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BerufsrechtIntervision ist das DAV-Modell zur kollegialen Beratung in moderierten Online-Gruppen

Abo-Inhalt25.08.20225510 Min. LesedauerVon RA Udo Henke, Unna

| Der Deutsche Anwaltverein (DAV) bietet exklusiv den Mitgliedern der Anwaltvereine eine digitale Plattform zur sog. Intervision. Damit werden in moderierten Online-Gruppen der fachliche und kollegiale Austausch auf Augenhöhe ermöglicht und eine neue Perspektive auf herausfordernde Mandate eröffnet. |

1. Das bedeutet „Intervision“

Intervision wird generell als kollegiale Beratung in psychosozialen Berufen sowie in Beratungsberufen definiert. Sie soll letztlich dazu beitragen, berufliche Fehler zu vermeiden und Qualität zu sichern und zu verbessern. Die kollegiale Beratung erfolgt in moderierten Gruppen, auf Augenhöhe und in sich gegenseitig wertschätzender Art und Weise.

Zum einen bedient die Intervision so das Bedürfnis, sich in einem geschützten virtuellen Raum offen und wertschätzend auszutauschen. Zum anderen sollen die Teilnehmenden von den Erfahrungen und Perspektiven innerhalb einer festen Gruppe profitieren, die im besten Fall nach kurzer Zeit zu einem eingespielten (Diskussions-)Team werden soll.

Bei den Anwälten geht es vor allem um den Austausch und die Reflexion zu schwierigen Fällen und den Rollen- und Beziehungsdynamiken sowie zu den herausfordernden Situationen der beruflichen Praxis. Das Gruppengespräch lässt auch eigene Verhaltensmuster erkennen. Durch bewusste Selbstreflexion lassen sich Fehler vermeiden.

Die Kommunikation soll zielgerichtet und lösungsorientiert sein. Im Unterschied zur „Supervision“ zielt die Intervision auf die Erarbeitung einer Lösung für ein konkretes Anliegen. Sie hinterfragt nicht den gesamten Beratungsprozess.

2. Das Modell ist nur für die Mitglieder der Anwaltvereine

Seit März 2022 gibt es erstmals in der Anwaltschaft kollegiale Beratung im virtuellen Format. Die DAV-Intervision steht exklusiv und kostenlos den Mitgliedern der örtlichen Anwaltvereine im Mitgliederbereich auf der DAV-Website zur Verfügung.

Die Plattform ist über den geschützten Mitgliederbereich „Mein DAV“ auf der DAV-Website (anwaltverein.de) erreichbar. Es gibt dort eine Anleitung, wie die Registrierung genau erfolgt. Jedes Mitglied kann sich mit seiner DAV-Mitgliedsnummer registrieren. Im geschützten Mitgliederbereich können sich dann die Mitglieder bei vorhandenen Gruppen anmelden oder selbst Gruppen einrichten.

3. So werden Gruppen gegründet

Es besteht für jedes Mitglied die Möglichkeit, eine Intervisionssitzung mit wenigen Klicks anzulegen und zu leiten. Im Mitgliederbereich stellt der DAV dazu einen Intervisions-Leitfaden, Checklisten für die Sitzungen, weiterführende Literaturhinweise und Schulungsvideos zur Verfügung. Auch ein Auswertungsbogen für die Intervisionssitzungen finden Sie im Download-Bereich.

Zum Start der Plattform hat der DAV 36 Kollegen (viele davon aus den DAV-Arbeitsgemeinschaften) online geschult, um die ersten Intervisionsgruppen zu organisieren. Denn das digitale Angebot soll niedrigschwellig und der Einstieg möglichst leicht sein. Um diese Organisatoren herum haben sich die ersten Gruppen gebildet (z. B. zum Familien- und Erbrecht, Anwaltsnotariat oder unter dem Label „Allgemeine Intervisionsgruppe“ firmierende Schwerpunktgruppen, wie Einzelanwälte, Unternehmensberatung/Syndikusanwälte, Internationales Wirtschaftsrecht, Strafrecht oder Mediation).

Intervisionen können also für jedes Rechtsgebiet, z. B. zum Familien-, Straf-, Arbeits- oder Medizinrecht, eingerichtet werden. Möglich sind aber auch Intervisionen zu allgemeinen Themen der Anwaltspraxis, wie zu organisatorischen Themen des Kanzleialltags, zur digitalen Transformation der Arbeit etc.

