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Außerordentliche KündigungIn diesem Fall reicht die Täuschung über die Arbeitsleistung nicht für eine Kündigung
| Ein ArbN, der zusammen mit Kollegen über Arbeitsleistungen täuscht, begeht eine schwere Pflichtverletzung. Gleichwohl kann im Einzelfall eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig sein. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses und die Erstattung von Detektivkosten. Der 58-jährige ArbN war seit 1992 als Arbeiter ursprünglich bei der Stadt A beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis ging 2003 auf den ArbG über. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes im Bereich der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberver- bände (TVöD-VKA) Anwendung. Nach den tarifvertraglichen Vorschriften ist das Arbeitsverhältnis des ArbN ordentlich unkündbar.
Seit 2006 wird der ArbN im Bereich Straßenreinigung eingesetzt. In diesem Bereich hält der ArbG Fahrzeuge vor, die mit mehreren Mitarbeitern besetzt sind. Für jedes Fahrzeug gibt es wöchentliche Einsatzpläne, die die Reinigungstätigkeiten und die Orte, an denen zu reinigen ist, genau vorgeben. Die Arbeitsleistungen der Besatzung eines Fahrzeugs sind im vorgegebenen Reinigungsmittelrevier zu erbringen und mit Standortwechsel im Stadtgebiet verbunden. Die Reviere liegen im öffentlichen Verkehrsraum außerhalb des Betriebsgeländes des ArbG. Der ArbN war keinem festen Fahrzeug zugeordnet, sondern wechselte regelmäßig die Reinigungsteams.
Im Sommer 2021 meldete sich die Abteilungsleiterin der kommunalen Servicebetriebe B (Nachbarstadt) telefonisch beim Betriebsleiter des ArbG. Sie teilte mit, dass einer ihrer Disponenten am frühen Morgen einem Fahrzeug des ArbG im Stadtgebiet B gefolgt sei; der Disponent habe das Fahrzeug zum zweiten Mal in diesem Bereich gesehen. Nach Einsicht in den Einsatzplan ergab sich für den ArbG der Verdacht, dass sich das Fahrzeug samt Besatzung unberechtigt während der Arbeitszeit im Reinigungsrevier einer anderen Stadt ohne dienstliche Veranlassung aufgehalten habe. Aus Anlass dieses Hinweises wurde vier Tage später eine Detektiv-Firma mit der Beobachtung des Fahrzeugs und der Fahrzeugbesatzung beauftragt. Durch die beauftragten Detektive wurde unter anderem beobachtet, dass
- das Fahrzeug mit der Fahrzeugbesatzung die Arbeit unterbrochen hatte, um auf einem Parkplatz Pause zu machen.
- der Parkplatz eines Lebensmittelmarkts aufgesucht wurde, von wo aus der ArbN privaten Erledigungen in einem Imbiss/Kiosk nachging.
- sich das Fahrzeug mit vier Insassen, einschließlich des ArbN mehrere Male an Standorten aufhielt, ohne dass dort Arbeitstätigkeiten erfolgten.
- sich die vier Besatzungsmitglieder auf der Terrasse eines Vereinsheims am Tisch sitzend aufhielten, wobei von diesen geknobelt wurde.
- sie wiederholt dabei beobachtet wurden, wie sie privaten Angelegenheiten nachgingen.
Der Personalrat wurde zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des ArbN angehört. Er teilte mit, dass er die Kündigung für ungerechtfertigt halte. Danach kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos.
Entscheidungsgründe
Das Arbeitsgericht Herne (10.12.21, 5 Ca 1495/21, Abruf-Nr. 228195) hielt die Kündigung für unwirksam. Sie sei nicht durch einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt. Die Kündigung erweise sich als unverhältnismäßig, da dem ArbG aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der vorsätzlichen Pflichtverletzung des ArbN zumutbar sei.
Das vom ArbN gezeigte Verhalten sei „an sich“ als außerordentlicher Kündigungsgrund geeignet. Es entspreche allgemeiner Ansicht, dass der Arbeitszeitbetrug eines ArbN an sich – unabhängig von seinem Umfang – einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstelle. Der ArbN habe – gemeinsam mit seinen Arbeitskollegen – den ArbG bewusst über die Erbringung von Arbeitsleistungen getäuscht, indem er vorgegeben habe, sich mit dem zugewiesenen Fahrzeug ins Reinigungsrevier zu begeben und Arbeitsleistungen zu erbringen, tatsächlich aber das Stadtgebiet verlassen habe, um privaten Verrichtungen nachzugehen.
Trotz der schwerwiegenden Pflichtverletzung erweise sich die Kündigung unter Abwägung der widerstreitenden Interessen aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls jedoch als unverhältnismäßig. Die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des 58-jährigen ArbN sei nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren nach § 34 Abs. 2 TVöD-E ausgeschlossen. Die insoweit fiktive Kündigungsfrist betrage nach § 34 Abs. 1 S. 2 TVöD-E sechs Monate zum Quartalsende und würde zum 31.3.22 auslaufen.
Zugunsten des ArbN sei neben dessen Alter und Unterhaltspflichten insbesondere dessen mehr als 28-jährige Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen, die auch nach dem Vortrag der ArbG bislang keinen Anlass zur Beanstandung geboten habe. Für die Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sei es von erheblicher Bedeutung, ob der ArbN bereits geraume Zeit beschäftigt worden sei, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben.
Die Kammer würde nicht verkennen, dass die Pflichtverletzungen des ArbN kein einmaliges isoliertes Ereignis gewesen seien, sondern sich über Wochen hin fortsetzten. In diesem Zusammenhang könne die durch den gesamten Prozessvortrag zutage getretene Persönlichkeitsstruktur des ArbN nicht unberücksichtigt bleiben. Nicht zu Unrecht bezeichne der Prozessbevollmächtigte des ArbN diesen als „schlichtes Gemüt“.
Relevanz für die Praxis
Immer wieder stellt sich die Frage, ob und wenn ja, wann man einen Detektiv einsetzen kann bzw. welche widerstreitenden Interessen sich hier gegenüberstehen. Das Arbeitsgericht Herne hat sich hierzu klar geäußert (siehe Checkliste):
Checkliste / Einschaltung eines Detektivs und Datenverarbeitung (gem. Arbeitsgericht Herne) |
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- Abmahnen oder gleich kündigen bei alkoholbedingtem Entzug der Fahrerlaubnis? LAG Rheinland-Pfalz in AA 21, 185
- Im laufenden Prozess besser nicht eigenmächtig Urlaub nehmen: LAG Baden-Württemberg in AA 21, 20
AUSGABE: AA 4/2022, S. 60 · ID: 48108090