereitende Schritte für die Mandatsannahme direkt online durchzuführen (Digitales Onboarding). Angeboten werden digitale Systeme zur Terminbuchung, speziell auf das Rechtsgebiet der Kanzlei ausgerichtete Chatbots sowie intuitiv gestaltete Kontaktformulare.

Beispiel KI-Chatbot

Die Erbrechtskanzlei Meier hat auf ihrer Homepage einen Chatbot integriert. Sobald ein potenzieller Mandant die Internetseite besucht, erscheint der Chatbot, der den Nutzer freundlich begrüßt und mit einer konkreten Frage anspricht, z. B. mit „Bei welcher Angelegenheit können wir Ihnen helfen?“ Antwortet der Nutzer dann z. B. mit „Ich will ein Testament aufsetzen“, erkennt die KI des Chatbots den juristischen Kern der Antwort und reagiert spezifisch darauf. Die Antwort des Chatbots könnte dann etwa lauten: „Wir unterstützen Sie gerne bei der Errichtung eines Testaments oder eines Erbvertrages“. Alternativ kann je nach Programmierung auch eine Fragenstrecke mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten durch einfaches Anklicken durchlaufen werden. So entsteht ein Dialog mit dem Nutzer, in dem bereits viele Informationen abgefragt werden können. Je nach Tool ist auch direkt online eine Terminbuchung oder Terminanfrage möglich. Sämtliche Anfragen und Informationen werden dem Rechtsanwalt von der Anwendung in einer Übersicht aufbereitet. Hieraus kann der Anwalt dann weitere Schritte in die Wege leiten, wie z. B. die automatische Versendung einer ausgefüllten Vollmacht oder die Zusendung eines digitalen Formulars, das weitere Informationen abfragt oder es ermöglicht, Unterlagen für den Anwalt hochzuladen.

Aber auch ohne Verwendung eines Chatbots gibt es Tools, die eine digitale Mandatsaufnahme erheblich einfacher und effizienter machen. Wesen dieser Anwendungen sind intuitive, optisch ansprechende digitale Fragebögen, die der Mandant direkt auf der Homepage ausfüllen und mit Unterlagen anreichern kann oder zu denen er nach einem bereits erfolgten telefonischen Erstkontakt per Link eingeladen wird.

Praxistipp | Eine weitere Optimierung des digitalen Onboardingprozesses ergibt sich, wenn sich die Daten über eine Anbindung bzw. Schnittstelle in die eigene Kanzleisoftware übertragen lassen und somit dort z. B. automatisiert eine neue Akte mit den Daten angelegt wird. Im Bereich des digitalen Onboardings gibt es Anbieter, die sich vollständig auf Anwaltskanzleien spezialisiert haben, wie z. B. jupus oder Justin Legal, und mittlerweile entsprechende Schnittstellen für viele gängige Kanzleisoftwares anbieten.

Zum Teil lassen sich Kanzleien solche Onboardingtools auch individuell entwerfen und für ihre Seite programmieren. Einem erhöhten Maß an Individualität stehen hier meist höhere Kosten gegenüber.

b) Mandantenportale (Client-Portale)

Mandantenportale ermöglichen Mandanten rund um die Uhr den Zugriff auf die von der Anwaltskanzlei freigegebenen Details ihres Falls. Über das Mandantenportal kann der Mandant je nach Funktionsumfang Aktualisierungen und Meilensteine verfolgen, von seinem Anwalt angeforderte Dokumente sicher versenden bzw. hochladen, Formulare ausfüllen und über ein sicheres Portal mit seinem Anwalt kommunizieren. Eine bekannte eigenständige Anwendung ist die „WebAkte“. Zum Teil sind solche Portale als optionale Funktionen auch in der Kanzleisoftware integriert.

c) Dokumentenautomatisierung und Dokumentenmanagement

Ein weiterer wichtiger Bereich von Legal Tech umfasst die Dokumentenautomatisierung und das Dokumentenmanagement. Folgende Anwendungsfelder stehen hier im Vordergrund:

Beispiel Vertragsgenerator

Rechtsanwältin Müller nutzt zur Erstellung von Erbverträgen oder Pflichtteilsverzichtsverträgen einen Vertragsgenerator. Hierzu bedient sie sich entweder einer Vorlage des Generators, die sie anpasst und um eigene Klauseln anreichert, oder sie erstellt eine Vorlage komplett individuell. Die Vorlagen sind im Generator mit Fragen zu allen Regelungsbereichen des Vertrags verknüpft. Zur Erstellung eines neuen Vertrags ruft Frau Müller die Vorlage auf und beantwortet im Generator den Fragenkatalog, indem sie die abgefragten Informationen in der Maske der Anwendung eingibt. Auf Basis der Antworten wird der Entwurf mit den notwendigen Daten vervollständigt und automatisch mit Klauseln bzw. Textbausteinen erstellt, die auf den konkreten Sachverhalt zugeschnitten sind.

