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RecruitingDeshalb gehören Unternehmenskultur und Personalgewinnung für die Kanzlei zusammen
| Jedes Unternehmen hat eine Unternehmenskultur. Viele Unternehmer, auch Rechtsanwälte, sind sich dessen jedoch nicht bewusst und nutzen sie daher nicht. Doch wer sich damit beschäftigt, kann eine gute Unternehmenskultur aktiv nutzen, um sich zu entwickeln und Talente anzusprechen. Das gilt auch für Rechtsanwaltskanzleien. |
1. Das gehört zu einer Unternehmenskultur
Unternehmenskultur ist die Art und Weise, wie Menschen in einem Unternehmen miteinander umgehen und sich verhalten. Sie wird von den Werten und Einstellungen definiert, die die beteiligten Personen bewusst oder unbewusst leben. Werte der Unternehmenskultur stehen z. B. hinter den folgenden Verhaltensweisen:
- Wertschätzung, Fairness, Respekt, Toleranz im Miteinander
- Offenes Feedback zwischen den Beteiligten
- Gemeinsam (aus Fehlern) lernen
- Vorrang von Team-Arbeit
- Flache Hierarchien
- Kommunikation/Erläuterung von Entscheidungen (Transparenz)
Beachten Sie | Die Unternehmenskultur wird von allen Beteiligten (in einer Kanzlei sind das die Berufsträger, die Mitarbeiter und in geringerem Maß auch die Mandanten) gleichermaßen und in einem reziproken Prozess gestaltet. Sie hat einen großen Einfluss darauf, wie Menschen ihr Arbeitsleben wahrnehmen und ob sie sich dort wohlfühlen.
Die Unternehmenskultur ist Wandel unterworfen. Auslöser sind Veränderungen in den (gesellschaftlichen) Wertevorstellungen zu zentralen Fragen (nicht nur) des Arbeitslebens, wie z. B.:
- Arbeitsethos und Sinngebung in der Arbeit („purpose“)
- Mitsprache des Einzelnen im Unternehmen
- Flexibilisierung von Arbeitszeiten (Teilzeit, Homeoffice etc.)
- Work-Life-Balance
- Herausforderungen (z. B. Digitalisierung) und der Umgang damit
- Einstellung zu Diversität
Werte und damit zusammenhängende Vorstellungen werden häufig mit Generationen in Verbindung gebracht (z. B. Akzeptanz von Hierarchie und Workaholism mit den „Boomern“ und dauerndes Hinterfragen mit der „Generation [WH]Y“). Überwiegt eine Altersgruppe im Unternehmen, prägen ihre Werte und Vorstellungen in der Regel auch das Unternehmen.
2. Das bedeutet Unternehmenskultur in der Kanzlei
Konkret erlebbar wird eine Unternehmenskultur für ein Kanzleiteam nicht nur im Führungsverhalten der Vorgesetzten (z. B. autoritär versus partizipativ), sondern auch in den Rahmenbedingungen und Zeichen, die die Kanzlei setzt u. a. für:
- Arbeitszeitregelungen
- Bekleidungsvorschriften („Dresscode“)
- Angebote von Gesundheitsprogrammen
- Mitarbeiter-Benefits
- Abteilungs-Denken
- Investitionen in die Kanzleigestaltung und in die Arbeitsplatzgestaltung
- Offene Türen bei Vorgesetzten
- Rituale, wie gemeinsames Mittagessen und Angebote, wie Kicker, Getränke und Obstkorb etc.
3. Das verbindet Unternehmenskultur und Recruiting
Unternehmenskultur wirkt nach innen und außen. Unternehmenskultur und Personalgewinnung sind durch die Frage miteinander verbunden, ob ein Mitarbeiter/Bewerber in die Kanzlei, ob seine Fähigkeiten und Wünsche zu den Herausforderungen und Aufgabenstellungen des Jobangebots passen. Dies entscheidet sich nicht erst in einer Probezeit. Die Unternehmenskultur prägt vielmehr schon vorher jeden Kontaktpunkt, an dem der Bewerber mit der Kanzlei in Berührung kommt. Sie treffen hier bereits eine Vorauswahl. Ein Interessent wird aus jedem Kontaktpunkt eigene Schlüsse auf Sie und die Kultur in Ihrer Kanzlei ziehen, und entscheiden, ob er sich bewerben möchte oder nicht:
- Wo findet der Bewerber Sie? Spricht ihn eine herkömmliche NJW-Stellenanzeige oder ein Social-Media-Post an?
