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SchadenersatzKeine Aussetzung bei Frage vorsätzlicher Unfallherbeiführung
| Allein von den Zivil- und Arbeitsgerichten zu entscheiden und damit nicht von der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII erfasst ist die Frage, ob ein Haftungsausschluss nach §§ 104, 105 SGB VII aufgrund einer vorsätzlichen Schädigung ausgeschlossen ist. Denn dies ist für die Beurteilung des Versicherungsfalls irrelevant. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über das Bestehen von Schadenersatzansprüchen. Die Kläger sind Erben eines verstorbenen ArbN der Beklagten zu 2. Der Beklagte zu 1 ist der frühere Geschäftsführer der Komplementärin der Beklagten zu 2. Die Beklagte zu 2 ist Teil einer Unternehmensgruppe. Am 28.3.20 kam es im Betrieb der Beklagten zu 2 zu einem Unfall. Der verstorbene ArbN und Erblasser arbeitete mit einem Kollegen im Bereich der Schlackekammer eines Kurztrommelofens. Dabei liefen 50 bis 100 l Schlacke mit einer Temperatur zwischen 500 und 600 °C aus. Die Schlacke ergoss sich auf den nassen Fußboden. Wegen der hohen Hitze der Schlacke verdampfte das Wasser auf dem Boden sofort. Die heiße Schlacke verteilte sich explosionsartig. Die beiden ArbN erlitten durch die heiße Schlacke starke Verbrennungen, denen der Erblasser später erlag.
Die zuständige Berufsgenossenschaft erbrachte wegen des Arbeitsunfalls als Versicherungsfall Leistungen und macht im Nachgang – außerhalb des vorliegenden Rechtsstreits – Regressansprüche gegenüber der Betriebshaftpflichtversicherung der Beklagten zu 2 geltend. Mit ihrer Klage verlangen die Kläger Schmerzensgeld sowie die Feststellung, dass die Beklagten verpflichtet sind, alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die aus dem Schadensereignis entstanden sind bzw. noch entstehen werden, soweit sie nicht auf Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen sind. Die Kläger meinen, es liege aufseiten der Beklagten ein Verstoß gegen Fürsorgepflichten des ArbG vor. Dieser Verstoß habe zum Tod des Erblassers geführt, welcher zumindest billigend in Kauf genommen worden sei. Es verbleibe daher kein Raum für die ansonsten bestehende unfallversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung.
Das Arbeitsgericht setzte den Rechtsstreit unter Verweis auf § 108 Abs. 2 SGB VII aus. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Das LAG Hamm (30.10.24, 9 Ta 336/24, Abruf-Nr. 244912) kam zum Ergebnis, dass die sofortige Beschwerde der Beklagten begründet ist. Das Arbeitsgericht habe den Rechtsstreit nicht auf der Grundlage des § 108 Abs. 2 SGB VII aussetzen dürfen. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung werde der Schadenausgleich bei Arbeitsunfällen aus dem individual- in den sozialrechtlichen Bereich verlagert.
Die zivilrechtliche Haftung des ArbG und der Arbeitskollegen für fahrlässiges Verhalten bei Personenschäden gegenüber dem ArbN werde gemäß § 104 SGB VII durch die öffentlich-rechtliche Leistungspflicht der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung abgelöst. Mit dieser Ablösung einher gehe gemäß § 105 SGB VII eine entsprechende Haftungsfreistellung aller Betriebsangehörigen bei Betriebsunfällen (BAG 28.11.19, 8 AZR 35/19, Abruf-Nr. 213543).
Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII seien Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliege, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen seien, und ob der Unfallversicherungsträger zuständig sei, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII habe das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Absatz 1 ergangen sei. Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet sei, bestimme es dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig sei (BGH 30.5.17, VI ZR 501/16, Abruf-Nr. 195028).
Allein von den Zivil- und Arbeitsgerichten zu entscheiden und damit nicht von der Bindungswirkung des § 108 Abs. 1 SGB VII – mit entsprechender Aussetzungsverpflichtung gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII – erfasst, sei jedoch die Frage, ob ein Haftungsausschluss nach §§ 104, 105 SGB VII aufgrund einer vorsätzlichen Schädigung ausgeschlossen sei. Denn dies sei für die Beurteilung des Versicherungsfalls irrelevant (BAG 28.11.19, 8 AZR 35/19, Abruf-Nr. 213543; BAG 30.10.03, 8 AZR 548/02, Abruf-Nr. 032461).
Vorliegend sei die Berufsgenossenschaft infolge des Arbeitsunfalls eingetreten und habe Leistungen erbracht. Das Vorliegen eines Versicherungsfalls, der Umfang der Leistungsverpflichtung und die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers stehe nicht infrage. Im Rechtsstreit verlangen vielmehr die Erben des infolge des Arbeitsunfalls verstorbenen ArbN von den Beklagten Schmerzensgeld sowie Feststellung der Eintrittspflicht für materielle und immaterielle Schäden, weil diese den Tod des Erblassers „zumindest billigend in Kauf genommen“ hätten. Es gehe mithin um die Frage, ob der Haftungsausschluss gemäß §§ 104, 105 SGB VII aufgrund einer vorsätzlichen Schädigung entsperrt sei. Darüber habe das Arbeitsgericht zu entscheiden, ohne dass es auf das Vorliegen eines Versicherungsfalls sowie den Umfang der Leistungsverpflichtung und die Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft ankomme. Eine Aussetzung auf der Grundlage der Regelung in § 108 Abs. 2 SGB VII habe nicht zu erfolgen.
Relevanz für die Praxis
Eine Kostenentscheidung war entbehrlich, da die durch die Beschwerde entstandenen Kosten einen Teil der Gesamtkosten des Rechtsstreits bilden, über die unabhängig vom Ausgang des Beschwerdeverfahrens in der Entscheidung zur Hauptsache gemäß §§ 91 ff. ZPO zu befinden ist.
AUSGABE: AA 1/2025, S. 8 · ID: 50267715