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CBChefärzteBrief

GOÄAG Bremen erklärt Hygienepauschale für unzulässig – Folgen für die GOÄ-Abrechnung

Abo-Inhalt03.02.20222640 Min. LesedauerVon Ernst Diel, ehem. Leiter Grundsatzfragen PVS Büdingen

| Die GOÄ-Hygienepauschale nach Nr. 245 analog (CB 11/2021, Seite 2) – bzw. seit dem 01.01.2022 Nr. 383 analog (CB 01/2022, Seite 1) – hat keine Rechtsgrundlage. Dieser Auffassung ist zumindest das Amtsgericht (AG) Bremen. Es wies die Klage eines Orthopäden gegen einen zahlungsunwilligen Patienten ab (Urteil vom 10.11.2021, Az. 9 C 333/21). Auch wenn das Urteil geringe Folgen haben dürfte, resümiert dieser Beitrag die Urteilsgründe, ordnet das Urteil ein und gibt Empfehlungen für die Privatabrechnung. |

Die Entscheidungsgründe

Das Gericht sah keinen Anspruch des Klägers auf die Begleichung seiner Forderung von insgesamt 162,25 Euro. Es begründete sein Urteil wie folgt.

GOÄ-Hygienepauschale nach Nr. 245 analog: Darum verneint das AG Bremen den Anspruch des Klägers

  • Für die Berechnung der Hygienepauschale bestehe keine Rechtsgrundlage. Es sei auch nicht vorgetragen worden bzw. erwiesen, dass der Kläger mit dem Beklagten vor den jeweiligen Praxisbesuchen bzw. den ärztlichen Behandlungsmaßnahmen eine zusätzliche Vergütungsposition rechtsverbindlich vereinbart habe.
  • Gemäß § 612 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. § 6 Abs. 2 GOÄ Ziff. 245 bestehe kein – analog abgeleiteter – Anspruch auf eine Hygienegebühr i. H. v. 14,75 Euro pro Patientenbesuch. Dass die Bundesärztekammer (BÄK) eine derartige Gebühr mit Beschluss vom 05.05.2020 befürwortet habe, sei unerheblich.
  • Das Gericht stellte zudem die Analogie der Nr. 245 GOÄ (Quengelverband zusätzlich zum jeweiligen Gipsverband) zur Hygienepauschale infrage. Der Quengelverband enthalte gerade keine Hygienemaßnahme im Falle einer Vergipsung. Außerdem sei ein zusätzlicher Verband eine zusätzliche ärztliche Leistung, die Einhaltung der Coronaauflagen (z. B. durch Aufstellen einer Plexiglasscheibe im Anmeldebereich) gerade nicht.
  • Die Desinfektionsmaßnahmen erfolgten im Eigeninteresse des Klägers. Dieser habe zur Aufrechterhaltung des Praxisbetriebs die behördlichen Auflagen einzuhalten. Auch Vertreter der freien Berufe handelten im Gewinnerzielungsinteresse, andernfalls seien sie ehrenamtlich tätig (vgl. freiwillige Armenärzte). Dass ein selbstständiger Arzt (auf eigene Kosten) eine Gesundheitsgefährdung der Patienten und des Personals in seinen Praxisräumen auszuschließen bzw. zu minimieren habe, sei eine Selbstverständlichkeit. Der Arzt dürfe dem Patienten auch nicht das übliche Putzen seiner Gerätschaften zur Reduzierung des Infektionsrisikos gesondert berechnen.

Einordnung des Urteils

Einerseits löst das Urteil Verwunderung aus: Das Gericht übersieht in seiner Argumentation, dass die als Analogleistung herangezogene, gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ „nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertige Leistung der GOÄ“ keinen inhaltlichen Bezug zum Inhalt der erbrachten Leistung haben muss. Auch dass der Kläger – wie vom Gericht unterstellt – lediglich ein Eigeninteresse verfolgt, darf bezweifelt werden. Denn auch in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestehen ähnliche Regelungen zur Hygienepauschale.

