Logo IWW Institut für Wissen in der Wirtschaft
Login
FeedbackAbschluss-Umfrage

Außerordentliche KündigungIn diesem Fall reicht die Täuschung über die Arbeitsleistung nicht für eine Kündigung

Abo-Inhalt23.03.20224118 Min. Lesedauer

| Ein ArbN, der zusammen mit Kollegen über Arbeitsleistungen täuscht, begeht eine schwere Pflichtverletzung. Gleichwohl kann im Einzelfall eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig sein. |

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Erstattung von Detektivkosten. Der 58-jährige ArbN war seit 1992 als Arbeiter ursprünglich bei der Stadt A beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging 2003 auf den ArbG über. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes im Bereich der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberver- bände (TVöD-VKA) Anwendung. Nach den tarifvertraglichen Vorschriften ist das Arbeitsverhältnis des ArbN ordentlich unkündbar.

Seit 2006 wird der ArbN im Bereich Straßenreinigung eingesetzt. In diesem Bereich hält der ArbG Fahrzeuge vor, die mit mehreren Mitarbeitern besetzt sind. Für jedes Fahrzeug gibt es wöchentliche Einsatzpläne, die die Reinigungstätigkeiten und die Orte, an denen zu reinigen ist, genau vorgeben. Die Arbeitsleistungen der Besatzung eines Fahrzeugs sind im vorgegebenen Reinigungsmittelrevier zu erbringen und mit Standortwechsel im Stadtgebiet verbunden. Die Reviere liegen im öffentlichen Verkehrsraum außerhalb des Betriebsgeländes des ArbG. Der ArbN war keinem festen Fahrzeug zugeordnet, sondern wechselte regelmäßig die Reinigungsteams.

Im Sommer 2021 meldete sich die Abteilungsleiterin der kommunalen Servicebetriebe B (Nachbarstadt) telefonisch beim Betriebsleiter des ArbG. Sie teilte mit, dass einer ihrer Disponenten am frühen Morgen einem Fahrzeug des ArbG im Stadtgebiet B gefolgt sei; der Disponent habe das Fahrzeug zum zweiten Mal in diesem Bereich gesehen. Nach Einsicht in den Einsatzplan ergab sich für den ArbG der Verdacht, dass sich das Fahrzeug samt Besatzung unberechtigt während der Arbeitszeit im Reinigungsrevier einer anderen Stadt ohne dienstliche Veranlassung aufgehalten habe. Aus Anlass dieses Hinweises wurde vier Tage später eine Detektiv-Firma mit der Beobachtung des Fahrzeugs und der Fahrzeugbesatzung beauftragt. Durch die beauftragten Detektive wurde unter anderem beobachtet, dass

  • das Fahrzeug mit der Fahrzeugbesatzung die Arbeit unterbrochen hatte, um auf einem Parkplatz Pause zu machen.
  • der Parkplatz eines Lebensmittelmarkts aufgesucht wurde, von wo aus der ArbN privaten Erledigungen in einem Imbiss/Kiosk nachging.
  • sich das Fahrzeug mit vier Insassen, einschließlich des ArbN mehrere Male an Standorten aufhielt, ohne dass dort Arbeitstätigkeiten erfolgten.
  • sich die vier Besatzungsmitglieder auf der Terrasse eines Vereinsheims am Tisch sitzend aufhielten, wobei von diesen geknobelt wurde.
  • sie wiederholt dabei beobachtet wurden, wie sie privaten Angelegenheiten nachgingen.

Der Personalrat wurde zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des ArbN angehört. Er teilte mit, dass er die Kündigung für ungerechtfertigt halte. Danach kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.

Entscheidungsgründe

Das Arbeitsgericht Herne (10.12.21, 5 Ca 1495/21, Abruf-Nr. 228195) hielt die Kündigung für unwirksam. Sie sei nicht durch einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Die Kündigung erweise sich als unverhältnismäßig, da dem ArbG aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der vorsätzlichen Pflichtverletzung des ArbN zumutbar sei.

Das vom ArbN gezeigte Verhalten sei „an sich“ als außerordentlicher Kündigungsgrund geeignet. Es entspreche allgemeiner Ansicht, dass der Arbeitszeitbetrug eines ArbN an sich – unabhängig von seinem Umfang – einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstelle. Der ArbN habe – gemeinsam mit seinen Arbeitskollegen – den ArbG bewusst über die Erbringung von Arbeitsleistungen getäuscht, indem er vorgegeben habe, sich mit dem zugewiesenen Fahrzeug ins Reinigungsrevier zu begeben und Arbeitsleistungen zu erbringen, tatsächlich aber das Stadtgebiet verlassen habe, um privaten Verrichtungen nachzugehen.

