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ArzneimittelversorgungSo werden Cannabisextrakte in der Apotheke hergestellt

Abo-Inhalt30.12.2024888 Min. LesedauerVon Dr. Stephan Utgenannt und Maja Hoock, Leipzig

Extrakte und Kapseln als schonende Darreichungsform

Noch greifen die meisten Cannabispatienten auf das Verdampfen und Inhalieren getrockneter Blüten zurück. Dies hat Nachteile, wie die begrenzte Wirkstoffaufnahme in den Blutkreislauf. Die Inhalation ermöglicht zwar eine rasche Aufnahme von THC, was für die Schmerzbehandlung von Vorteil ist, aber bei der Verbrennung durch das Rauchen werden Wirkstoffe zerstört und es entstehen giftige Beiprodukte. Das Inhalieren kann die Atemwege reizen und bietet eine vergleichsweise kurze Wirkdauer von ca. zwei Stunden. Eine schonendere Darreichungsform mit einer gleichmäßigeren und längeren Wirkdauer von bis zu sechs Stunden sind Extrakte und Kapseln. Laut der pharmazeutischen Empfehlung sind diese in der Therapie vorzuziehen. Sie kommen traditionellen Medikamenten näher als getrocknete Blüten, die oft mit dem Freizeitkonsum in Verbindung gebracht werden. Patienten benötigen außerdem keine Hilfsmittel wie Feinwaagen und Vaporisatoren. Mithilfe von Sprühaufsätzen, Kolbendosierpipetten mit ml-Anzeige oder Kapseln können sie die Extrakte leichter dosieren und diskreter einnehmen, da kein Dampf entsteht.

Vorbereitung für die kryogene Ethanol-Extraktion

Ein Blick ins Labor der Grünhorn Apotheke in Leipzig: Mehrere große Glaskolben drehen sich über Stunden und bewegen eine zähe, fast schwarze Substanz – reinstes Cannabisextrakt. Im forschenden und herstellenden Labor fertigen Pharmazeuten Extrakte aus Cannabisblüten der Grünhorn Eigenmarke an. Wöchentlich wird rund ein Kilo Kultivare wie „El Jefe”, „Bedrocan”, „Gorilla Glue“ und „Scotti’s Cake“ der Genetiken Sativa, Indica und Hybrid extrahiert. Laborleiter und Apotheker Benjamin Wende prüft die Identität der Blüten mit einem Nahinfrarot-Spektrometer (NIR) und testet sie chargenweise mit dem Gaschromatographie-Massenspektrometer auf den Terpengehalt. Wie eine kürzlich veröffentlichte Studie der Grünhorn Apotheke zeigt, spielen Terpene bei der therapiegerechten Sortenauswahl eine zentrale Rolle neben den Cannabinoiden und der Genetik. Zusätzlich erfolgt eine pharmazeutische Prüfung der Analysenzertifikate mit dem Fokus auf mikrobielle Verunreinigungen wie Schimmel oder erhöhte Keimzahlen.

Im nächsten Schritt zerkleinern Mitarbeiter die Blüten und bereiten sie für die Ethanol-Extraktion vor. Das Lösungsmittel muss dazu heruntergekühlt werden. Die kryogene Ethanol-Extraktion erlaubt es durch Temperaturen zwischen – 30 und – 60 Grad Celsius, Verbindungen wie Chlorophyll, die sich normalerweise gut in Wasser lösen, durch die Kälte zu inhibieren (hemmen). Auf diese Weise können die erwünschten Wirkstoffe extrahiert werden, ohne dass Bestandteile gelöst werden, die dem Extrakt einen erdigen, scharfen und bitteren Geschmack verleihen und keinen nachweisbaren therapeutischen Nutzen haben. Erwünschte Bestandteile wie Terpene und die Cannabinoide THC und CBD werden dagegen aus den Pflanzenzellen gelöst. Ein Vorteil des Verfahrens liegt darin, dass Restwasser sowie unerwünschte Fette und Wachse in gefrorenem Zustand vorliegen und im anschließenden Filtrationsschritt zusammen mit dem Pflanzenmaterial entfernt werden können, ohne in das Filtrat zu gelangen. Das macht die zeitaufwendige Winterisierung überflüssig, die üblicherweise eine Ruhezeit von 24 Stunden erfordert.

Extraktion und Filtration

Nachdem das Ethanol zur Extraktion in einem mit Kühlmittel ummantelten doppelwandigen Reaktor auf Temperaturen zwischen – 30 und – 60 Grad Celsius heruntergekühlt wurde, gibt der Apotheker die zerkleinerten Cannabisblüten hinzu. Es folgt die „Benetzungsphase”, in der das Cannabis-Ethanol-Gemisch für eine bestimmte Zeit gerührt wird, bis alle Blütenteile mit dem Extraktionsmittel in Kontakt gekommen sind. Danach schalten die Mitarbeiter unter Rühren Ultraschall hinzu. Die Kombination von Ultraschall und Kryoextraktion steigert die Effizienz des Verfahrens zusätzlich. Anschließend wird das Cannabis-Ethanol-Gemisch filtriert und durch Abtrennung des Pflanzenmaterials vom Cannabis-Ethanol-Gemisch eine Lösung hergestellt, die Cannabinoide, Terpene und andere lösliche Verbindungen der Cannabispflanze enthält.

