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Personal„Bei der ärztlichen Weiterbildung haben wir viel Nachholbedarf!“
| Fast zwei Drittel des medizinischen Nachwuchses sind mit ihrer derzeitigen Weiterbildung zum Facharzt nicht oder kaum zufrieden. So das Ergebnis des MB-Barometers Ärztliche Weiterbildung 2021, an dem sich 3.238 junge Ärztinnen und Ärzte beteiligten (s. weiterführenden Hinweis). Prof. Dr. Christof Burger ist stellvertretender ärztlicher Direktor der Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie und leitender Arzt der Unfall-, Hand- und plastisch-rekonstruktiven Chirurgie des Universitätsklinikums Bonn. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte ihn, wie sich die Situation verbessern ließe. |
Frage: Herr Professor Burger, nur 15 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen ein strukturierter Weiterbildungsplan ausgehändigt wurde. Nur 10 Prozent erhielten regelmäßig Feedback. Nehmen Chefärzte die Weiterbildung nicht ernst genug?
Antwort: Im Gegensatz zu anderen Branchen fehlen in der Medizin professionalisierte Strukturen. Leitende Ärzte an deutschen Kliniken haben zwar die Weiterbildungsbefugnis, werden aber dahin gehend zu wenig geschult. Krankenhausvorstände achten zu wenig auf pflichtgemäße Feedbackgespräche, die standardisiert sind und protokolliert werden. Es hängt viel von der Eigeninitiative des jeweiligen Chefarztes ab. Wir haben Nachholbedarf.
Frage: In einem Freitextfeld des MB-Barometers hieß es, Zitat: „Der Geschäftsführung ist die Gewinnmaximierung wichtiger als die Weiterbildung.“ An anderer Stelle, Zitat: „Wir sind nur Arbeitsdrohnen.“ Wie sehen Sie das?
Antwort: Das ist Unsinn. Wenn die Geschäftsführung unternehmerisch denkt, liegt die Zufriedenheit der Ärzte in ihrem Interesse. Sie ist ein wichtiger Faktor für ein gutes betriebswirtschaftliches Ergebnis. Je sorgfältiger die Geschäftsführung sich um das Personal kümmert, desto eher kann sie ihren Gewinn steigern. Aber es stimmt natürlich, dass die Belastung für junge Ärzte sehr hoch ist. Die erste Stelle nach dem Studium ist ein großer Sprung. Für Anfänger gibt es eine unglaubliche Fülle von Dingen, die zu lernen sind.
Frage: Lassen Sie uns nach Auswegen suchen. Wie kann gewährleistet werden, dass die Rotation während der Weiterbildung nicht unterbrochen wird, weil Nachwuchskräfte an anderer Stelle einspringen müssen?
Antwort: Es braucht eine professionelle Strukturierung der Weiterbildung. Das gilt nicht nur für die Assistenten, sondern auch für die jungen Oberärzte. Dabei können die Personalabteilungen der Kliniken beraten und unterstützen. Bei uns beginnt die Rotation auf einer Station. OP, Schockraum und Hubschrauber folgen erst später. Wir haben Handlungsanweisungen und SOPs. Wer neu zu uns kommt, findet einen Mentor an seiner Seite. Vor Jahrzehnten hat sich kein Chefarzt für diese engmaschige Begleitung interessiert. Heute ist die Personaldecke so dünn, dass es gar nicht anders geht.
Frage: Beispiel Feedbackgespräche: Wie ließe sich eine gute Struktur erreichen?
Antwort: Chefsekretariat oder Administration müssen einen Plan erstellen, in dem pro Jahr für alle ärztlichen Mitarbeiter ein Gespräch terminlich festgelegt wird. Um es vorzubereiten, setzt der Chefarzt sich mit dem zuständigen Oberarzt zusammen. Das eigentliche Gespräch findet anhand von standardisierten Fragebögen statt. Das Feedback wird dokumentiert, kopiert und analog oder digital im Logbuch eingetragen. Gespräche über die Zufriedenheit werden zunehmen. Auch da ist viel Luft nach oben.
Frage: Die Ärzteschaft muss die Weiterbildung organisieren. Sie sind selbst Prüfer bei den Facharztprüfungen. Was erwarten Sie von der Bundesärztekammer?
Antwort: Die Regeln sind ja da. Doch die Kammern – sei es die Bundesärztekammer oder in unserem Fall die Ärztekammer Nordrhein – müssen kontrollieren, ob die Vorgaben zur Weiterbildung eingehalten werden. Arbeiten bis zum Umfallen, eine schlechte Personalführung oder gar diktatorische Befehlsketten darf es heute nicht mehr geben. Alles Weitere regelt der Markt. Früher hatten wir 100 Bewerbungen, heute müssen wir gucken, dass wir passende Leute finden. Die Anforderungen eines Universitätsklinikums sind hoch.
Frage: Eine ausgeglichene Work-Life-Balance ist der jungen Generation sehr wichtig. Teilzeit heißt das Zauberwort. Sollten Kliniken auch Kinderbetreuung anbieten?
Antwort: Alles, was den eigenen Marktwert erhöht, ist sinnvoll. Elternzeit war in den chirurgischen Fächern früher undenkbar. Heute haben wir viel mehr Frauen als früher. Außerdem nehmen auch Männer Elternzeit. Das ist eine Herausforderung, die wir akzeptieren müssen. Wir haben unterschiedliche Teilzeitmodelle, das Universitätsklinikum Bonn bietet Kinderbetreuung an. In Deutschland haben wir einen Notstand bei Ärzten und Pflege. Deshalb müssen wir tunlichst dafür sorgen, den Mitarbeitern ein attraktives Umfeld zu bieten.
Frage: Welche Rolle spielt dabei die Möglichkeit zur Forschung?
Antwort: Sie spielt eine riesige Rolle. Wer an der Hochschule Karriere machen möchte, muss forschen, an Forschungsmeetings teilnehmen und publizieren. Die Lehre gehört ebenfalls dazu. Unser Nachwuchs unterrichtet in Seminaren und Blockpraktika. Auch an die Habilitation führen Mentoren heran. Wer das nicht möchte oder wegen der Lebensumstände einen anderen Weg einschlägt, kann die Facharztprüfung ablegen und sich niederlassen. Das ist dann allerdings eine etwas andere Karriere.
Herr Professor Burger, vielen Dank für das Gespräch!
- Marburger Bund: MB-Barometer Ärztliche Weiterbildung 2021. Zusammenfassung (28.10.2021) online unter iww.de/s5988
AUSGABE: CB 5/2022, S. 15 · ID: 47965604