- Benötigt er als Information über Ihre Kanzlei nur den früher üblichen Eintrag in den Gelben Seiten oder braucht er eine aussagefähige Kanzlei-(Karriere-)Website?
- Reichen ihm in der Stellenanzeige Ihre Erwartungen an die künftigen Mitarbeiter („Wir erwarten ...“, Sie bringen mit ...“) oder öffnen Sie ihm Perspektiven?
- Bieten Sie ihm außer „leistungsgerechter Bezahlung“ noch etwas (z. B. „selbstständiges Arbeiten in einem jungen dynamischen Team“, „berufsspezifische Fortbildungen“ oder flexible Arbeitszeiten)?
- Kann er sich ohne Hürden schnell online bewerben, Sie sogar telefonisch kontaktieren oder bestehen Sie auf Papier-Bewerbermappen?
- Wie lange muss er auf Ihre Reaktion warten (einen Tag oder zwei Wochen?)
4. Können Sie die Unternehmenskultur bewusst ändern?
Die Analyse und erst recht die Veränderung einer Unternehmenskultur sind ein großes Projekt. Aber dies wird in der Praxis häufiger unternommen, als es Ihnen im Moment vielleicht bewusst ist. Beispielsweise trifft ein Wertewandel fast jede Kanzleiübernahme, wenn die übernehmende Kultur auf die bestehende trifft. Meistens laufen die Analyse- und Veränderungsprozesse dann allerdings ungeplant ab. Doch mit einem sog. Change-Management planen Sie die Veränderungsprozesse von einem Ausgangszustand gezielt und aktiv hin zu einem Zielzustand.
Beachten Sie | Es ist also möglich, Ihre Unternehmenskultur bewusst zu untersuchen und bewusst auf sie Einfluss zu nehmen. Hierauf im Einzelnen einzugehen, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. An dieser Stelle nur so viel: Ein Projekt „Unternehmenskultur“ erfordert die Mitarbeit der ganzen Kanzlei (denn alle sind am Zustandekommen der Unternehmenskultur beteiligt). Das Projekt ist nichts, was von wenigen Personen neben der laufenden Arbeit erarbeitet und dann der Kanzlei verordnet werden könnte. Darüber hinaus werden die nötigen fachlichen Kenntnisse kaum in der Kanzlei selbst vorhanden sein, sodass die Beauftragung von externen Beratern eigentlich von Beginn an feststeht.
5. Das bringt Ihnen eine Änderung der Unternehmenskultur
Die erfolgreiche Investition in eine Analyse und Veränderung der Unternehmenskultur wirkt unmittelbar auf die Mitarbeiter in der Kanzlei und trägt zum langfristigen wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bei.
- Mitarbeiter sind in der „richtigen“ Unternehmenskultur produktiver und leistungsbereiter. Sie sind Veränderungen und neuen Technologien (Stichwort Digitalisierung) gegenüber offener. Das daraus resultierende gute Betriebsklima bemerken auch Außenstehende, die Kontakt zur Kanzlei haben.
- In der richtigen Unternehmenskultur entwickeln die Mitarbeiter ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl zur Kanzlei. Dadurch sinkt die Fluktuation und die Bereitschaft nimmt zu, Mund-zu-Mund-Propaganda für die Kanzlei zu betreiben und den eigenen Arbeitgeber Freunden oder Bekannten zu empfehlen.Folge: sinkende Fluktuation
- Mit Blick auf den Bewerbermarkt weiß eine Kanzlei, die an ihrer Unternehmenskultur gearbeitet hat, was sie als attraktiven Arbeitgeber ausmacht: Sie kann präzise benennen, welche Werte sie vertritt, was ihr im Umgang untereinander wichtig ist und welche Mitarbeiter gut zu ihr passen. So kann sie sich positionieren und von anderen Kanzleien klar abgrenzen.Folge: attraktiver Arbeitgeber
- Eine solche Kanzlei erreicht diejenigen Bewerber, die gut zu ihr passen. Durch die Klarheit über die eigene Unternehmenskultur spricht sie nur noch diejenigen an, die dieselben Werte vertreten und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit gut zur Kanzlei passen und sich dort wohlfühlen werden. Fehleinstellungen werden verhindert und das Betriebsklima bleibt gut. Zudem werden Kosten gespart, weil nicht immer wieder nachbesetzt werden muss und die eingestellten Mitarbeiter lange bleiben.Folge: kein Fachkräftemangel
AUSGABE: AK 4/2022, S. 67 · ID: 47697831