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BeratungspraxisArbN während seines Urlaubs in U-Haft: Was raten Sie dem ArbG?
| Ein ArbG bittet um einen anwaltlichen Rat: Einer seiner ArbN macht Urlaub im Ausland. Am Hotel brennt es, die Polizei verdächtigt den ArbN und seine „Kegelfreunde“ und ordnet U-Haft gegen alle wegen Verdachts der Brandstiftung an. Offiziell ist der Urlaub des ArbN zu Ende. Der ArbG weiß nicht, wie lange die U-Haft dauert und wann der ArbN seine Arbeit wieder antreten kann. Er möchte wissen, welche arbeitsrechtlichen Möglichkeiten es gibt. Anhand von vier Situationen erläutern Sie dem ArbG die rechtlichen Alternativen. |
1. Gesamten Jahresurlaub gewähren?
Situation: Der ArbG teilt mit, dass der ArbN seit Jahrzehnten bei ihm tätig ist und er ihn schnellstmöglich benötigt. Er möchte ihm den gesamten Jahresurlaub zur Verfügung stellen, hat jedoch Sorge, dass das nicht reicht. Und was ist, wenn der ArbN später weiteren Urlaub verlangt, da die U-Haft nicht ernsthaft als „Urlaub“ im Sinne des BUrlG als „Erholungsurlaub“ angesehen werden könnte?
Der ArbG könnte eine personenbedingte Kündigung wegen Arbeitsverhinderung durch die im Ausland angeordnete U-Haft in Betracht ziehen, die unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Arbeitsgericht Augsburg in AA 22, 22) eventuell wirksam wäre.
Dies würde hier dem Interesse des ArbG widersprechen, der den ArbN schnell zurückhaben möchte und bereit ist, die Zeit bis dahin zu überbrücken. Mit Erholungsurlaub ist dies nicht ohne Weiteres möglich, da der Erholungszweck erkennbar in der U-Haft nicht erreicht werden kann. Kehrt der ArbN zurück und verlangt den gewährten Urlaub erneut, mag dies „unfair und undankbar“ sein, ändert aber nichts daran, dass der Urlaub erneut gewährt werden müsste.
ArbG sollte abwarten Praxistipp | Daher ist der ArbG gut beraten, zunächst abzuwarten, wie sich die Dinge entwickeln, denn während der U-Haft hat der ArbN keinen Lohnanspruch nach dem Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“. Die Haft ist auch nicht etwa der Betriebsrisikosphäre des ArbG zuzuordnen, sondern fällt als Störquelle des Leistungsaustauschs in die Sphäre des ArbN. |
2. Ermahnung/Abmahnung?
Situation: Die anwesenden Kollegen sind bereit, den in U-Haft sitzenden Kollegen eine gewisse Zeit zu vertreten. Sie äußern aber, dass der ArbG „ein Zeichen“ setzen muss, wenn der ArbN wieder zurück im Betrieb ist. Der ArbG fragt, ob eine Ermahnung bzw. eine Abmahnung in Betracht kommt.
Eine Ermahnung, sich künftig von solchen Verhaltensweisen – vor allem im Ausland – fernzuhalten, mag pädagogisch sinnvoll und als Zeichen an die Belegschaft wünschenswert sein. Darüber hinausgehende arbeitsrechtliche Wirkung kommt ihr im Gegensatz zur „echten“ Abmahnung, die meist notwendige Vorstufe einer verhaltensbedingten Kündigung ist, nicht zu.
Abmahnung fraglich Praxistipp | Für den ArbG stellt sich die Frage, ob er eine Abmahnung wegen der U-Haft und der Dauer der damit verbundenen Unmöglichkeit der Arbeitsleistung wirksam aussprechen kann. Hieran bestehen schon deshalb große Zweifel, weil die U-Haft und die mit ihr verbundene Unmöglichkeit der Arbeitsleistung nicht dem Bereich verhaltensbedingter Leistungsstörungen, sondern dem personenbedingten Bereich zuzuordnen ist. Bei personenbedingten Störungen des Arbeitsverhältnisses scheidet hingegen der Ausspruch einer Abmahnung durch den ArbG als Sanktion in der Regel aus. |
3. Außerordentliche Kündigung?
Situation: Der ArbG äußert indirekt den Wunsch, den ArbN „jetzt endlich so schnell wie möglich“ aus dem Betrieb zu entfernen. Käme eine außerordentliche Kündigung während der U-Haft-Zeit in Betracht?