Gewinnung und Standardisierung des Cannabisrohextrakts

Um das Ethanol von der Lösung zu trennen, wird es im Rotationsverdampfer entfernt. So entsteht ein dickes, harzartiges Cannabisrohextrakt, das allerdings noch keine bzw. sehr geringe Anteile an aktivierten Formen der Cannabinoide enthält und daher im Folgeschritt decarboxyliert werden muss. Dabei wird die enthaltene Carbonsäuregruppe des THCA durch das Einwirken von Hitze und unter Freisetzung von CO2 abgespalten und so in die psychoaktive Form Δ9-THC umgewandelt. Die Hitze während der Decarboxylierung birgt das Risiko, dass nicht nur die Carbonsäurefunktion zersetzt wird, sondern auch die flüchtigen Terpene beeinträchtigt werden und neue Verbindungen wie hochreaktive Aldehyde und Ester entstehen. Daher muss die Temperatur sorgfältig kontrolliert und der Prozess zeitlich begrenzt werden, um die gewünschten Cannabinoide zu aktivieren, ohne wertvolle Terpene zu zerstören.

Um zu gewährleisten, dass das finale Extrakt tatsächlich auf die Zielkonzentration der Cannabinoide Δ9-THC und/oder CBD eingestellt ist, muss der Cannabisrohextrakt zunächst mittels Flüssigchromatographie auf seine Cannabinoidgehalte untersucht werden. Hierfür kommt die hauseigene HPLC (High Performance Liquid Chromatography) zum Einsatz. Aus dem quantitativ untersuchten, hochkonzentrierten Ausgangsstoff mischen die pharmazeutischen Mitarbeiter im nächsten Schritt patientenindividuelle Extrakte oder Standardextrakte mit Trägerölen wie MCT-Öl.

Qualitätsprüfung und Überführung in Primärpackmittel

Um sicherzustellen, dass das standardisierte Extrakt alle pharmazeutischen Qualitätskriterien erfüllt, werden vor der Abgabe an die Patienten Freigabetests durchgeführt. Das fertige Extrakt wird erneut mittels HPLC auf den finalen Wirkstoffgehalt und den Cannabinol-Anteil überprüft, der unter 2,5 Prozent liegen muss. Zusätzlich wird via Trocknungsverlust geprüft, ob das Lösungsmittel Ethanol ausreichend entfernt wurde, da davon nicht mehr als 0,5 Prozent im Extrakt enthalten sein dürfen. Diese Grenze gilt auch für den Wassergehalt, der mit dem hauseigenen Karl-Fischer-Titrator bestimmt wird, um zu gewährleisten, dass im Produkt kein mikrobielles Wachstum stattfinden kann. Sind all diese Kriterien erfüllt, erfolgt die Abfüllung, Verpackung und der Versand an die Patienten.

Beachten Sie | Das am häufigsten verwendete Cannabisextrakt hat ein ausgewogenes Verhältnis von THC zu CBD von 10 : 10 oder 25 : 25. Auch reine THC-Extrakte mit 25 oder 50 mg/ml THC werden häufig verschrieben. Je nach Anwendungsgebiet in der Schmerztherapie oder Palliativmedizin sind höhere Konzentrationen möglich.

Weitere gängige Extraktionsmethoden

Neben der beschriebenen Ethanol-Extraktion, die sich als kostengünstige und effiziente Methode etabliert hat, gibt es verschiedene andere gängige Methoden. So eignen sich auch Lösungsmittel wie Isopropanol oder Hexan dazu, Cannabinoide und Terpene aus der Pflanze zu extrahieren. Diese Methoden sind effizient, es besteht jedoch die Gefahr von Lösungsmittelrückständen, die die Qualität des Endprodukts beeinträchtigen. Weitere Methoden sind:

