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ZR-FachgesprächSpitzensportler brauchen besondere Konzepte
| Wenn Fußballstars und Eishockeyprofis zahnärztliche Hilfe benötigen, kommen neben dem allgemeinen zahnmedizinischen Behandlungsbedarf immer besondere Aspekte des Leistungssports zum Tragen, z. B. die der jeweiligen Sportart immanenten Risikofaktoren für Verletzungen. Daneben können orale Probleme die sportlichen Leistungen mindern. Die Deutsche Gesellschaft für zahnärztliche Prävention und Rehabilitation im Spitzensport e.V. (DGzPRsport, dgzprsport.de) fördert wissenschaftliche Projekte im Bereich Sportzahnmedizin und bildet Zahnärztinnen und Zahnärzte weiter, die sich den Bedürfnissen von Spitzensportlern widmen wollen. DGzPRsport-Präsident Dr. med. dent. Holger Claas (frese-claas.de) sprach mit ZR-Fachautorin Dr. med. dent. Kerstin Albrecht über die besonderen zahnmedizinischen Anforderungen bei der Betreuung von Spitzensportlern. |
Frage: Herr Dr. Claas, was unterscheidet die Betreuung von Spitzensportlern von der „normaler“ Patienten?
Antwort: Verschiedene therapiebedürftige Zustände wie Gingivitis oder Parodontitis oder eine CMD-Problematik können die sportlichen Leistungen beeinflussen. Daneben wissen wir um die unterschiedlichen Risikoprofile, die Sportarten wie Fußball, Eishockey oder Kampfsportarten beinhalten. Da sind neben den Mouthguards, also den Mundschutz-Schienen, auch Präventionsübungen oder das Erstellen und Einüben von Notfallketten wichtig.
Sportzahnärzte sind – wie alle Zahnärzte – therapierend, im Besonderen aber auch beratend und auf dem Gebiet der Prävention tätig. Dazu suchen wir die Sportler und Sportlerinnen direkt an der Sportstätte auf und machen Screenings anhand des DGzPRsport-Screening-Bogens. Ergibt sich daraus ein weiterer Beratungs- und Therapiebedarf, erfolgt eine ausführliche Anamnese und zahnärztliche Untersuchung in der Praxis.
Frage: Welche Mouthguards verwenden Sie und welche Möglichkeiten gibt es noch, um das Verletzungsrisiko des Gesichtsschädels, der Zähne oder des Kiefers zu reduzieren?
Antwort: Je nach Sportart, beispielsweise beim Fußball oder Handball, kommt es zu Stoß- oder Schlagverletzungen. Die berüchtigten Puck-Verletzungen beim Eishockey sind im Seniorenbereich häufiger als in der Jugend, denn dort wird seltener von vollumfänglichen Schutzausrüstungen Gebrauch gemacht. Individuell hergestellte Tiefzieh-Mouthguards können das Risiko eines Traumas um den Faktor 50 senken. Ich verwende gerne Triplefolien, die aus zwei elastischen äußeren Schichten und einer festen inneren Schicht bestehen. So ein Mundschutz schützt übrigens nicht nur vor Zahn- und Kieferverletzungen, sondern aufgrund seiner Federung kommt es auch seltener zu Gehirnerschütterungen, weil Stöße von unten gegen den Kopf abgefedert werden. Bei Patienten, die bereits Gesichtsfrakturen erlitten haben, braucht es häufig eine Gesichtsschutzmaske beim Ausüben der Sportart.
Frage: Welche präventiven Konzepte haben Sie in Ihrer Praxis für Sportlerinnen und Sportler etabliert?
Antwort: Wir setzen bei unseren Patienten generell und bei denen aus dem Leistungssport im Besonderen auf antientzündliche Konzepte. Eine antientzündliche Ernährung beispielsweise macht leistungsfähiger und weniger infektanfällig. Im Bereich Mundhygiene ist die Zahnzwischenraum-Hygiene oft der Knackpunkt. In unserer Praxis verwenden wird die Zahnzwischenraumbürste als Diagnostikum: Blutet es beim Gebrauch – Bleeding on brushing (BOB) – sieht der Patient selbst, dass dort keine gesunden Verhältnisse vorliegen und ist an Abhilfe in der Regel interessiert. Dieser Punkt ist auch in unseren DGzPRsport-Screening-Bogen eingeflossen. Gingivitis und Parodontitis verursachen ein höheres arteriosklerotisches Risiko, was auch die Durchblutung der Muskeln reduziert. Das können wir ja generell nicht gebrauchen und im Spitzensport schon gar nicht!
Wir beobachten beispielsweise auch den präferierten Atemmodus unserer Patienten in der Eingangsuntersuchung/in Screenings. Unsere Beobachtungen geben uns wichtige Informationen zu Optimierungs- oder Therapiebedarf im Bereich der Atmung.
Ein weiteres Beispiel ist das Thema Weisheitszähne. Sie können ja in den meisten Fällen nicht regelgerecht durchbrechen und sind so ein latentes Entzündungsrisiko. Eine Weisheitszahnentfernung ist wegen der strengen Periodisierung im Sport mit einer Trainingsunterbrechung verbunden. Im vollen Terminkalender von Spitzensportlern ist daher eine gute Planung wichtig. Da müssen wir Zahnärzte uns manchmal zurücknehmen und verstehen, dass unsere berechtigten zahnmedizinischen Erwägungen nicht die erste Priorität im Leben des Leistungssportlers haben.
