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PlausibilitätsprüfungZu viele Doppelbehandlungsfälle: Vertragsarzt muss 83.300 Euro Honorar zurückzahlen

Abo-Inhalt08.08.20257644 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Jan Moeck, Kanzlei D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB

| Ein sogenannter „Missbrauch der Kooperationsform“ ist bei einer fachgruppengleichen Praxisgemeinschaft anzunehmen, wenn das Aufgreifkriterium von 20 Prozent gemeinsamer Patienten in mehreren Quartalen teils erheblich überschritten wird und dabei in einer Vielzahl von Fällen (Blanko-)Überweisungen an den Praxispartner ohne Angabe des konkreten Überweisungsgrundes stattfinden, Versichertenkarten regelmäßig bei beiden Praxispartnern am selben Tag eingelesen werden und gegenseitige Vertretungen „auf Zuruf“ stattfinden (Landessozialgericht [LSG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.09.2024 (Az. L 7 KA 4/23). |

Sachverhalt

Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hatte gegen einen der beiden Partner einer orthopädischen Praxisgemeinschaft eine Plausibilitätsprüfung aufgrund auffällig hoher Patientenidentität (Quoten zwischen 21 und 33,02 Prozent) mit dem anderen Praxisgemeinschaftspartner eingeleitet. Der Arzt hatte geltend gemacht, dass sich die hohe Patientenidentität mit unterschiedlichen Schwerpunkten der beiden Ärzte erklären lasse. So verfüge nur einer der beiden über die Abrechnungsgenehmigung für Akupunktur, der andere wiederum für manuelle Therapie. Auch sei einer der Ärzte auf arthroskopische Eingriffe im Bereich der oberen Extremitäten spezialisiert, der andere Arzt wiederum auf die unteren Extremitäten. Aus diesem Grund komme es regelmäßig zu Überweisungen an den jeweils anderen, spezialisierten Kollegen. Teilweise seien auch Behandlungen aufgrund von Notfällen, Urlaubszeiten oder sonstigen Gründen durch den jeweils anderen Arzt durchgeführt worden. Im Übrigen besuchten viele Patienten einen Arzt ohne Termin, ohne zuvor die Sprechstundenzeiten des zuvor behandelnden Arztes zu prüfen. Gerade bei einer fachgruppengleichen Praxisgemeinschaft sei es dem Patienten nicht vermittelbar, dass er nicht von dem Arzt behandelt werden könne, der gerade anwesend sei, ihn aber bisher nicht behandelt habe. Es hätten regelmäßig kurzfristige Vertretungen stattgefunden, z. B. aufgrund von Erkrankungen der Kinder.

Im Ergebnis hatte die KV eine Honorarrückforderung in Höhe von knapp 89.000 Euro für die Quartale I/11 bis III/13 festgesetzt. Die Klage des Arztes wurde vom Sozialgericht (SG) Berlin abgewiesen (Urteil vom 30.11.2022, Az. S 22 KA 82/18). Dagegen erhob er die Berufung.

Entscheidungsgründe

Das LSG bestätigte die Honorarrückforderung und das Urteil des SG im Wesentlichen; lediglich für ein Quartal hielt es die Rückforderung für unberechtigt, dies betraf rund 5.700 Euro. Zur Begründung führt es aus, dass offenbleiben könne, ob die zwischen 21 und 33,02 Prozent liegenden Quoten gemeinsamer Patienten bereits für sich genommen eine Honorarrückforderung rechtfertigten. Denn es lägen darüber hinaus weitere Indizien vor, die die Annahme eines Formenmissbrauchs jedenfalls zusammen mit diesen Quoten ausreichend begründen. Dies habe die von der KV nach § 11 Abs. 1 S. 2 der Abrechnungsprüfungsrichtlinie (ARL) durchgeführte Stichprobenprüfung ergeben. Der Kläger habe die streitigen Doppelbehandlungsfälle nicht in einer für eine abweichende rechtliche Einschätzung ausreichenden Weise erklären können. Vielmehr würden sich in den geprüften Doppelbehandlungsfällen Hinweise auf eine gemeinsame Patientenbehandlung ergeben, wie sie typisch für eine Gemeinschaftspraxis bzw. Berufsausübungsgemeinschaft kennzeichnend seien.

So sei das routinemäßige Einlesen der Versichertenkarten bei beiden Ärzten ein Zeichen der nicht hinreichenden Trennung beider Praxen. In den stichprobenhaft überprüften Doppelbehandlungsfällen sei das Einlesen praktisch durchweg am selben Tag in beiden Praxen erfolgt. Der Verweis auf eine übliche Verwaltungspraxis trage hier nicht, da es Aufgabe der Ärzte einer Praxisgemeinschaft sei, dafür Sorge zu tragen, dass die Praxentrennung sowohl im Innen- wie im Außenverhältnis transparent gestaltet werde.

Die Prüfung habe auch ergeben, dass ein hoher Anteil an Fällen, in denen der (angebliche) Überweisungsgrund (die medizinische Verdachtsdiagnose und der jeweils für möglich erachtete Bedarf an Akupunktur bzw. Chirotherapie) ins Leere gelaufen ist und andere Behandlungen stattgefunden haben, die jedenfalls teilweise genauso gut vom Praxispartner hätten durchgeführt werden können. Die vom Kläger geltend gemachte kollegiale Vertretung – auf Zuruf und nach den täglichen Notwendigkeiten – ist gerade in Gemeinschaftspraxen üblich und entlastet den Kläger nicht.

Für das Quartal I/13, in dem das Aufgreifkriterium von 20 Prozent nicht überschritten wurde (die Quote lag bei 19,93 Prozent), gelte indessen anderes: Es handelt sich dabei um eine anlassbezogene Prüfung nach § 20 ARL, in der bloße Stichprobenprüfungen nicht möglich sind. Dieses Erfordernis beruht auf dem Umstand, dass die Beweislast für eine Falschabrechnung bei der anlassbezogenen Prüfung hinsichtlich jedes einzelnen Falls bei der KV liege. Überschreitet der Anteil der gemeinsamen Patienten das Aufgreifkriterium nicht, kann allein aus der Anzahl der gemeinsamen Patienten nicht auf die Missbräuchlichkeit der Kooperationsform geschlossen werden. Vielmehr müsse die KV für jeden Fall eine nicht gerechtfertigte Behandlung durch beide Ärzte nachweisen. Dies gelang nicht, weshalb die Rückzahlung um rund 5.700 Euro reduziert wurde.

Fazit | Die Entscheidung zeigt sehr deutlich, wie wichtig es für die Verteidigungsposition von geprüften Ärzten ist, ob das Aufgreifkriterium von 20 Prozent bei fachgruppengleicher und 30 Prozent bei fachgruppenungleicher Praxisgemeinschaft überschritten wurde oder nicht. Grundsätzlich kann sich eine Überschreitung des Aufgreifkriteriums, z. B. durch echte Vertretungsfälle im Sinne von § 32 Abs. 2 S. 2 Ärzte-ZV oder durch unterschiedliche Schwerpunkte, erklären lassen. Eine Vertretung „auf Zuruf“ wegen stundenweiser Verhinderung ist hingegen nicht geeignet, Doppelbehandlungen zu rechtfertigen. Um den Patienten zu vermitteln, dass eine wahlweise Inanspruchnahme nicht zulässig ist, kann im hausärztlichen Bereich auf die Regelung in § 76 Abs. 3 S. 2 SGB V hingewiesen werden, der das Recht auf freie Arztwahl der Versicherten einschränkt. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt.

AUSGABE: AAA 8/2025, S. 13 · ID: 50488473

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