Andererseits ist die Anwendung einer GOÄ-Leistungsziffer als analoge Bewertung für eine Kostenpauschale nicht mit § 6 Abs. 2 GOÄ vereinbar. Denn die Analogbewertung bezieht sich explizit auf Leistungen, die in die GOÄ nicht aufgenommen sind und nicht auf Kosten für erhöhte Hygienemaßnahmen. Die Analogziffern 245 bzw. 383 beschreiben keine ärztliche Leistung, sondern sind als „Aufwandszuschlag“ konzipiert. Im Prinzip gibt es auch andere Wege, den erhöhten Kostenaufwand zu kompensieren: § 10 GOÄ sieht den Ersatz von Auslagen in tatsächlicher Höhe vor. Allerdings ist nach Abs. 1 S. 5 die Berechnung von Pauschalen nicht zulässig. Ebenfalls von der Abrechnung ausgenommen sind die in Abs. 2 Nr. 2 bis 5 aufgeführten Materialien, u. a. Desinfektions- und Reinigungsmittel und Einmalhandschuhe, nicht aber Schutzkittel und Einmalmasken. Weiterhin können die berechneten Leistungen selbst nach den in § 5 GOÄ vorgegebenen Kriterien nach billigem Ermessen im Faktor gesteigert werden – je nach Schwierigkeit, Zeitaufwand, Umständen bei der Ausführung oder in speziellen Fällen nach der Schwere des Krankheitsfalls.

Merke | Ein erhöhter Hygieneaufwand allein ist nicht unbedingt Kriterium für eine Faktorsteigerung. Das AG Bremen stellt diesen Weg jedoch nicht ganz infrage. Denn nach seiner Auffassung übersteigen die pandemiebedingten Hygienemaßnahmen „das übliche, in den einschlägigen Gebührenziffern bereits eingepreiste, Maß“. Damit ist eine Faktorsteigerung i. S. d. § 5 GOÄ durchaus möglich. Gleichzeitig sieht das Gericht allerdings hierin „lediglich das allgemeine Betriebsrisiko des Klägers verwirklicht. Gegen dieses Risiko hätte man sich vorab versichern können“.

Empfehlungen für die Privatliquidation

Obwohl Kostenträger die Hygienepauschale erstatten, können Patienten die Pauschale anfechten. Denn die Empfehlung von BÄK, PKV-Verband und Beihilfe, eine Hygienepauschale zu berechnen, ist rechtlich nicht verbindlich. Um den Hygieneaufwand zu kompensieren, bietet die GOÄ genügend andere Optionen, die nicht durch Abrechnungsempfehlungen generell außer Kraft gesetzt werden können.

Empfehlungen zur Kompensation erhöhten Hygieneaufwands nach GOÄ

  • Bei reinen „Selbstzahlerpatienten“ (ohne Erstattung durch die o. g. Kostenträger) sollte die Hygienepauschale ohnehin nicht berechnet werden.
  • Theoretisch besteht die Möglichkeit des Abschlusses einer Honorarvereinbarung nach § 2 GOÄ. Allerdings sollten einzelne Leistungen mit einem höheren Steigerungsfaktor i. S. d. § 5 GOÄ berechnet werden.
  • Ein „Hygieneausgleich“ über den Steigerungsfaktor (§ 5 GOÄ) und die Auslagenberechnung (§ 10 GOÄ) wäre somit auch anstelle der empfohlenen, aber zeitlich befristeten Hygienepauschale auch nach Ablauf der Befristung weiter möglich. Dieser Weg ist insbesondere dann sinnvoll, wenn z. B. die Auslagen höher sind als der für die Hygienepauschale seit dem 01.01.2022 ausgewiesene Betrag (Nr. 383 GOÄ analog = 4,02 Euro).
  • Infektionsschutzmaßnahmen können mit besonderen Umständen bei der Ausführung und erhöhtem Zeitaufwand verbunden sein (z. B. durch zusätzlich erforderliches Anlegen von Schutzkleidung in Einzelfällen, erschwerte Verständigung bei Beratungen oder Anweisungen im Rahmen von Untersuchungen). Somit ist nach den Bemessungskriterien des § 5 GOÄ ein höherer Steigerungssatz für einzelne Leistungen gerechtfertigt. Cave: Der erhöhte Steigerungssatz muss stets patientenindividuell für jede einzelne Leistung erfolgen.

Fazit | In ärztlichen Diskussionsforen wird das Urteil uneinheitlich bewertet: Ein Teil der Ärzte empfiehlt „Ablage P“, ein anderer Teil plant, auf die oben skizzierte Abrechnung nach §§ 5 und 10 GOZ umzustellen. Das ist zwar umständlicher, aber im Ergebnis viel attraktiver. Wahrscheinlich wird der Bremer Patient nur wenige Nachahmer finden, sodass die Folgen des Urteils, eher als gering einzuschätzen sind – selbst wenn die Hygienepauschale weiter berechnet wird.

AUSGABE: CB 3/2022, S. 4 · ID: 47970913

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