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CBChefärzteBrief

ArbeitsrechtMögliche Folgen der Krankenhausreform für den Chefarztvertrag: So könnten Chefärzte reagieren

Abo-Inhalt30.08.20241768 Min. LesedauerVon RA, FA ArbR, MedR und HGR, Benedikt Büchling, und Justus Böhm, Kanzlei am Ärztehaus, Hagen

| Der Entwurf zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG; Abruf-Nr. 50124581) dürfte nicht nur den Arbeitsalltag der Chefärzte betreffen, sondern auch arbeitsrechtliche Folgen haben – bis hin zur (Änderungs-)Kündigung. Wie viele Chefärzte betroffen sein werden, wenn der Entwurf unverändert in Kraft tritt, ist zurzeit noch unklar. Wie sich betroffene Chefärzte im Notfall wehren können, zeigt dieser Beitrag. |

Diese arbeitsrechtlichen Folgen könnten sich für Chefärzte ergeben

Der Gesetzentwurf sieht explizit vor, dass kleinere Standorte fusioniert bzw. zusammengelegt werden, um eine qualitätsgesicherte medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Außerdem wird durch die vorgesehene Leistungsgruppenzuordnung einerseits eine stärkere Spezialisierung entstehen und andererseits werden gerade in sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen bisher bestehende Fachbereiche zum Teil abgebaut. Damit können kündigungsrechtliche Folgen für den Chefarzt an kleineren Krankenhäusern wegen Personalüberhangs einhergehen.

Auch die Unwirtschaftlichkeit der eigenen Abteilung oder deren Herausnahme aus dem Krankenhausplan kann ein Erfordernis für eine betriebsbedingte (Änderungs-)Kündigung darstellen. Weitere Folgen können sich etwa in Form einer arbeitgeberseitigen Organisationsanweisung, einer Änderungskündigung oder einer Beendigungskündigung manifestieren. Schon jetzt sind aus der eigenen anwaltlichen Praxis mehrere vergleichbare Fälle bekannt.

Weitere mögliche Folgen der Krankenhausreform

  • Zusammenschlüsse von Fachabteilungen zu Leistungsgruppen von mehreren Standorten zu einem
  • Krankenhausübergreifende Kooperation mit anderen Krankenhausträgern
  • Umwandlungen in ein Krankenhaus mit sektorenübergreifender Versorgungseinrichtung
  • Standortschließungen

„Organisationsmaßnahmen“ sind weder vom Direktionsrecht noch vom Chefarztvertrag gedeckt

Aus der anwaltlichen Praxis sind Fälle bekannt, in denen die Geschäftsführung den Chefarzt unter Hinweis auf die bevorstehende Krankenhausreform zur Stellungnahme auffordert. Angekündigt wird eine einseitige Organisationsmaßnahme, die ab einem näher bestimmten Zeitpunkt umgesetzt werden wird. Der Chefarzt wird zudem unter Fristsetzung zur Stellungnahme aufgefordert.

Mögliche Organisationsmaßnahmen und ihre Folgen

  • Der Zusammenschluss einzelner Fachabteilungen und Leistungsgruppen, ohne Schließung der Abteilung, ist das mildeste Eingriffsmittel. Hier stellt sich zunächst die individualarbeitsrechtliche Frage, ob eine solche Organisationsmaßnahme vom Direktionsrecht des Arbeitgebers gedeckt ist. Dies könnte z. B. nicht der Fall sein, wenn der Chefarztvertrag einschränkende Regelungen zum Tätigkeitsinhalt, Arbeitsort und Versetzungen enthält. Soweit das regelhafte eingeschränkte Direktionsrecht die Maßnahme nicht abdeckt, müssen Änderungskündigungen bis hin zu Beendigungskündigungen ausgesprochen werden, soweit keine einvernehmliche Lösung erzielt werden kann. Kollektivarbeitsrechtlich bedarf es bei Versetzungen gemäß § 99 BetrVG der Beteiligung des Betriebsrates. Auch bei Änderungs- und Beendigungskündigungen ist der Betriebsrat gemäß § 102 BetrVG anzuhören.
  • Ferner können beteiligungsfähige Betriebs-(Teil-)Schließung und Betriebsänderungen gemäß § 111 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) vorliegen.
  • Im Bereich der Verlagerung bzw. Versetzung stellt sich zudem die Frage, ob darin ein Betriebs-(Teil-)Übergang gemäß § 613a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu sehen ist. Betriebsübergängen können Chefärzte widersprechen. Eine Personalgestellung kann ggf. in Tarifverträgen vorgesehen sein. Auch dürfte sich die Frage stellen, ob ggf. eine erlaubnispflichtige Arbeitnehmerüberlassung vorliegt.
  • Bei Standortschließungen können Massenentlassungen drohen, vgl. § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG).

