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LeserforumDürfen ArbG das? Drei typische arbeitsrechtliche Probleme des Ukraine-Konflikts
| Versetzt, verlassen, gekündigt: Der Ukraine-Konflikt wirft auch in arbeitsrechtlicher Hinsicht lange Schatten. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob in bestimmten Fallkonstellationen Reaktionen des ArbG wirksam gedeckt sind – insbesondere vom Weisungs- und Direktionsrecht nach § 106 Abs. 1 GewO. Die drängendsten Fragen beantwortet AA Arbeitsrecht aktiv. |
1. Einfach mal ver- oder umgesetzt
Die Situation: Vor dem Hintergrund des Ukraine-Konflikts zog ein Unternehmen, das im Bereich der Waffenherstellung tätig ist, Mitarbeiter mit russischen Wurzeln von ihren bisherigen Aufgaben ab. Es geht um eine einstellige Zahl von Beschäftigten, die am Stammwerk in Deutschland arbeiten. Die Betroffenen sind Deutsche, einige von ihnen dienten bei der Bundeswehr. Sie haben eine familiäre Migrationsgeschichte, die auf Russland oder andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion verweist. Das Unternehmen begründete den Schritt mit der „Pflicht zur Fürsorge für unsere Mitarbeiter“. Daher hat man sich entschieden, „Mitarbeiter aus dem sicherheitssensiblen Bereich des Beschusses für eine Zeit lang in andere Bereiche der Produktion einzugliedern“. Die Betroffenen bleiben auf dem Werksgelände eingesetzt.
Die Bewertung der Maßnahme durch die IG Metall fällt hierzu kritisch aus. So kritisierte ein Sprecher der Gewerkschaft, dass die Vorgehensweise des Unternehmens nicht mit dem Betriebsrat abgestimmt sei. Er äußert zudem Bedenken an der Verhältnismäßigkeit.
Die rechtliche Einschätzung: Wie jede Maßnahme, die eine Ver- oder Umsetzung der betroffenen ArbN beinhaltet, muss sich auch dieses Vorgehen an den Maßgaben des § 106 S. 1 GewO messen lassen. Danach muss grundsätzlich der ArbG den Inhalt der Arbeitsleistung unter Beachtung anwendbarer Arbeitsverträge, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge bestimmen.
Die Ausübung dieses sogenannten Direktionsrechts steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Ausübung billigen Ermessens. Dies bedeutet, dass auch auf die berechtigten Interessen der ArbN Rücksicht zu nehmen ist. Zwar ist eine nur temporäre Umsetzung von ArbN eine vergleichsweise milde Maßnahme. Dass diese hingegen ausschließlich unter dem Aspekt des familiären Migrationshintergrunds aus Russland erfolgt, ist im Hinblick auf die deutsche Staatsangehörigkeit, dem abgeleisteten Wehrdienst, und die unstreitig gut geleistete Tätigkeit zumindest bedenklich.
Zudem ist hier bedenkenswert, dass möglicherweise auch der Gesichtspunkt der ethnischen Herkunft nach § 1 AGG berührt sein könnte.
2. ArbN werden nach Hause geschickt ... und was dann?
Die Situation: Die Sicherheit der rund 7.000 Mitarbeiter an den Standorten Stryji und Kolomyja, beide gelegen im Südwesten der Ukraine in grenznahen Regionen zur EU, hat für ein deutsches Unternehmen der Automobilzulieferer-Industrie „höchste Priorität“. Daher entschloss man sich, die Produktion in beiden Werken vorübergehend einzustellen und die Beschäftigten nach Hause zu schicken.
Die rechtliche Einschätzung: Nach wohl herrschender Meinung gehören allgemeine Gefahrenlagen wie Kriege, Unruhen und Terroranschläge, nicht zum allgemeinen Betriebsrisiko, das der ArbG zu tragen hat, ohne dass der ArbN seinen Entgeltanspruch verliert. Aber auch die Frage, ob durch das Kriegsereignis bzw. den Konflikt die Arbeitsleistung unmöglich geworden ist, wird wohl nach deutschem Arbeitsrecht, sofern dieses auf die Vertragsverhältnisse Anwendung findet, eher zu verneinen sein. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung beruht in solchen Fällen nicht auf dem Konflikt als solchem, sondern auf einem unabhängigen Entschluss des ArbG, der losgelöst von der Frage der richtigen Ermessensausübung, die hier durchaus gegeben sein kann, eine neue Kausalkette in Gang setzt.
Betriebsrisikofälle sind z. B. bei der Unterbrechung der Energieversorgung, der Einwirkung von Naturereignissen, dem Ausbleiben von Rohstoffen oder dem Auftreten von Maschinenschäden und der daraus folgenden Einstellung oder Einschränkung des Betriebs. Ein Verschulden des ArbG liegt nicht vor. Auf der anderen Seite trägt für Ereignisse, die sich nicht hierunter subsumieren lassen, der ArbG aus dem Aspekt des Wirtschaftsrisikos das Entgeltrisiko bei Nichtverwertbarkeit der Arbeitsleistung.
3. ArbG kündigt, weil „Putin-nah“?
Die Situation: Ein ArbN wurde in München von seinem ArbG entlassen, weil er Wladimir Putin nahesteht und sich nicht von diesem distanziert hat. Eine andere ArbN kam einer Entlassung durch den ArbG zuvor und ging selbst. Darf aus Anlass eines Krieges gekündigt werden? Weil der ArbN „Putin-nah“ ist? Dürfen Mitarbeiter zu Stellungnahmen gedrängt werden und was ist, wenn Dritte die Entlassung fordern?
Die rechtliche Situation: Hier ist zu differenzieren. Grundsätzlich gilt das persönliche, politische und weltanschauliche Einstellungen erst einmal keinen konkreten Bezug zum Arbeitsverhältnis haben. Anders sieht es hingegen aus, wenn diese durch den betroffenen ArbN selbst, wie etwa durch Äußerungen gegenüber Arbeitskollegen, Vorgesetzten, Kunden oder Lieferanten in das Arbeitsverhältnis quasi hineingetragen werden und dadurch der Bezug hergestellt wird. In solchen Fällen kann einzelfallabhängig zur Wahrung des Betriebsfriedens an eine Sanktionierung, zum Beispiel durch Ermahnung, Abmahnung oder in extremen Fällen auch durch Kündigungsausspruch gedacht werden. Gleiches gilt, wenn sich ein ArbN etwa in sozialen Netzwerken, unter Hervorhebung seiner Betriebszugehörigkeit zum ArbG entsprechend äußert.
AUSGABE: AA 4/2022, S. 70 · ID: 48108133