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CBChefärzteBrief

Personal„Unser Engagement für das Recruiting von Pflegekräften aus Mexiko zahlt sich aus!“

Abo-Inhalt22.01.202426 Min. Lesedauer

| Das Klinikum Saarbrücken wirbt seit dem Jahr 2020 Pflegekräfte aus Mexiko an. Inzwischen kamen in drei Jahren nacheinander insgesamt 73 Pflegekräfte auf dem Winterberg an, die vierte Gruppe hat in Mexiko mit ihrem Deutschsprachkurs begonnen. Über ihre Erfahrungen mit diesem Modell berichten Dr. Christian Braun, Geschäftsführer und Ärztlicher Direktor, sowie Christine Danzer, Praxisanleiterin Internationale Pflegekräfte und interkulturelle Trainerin, im Gespräch mit Ursula Katthöfer (textwiese.com). Ein Video des Interviews finden Sie online unter iww.de/s10129). |

Frage: Wie sind Sie ausgerechnet auf Mexiko gekommen?

Dr. Braun: Um dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken, haben wir Ausbildungsprogramme gestartet, die Zahl der Ausbildungsplätze erhöht und Mitarbeiter aus der Region eingestellt. Doch das reichte nicht aus. Daher haben wir gemeinsam mit dem Universitätsklinikum des Saarlands Kontakt zur Bundesagentur für Arbeit aufgenommen, um ein internationales Recruitingprogramm zu starten. Mexiko wurde 2018/2019 aus mehreren Gründen als Destination identifiziert: Es gibt ein deutsch-mexikanisches Abkommen, das einen strukturierten Rahmen schafft. Mexiko hat ein Überangebot von hochqualifizierten Pflegefachkräften. Die Ausbildung der Pflegefachkräfte ist dort auf einem hohen Niveau und der deutschen Ausbildung in vielen Punkten gleichzustellen.

Danzer: In Mexiko absolvieren die Pflegefachkräfte ein vierjähriges, eher

generalistisches Studium mit Altenpflege, Kinderkrankenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege. Sie müssen ein soziales Jahr machen, meistens auf dem Land. Dort arbeiten sie sehr selbstständig, diagnostizieren und verschreiben auch Medikamente. Sie bringen viel Fachkompetenz mit, manche haben Fachweiterbildungen. Zu Deutschland gibt es aber auch Unterschiede. Wir haben z. B. die Fachweiterbildung Intensiv- und Anästhesiepflege, in Mexiko gibt es nur Intensivpflege oder nur Anästhesiepflege.

Frage: Sie führen die Bewerbungsgespräche persönlich. Wie läuft das ab?

Dr. Braun: Teams aus den Personalabteilungen und Pflegedirektionen des Winterbergs und des Universitätsklinikums fliegen von Dolmetschern begleitet nach Mexiko. Sie stellen dort die Häuser, Deutschland, das Saarland, seine Kultur und die Arbeitsbedingungen vor und führen Bewerbungsgespräche. Wenn sie nach Hause fliegen, haben die neuen mexikanischen Kolleginnen und Kollegen ihren Arbeitsvertrag in der Tasche und beginnen noch in Mexiko damit, Deutsch zu lernen. Voraussetzung für die Einreise nach Deutschland ist das Sprachniveau B1.

Frage: Wie werden die Pflegekräfte nach ihrer Ankunft in Saarbrücken eingesetzt?

Dr. Braun: Sie starten als Pflegehelfer auf einer Station, weil sie noch die berufliche Anerkennung erlangen müssen. Sechs bis zwölf Monate arbeiten sie in Begleitung einer examinierten Pflegekraft. Haben sie die Anerkennungsprüfung abgelegt, sind sie voll examinierte Pflegekräfte mit den gleichen Rechten und Pflichten wie jede andere Pflegekraft. Für uns war von Anfang an klar, dass es sich nicht um Pflegekräfte zweiter Klasse handelt. Auf solche Kritik muss man ebenso Antworten parat haben wie auf den Vorwurf, dass wir als reiches Land einem vermeintlich ärmeren Land die Fachkräfte wegnehmen.

Frage: Wie ist denn der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte in Mexiko? Was motiviert sie, in ein mitteleuropäisches Land mit langen Wintern auszuwandern?

Danzer: In Mexiko ist es sehr schwierig, eine feste Stelle zu bekommen. Arbeitsverträge werden meist nur für ein Jahr abgeschlossen, manchmal noch kürzer. Wir können in Deutschland nach der beruflichen Anerkennung unbefristete Verträge anbieten. Viele der mexikanischen Pflegekräfte haben Familie, es geht ihnen auch um eine bessere und sicherere Zukunft für ihre Kinder. Auch der Traum, zu reisen und woanders zu arbeiten, gehört dazu.

Frage: Vom Visumsantrag bis zur beruflichen Anerkennung geht es nicht ohne Bürokratie. Wer übernimmt die Formalitäten?

