Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Okt. 2024 abgeschlossen.
Krankenhausreform„Wir brauchen eine echte, radikale Reform des Gesundheitssystems!“
| Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach hat mehr Gesetze zum Gesundheitswesen angekündigt als jeder seiner Vorgänger. Damit hat er Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker und Interessenvertretungen gegen sich aufgebracht. Wie ginge es besser? Dr. jur. Francesco De Meo war von 2008 bis 2023 als CEO der Helios-Kliniken-Gruppe im Vorstand des DAX-notierten Gesundheitskonzerns Fresenius. Heute ist er als Berater und Autor tätig (vgl. Buchtipp nach dem Interview) Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn nach der Zauberformel. |
Frage: Herr Dr. De Meo, in der Mythologie kann es sehr gefährlich sein, einen schlafenden Riesen zu wecken. Warum sollte dieses Risiko eingegangen werden?
Antwort: Es steckt eine große Chance darin, den Riesen zu wecken. Wir müssen den gordischen Knoten im deutschen Gesundheitswesen durchschlagen. Nichts zu tun, ist das größere Risiko. Allerdings ist es auch ein akutes Risiko, Karl Lauterbach mit seiner Gesundheitsreform so weitermachen zu lassen wie bisher. Diese Reform ist eine gefährliche Mogelpackung.
Frage: Warum?
Antwort: Weil sie die Versorgungsqualität insgesamt verschlechtert. Und weil über die geplanten Vorhaltekosten Milliarden verschwendet werden. Dieses Geld soll die Behandlungsqualität in Krankenhäusern steigern. Wir brauchen aber mehr als eine Reform der Krankenhausvergütung und begleitender technischer Details. Wir brauchen eine echte, radikale Reform des Systems. Geld ist genug da, nur nicht da, wo es benötigt wird. Der Fokus auf die Krankenhausreform hat den Blick auf das gesamte Gesundheitssystem verstellt.
Frage: Dann lassen Sie uns das gesamte Gesundheitssystem anschauen. Was wäre die Lösung?
Antwort: Wir müssen die Sektorengrenzen überwinden und das System neu organisieren. Das Geld für die Transformation muss in die Fläche gehen. In Landkreisen und Städten sind Akteure, die wissen, wie der Bedarf in ihren Regionen aussieht und wie sie dort etwas auf die Beine stellen können. In manchen Regionen fehlen Krankenhäuser, in anderen fehlt es im ambulanten Bereich. In Sachsen-Anhalt leben überproportional viele alte Menschen. Dort könnten ambulante Fälle im Krankenhaus über die Notaufnahme hinaus zum Standard werden. Auf der anderen Seite leiden Krankenhäuser in Großstädten wie Berlin, Hamburg und München daran, dass es dort angesichts der hohen Krankenhauskapazitäten zu wenige Patienten gibt. Dennoch geht das Geld über die Vorhaltekosten in die Metropolen. Für lokale und regionale Problemlösungen, für Gesundheitskioske, Community Nurses und digitale Vernetzungen gibt es kein Geld. Das muss sich ändern.
Frage: Gesundheitskioske hatte Karl Lauterbach aber geplant. Sie waren in der Ampelkoalition nicht durchsetzbar.
Antwort: Karl Lauterbach ist ein intelligenter Mann, doch kann oder will er nicht richtig zuhören. Er hat sich in eine Auseinandersetzung mit den Ländern begeben und dabei die Systemreform aus den Augen verloren. Chefärzte kleiner Kliniken fragen zu Recht, wie Lauterbach sich deren Zukunft vorstellt. Sie wären in der Lage, Verantwortung zu übernehmen und vor Ort zu gestalten. Das ist aber leider in der Konfrontation zwischen Bund und Ländern komplett untergegangen. Gute Gesundheitsversorgung kann man aber nicht am Reißbrett in Berlin planen und verordnen. Deshalb schlage ich eine Gesundheitsagenda vor, nach der Bund und Länder die Bildung regionaler Versorgungscluster ermöglichen und sich darauf beschränken, die Parameter für die Versorgungsqualität zu definieren, an der sich die Vergütung orientiert. Die Akteure vor Ort müssen entscheiden, wie sie den für ihre Zwecke besten Mix aus Kopfpauschalen, Fallpauschalen und Kostenerstattungen gestalten und wie sie ihr Budget für die Versorgung, Digitalisierung und Vernetzung einsetzen.
Frage: Was könnte Chefärztinnen und Chefärzte motivieren, das anzupacken?
Antwort: Die Devise lautet: Folge dem Geld. Wer sich auf die Privatliquidation konzentriert, hat keine Zukunft. Die Zukunft lautet, Versorgung sicherzustellen, unabhängig von der Art des Versicherungsschutzes. Es geht darum, dass der Chefarzt sich nicht als Chef seiner Abteilung begreift, sondern als Arzt seines Fachs, der z. B. auch ambulant operiert. Die Klammer bildet der nicht zu diskutierende Grundkonsens, für die Patienten die bestmögliche Versorgung zu schaffen. Finanzielle Anreize müssen sich genau daran orientieren. Manche mögen das als Utopie abtun. Doch es gibt auf der Welt andere Gesundheitssysteme, die für ein besseres Outcome weniger Geld ausgeben als wir.
Frage: Geben Sie der Krankenhausreform in dieser Legislaturperiode, die in etwa einem Jahr endet, noch eine Chance?
Antwort: Ich möchte nicht orakeln. In vielen Gesprächen höre ich, dass Bund und Länder zwar nicht zufrieden sind, nach der langen Diskussion aber wenigstens etwas vorweisen möchten. Es soll nicht der Eindruck entstehen, dass sie komplett versagt haben. Deshalb dürfte Karl Lauterbach den Ländern nachgeben. Für ihn ist es ein Gang nach Canossa, um sein Amt und die Bundesregierung nicht zu beschädigen. Ich plädiere dafür, diese krankenhauszentrierte Reform zu stoppen. Besser früher als später. Sie ist eine Einbahnstraße und führt in die Sackgasse. Spätestens nach der Bundestagswahl 2025 sollte eine echte Systemreform auf den Weg gebracht werden, die diesen Namen auch verdient. Es darf nicht noch mehr Geld in die Perpetuierung eines maroden Systems gesteckt werden. Vielleicht kann mein Weckruf dazu beitragen.
Herr Dr. De Meo, vielen Dank für das Gespräch!
Buchtipp | De Meo, Francesco: Den schlafenden Riesen wecken: Wie ein gesundes Gesundheitssystem entsteht, wenn wir es wirklich wollen. Frankfurt 2024. 192 S. 22 Euro. ISBN-13: 978-3962512026.
AUSGABE: CB 10/2024, S. 18 · ID: 50105217