Interessierte können – je nach Verfügbarkeit der Plätze – einer neuen Gruppe zum Start beitreten. Die ideale Gruppengröße sieht der DAV bei fünf bis neun, die maximale Größe bei zehn bis zwölf Personen. Wenn eine Gruppe voll ist, können zu demselben Thema weitere Gruppen entstehen (bisher hat nur die Gruppe zum Thema Mediation wegen des großen Andrangs einen Aufnahmestopp beschlossen). Es gibt einen Terminkalender, in dem die bereits eingerichteten Intervisionssitzungen mit Datum und Uhrzeit angezeigt werden.

Es sollen sich möglichst feste Gruppen bilden, die sich idealerweise sechs- bis zwölfmal im Jahr virtuell treffen, und eine eigene Beratungskultur entwickeln. Da die Intervisionssitzungen virtuell stattfinden, hält sich der gesamte zeitliche Aufwand in Grenzen. Außerdem ist eine unkomplizierte Vernetzung mit Anwälten aus ganz Deutschland möglich.

Gedacht ist die kollegiale Beratung vor allem für alle Konfliktlagen in der beruflichen Praxis, in denen die Betroffenen selbst Teil eines Konflikts sind oder einen Konflikt von außen beobachten (z. B. in ihrer Kanzlei). Auch ethische oder strategische Fragen oder Fragen zur eigenen Ausbildung sollen zur Diskussion gestellt werden können. Es kann um die Rollen- und Beziehungsdynamiken in als besonders schwierig empfundenen Mandaten sowie um die Kommunikation und Interaktion mit Mandanten oder anderen Beteiligten, wie Gegner oder Richter, gehen. Die Grenze der kollegialen Beratung soll bei sehr privaten Themen und bei Konflikten unter Anwesenden liegen. Echte Rechtsfragen können diskutiert werden, wenn alle damit einverstanden sind – sie sollten aber nicht im Vordergrund einer Intervisionssitzung stehen.

Merke | Die Intervision kann in Konflikt mit dem anwaltlichen Berufsgeheimnis geraten. Daher sollten konkrete Fälle stets nur anonymisiert geschildert werden. Auch eine Interessenkollision ist möglich. Wenn das erkennbar wird, muss die Beratung in der Gruppe sofort beendet werden.

4. Der DAV schlägt eine bestimmte Sitzungsstruktur vor

Für eine Intervisionssitzung schlägt der DAV eine zweifache Struktur vor:

  • 1. Es gibt einen Rahmenablaufplan für die gesamte Gruppensitzung einschließlich Begrüßung bis hin zur Reflexion über die Beratungskultur in einer Abschlussrunde.
  • 2. Die zwei- bis dreistündigen Sitzungen sollen in einzelne Beratungsrunden strukturiert werden. Es können so bis zu vier Anliegen besprochen werden.

Für die Beratungsrunden gibt es ein Modell der rotierenden Funktionen in der Gruppe. So übernimmt jedes Gruppenmitglied eine Rolle. Diese Rollen gibt es:

  • Das Anliegen wird von einer Person eingebracht, die selbst nicht mitdiskutiert.
  • Ein Gruppenmitglied übernimmt die Moderation. In den ersten Sitzungen werden das die geschulten Organisatoren sein.
  • Die Berater bearbeiten das Anliegen.
  • Die Lösungsideen aus der Gruppe zeichnet ein Gruppenmitglied in einem kurzen Protokoll auf.
  • Ein Gruppenmitglied beobachtet als Prozessbeobachter die Beratung und meldet Besonderheiten an die Gruppe zurück. Ziel ist es, dass sich eine Beratungskultur in der Gruppe entwickelt.

5. Beispiel einer Gruppe mit Beratungsergebnis

Die DAV-Hauptgeschäftsführerin, Frau Rechtsanwältin Dr. Sylvia Ruge, plant demnächst mit den Gruppenmoderatoren eine Konferenz, um sich über Erfahrungen, Verbesserungspotenzial etc. auszutauschen. Über die ersten Erfahrungen mit der neuen DAV-Intervisionsplattform wird AK deshalb in einer späteren Ausgabe berichten.

Fazit | Das Bedürfnis, sich zu beruflichen Themen mit Kolleginnen und Kollegen auszutauschen, ist sehr weit verbreitet, insbesondere unter den Jüngeren. Gerade für Anwältinnen und Anwälte in Einzelkanzleien dürfte das neue Angebot des Verbands eine interessante Erweiterung zur Netzwerkbildung und Qualitätskontrolle sein. Allerdings ist die Vereinsmitgliedschaft obligatorisch.

Intervision ist bis dato noch nicht als Fortbildung anerkannt. Eine künftige Anerkennung als Fortbildung wäre aber wünschenswert und würde der Intervision sicherlich Auftrieb geben.

AUSGABE: AK 9/2022, S. 151 · ID: 48294678

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