Frage: Sie haben einen Arbeitskreis zum Thema Atmung gegründet. Was hat es damit auf sich?
Antwort: Wir haben Konzepte entwickelt, die die physiologische Atmung und den Atemmodus vorteilhaft konditionieren. Wir wollen Verhaltensmuster verändern, noch bevor eine Interventionsnotwendigkeit entsteht. Die normale Ruheatmung ist die Nasenatmung, aus der sich evolutionsbiologisch viele Vorteile entwickelt haben. Sie ist z. B. ein Wassersparsystem, weil Tröpfchen aus der Atemluft an den feinen Härchen in der Nase kondensieren und abgeschluckt werden. So spart uns die Nasenatmung 800 Milliliter Wasser am Tag im Gegensatz zur Mundatmung. Die Mundatmung macht unser Zwerchfell träge, die ganze Körperstatik ist dann nicht optimal. Ein korrektes Schluckmuster, bei dem die Zunge am Gaumen liegt und die Ruheschwebelage – eigentlich sollte man besser Zungenschwebelage sagen – eingenommen wird, bringt den Unterkiefer etwas nach vorne. Dabei entsteht ein Unterdruck, der für eine gute Belüftung der Nasennebenhöhlen und des Mittelohrs sorgt. Um die Nasenatmung zu fördern, gilt es, bei den Patienten erst einmal ein Bewusstsein für diese Atmung zu schaffen. Mit bestimmten Übungen und Präventionsgeräten, wie eine ins Vestibulum eingelegte Lamelle (LipLocker®), kann der Switchpoint, an dem Sportler von der Nasenatmung aufgrund der Belastung in die Mundatmung wechseln, hinauszögert und die schnellere Rückkehr zur Nasenatmung nach der Belastung gefördert werden. Dies verkürzt die Regenerationszeit. Effektivere, schnellere Regeneration ist die Folge – aktuell ein Top-Thema im Spitzensport!
Frage: Isotonische Getränke sind für Sportler wichtig, doch sie enthalten häufig Zitronensäure und sind erosiv. Was raten Sie Sportlerinnen und Sportlern dazu?
Antwort: Leider kann man im Leistungssport nicht einfach von Sportgetränken auf Wasser umsteigen, denn das enthält nicht genug Salze und Mineralien, die beim Schwitzen verloren gehen. Daher brauchen wir die isotonischen Getränke. Diese sind meist mit Zitronensäure versetzt. Es genügt allerdings eine Kalziumtablette in 400 Milliliter Getränk aufzulösen, um den isotonischen Drink zu puffern.
Zu den weiteren anti-erosiven Maßnahmen gehören die Anwendung von Fluoridlacken oder die Verordnung von Fluorid-Gelee. Interessant ist, dass gerade auch Schwimmer das brauchen, denn das gechlorte Wasser in den Schwimmbädern wirkt ebenfalls auf Dauer erosiv.
Frage: Warum ist das Thema CMD gerade für Sportler wichtig?
Antwort: Neben möglichen Schmerzen können craniomandibuläre Dysfunktionen, die oft auch aus psychischen Drucksituationen und fehlender Resilienz entstehen, zu unphysiologischen Ausgleichshaltungen führen. Mit dem CMD-Check nach Ahlers und Jakstadt ermittele ich durch sechs einfache Kardinalbefunde, wie hoch das individuelle CMD-Risiko ist. Wir konnten in Studien zeigen, dass die Schwerpunktfläche, um die wir aufrecht stehend schwingen, kleiner ist, wenn wir gut ausbalanciert sind. Eine unterstützende CMD-Adjustierung über eine Schiene kann den Stand stabiler machen, was bei vielen Sportarten wichtig ist. Sogenannte „Performance-Schienen“, die die Leistung per se verbessern sollen, sehen wir als seriöse Fachgesellschaft eher kritisch. Man muss sich diesbezüglich fragen, wie oft es während eines anspruchsvollen Trainings, bei dem die Sportler durch den Mund atmen, überhaupt zur Okklusion kommt, denn nur dann könnte sie wirken.
Frage: Sportzahnmedizin ist ein Bereich der viele zahnmedizinische Disziplinen einschließt. Woher kommen die Erkenntnisse und Konzepte, die in Ihrer Fachgesellschaft vermittelt werden?
Antwort: Die DGzPRsport unterhält als einzige deutsche Gesellschaft für Sportzahnmedizin einen wissenschaftlichen Beirat aus 20 renommierten, internationalen Forscherinnen und Forschern. Daher sind wir auch die einzige forschende Fachgesellschaft. Die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung und aus der Anwendung fließen stetig in unsere tägliche Arbeit und unsere Fortbildungen ein. Sie nützen nicht nur vielen hundert Sportlern und mehr als 20 Nationalmannschaften, sondern allen, die sich ernsthaft mit unserem interessanten Fachgebiet beschäftigen wollen.
Herr Dr. Claas, ich danke Ihnen für das Gespräch!
AUSGABE: ZR 7/2023, S. 5 · ID: 49490809