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VertragsarztrechtChronikerzuschläge richtig ansetzen: Medikamenteneinnahme ist keine ärztliche Behandlung!

Abo-Inhalt23.06.2023314 Min. LesedauerVon RA, FA MedizinR Alexander Meyberg, LL.M., D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Düsseldorf, Berlin

| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, über die Abrechenbarkeit des Chronikerzuschlags nach der EBM-Nr. 03212 zu entscheiden. Der Ansatz des Chronikerzuschlags, der seit dem 01.07.2014 nunmehr über die Leistungspositionen Nr. 03220 und Nr. 03221 abgebildet wird, erfordert dabei nach § 2 Abs. 2 der Chroniker-Richtlinie die Behandlung ein- und derselben Erkrankung über den Zeitraum von vier Quartalen mit drei Arzt-Patienten-Kontakten (APK), wobei zwei persönlich sein müssen (Urteil vom 21.12.2022, Az. L 7 KA 49/19). |

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt die Poliklinik H, die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt und in der Frau Dr. R beschäftigt ist. Frau Dr. R behandelt schwerpunktmäßig diabetologische Erkrankungen.

Im Februar 2014 teilte die KV der Poliklinik im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung mit, dass Frau Dr. R mit dem Zeitaufwand für ihre Leistungserbringung in den Quartalen I/2010 bis IV/2012 den Höchstumfang ihrer Beschäftigung überschritten habe. Als Ergebnis der Plausibilitätsprüfung wurde das Honorar der Klägerin für diese Quartale um insgesamt rund 69.400 Euro gekürzt. Im Honorarrückforderungsbescheid hieß es hierzu, dass sich zwar bei einer genaueren Betrachtung keine Überschreitung des Höchstumfangs der Beschäftigung zeige. Als ergänzende Tatsachenfeststellung habe sich jedoch ergeben, dass der Chronikerzuschlag nach der Nr. 03212 von Frau Dr. R in mehreren hundert Fällen je Quartal fehlerhaft abgerechnet worden sei. Gekürzt werden müsse deshalb der Chronikerzuschlag in allen Behandlungsfällen, in denen die Behandlung der Patienten nicht in jedem der vier Quartale vor der Abrechnung durch die Poliklinik erfolgt sei.

Nachdem die Klägerin gegen den Bescheid vom 30.07.2014 Widerspruch eingelegt und dieser mit Widerspruchbescheid vom 08.12.2015 zurückgewiesen worden war, erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Mit Urteil vom 24.07.2019 wurde die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil legte die Klägerin Berufung vor dem LSG ein. Die zugelassene Berufung hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe

Das LSG kam zu dem Ergebnis, dass die Berufung der Klägerin zwar zulässig, aber unbegründet sei. So habe das SG Berlin nicht nur die richtige Rechtsgrundlage für die vorgenommene Honorarberichtigung benannt, sondern gleichzeitig auch den textlichen Inhalt der EBM-Nr. 03212 und des § 2 Abs. 2 der Chroniker-Richtlinie zutreffend wiedergegeben. Zudem habe das SG Berlin auch rechtlich nachvollziehbar herausgearbeitet, warum Frau Dr. R die Chronikerpauschale in den von der Beklagten benannten 4.174 Fällen (im Schnitt 347 pro Quartal) fehlerhaft angesetzt habe, nämlich weil der jeweilige Versicherte in den vier vorangegangenen Quartalen nicht durchweg ärztlich behandelt worden sei.

In diesem Zusammenhang wies das LSG Berlin-Brandenburg sodann auch darauf hin, dass es nicht vertretbar sei, in der Einnahme der zuvor verordneten Medikation eine „ärztliche Behandlung“ zu sehen. Diese von der Klägerin exklusiv vertretene Position ließe erklären, weshalb der Chronikerzuschlag von Frau Dr. R in einem bemerkenswert hohen Umfang von mehr als 95 Prozent abgerechnet worden sei. So meinte diese irrtümlich, dass die erforderliche Dauerbehandlung keines quartalsweisen APK bedürfe. Weiter führte das LSG auch aus, dass mit dieser Sichtweise der Sinn und Zweck der Begriffsbestimmung „schwerwiegend chronisch“ i. S. d. § 2 Abs. 2 Chroniker-Richtlinie (beim G-BA online unter iww.de/s8232) ausgehebelt würde, da diese gerade einen solchen APK fordere. Zudem würde auch das Merkmal „schwerwiegend chronisch“ ins Uferlose ausgedehnt werden, wenn auch die monatelange Einnahme von verordneten Arzneimitteln ohne APK als „ärztliche Behandlung“ zu qualifizieren sei.

Fazit | Die Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg ist folgerichtig und trotz der zwischenzeitlichen Neugestaltung der Chronikerzuschläge (Nrn. 03220 und 03221) im Jahre 2014 weiterhin brandaktuell. Schließlich führt die Frage nach dem richtigen Ansatz der Chronikerzuschläge immer wieder zu großen Fragezeichen. Das Urteil des LSG sorgt nun zumindest zum Teil für rechtliche Klarheit. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Ansatz der Chronikerzuschläge immer dann zulässig ist, wenn eine kontinuierliche ärztliche Behandlung wegen derselben gesicherten chronischen Erkrankung erfolgt ist. Eine kontinuierliche ärztliche Behandlung ist nur dann anzunehmen, wenn im Zeitraum der letzten vier Quartale (unter Einschluss des laufenden Quartals) wegen derselben gesicherten chronischen Erkrankung(en) jeweils mindestens ein APK gemäß 4.3.1 der Allgemeinen Bestimmungen des EBM pro Quartal stattgefunden hat, wobei in mindestens drei der vier Quartale der APK in derselben Praxis erfolgt sein muss. Wichtig ist hierbei auch, dass der APK in zwei Quartalen ein persönlicher war. Der angegebene Zeitraum schließt dabei das aktuelle Quartal immer mit ein.

Erscheint ein Patient also im neuen Quartal erstmalig beim Arzt und findet ein persönlicher APK statt, aber steht dieser nicht im Zusammenhang mit der chronischen Erkrankung, ist dennoch die Nr. 03220 anzusetzen. Schließlich ist und bleibt die chronische Erkrankung vorhanden. Beim zweiten APK kann dann die Nr. 03221 als Zuschlag angesetzt werden. Wichtig ist, dass die sog. „4-3-2-1-Regelung“ oder auch „4-3-2-Regelung“ immer erfüllt ist:

  • [4 =] Es müssen in den letzten vier Quartalen
  • [3 =] drei APK erfolgt sein,
  • [2 =] von denen zwei persönliche APK sein müssen,
  • [1 =] und zwar wegen ein und derselben Erkrankung.
Weiterführende Hinweise

AUSGABE: AAA 7/2023, S. 9 · ID: 49553007

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