Trotz der schwerwiegenden Pflichtverletzung erweise sich die Kündigung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls jedoch als unverhältnismäßig. Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des 58-jährigen ArbN sei nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren nach § 34 Abs. 2 TVöD-E ausgeschlossen. Die insoweit fiktive Kündigungsfrist betrage nach § 34 Abs. 1 S. 2 TVöD-E sechs Monate zum Quartalsende und würde zum 31.3.22 auslaufen.

Zugunsten des ArbN sei neben dessen Alter und Unterhaltspflichten insbesondere dessen mehr als 28-jährige Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, die auch nach dem Vortrag der ArbG bislang keinen Anlass zur Beanstandung geboten habe. Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sei es von erheblicher Bedeutung, ob der ArbN bereits geraume Zeit beschäftigt worden sei, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben.

Die Kammer würde nicht verkennen, dass die Pflichtverletzungen des ArbN kein einmaliges isoliertes Ereignis gewesen seien, sondern sich über Wochen hin fortsetzten. In diesem Zusammenhang könne die durch den gesamten Prozessvortrag zutage getretene Persönlichkeitsstruktur des ArbN nicht unberücksichtigt bleiben. Nicht zu Unrecht bezeichne der Prozessbevollmächtigte des ArbN diesen als „schlichtes Gemüt“.

Relevanz für die Praxis

Immer wieder stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wann man einen Detektiv einsetzen kann bzw. welche widerstreitenden Interessen sich hier gegenüberstehen. Das Arbeitsgericht Herne hat sich hierzu klar geäußert (siehe Checkliste):

Checkliste / Einschaltung eines Detektivs und Datenverarbeitung (gem. Arbeitsgericht Herne)

  • 1. Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts – etwa § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 S. 1 ZPO – ergeben. Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden (BAG 20.10.16, 2 AZR 395/15).
  • 2. Die Bestimmungen des BDSG bzw. innerhalb ihres Anwendungsbereichs die Regelungen der Bundesländer (z.B. DSG NRW) über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung konkretisieren und aktualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich der Gesetze Eingriffe durch öffentliche oder nichtöffentliche Stellen i. S. d. § 1 Abs. 2 BDSG in diese Rechtspositionen zulässig sind. Sie ordnen nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften (BAG 20.10.16, 2 AZR 395/15). Ist die Datenverarbeitung gegenüber dem ArbN nach den Vorschriften der Datenschutzgesetze zulässig, ist insoweit das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild nicht verletzt.
  • 3. Bei der Observation des ArbN durch einen Detektiv im Auftrag des ArbG handelte es sich um eine Datenerhebung i. S .v. §§ 3, 18 DSG NRW, die nach § 5 DSG NRW den ArbG unmittelbar binden. Nach § 18 Abs. 1 S. 1 BDSG dürfen personenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses u.a. dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn dies für dessen Durchführung oder Beendigung erforderlich ist. Zur Durchführung gehört die Kontrolle, ob der ArbN seinen Pflichten nachkommt, zur Beendigung im Sinne der Kündigungsvorbereitung die Aufdeckung einer Pflichtverletzung, die die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen kann (BAG 29.6.17, 2 AZR 597/16). Sofern nach § 18 Abs. 1 S. 1 DSG NRW zulässig erhobene Daten den Verdacht einer Pflichtverletzung begründen, dürfen sie für die Zwecke und unter den Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 S. 1 DSG NRW auch verarbeitet und genutzt werden. Der ArbG darf deshalb alle Daten speichern und verwenden, die er zur Erfüllung der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast in einem potenziellen Kündigungsschutzprozess benötigt.
  • 4. In der Datenerhebung durch die Observation liegt gleichzeitig jedoch ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des ArbN. Betroffen ist das von Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte informationelle Selbstbestimmungsrecht. Deshalb müssen weitere Aspekte hinzutreten, die ergeben, dass das Interesse an der Beweiserhebung trotz der Persönlichkeitsbeeinträchtigung schutzbedürftig ist.
  • 5. Der mit einer Datenerhebung verbundene Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des ArbN muss einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der ArbN weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein ArbN sich pflichtwidrig verhält, ist unzulässig.
Weiterführende Hinweise
  • Abmahnen oder gleich kündigen bei alkoholbedingtem Entzug der Fahrerlaubnis? LAG Rheinland-Pfalz in AA 21, 185
  • Im laufenden Prozess besser nicht eigenmächtig Urlaub nehmen: LAG Baden-Württemberg in AA 21, 20

AUSGABE: AA 4/2022, S. 60 · ID: 48108090

Favorit
Teilen
Drucken
Zitieren

Beitrag teilen

Hinweis: Abo oder Tagespass benötigt

Link
E-Mail
X
LinkedIn
Xing
Loading...
Loading...
Loading...
Heft-Reader
2022

Bildrechte