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SommerquizFristlos raus: Ja, nein oder vielleicht? Die Antworten
| Häufig zu spät gekommen, etwas aus dem Unternehmen mitgenommen, Kollegen oder Vorgesetzten beleidigt – es gibt viele Situationen, die den ArbG bewegen, den ArbN fristlos entlassen zu wollen. Doch sind die Situationen wirklich geeignet, den ArbN sofort zu entlassen? Das müssen Sie als anwaltlicher Berater des ArbG dann einschätzen. Anhand von 11 Situationen konnten Sie Ihr Wissen testen. Nachfolgend die Antworten der Arbeitsrichter und wie sie die Lage beurteilten. |
Die Antworten | |
Zu Frage 1: „Es kommt darauf an“: Der Vorwurf wiederholten Zuspätkommens könne in der Regel nur den Ausspruch einer ordentlichen, nicht den einer fristlosen Kündigung rechtfertigen. Eine außerordentliche Kündigung aus diesem Grund komme ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Unpünktlichkeit des ArbN den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verletzung (Verweigerung) seiner Arbeitspflicht erreicht habe. | Arbeitsgericht Düsseldorf 24.2.22, 10 Ca 4119/21, Abruf-Nr. 229717 |
Zu Frage 2: „Es kommt darauf an“: Die unabgesprochene Mitnahme von Eigentum des ArbG nach Hause sei zwar eine Pflichtverletzung, die an sich eine fristlose Kündigung begründen könne. In der konkreten Situation reiche die Mitnahme des Bürostuhls aber nicht aus. Der ArbG habe während der Pandemie der Tätigkeit im Homeoffice generell Vorrang vor der Präsenztätigkeit im Büro eingeräumt, die dafür notwendige Ausstattung so kurzfristig aber nicht zur Verfügung gestellt. | Arbeitsgericht Köln 18.1.22, 16 Ca 4198/21, Abruf-Nr. 227593 |
Zu Frage 3: „Ja“: Der wichtige Kündigungsgrund läge darin, dass der ArbN in ernstzunehmender Art und Weise gegenüber seiner Kollegin Äußerungen getätigt habe, die sowohl die Ankündigung für eine Gefahr von Leib und Leben des Vorgesetzten als auch die Ankündigung eines Amoklaufs beinhaltet hätten. Der ArbN habe die Drohung absolut ernst gemeint. Eine vorherige Abmahnung sei in diesem Fall entbehrlich. | Arbeitsgericht Siegburg 4.11.21, 5 Ca 254/21, Abruf-Nr. 227028 |
Zu Frage 4: „Ja“: In der unbefugten Kenntnisnahme und Weitergabe fremder Daten läge wegen der damit einhergehenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein schwerwiegender Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Dieser sei auch nicht durch die von der ArbN vorgetragenen Beweggründe, Beweise sichern zu wollen, gerechtfertigt gewesen. | LAG Köln 2.11.21, 4 Sa 290/21, Abruf-Nr. 227030 |
Zu Frage 5: „Ja“: Durch das Verhalten begeht der Azubi eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten. Eine fristlose Kündigung durch den ArbG kann dann gerechtfertigt sein. Darauf, ob es sich bei der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) um eine Gefälligkeitsbescheinigung oder um eine erschlichene Bescheinigung gehandelt hat, kam es für die Kammer nicht an. Eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist war dem ArbG nicht zuzumuten. Kein Auszubildender dürfe davon ausgehen, dass dessen Ausbilder es hinnimmt, falsche AUB vorgelegt zu bekommen, um sich den anstehenden Prüfungen, insbesondere wenn es sich um Nachholprüfungen handelt, zu entziehen. | Arbeitsgericht Siegburg 17.3.22, 5 Ca 1849/21, Abruf-Nr. 229718 |