  • Dokumenten-/Vertragsgeneratoren: Mit diesen Anwendungen können Kanzleien eigene Vorlagen für typische Verträge oder andere Standarddokumente anlegen und zeitsparend auf individuelle Sachverhalte anpassen. Ein Beispiel hierfür ist LAWLIFT. Weitere Tools ermöglichen z. B. die Erstellung eines Schriftsatzes, indem aus allen Dokumenten einer Akte per „Drag-and-drop“ ein inhaltlich strukturiertes Basisdokument erstellt wird.
  • Kollaborationstools: Zum Teil als zusätzliche Funktion eines Dokumentengenerators, zum Teil als eigenständige Anwendung gibt es Lösungen, die ein gemeinsames Arbeiten von Anwälten, der eigenen Partei und / oder eines Dritten an einem Dokument bzw. Vertrag ermöglichen.
  • Dokumentenanalyse: Weitere Tools ermöglichen es, Dokumente auch in großer Anzahl automatisch und sehr differenziert nach bestimmten Informationen zu durchsuchen und je nach Anwendung sogar automatisch einer bestimmten Akte zuzuordnen. Solche Tools kommen vor allem bei Sachverhalten mit enormen Datenmengen wie z. B. bei Massenverfahren zum Einsatz.

d) KI-gestützte Recherche und Dokumentenerstellung

Mit der rasanten Entwicklung von KI ist in der jüngeren Zeit ein Bereich hinzugekommen, der die Legal Tech-Landschaft grundlegend erweitert hat und verändern wird. Ein ungefilteter unreflektierter Einsatz von KI im Bereich der Rechtsberatung ist mit einem großen Problemkreis behaftet: Die Ergebnisse sind nicht immer zutreffend oder Fakten werden sogar „erfunden“. Man spricht hier davon, dass die KI „halluziniert“. Diesem Problemkreis wird mit neueren Anwendungen begegnet, die den Einsatz von KI, respektive von Sprachmodellen wie ChatGPT oder Claude, ausschließlich auf valide Daten begrenzen. Dies können verlässliche Quellen wie z. B. Urteilsdatenbanken, geprüfte Mustervorlagen, Literatur, aber vor allem auch Dokumente der eigenen Kanzlei sein. So ist es bereits möglich, dass Kanzleien sich mithilfe einer KI-gestützten Anwendung auf Basis ihres eigenen Dokumentenbestands einen neuen Vertrag generieren lassen, der auf den einzugebenden Sachverhalt möglichst optimal passt. Eine solche Option bietet – neben weiteren Funktionen – z. B. Prime Legal AI an. Eine Entwicklung in diesem Bereich ist auch der relativ neue JURA KI-Assistent von RA-MICRO. Dieser ermöglicht eine KI-gestützte Recherche in validen Quellen mit der Möglichkeit, sich daraus sogleich juristische Antworten, Begründungen, Zusammenfassungen oder Schriftsätze generieren zu lassen.

3. Eine Legal Tech-Strategie für Ihre Kanzlei

Der Legal Tech-Markt ist riesig und wächst ständig weiter. Rechtsanwälte haben die Wahl zwischen vielen Anbietern und noch mehr Anwendungen, die sogar noch miteinander kombiniert werden können. Um hier den Durchblick zu wahren und sich ebenso strukturiert wie zielführend mit dem Thema zu befassen, empfiehlt sich folgendes Vorgehen:

Checkliste / Legal Tech-Strategie in 5 Schritten

  • Schritt 1: Das richtige Mindset
  • Erkennen Sie die Chancen von Legal Tech (Arbeitserleichterung, Effizienz, etc.) und seien Sie offen dafür.
  • Begreifen Sie Legal Tech aber nicht als Selbstzweck, sondern implementieren Sie Anwendungen erst nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung.
  • Schritt 2: Bedarfsanalyse
  • Können ständig wiederkehrende Arbeitsschritte in der Kanzlei automatisiert werden?
  • Können ineffektive oder fehleranfällige Abläufe/Arbeitsschritte in der Kanzlei durch technische Implementierungen verbessert werden?
  • In welchen Bereichen könnte ich mit technischer Hilfe schnellere oder bessere Arbeitsergebnisse erzielen?
  • Welche Technik erleichtert Mandanten die Kontaktaufnahme zu meiner Kanzlei?
  • Welche technischen Möglichkeiten erwarten Mandanten aktuell und künftig von mir?
  • Schritt 3: Machbarkeit prüfen
  • Welche Lösungen werden für meinen Bedarf überhaupt angeboten (gute Übersichten finden sich auf speziellen Portalen wie z. B. legal-tech.de)?
  • Ist die ins Auge gefasste Lösung mit meinen bestehenden Strukturen kompatibel?
  • Lässt sich der ermittelte Bedarf ggf. auch durch Umgestaltung oder bessere Ausnutzung der bestehenden technischen Strukturen erreichen?
  • Wie fällt eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung neuer technischer Implementierungen aus (Kosten-Nutzen-Verhältnis der dauerhaften Integration)?
  • Schritt 4: Testphase (wenn möglich)
  • Lässt sich die ins Auge gefasste Lösung testen oder zumindest ausführlich demonstrieren?
  • Bringt die Implementierung im Kanzleialltag den erhofften Nutzen?
  • Wie ist die Akzeptanz bei Mitarbeitern und Mandanten?
  • Entscheidung für oder gegen die endgültige Implementierung
  • Schritt 5: Monitoring und Evaluierung
  • Beobachtung, Analyse und Auswertung neu implementierter Prozesse
  • Ggf. Vornahme von Anpassungen oder neuen Implementierungen

AUSGABE: EE 3/2024, S. 50 · ID: 49913059

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