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AGBAufgepasst bei der Rückzahlungsklausel von Fortbildungskosten!
| Manche ArbG vereinbaren die Übernahme der Kosten einer Fortbildung des ArbN in einem Fortbildungsvertrag. Darin verpflichtet sich der ArbN, in einem bestimmten Zeitraum weiter tätig zu sein. Kommt es nicht zu dieser Weiterbeschäftigung aus Gründen in der Person des ArbN, verlangt der ArbG aus dem Fortbildungsvertrag häufig die volle oder jedenfalls anteilige Rückzahlung der Fortbildungskosten. Ist das so einfach möglich? Das BAG hat hierzu eine weitere, sehr interessante Entscheidung getroffen. |
Sachverhalt (BAG 1.3.22, 9 AZR 260/21, Abruf-Nr. 229055) |
Die ArbG (Klägerin) betreibt eine Reha-Klinik. Die Beklagte war dort als Altenpflegerin beschäftigt. Die Parteien schlossen einen Fortbildungsvertrag, demzufolge die ArbN in der Zeit vom 4.6 bis zum 3.12.19 an 18 Arbeitstagen an einer Fortbildung zum „Fachtherapeut Wunde ICW“ teilnehmen sollte. Die ArbG verpflichtete sich in § 2 Fortbildungsvertrags zur Übernahme der durch die Teilnahme an der Fortbildung entstehenden Kosten in Höhe von 4.090 EUR, die sich aus Kursgebühren in Höhe von 1.930 EUR und einer bezahlten Freistellung in Höhe von 2.160 EUR zusammensetzten. Des Weiteren heißt es im Fortbildungsvertrag: § 3 Bindungsfrist und Rückzahlungsfrist
Die Beklagte schloss die im Fortbildungsvertrag vorgesehene Fortbildungsmaßnahme am 3.12.19 erfolgreich ab. Mit Schreiben vom 29.11.19 kündigte sie das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis zum 1.2.20. Daraufhin forderte die Klägerin sie mit Schreiben vom 30.12.19 auf, die ihr entstandenen Fortbildungskosten anteilig in Höhe von 2.726,68 EUR zurückzuzahlen. |
1. Klausel benachteiligt den ArbN unangemessen
Das BAG wies die Klage auf Rückzahlung der Fortbildungskosten mit der Begründung ab, die entsprechende Klausel sei wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Das BAG führte aus, § 3 Abs. 2 S. 1 des Fortbildungsvertrags unterscheide zwischen verschiedenen Beendigungstatbeständen, die eine Rückzahlungspflicht des ArbN auslösen können:
„Neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch einen vom ArbN veranlassten Aufhebungsvertrag stellt die Klausel zum einen auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine verhaltensbedingte ordentliche oder außerordentliche Kündigung des ArbG (Alt. 2) und zum anderen – worauf die Klägerin ihre Forderung stützt – auf eine vom ArbN erklärte Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus einem nicht vom ArbG zu vertretenden Grund ab (Alt. 1). Dabei knüpft § 3 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 des Fortbildungsvertrags die Rückzahlungspflicht an sämtliche Eigenkündigungen des ArbN, die nicht auf einem vom ArbG zu vertretenden Grund beruhen. Der Anwendungsbereich der Klausel erstreckt sich damit auch auf eine Kündigung, die der ArbN ausspricht, weil er unverschuldet und ohne Verursachungsbeitrag des ArbG aus Gründen in seiner Person dauerhaft nicht (mehr) in der Lage ist, die Qualifikation, die er mit der vom ArbG finanzierten Weiterbildung erworben hat, im Rahmen der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu nutzen.“
2. Ausscheiden durch Eigenkündigung ist nicht Grund genug
Nach Ansicht des BAG führe die Rückzahlungsklausel zu einer unangemessenen Benachteiligung i. S. v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Zwar seien einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen sich ein ArbN an den Kosten der vom ArbG finanzierten Ausbildung zu beteiligen habe, soweit er vor Ablauf bestimmter Fristen aus dem Arbeitsverhältnis ausscheide, zulässig. Sie würden den ArbN nicht generell unangemessen benachteiligen. Es sei jedoch unzulässig, die Rückzahlungspflicht schlechthin an das Ausscheiden aufgrund einer Eigenkündigung des ArbN innerhalb der vereinbarten Bindungsfrist zu knüpfen.
