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VertragszahnarztrechtHeranziehung zum zahnärztlichen Notfalldienst bei Zweigpraxis

Abo-Inhalt12.06.20255975 Min. LesedauerVon RAin, FAin Medizinrecht Christiane Dieckmann, Voß.Partner, Münster

| Ein mehrere Praxen betreibender Zahnarzt darf grundsätzlich verpflichtet werden, für jede seiner Praxen gesondert am zahnärztlichen Notdienst teilzunehmen, was eine Befreiung im Einzelfall wegen unzumutbarer Belastung durch die mehrfache Heranziehung nicht ausschließt, so das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster mit Urteil 03.09.2024 (Az. 13 A 2243/21). |

Hintergrund

Vertragsärzte, die eine Zweigpraxis betreiben, dürfen nicht in größerem Umfang zum Notdienst herangezogen werden als Vertragsärzte mit gleichem Versorgungsauftrag. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) folgt die Verpflichtung eines jeden Vertragsarztes zur Teilnahme am Notdienst aus seinem mit der Zulassung erteilten Versorgungsauftrag und der damit verbundenen Eingliederung in das vertragsarztrechtliche Versorgungssystem (sog. Akzessorietät zwischen Umfang des Versorgungsauftrags und Heranziehung zum Notdienst). Dies ist uneingeschränkt auf den zahnärztlichen Bereich zu übertragen. Entsprechende Regelungen sind auch so in den jeweiligen Notdienstordnungen der Kassenzahnärztlichen Vereinigungen und der Landeszahnärztekammern verankert.

Dieser Grundsatz wurde auch von der Rechtsprechung auf andere Differenzierungskriterien übertragen. So entschied das BSG im Fall eines Vertragsarztes, der eine Zweigpraxis in einem anderen Notdienstbezirk betrieb, dass Vertragsärzte, die eine Zweigpraxis betreiben, nicht in größerem Umfang zum Notdienst herangezogen werden dürfen als Vertragsärzte mit gleichem Versorgungsauftrag (Urteil vom 13.02.2019, Az. B 6 KA 51/17 R). Die in einer Bereitschaftsdienstordnung enthaltene Differenzierung zwischen

  • Ärzten, die ihrer vertraglichen Tätigkeit ausschließlich am Vertragsarztsitz nachgehen oder deren Zweigpraxis in demselben Bereitschaftsdienstbereich wie der Praxissitz liegt, und
  • Ärzten, deren Zweigpraxis an einem anderen Ort liegt, der einem anderen Bereitschaftsdienstbereich zugeordnet ist als der Praxissitz, ist mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG nicht vereinbar.

Der aktuelle Fall

Das OVG Münster hatte nun den Fall eines in einer Gemeinschaftspraxis tätigen MKG-Chirurgen zu entscheiden, der neben einer Zweigpraxis im selben Zuständigkeitsbereich der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) wie die Hauptbetriebsstätte auch noch eine weitere Zweigpraxis als Privatpraxis im Zuständigkeitsbereich einer anderen Kassenzahnärztlichen Vereinigung betreibt. Nach Auffassung der beklagten Zahnärztekammer und auf Grundlage deren Satzungsrechts in Form einer Notdienstordnung entfalle damit auf den Kläger entsprechend dessen Versorgungsauftrag mit eigener Praxis der Faktor 1,0. Hinzuzurechnen sei ein angestellter Zahnarzt, sodass sich daraus insgesamt ein Faktor von 2,0 ergibt. Dieser sei auf Haupt- und Zweigpraxis im Zuständigkeitsbereich der Beklagten entsprechend dem jeweiligen Umfang seiner zahnärztlichen Tätigkeit zu verteilen. Die Tatsache, dass der Kläger am Sitz einer weiteren Zweigpraxis in einem anderen Notfallbezirk einer anderen Kassenzahnärztlichen Vereinigung ebenfalls mit dem Faktor 0,3 zum Notfalldienst herangezogen werde, begründe keine Verpflichtung, den Faktor am Hauptsitz und im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zu reduzieren, so die Zahnärztekammer.

Die Entscheidung des OVG

Das Vorgehen der Kammer begründe weder einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG und stehe auch nicht im Widerspruch zum Akzessorietätsprinzip der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, so das OVG Münster. Ein mehrere Praxen betreibender Zahnarzt darf grundsätzlich verpflichtet werden, für jede seiner Praxen gesondert am zahnärztlichen Notdienst teilzunehmen, was eine Befreiung im Einzelfall wegen unzumutbarer Belastung durch die mehrfache Heranziehung aber nicht ausschließt. Diese wäre ihm allerdings nicht zu gewähren gewesen, da sie im konkreten Fall nicht vorlag; ganz abgesehen davon, dass der Kläger im konkreten Fall eine Befreiung nicht beantragt hatte.

Insbesondere kam hier das Akzessorietätsprinzip nicht zum Tragen, da es sich vorliegend bei der weiteren Zweigpraxis um eine reine Privatpraxis des Klägers handelte. Denn anders als die Heranziehung des Klägers zum kassenzahnärztlichen Notdienst wird die Heranziehung zum allgemeinen zahnärztlichen Notdienst nicht durch den Umfang des Versorgungsauftrags beschränkt. Sie darf grundsätzlich den Faktor 1 überschreiten und findet ihre Grenze allein im Übermaßverbot, das sich aus der Berufsfreiheit des Art. 12 GG ergibt, allerdings im hier zu entscheidenden Fall nicht verletzt ist.

Die Heranziehung zum zahnärztlichen Notdienst knüpft an die berufliche Tätigkeit des Zahnarztes an und dient dem Zweck, die ambulante zahnärztliche Versorgung außerhalb der regulären Sprechzeiten zu sichern. An diesem Versorgungszweck ändert auch die Tatsache nichts, dass ein Zahnarzt mehrere Praxen in unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen betreibt. Eine übermäßige und unzumutbare Belastung des Klägers durch die zusätzliche Heranziehung zum zahnärztlichen Notdienst mit dem Faktor 0,3 in einem anderen Notfalldienstbezirk einer anderen KZV konnte das Gericht im zu entscheidenden Fall nicht – auch nicht für die Zukunft – feststellen.

Merke | Grundsätzlich ergibt sich der Umfang der Verpflichtung zur Teilnahme am Notdienst aus dem Umfang des Versorgungsauftrags, ist aber nicht zwingend durch diesen begrenzt. Eine über den Versorgungsauftrag hinausgehende Verpflichtung zur Teilnahme am Notdienst muss für den Zahnarzt im Einzelfall unzumutbar sein, z. B. aufgrund einer schweren Erkrankung. Dies muss im Einzelfall im Rahmen eines Antrags auf Befreiung vom Notdienst begründet werden.

AUSGABE: ZP 6/2025, S. 5 · ID: 50412052

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