Danzer: Wir arbeiten mit der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit zusammen. Sie übernimmt in Kooperation mit uns das Dokumentenmanagement, d. h., sie kümmert sich darum, dass Urkunden in Mexiko übersetzt, Visumsanträge gestellt werden. Wir koordinieren mit den von uns gewählten Sprachschulen in Mexiko während des siebenmonatigen Sprachkurses regelmäßige Videokonferenzen, um die Bindung zu den Teilnehmenden zu stärken. Sobald die Pflegekräfte hier sind, kümmern wir uns vor Ort um das Ankommen in Deutschland und am Klinikum Winterberg. Bisher wurden alle neuen Kolleginnen und Kollegen von den Pflege- und Personaldirektoren der Häuser persönlich am Flughafen abgeholt. Es folgen zwei bis drei Wochen Onboarding, in denen wir u. a. für die Anmeldung ins Rathaus gehen sowie Teambuildings und Stadtführungen organisieren.

Dr. Braun: Es reicht nicht, nur „willkommen“ zu sagen. Ziel ist, dass die mexikanischen Pflegekräfte „willbleiben“ sagen. Dazu gehört im Alltag so viel mehr: Wie eröffne ich bei der Kreissparkasse ein Konto? Wie finde ich eine Wohnung? Ist am Anfang eine WG sinnvoll? Wie komme ich zu IKEA? Was tue ich bei Heimweh? Um die mexikanischen Pflegekräfte zu unterstützen, haben wir ein breites Netz gespannt. Mentorinnen und Mentoren kümmern sich auf den Stationen. Wir stellen den Kontakt zur deutsch-mexikanischen Gesellschaft in Saarbrücken her, um eine Brücke zur Heimat und zur eigenen Kultur zu schlagen. Dieses Engagement führt zu einer sehr hohen Erfolgsquote. Wir haben bisher nur wenige Kräfte verloren.

Frage: Aus welchen Gründen verlassen Pflegekräfte Deutschland wieder?

Dr. Braun: Vielleicht fassen manche nicht Fuß oder bei der Familie in Mexiko ändern sich die Umstände. Eine nicht hundertprozentige Erfolgsquote gehört zu einem internationalen Recruitingprogramm. Auch wer Fuß fasst, muss nicht 30 Jahre auf dem Winterberg bleiben. Berufliche oder private Veränderungen gehören zum Leben dazu.

Danzer: Gerade zum Thema Familienzusammenführung könnte die Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden besser sein. Für die Pflegekräfte ist es dramatisch, wenn sie ein Jahr in Deutschland waren, alle Prüfungen bestanden haben, beruflich anerkannt sind, aber das Visum für die Familie auf sich warten lässt.

Frage: Schauen wir auf die Stationen. Werden mexikanische Pflegekräfte bewusst gemeinsam auf Stationen eingesetzt oder ist das kontraproduktiv?

Dr. Braun: Das ist ein dynamischer Prozess. Natürlich wird man in der ersten Zeit nicht drei mexikanische Pflegekräfte auf einer Station gemeinsam einsetzen. Es ist wichtig, dass sie Sprachkompetenz erlangen und sich auf neue Dinge einlassen. Aber je weiter dieser Integrationsprozess fortschreitet, desto häufiger können sie zusammenarbeiten, warum auch nicht?

Frage: Wie entwickelt sich das Sprachniveau? Deutsch ist immerhin keine leicht zu erlernende Sprache.

Danzer: In den ersten Projekten haben wir noch auf allgemeinsprachliche Kurse gesetzt, also: „Stellen Sie sich vor, Sie bestellen in einem Restaurant ein Schnitzel.“ Allerdings benötigen die Kolleginnen und Kollegen im Krankenhaus eine Fachsprache: „Ich hänge Ihnen eine Infusion an.“ Mittlerweile setzen wir auf die Berufssprachkurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Im Endeffekt lernen die mexikanischen Fachkräfte drei Sprachen: Alltagsdeutsch, die Klinik-Fachsprache und Saarländisch, da hier noch sehr viel Dialekt gesprochen wird. Das Niveau B2 zu erreichen, ist sehr schwierig. Doch es ist wichtig für die Arbeit auf der Station und für die soziale Integration. Ich selbst unterrichte Deutsch als Fremdsprache, um alle möglichst gut auf die Stationen vorzubereiten.

Frage: Wie hoch sind die Investitionen des Klinikums Saarbrücken in das Recruiting in Mexiko?

Dr. Braun: Ich kann und ich will kein Preisschild an eine gewonnene mexikanische Pflegekraft heften. Es gibt auch keine belastbare Größe, weil sehr viele, auch weiche Faktoren hineinspielen. Ganz wichtig ist, dass ein solches Programm kein Sprint, sondern definitiv ein Marathon ist. Allein die erste Recruitingphase vorzubereiten, nimmt viele Monate in Anspruch. Dann dauert es bis zur ersten Einreise. Es folgen Onboarding und Qualifikationsprogramm. Wir machen das jetzt seit über fünf Jahren. Erst seit den letzten zwei, drei Jahren fahren wir die Ernte ein. Jetzt verfügen wir über ein stabiles Netzwerk, die ersten Pflegekräfte aus Mexiko sind inzwischen Botschafter für unser Haus, unser Team und die Gemeinschaft. Engagement und Investition zahlen sich aus.

Frau Danzer, Herr Dr. Braun, vielen Dank für das Gespräch!

AUSGABE: CB 2/2024, S. 3 · ID: 49813564

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