Vielmehr müsse nach dem Grund des vorzeitigen Ausscheidens differenziert werden. Zahlungsverpflichtungen des ArbN, die an eine von diesem ausgesprochene Kündigung des Arbeitsverhältnisses anknüpfen, könnten im Einzelfall gegen Treu und Glauben verstoßen. Da sie geeignet seien, das Grundrecht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes nach Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG einzuschränken, müsse einerseits die Rückzahlungspflicht einem begründeten und billigenswerten Interesse des ArbG entsprechen. Andererseits müsse den möglichen Nachteilen für den ArbN ein angemessener Ausgleich gegenüberstehen.
Letzteres sei der Fall, wenn der ArbN mit der Ausbildungsmaßnahme eine angemessene Gegenleistung für die Rückzahlungsverpflichtung erhalte. Insgesamt müsse die Erstattungspflicht – auch dem Umfang nach – dem ArbN nach Treu und Glauben zumutbar sein. Sei dies nicht der Fall, verbleibe es dabei, dass Verluste, die eintreten, weil Investitionen in die Aus- und Weiterbildung des ArbN nachträglich wertlos werden würden, grundsätzlich der ArbG als Betriebsausgaben zu tragen habe.
3. Unverschuldete Arbeitsunfähigkeit des ArbN
§ 3 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 des Fortbildungsvertrags verstoße gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Denn eine unangemessene Benachteiligung des ArbN sei nicht nur in Fällen anzunehmen, in denen es der ArbN nicht in der Hand habe, durch eigene Betriebstreue der Rückzahlungsverpflichtung zu entgehen, weil er durch Gründe in der Sphäre des ArbG – z. B. durch ein vertragswidriges Verhalten – zu einer Kündigung veranlasst oder mitveranlasst werde. Eine Rückzahlungsklausel sei auch unangemessen benachteiligend im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn sie auch den ArbN, der das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsdauer kündigt, weil es ihm unverschuldet dauerhaft nicht möglich sei, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, zur Erstattung der Fortbildungskosten verpflichten solle.
Auch unter dieser Voraussetzung sei eine Bindung des ArbN an das Arbeitsverhältnis weder durch billigenswerte Interessen des ArbG noch durch gleichwertige Vorteile des ArbN gerechtfertigt. Sei der ArbN ohne sein Verschulden dauerhaft nicht mehr in der Lage, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, sei der arbeitsvertraglich vorgesehene Leistungsaustausch nicht mehr möglich. Damit könne der ArbG unabhängig von der Kündigung des ArbN dessen Qualifikation bis zum Ablauf der Bindungsdauer nicht nutzen.
An dem Fortbestehen eines nicht mehr erfüllbaren und damit „sinnentleerten“ Arbeitsverhältnisses bestehe in der Regel kein billigenswertes Interesse (vgl. zur außerordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung mit Auslauffrist BAG 14.1.15, 7 AZR 880/13). Der Umstand, dass sich die Investition in die Fortbildung eines ArbN aufgrund unverschuldeter dauerhafter Leistungsunfähigkeit für ihn nicht amortisiere, gehöre zum unternehmerischen Risiko.
Die durch § 3 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 des Fortbildungsvertrags bewirkte Bindung an das Arbeitsverhältnis benachteilige die ArbN auch unangemessen. Die Beschränkung der durch Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG gewährleisteten arbeitsplatzbezogenen Berufswahlfreiheit des ArbN werde bei dessen Leistungsunfähigkeit nicht durch den Ausbildungsvorteil ausgeglichen. Sei es dem ArbN aus gesundheitlichen Gründen ohne sein Verschulden dauerhaft nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, wäre er bei Wirksamkeit des § 3 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 des Fortbildungsvertrags verpflichtet, nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums ohne Gegenleistung des ArbG am Arbeitsverhältnis festzuhalten, um die Rückzahlungspflicht abzuwenden.