Eine solche Organisationsmaßnahme ist regelmäßig weder vom Direktionsrecht des Arbeitgebers noch von den chefarztvertraglichen Vereinbarungen abgedeckt. Etwas anderes kann u. U. gelten, soweit der Chefarztvertrag eine wirksame „ Entwicklungsklausel“ enthält. Dies ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG):

  • Das Direktionsrecht umfasst nicht die Versetzung auf einen geringeren bzw. unterwertigen Arbeitsplatz. Das gilt auch, wenn die Vergütungsreduzierung auf 25 Prozent beschränkt wird (BAG, Urteil vom 24.04.1996, Az. 4 AZR 976/94; BAG, Urteil vom 11.10.2006, Az. 5 AZR 721/05, Juris-Rn. 23 bis 25 sowie BAG, Urteil vom 12.01.2005, Az. 5 AZR 364/04, Juris-Rn. 25 und 30).
  • Da der Tätigkeitsbereich des Chefarztes durch den Chefarztvertrag genau bestimmt ist, kann die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes nicht einseitig, sondern nur einvernehmlich erfolgen (z. B. BAG, 10.11.19552 AZR 591/54, dejure.org).

Insoweit umgeht eine solche Organisationsmaßnahme i. d. R. in unzulässiger Weise den Änderungsschutz des § 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) und ist damit rechtsunwirksam. Sie ist regelmäßig nicht von der „Entwicklungsklausel“ im Chefarztvertrag gedeckt.

Es gibt Ausnahmen, wonach eine solche Maßnahme ggf. von einer Entwicklungsklausel gedeckt sein kann, soweit die Rechtsprechung zum Widerruf von Vergütungsbestandteilen (25 Prozent) gewahrt wird und die Klausel hinreichend bestimmt ist. So entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG), dass das Beschränken des Aufgabenbereichs aufgrund einer Entwicklungsklausel wirksam ist, wenn die Arbeitsvergütung dadurch auf 75 Prozent und die Gesamteinnahmen aus dienstlicher und genehmigter Nebentätigkeit auf 60 bis 65 Prozent der bisherigen Einnahmen sinken (Urteile vom 13.02.2003, Az. 6 AZR 557/01 und Urteil vom 28.05.1997, Az. 5 AZR 125/96).

Die Organisationsmaßnahme bezweckt regelmäßig eine Änderung der Art der geschuldeten Tätigkeit, also der Hauptpflicht des Chefarztes nach Chefarztvertrag. Insoweit liegt – unabhängig von der Änderung der Vergütung – ein Eingriff in den Kernbereich des Arbeitsverhältnisses vor. Demzufolge ist der Vertragsinhaltsschutz gemäß § 2 KSchG tangiert.

Praxistipp | Die Entwicklungsklausel sieht regelmäßig eine vorherige Anhörung des Chefarztes vor. Wenn Sie als Chefarzt eine solche Aufforderung zur Stellungnahme enthalten, wahren Sie unabhängig von den o. g. Ausführungen vorsorglich die vom Träger gesetzte Frist. In der Regel erfolgt nach fristgerechter Abgabe der Stellungnahme nebst Ablehnung der Organisationsmaßnahme der Ausspruch der Änderungskündigung.

Änderungskündigungen müssen sozial gerechtfertigt sein

Eine arbeitgeberseitige Änderungskündigung ist eine Beendigungskündigung, die mit dem Angebot kombiniert wird, das Arbeitsverhältnis zu veränderten Bedingungen fortzusetzen. Meist handelt es sich dabei um eine Reduzierung (z. B. Degradierung auf eine Stelle als leitender Oberarzt).

Nach der Rechtsprechung des BAG müssen sämtliche mit dem Änderungsangebot vorgeschlagenen vertraglichen Änderungen einschließlich der angebotenen Gegenleistung sozial gerechtfertigt sein. Im Rahmen eines Änderungsschutzverfahrens muss der Träger u. a. den Wegfall des bisherigen Arbeitsplatzes sowie die Vornahme einer Sozialauswahl nach den allgemeinen Grundsätzen darlegen und beweisen. Der Träger muss unter Berücksichtigung der chefarztvertraglichen eingegangenen besonderen Verpflichtungen alles Zumutbare unternommen haben, um die angeblich notwendigen Anpassungen auf das erforderliche Maß zu beschränken (BAG, Urteil vom 02.03.2006, 2 AZR 64/05 und Urteil vom 26.03.2009, Az. 2 AZR 879/07).