Zu Frage 6: „Ja“: Auch die hieraus folgende Missachtung der 2-G-Regel im Präsenzkontakt zu Kunden sei nicht nur weisungswidrig, sondern stelle auch eine erhebliche Verletzung der Verpflichtung der ArbN zur Wahrung der Interessen der ArbG dar. Dadurch, dass die ArbN ihre unwahre Behauptung vollständigen Impfschutzes durch Vorlage eines falschen Impfnachweises zu belegen versucht hat, habe sie das für eine auch nur befristete Fortführung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen verwirkt. Angesichts der hohen kriminellen Energie, die die ArbN einerseits gezeigt habe und der Rücksichtslosigkeit gegenüber den wirtschaftlichen und moralischen Interessen des ArbG sowie den besonders gewichtigen gesundheitlichen Interessen auf Kundenseite andererseits, konnte aus Sicht eines verständigen ArbG nicht mehr davon ausgegangen werden, dass sie seinen berechtigten Interessen in Zukunft auch für die nur befristete Vertragsfortführung bis zum Auslauf der Kündigungsfrist Beachtung schenken würde. | Arbeitsgericht Köln 23.3.22, 18 Ca 6830/21, Abruf-Nr. 229207 |
Zu Frage 7: „Ja“: Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Teilnahme an einem Streik nur dann rechtmäßig sei, wenn dieser von einer Gewerkschaft getragen werde. Das Argument, dass die Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG auch Arbeitskampfmaßnahmen schütze, die nicht den Abschluss eines Tarifvertrags zum Ziel hätten und deshalb auch nicht gewerkschaftlich organisiert sein müssten, zog vor Gericht nicht. | Arbeitsgericht Berlin 6.4.22, 20 Ca 10257/21, 20 Ca 10258/21 und 20 Ca 10259/21, Abruf-Nr. 229719 |
Zu Frage 8: „Ja“: Das Herstellen verfälschter Abrechnungen und deren Verwendung im Rechtsverkehr verletze zugleich die gegenüber dem ArbG begründete Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB . Ein derartiges Verhalten könne unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. | LAG Hamm 19.8.21, 8 Sa 1671/19, Abruf-Nr. 224695 |
Zu Frage 9: „Es kommt darauf an“: Die Vorlage eines Testzertifikats, das unzutreffend bescheinigt, der Antigen-Schnelltest sei von dem Leistungserbringer i. S. d. § 6 Abs. 1 TestV selbst durchgeführt worden, in der Absicht, die in § 28b Abs. 1 S. 1 IfSG in den vom 24.11.21 bis zum 19.3.22 geltenden Fassungen geregelte Nachweispflicht zu umgehen, ist geeignet, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB für die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses darzustellen. Andere Ansicht: Das Arbeitsgericht Bielefeld (24.3.22, 1 Ca 2311/21) sieht das anders: Danach reicht eine Abmahnung zur Beseitigung der Störung des Dauerschuldverhältnisses als milderes Mittel aus. | Arbeitsgericht Hamburg 31.3.22, 4 Ca 323/21, Abruf-Nr. 229720 |
Zu Frage 10: „Nein“: Das Einsatzverbot eines Kurierfahrers einer Spedition („Offboarding“) durch deren einzigen Kunden („Offboarding“) stellt für sich genommen keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses dar. Es führe auch nicht zur Leistungsunfähigkeit des Kurierfahrers im Sinne von § 297 BGB, wenn es auf einem vertraglichen Mitspracherecht des Kunden bei der Auswahl der Kurierfahrer beruhe. | LAG Nürnberg 3.3.21, 2 Sa 323/20, Abruf-Nr. 221802 |
Zu Frage 11: „Nein“. Pflichtverletzung zwar „ja“, aber: Das Arbeitsverhältnis sei über 20 Jahre lang beanstandungsfrei gewesen, deshalb führe eine erstmalige Pflichtverletzung nicht zu einem unwiederbringlich zerstörten Arbeitsverhältnis. Vielmehr gilt nach der Rechtsprechung des BAG: Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. | Arbeitsgericht Braunschweig 1.2.22, 7 Ca 191/21, Abruf-Nr. 229721 |
AUSGABE: AA 7/2022, S. 124 · ID: 48414078