Dies gelte unabhängig davon, ob die vertraglichen Regelungen in dieser Situation das Ruhen des Arbeitsverhältnisses vorsehen. Bei einer dauerhaften Leistungsunfähigkeit des ArbN sei ein Austausch der Hauptleistungspflichten ausgeschlossen, auch wenn die Parteien deren Suspendierung nicht vereinbart hätten. Der ArbN werde nach § 275 Abs. 1 BGB von seiner Leistungspflicht befreit, wenn ihm die Erbringung der Arbeitsleistung aufgrund dauerhafter Leistungsunfähigkeit unmöglich sei. Der ArbG sei – ausgehend vom Grundsatz „kein Lohn ohne Arbeit“ (§ 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB) – außerhalb des Zeitraums von sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 S. 1 EFZG) nicht zur Zahlung der Vergütung verpflichtet.“
4. Auswirkungen für den ArbG
An den ArbG als Verwender der Rückzahlungsklausel würden keine unzumutbaren Anforderungen gestellt. Dem ArbG sei es ohne Weiteres möglich, die Fälle von der Rückzahlungspflicht auszunehmen, in denen der ArbN sich zur Eigenkündigung entschließe, weil er vor Ablauf der Bindungsdauer wegen unverschuldeter Leistungsunfähigkeit die durch die Fortbildung erworbene Qualifikation in dem mit dem Verwender der Klausel bestehenden Arbeitsverhältnis nicht (mehr) nutzen könne. Für die Beurteilung der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel sei es unerheblich, ob der ArbG durch personenbedingte Gründe zur Eigenkündigung veranlasst werde.
Die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB missbilligten bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (§ 305 Abs. 1 S. 1, § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB), nicht erst deren unangemessenen Gebrauch im konkreten Fall. Der Unwirksamkeit seien auch solche Klauseln unterworfen, die in ihrem Übermaßanteil in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, das sich im Entscheidungsfall nicht realisiert habe. Die Unwirksamkeit von § 3 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 des Fortbildungsvertrags führe nach § 306 Abs. 1 BGB zum ersatzlosen Wegfall der Rückzahlungsklausel bei Aufrechterhaltung der Weiterbildungsvereinbarung. Es sei weder eine geltungserhaltende Reduktion vorzunehmen noch lägen die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung vor.
5. Relevanz für die Praxis
Die Entscheidung des BAG reiht sich in die Fälle ein, in denen eine vom ArbG aufgestellte Klausel wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 S. 1 BGB insgesamt unwirksam ist, obwohl im jeweils konkreten Fall der Grund für die Unwirksamkeit von keiner Partei reklamiert wurde. Auch hier wurde der ArbN nicht durch personenbedingte Gründe zur Eigenkündigung veranlasst.
So wurde bereits durch das BAG (13.12.11, 3 AZR 791/09) eine Rückzahlungsklausel wegen unangemessener Benachteiligung des ArbN für unwirksam erklärt – wenn dieser ohne Ausnahme für jeden Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung verpflichtet wird, Ausbildungskosten zurückzuzahlen. Wenn die Bestimmung nicht danach unterscheidet, ob der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Eigenkündigung der Sphäre des ArbG oder der des ArbN liegt, ist die Klausel unwirksam. Eine Rückzahlungspflicht besteht in diesen Fällen auch, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den ArbG (mit)veranlasst wurde.
Musterformulierung / Rückzahlungsklausel |
In der anwaltlichen Beratung sollte darauf geachtet werden, dass in eine Rückzahlungsklausel für Fortbildungskosten folgender Hinweis aufgenommen wird: Ein Anspruch auf Rückzahlung von Fortbildungskosten bei einer Eigenkündigung besteht dann nicht, wenn der Grund für die Eigenkündigung in der Sphäre des ArbG liegt oder dieser kein berechtigtes Interesse an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hat (z. B. bei unverschuldeter Leistungsunfähigkeit des ArbN). |
- BAG ändert Rechtsprechung zu Verfallklauseln: BAG in AA 21, 187
- 15 Überstunden sind mit drin = eine solche Klausel im Arbeitsvertrag ist wirksam: LAG Hamm in AA 20, 63
AUSGABE: AA 7/2022, S. 116 · ID: 48413903