Das kommt darauf an. Das BAG (26.3.15, 2 AZR 517/14, Abruf-Nr. 179664): Informiert ein ArbN seinen ArbG nicht über den Grund seiner Abwesenheit und deren voraussichtliche Dauer, verletzt dies vertragliche Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB. Hierzu ist der ArbN aber verpflichtet. Gerät der ArbN in U-Haft, muss er dem ArbG diesen Umstand unverzüglich anzeigen und ihn über die voraussichtliche Haftdauer in Kenntnis setzen. Verletzt er diese Pflicht, kommt dies als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB jedoch erst in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt wird.
Auf Nummer sicher gehen und hilfsweise ordentlich kündigen Praxistipp | In der Praxis sollte der ArbG im Fall der Kündigung wegen Nichtanzeige einer Arbeitsverhinderung oder wegen der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeit selbst, neben der außerordentlichen Kündigung stets, zumindest hilfsweise, auch eine ordentliche Kündigung aussprechen. Ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung setzt neben der Nichterbringung der Arbeit als solcher noch weitere Anhaltspunkte für das Vorhandensein des mangelnden Arbeitswillens voraus. Diese sind in der Praxis schwer zu belegen. Eine außerordentliche Kündigung wird gerade bei Haftfällen häufig von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung als unverhältnismäßig angesehen. In der Regel dürfte auch eine ordentliche Kündigung ausreichend sein, um den berechtigten Interessen des ArbG zu genügen. Dies liegt auch daran, dass ein Anspruch des ArbN auf Arbeitslohn, etwa unter dem Aspekt des Annahmeverzugs, hier nicht besteht. Verzug des ArbG mit der Annahme der Arbeitsleistung setzt nämlich denknotwendig voraus, dass die Arbeitspflicht durch den ArbN erfüllbar ist. Ein inhaftierter ArbN kann aber, zumindest während der Haftdauer, die Arbeitspflicht nicht erfüllen. |
4. Personenbedingte Kündigung?
Situation: Der ArbG fragt, ob, wenn schon nicht die „fristlose“ Kündigung in Betracht kommt, wenigstens die ordentliche Kündigung möglich wäre.
Auch eine Arbeitsverhinderung wegen Straf- oder U-Haft kann ein personenbedingter Kündigungsgrund sein. Als Kündigungsgrund in der Person des ArbN kämen Umstände in Betracht, die auf einer in dessen persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften liegenden „Störquelle“ beruhen, sagte bereits das BAG (24.3.11, 2 AZR 790/09, Abruf-Nr. 111302). Nach dem BAG (25.11.10, 2 AZR 984/08) zählt hierzu eine Arbeitsverhinderung des ArbN, die auf einer Straf- oder U-Haft beruht. Deren Qualifizierung als Grund in der Person des ArbN lasse es zu, auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig gewordenen ArbN Bedacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe könne ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen.
Eine Verpflichtung des ArbG, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Gründen der Resozialisierung (BAG 23.5.13, 2 AZR 120/12, Abruf-Nr. 133952). Es ist aber stets eine Prognose der Haftdauer erforderlich. Voraussetzung einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist, dass der ArbN aller Voraussicht nach durch die Haft für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen (BAG 23.5.13, 2 AZR 120/12, Abruf-Nr. 133952).
Praxistipp | Die Entscheidung des BAG zeigt dem ArbG auf, wie er sich im Fall einer U-Haft eines Mitarbeiters verhalten sollte. Er sollte besser nicht vorschnell zur fristlosen und /oder fristgerechten Kündigung greifen. ArbG muss ArbN Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen Zunächst muss er dem ArbN die Möglichkeit zur Stellungnahme einräumen. Im Fall einer U-Haft im Ausland wird das nicht ganz einfach sein. Der einfachste Weg ist in der Regel, die Aufforderung zur Stellungnahme an den Prozessbevollmächtigten des ArbN zuzustellen, sofern dieser eine entsprechende Vollmacht vorgelegt hat. Auch sollte sich der ArbG darüber im Klaren sein, dass das für den ArbN in der Situation eine zusätzliche Belastung darstellt, ganz abgesehen von der moralischen Seite, die auch die anderen ArbN bewerten werden. Der ArbG sollte zunächst prüfen, ob die zu erwartende Abwesenheit des ArbN durch organisatorische Maßnahmen überbrückt werden kann, ohne dass es zu Betriebsablaufstörungen kommt. Als grobe Richtschnur lässt sich festhalten, dass dem ArbG jedenfalls bei einer zu erwartenden Haftstrafe von mehr als zwei Jahren Überbrückungsmaßnahmen nicht mehr zumutbar sind. |
- Bei einer Untersuchungshaft ist die Kündigung nicht immer wirksam: Arbeitsgericht Augsburg in AA 22, 22
AUSGABE: AA 7/2022, S. 120 · ID: 48414072