Nach der Rechtsprechung (vgl. Landesarbeitsgericht (LAG) Köln NZA RR 2003, 247 und BAG NZA 2010, 333) führt schon eine sozial ungerechtfertigte Änderung der Arbeitsbedingungen zur Unwirksamkeit der gesamten Änderungskündigung. Die Änderungskündigung ist bereits unwirksam, wenn sie auf eine Veränderung der Arbeitsbedingungen vor Ablauf der Kündigungsfrist abzielt (vgl. LAG Köln BeckRS 2007, 48677; BAG NZA 2007, 435).

Teamüberhänge sind Sache des Trägers. Eine vermeintliche Doppelbesetzung ist Sache des Arbeitgebers. Die chefarztvertraglichen Vereinbarungen sind zu beachten (vgl. exemplarisch LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.02.2020, Az. 3 Sa Ga 7 öD/19).

Bei einer Änderungskündigung haben Chefärzte vier Optionen

Nach Ausspruch bzw. Zugang einer Änderungskündigung bestehen grundsätzlich folgende vier Handlungsoptionen des Chefarztes:

1. Der Chefarzt reagiert nicht auf das Änderungsangebot

Wenn der Chefarzt nicht reagiert, also das Änderungsangebot nicht annimmt und keine Kündigungsschutzklage erhebt, gilt das Angebot als abgelehnt und die Beendigungskündigung als sozial gerechtfertigt.

2. Der Chefarzt lehnt das Änderungsangebot ab

Lehnt der Chefarzt das Änderungsangebot ab, muss er fristgerecht Kündigungsschutzklage erheben und gegen die Beendigungskündigung vorgehen. Auch für die Änderungskündigung gilt wie bei der Kündigungsschutzklage die Klageerhebungsfrist der §§ 4, 7 KSchG: Eine Änderungskündigungsschutzklage muss binnen 3 Wochen ab Zugang der Änderungskündigung erhoben werden, ansonsten gilt die Kündigung von Gesetzes wegen als wirksam.

Darum hat gerade vor dem Hintergrund der Krankenhausreform eine Klage gute Erfolgsaussichten:

  • So urteilte z. B. das Arbeitsgericht Gera, dass ein Chefarzt seine arbeitsvertraglichen Loyalitätspflichten nicht dadurch verletzt, indem er eine unternehmensrechtliche Entscheidung in Form der Verschmelzung bzw. Fusion, nicht mitträgt. Die daraufhin ausgesprochene außerordentliche Kündigung des Trägers sei unwirksam (Urteil vom 20.12.2023, Az. 4 Ca 495/23; CB 08/2024, Seite 12 f.).
  • Zudem ist der Träger darauf zu verweisen, dass Vermutungen bzw. noch nicht in Kraft getretene Gesetze keinen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstellen können. So hielt das Landgericht Augsburg die außerordentliche Kündigung eines Konsiliararztvertrags vor Einführung des § 299a Strafgesetzbuch (vgl. 11/2021, Seite 5 ff.) für unwirksam. Es sei genügend Zeit gewesen, den Vertrag ordentlich fristgerecht zu kündigen (Urteil vom 25.09.2018, Az. 022 O 2736/17).

3. Der Chefarzt nimmt das Änderungsangebot an

Wenn der Chefarzt das Änderungsangebot vorbehaltlos annimmt, wird das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortgesetzt.

4. Der Chefarzt nimmt das Änderungsangebot unter Vorbehalt an

Wenn der Chefarzt das Änderungsangebot „unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung nach § 2 KSchG“ annimmt und innerhalb von drei Wochen eine Änderungsschutzklage wegen §§ 4, 7 KSchG erhebt, wird das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Kündigungsfrist und bis zum rechtskräftigen Abschluss des Änderungsschutzverfahrens zu den geänderten Arbeitsbedingungen fortgesetzt. Gewinnt der Chefarzt den Rechtsstreit, muss der Träger ihn gemäß § 8 KSchG zu den ursprünglichen chefarztvertraglichen Vereinbarungen beschäftigen. Er muss den Chefarzt rückwirkend so stellen, als sei die Veränderung der Arbeitsbedingungen nach Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich nicht eingetreten. Mit anderen Worten: Bei einer Gehaltsreduzierung muss dem Chefarzt die Differenz nachgezahlt werden.

Praxistipp | In der Regel ist der Chefarzt gut beraten, die Handlungsoption „Annahme unter Vorbehalt“ zu wählen, da er so seine Rechte wahrt und den rechtssichersten Weg wählt.

Zu den Autoren | RA Benedikt Büchling ist neben seiner anwaltlichen Tätigkeit als Lehrbeauftragter an der Hochschule Osnabrück tätig. Der Lehrauftrag wurde für Arbeitsrecht im Gesundheitswesen erteilt. Justus Böhm ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Student der Rechtswissenschaften im 8. Semester (Universität Marburg)

AUSGABE: CB 10/2024, S. 4 · ID: 50139441

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