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CBChefärzteBrief

GutachterSachverständiger reagiert unsachlich auf Kritik – Besorgnis der Befangenheit berechtigt

Abo-Inhalt07.03.20223530 Min. LesedauerVon RA Michael Lennartz, Rechtsanwälte, Bonn, Berlin, Baden-Baden

| Wenn ein Arzt als Sachverständiger vor Gericht angemessene inhaltliche Kritik an seinem Gutachten als „unmoralisch“ bezeichnet, besteht Grund zur Besorgnis einer Befangenheit (Oberlandesgericht [OLG] Frankfurt/Main, Beschluss vom 20.08.2021, Az. 17 W 16/21). |

Sachverhalt

Ein Arzt wurde in einem arzthaftungsrechtlichen Schadensersatzprozess vom Gericht zum Sachverständigen bestellt. Die Klägerin war wegen Schulterbeschwerden mit einer Kappenprothese (Eclipse-Arthrex-Kappe) versorgt worden. Nach dem Eingriff bestanden die Beschwerden fort. Zwei von der Klägerin eingeholte Privatgutachten ergaben, dass die streitgegenständliche Versorgung nicht indiziert gewesen war.

Zum gerichtlich beauftragten Gutachten merkte die Klägerin an, dass darin die Ergebnisse der beiden Privatgutachten nicht berücksichtigt worden llseien. Das Gericht gab dem von ihm bestellten Sachverständigen daraufhin auf, sein Gutachten entsprechend anzupassen. Der Sachverständige kam der Aufforderung nach, führte aber aber im Ergänzungsgutachten aus, dass die Anwälte der Klägerin ihn in mehreren anderen Verfahren als Privatgutachter beauftragt hätten und ihr Einwand gegen sein Gutachten „unmoralisch“ sei. Die Klägerseite lehnte den Sachverständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Anders als die Vorinstanz folgte das OLG dem Antrag.

Entscheidungsgründe

Ein Sachverständiger könne, so die Richter, wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn hinreichende Gründe dafür vorliegen. Vom Standpunkt einer „vernünftigen Partei“ aus müssten diese geeignet sein, Zweifel an der Unparteilichkeit des Sachverständigen zu wecken. Unerheblich sei, ob der gerichtlich beauftragte Sachverständige tatsächlich parteilich ist oder ob das Gericht Zweifel an dessen Unparteilichkeit hegt. Maßgeblich sei allein, ob die Partei, die das Ablehnungsgesuch stellt, den Eindruck einer nicht vollständigen Unvoreingenommenheit und Objektivität habe.

Mehrere Gründe, die im Einzelnen keine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, können in ihrer Summe die notwendige Überzeugung vermitteln. In diesem Zusammenhang können Negativäußerungen über eine Prozesspartei die Voreingenommenheit begründen. Weiter führte das Gericht aus: „Die Besorgnis der Befangenheit kann sich zudem daraus ergeben, dass der Sachverständige auf die gegen sein Gutachten gerichtete sachliche Kritik mit abwertenden Äußerungen über die Partei [...] oder einen Privatgutachter reagiert [...].“

Aufgrund dieser Überlegungen sieht das OLG Gründe vorliegen, die Anlass zur Besorgnis der Befangenheit geben. Die Unterstellung unmoralischen Verhaltens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin verlasse jeglichen Verfahrensbezug und stelle sich als nicht veranlasste Kränkung der Reputation des Sachverständigen dar. Diese könne begründete Zweifel daran wecken, der Sachverständige werde den Behauptungen der Klägerin nicht mehr unvoreingenommen entgegentreten. Unerheblich sei, dass der Sachverständige in dem Gutachten und seiner Stellungnahme zum Befangenheitsgesuch auf seine Objektivität verweise. Entscheidend sei nicht, ob der Sachverständige tatsächlich befangen ist oder das Gericht ihn für befangen hält, sondern allein wie sich sein Verhalten aus Sicht der Klägerin darstelle.

Dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin den Sachverständigen in anderen Verfahren als Privatgutachter eingebunden und als objektiv und kompetent beschrieben haben, rechtfertige keineswegs eine – aus Sicht des Sachverständigen wohl unterstellte – Pflicht zur kritiklosen Hinnahme seiner Bewertungen in dem vorliegend maßgeblichen verfahrensbezogenen Gutachten. Das Verhalten es Sachverständigen werteten die Richter wie folgt:

„Das Verhalten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin wegen deren kritischer Stellungnahme als unmoralisch zu bezeichnen, entfernt sich von einer verfahrensbezogenen, die Förmlichkeiten des dem erfahrenen Sachverständigen bekannten zivilprozessualen Verfahrens wahrenden Reaktion.“

Drastische Ausführungen eines Sachverständigen, um sich gegen unsachliche und unangemessene Kritik zu erwehren sei zwar erlaubt und von der anderen Partei hinzunehmen. Vorliegend sei es darum aber nicht gegangen. Die von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an dem (Erst-)Gutachten geübte Kritik wahre die Sachlichkeit. Die Bewertungen des Sachverständigen würden mit Blick auf die Implantation der Kappenprothese und die Befunderhebung unter Heranziehung der Bewertungen der Privatgutachter bezweifelt, ohne dass etwa die Objektivität oder Kompetenz dem Sachverständigen abgesprochen werde:

„Im Gegenteil wird betont, dass der Sachverständige als objektiver Gutachter geschätzt werde. Mit Blick darauf stellt sich die Reaktion des Sachverständigen umso mehr als nicht mehr gerechtfertigt und verfahrensfremd dar.“

Fazit | Der Beschluss zeigt, dass der Sachverständige im Zuge einer diskursiven Auseinandersetzung mit seinem Gutachten schnell Gefahr laufen kann, trotz nicht zur Debatte gestellter Anerkennung seiner fachlichen Kompetenz, der Besorgnis der Befangenheit ausgesetzt zu sein. Einmal mehr heißt es also in der Verhandlung, einen kühlen Kopf zu bewahren und Kritik niemals als persönlichen Affront an der eigenen Reputation zu sehen.

Weiterführender Hinweis
  • Handlungsempfehlungen, wie Sie als (Chef-)Arzt und gerichtlich bestellter Gutachter in einem Prozess auftreten bzw. kommunizieren sollten und wie Sie es vermeiden, als befangen abgehlehnt zu werden, lesen Sie in dem Beitrag „Das dürfen Ärzte als Gerichtsgutachter sagen“ (CB 04/2021, Seite 16)

AUSGABE: CB 5/2022, S. 11 · ID: 48042811

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