  • Bei der Butan-Extraktion wird Butan als Lösungsmittel verwendet. Die Methode ist kostengünstig und beliebt für die Herstellung von Cannabiskonzentraten wie „Shatter“ oder „Wax“, die jedoch eher für den Freizeitkonsum als für pharmazeutische Zwecke verwendet werden. Um ein reines Endprodukt zu erhalten, muss das Butan vollständig verdampft werden, da es hochentzündlich ist.
  • Die CO2-Extraktion nutzt Kohlendioxid unter hohem Druck und niedriger Temperatur, um Cannabinoide und Terpene aus der Pflanze zu extrahieren. Dabei wird CO2 in seinen superkritischen Zustand gebracht, in dem es sowohl die Eigenschaften einer Flüssigkeit als auch die eines Gases besitzt. Die CO2-Extraktion ist sehr präzise und erlaubt die Gewinnung eines reinen Extrakts ohne Rückstände von Lösungsmitteln. Der Nachteil dieser Methode ist, dass sie in einer Apotheke schwer apparativ umzusetzen ist und einen enormen sicherheitstechnischen Aufwand erfordert.
  • Bei der Trockeneis-Extraktion werden Cannabisblüten mit Trockeneis in einem Sieb geschüttelt. Durch die extreme Kälte lösen sich die Trichome, also feinste Härchen auf der Blüte, die Cannabinoide und Terpene enthalten. Sie setzen sich als Harz am Boden des Siebs ab. Diese Methode ist einfach und kann ohne den Einsatz von Chemikalien durchgeführt werden.
  • Die Rosin-Extraktion funktioniert ohne Lösungsmittel durch Hitze und Druck, indem Cannabisblüten zwischen heißen Platten gepresst werden, bis Harz austritt. Diese Methode bietet aber nur einen geringen Ertrag.
  • Die Ultraschall-Extraktion ist eine aufstrebende Methode. Bei dieser Technik werden hochfrequente Ultraschallwellen genutzt, um die Zellstrukturen der Pflanze zu zerstören und die Cannabinoide und Terpene freizusetzen. Die Schallwellen erzeugen Kavitationsblasen, die implodieren und starke mechanische Kräfte freisetzen, wodurch die Zellwände der Pflanze aufgebrochen werden und die Wirkstoffe in ein Lösungsmittel wie Ethanol übergehen. Das Lösungsmittel erwärmt sich, was ein Sicherheitsrisiko darstellt.

Verbreitung von Extrakten weiter stärken

Das Forschungslabor der Grünhorn Apotheke arbeitet stetig an neuen Wegen, um Cannabisextrakte weiter zu verbessern. Effizientere Verfahren ermöglichen durch eine Skalierung die Senkung der Produktionskosten. Dies könnte zu einem niederschwelligeren Zugang zu den bisher sehr teuren Cannabisextrakten führen. Ein Vergleich: Während eine 25-ml-Flasche Cannabisextrakt im Verhältnis 25 : 1 von THC zu CBD im Jahr 2021 noch durchschnittlich 410 Euro kostete, sind es heute dank optimierter Extraktionsmethoden teilweise unter 150 Euro. Auch der Geschmack kann durch innovative Methoden verbessert werden. Wassermangel, UV-Strahlung und mechanischer oder pathogener Stress führen dazu, dass die Cannabispflanze Abwehrstoffe freisetzt, um Fressfeinde durch einen unangenehmen Geschmack abzuwehren.

Lange Zeit enthielten Extrakte kaum Terpenbestandteile. Hersteller könnten zukünftig zunächst die flüchtigen Terpene extrahieren, dann erst zur THC- und CBD-Extraktion übergehen und die Terpene zum Schluss wieder beifügen, um eine noch höhere Ausbeute an Wirkstoffen bei neutralerem Geschmack zu erreichen. Auch die Nanotechnologie könnte eine Rolle bei der Verbesserung der Extrakte spielen. Kleinere Partikelgrößen ermöglichen eine schnellere und effektivere Aufnahme der Cannabinoide im Körper und können so einen weiteren entscheidenden Nachteil von Extrakten ausgleichen: die langsamere Wirkstoffaufnahme im Vergleich zur Inhalation.

Weiterführende Hinweise
  • Studie der Grünhorn Apotheke: N. Herwig, S. Utgenannt, F. Nickl, P. Möbius, L. Nowak, O. Schulz, M. Fischer: Classification of Cannabis Strains Based on their Chemical Fingerprint – A Broad Analysis of Chemovars in the German Market: www.iww.de/s11948
  • G-BA: „G-BA regelt Verordnung von medizinischem Cannabis bei schweren Erkrankungen: Keine zusätzlichen Anforderungen, die über die gesetzlich zwingenden und für den G-BA verbindlichen Verordnungsvoraussetzungen hinausgehen“: www.iww.de/s11949
  • Kostenvergleich cannabishaltiger Arzneimittel: www.iww.de/s12016
  • Processing and extraction methods of medicinal cannabis: a narrative review, PMC: www.iww.de/s11950

Über Grünhorn | Grünhorn (www.gruenhorn.group) ist die größte Cannabisgruppe in Deutschland mit eigener Online-Apotheke (20 Prozent aller Cannabisrezepte laufen über Grünhorn), eigenem Großhandel (canymed GmbH) sowie einem Fulfillment- und Logistikdienstleister für Cannabis führende Apotheken (Schurer Pharma & Kosmetik GmbH).

AUSGABE: AH 2/2025, S. 7 · ID: 50234685

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