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AnästhesieZahnbehandlung in ambulanter Vollnarkose
| Die Behandlung in Lokalanästhesie entspricht dem zahnmedizinischen Praxisalltag und Standard. Zahnärztliche Therapien, die in Allgemeinanästhesie (Vollnarkose) durchgeführt werden, sind daneben Bestandteil des Leistungsangebots vieler Zahnärzte. Die Anwendung nimmt vor allem bei Kindern auch aufgrund der gestiegenen Nachfrage der Eltern zu. Wenngleich Allgemeinanästhesien überwiegend komplikationslos verlaufen, sind lebensbedrohliche Verläufe nicht ausgeschlossen bzw. immanent. Kommt es im Zusammenhang mit einer zahnärztlichen Behandlung zum Todesfall, stellt sich die Frage nach einer entsprechenden Verantwortung der beteiligten Zahnärzte und Anästhesisten. |
Strafrechtliche Urteile aus jüngster Zeit
Strafrechtlich fokussierten sich kürzlich ergangene Entscheidungen auf den Anästhesisten:
- Ende des letzten Jahres verurteilte das Landgericht (LG) Frankfurt einen Anästhesisten u. a. wegen Totschlags als Folge massiver Versäumnisse – er hatte ein verunreinigtes Narkosemittel gespritzt – zu einer langjährigen Freiheitsstrafe. Ein vierjähriges Kind starb nach von ihm injizierten Narkosemitteln in der Zahnarztpraxis [1]. Über den Fall wurde auch in der Publikumspresse ausführlich berichtet.Freiheitsstrafen stets nur für den Anästhesisten
- Im Januar 2025 sprach das LG Osnabrück ebenfalls eine Verurteilung des Anästhesisten zu einer Freiheitsstrafe aus (Urteil vom 30.01.2025, Az. 6 Ks 11/24; Details unter iww.de/zp > Abruf-Nr. 50325554).
- Und im Juli 2024 wurde ein Anästhesist vom LG Hamburg zu einer Freiheitsstrafe verurteilt (Urteil vom 12.07.2024, Az. 602 Ks 2/23). Die mitangeklagte Zahnärztin wurde freigesprochen.
Die folgenschweren Fälle werfen auch grundsätzliche Fragen zu den Rechten und Pflichten von Zahnärzten auf, wenn sie Leistungen externer Anästhesisten in Anspruch nehmen. Dieser Beitrag soll einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen geben, die für Zahnärzte in diesem Zusammenhang relevant sind.
Indikation und Kontraindikation
Eine Vollnarkose ist bekanntermaßen nicht risikolos. Vor diesem Hintergrund ist vom Zahnarzt zunächst regelhaft die medizinische Notwendigkeit der geplanten zahnmedizinischen Behandlung sorgfältig zu prüfen. Wird die Durchführung in Vollnarkose geplant, sind deren Notwendigkeit und Alternativen ebenso eingehend abzuwägen (Risiko-Nutzen-Abwägung).
Die Entscheidung zur Allgemeinanästhesie ist regelhaft gemeinsam durch den Zahnarzt und den Anästhesisten zu treffen. Zuvor hat der Zahnarzt alle diagnostischen Maßnahmen zur Therapieplanung abzuschließen und Behandlungsversuche zu unternehmen. Zielsetzung ist insbesondere bei der Behandlung von Kindern und Jugendlichen nach Ausschöpfung aller Möglichkeiten der Verhaltensführung die umfassende Therapie und Sanierung in einer Sitzung [2].
Indikationen zur Allgemeinanästhesie in der ambulanten Praxis werden gestellt, z. B. bei
- umfangreichen, komplexen Eingriffe, bei denen eine Lokalanästhesie nicht ausreichend ist,
- strikter Ablehnung der Lokalanästhesie durch Patienten bzw. Angstpatienten oder Patienten mit Zahnarztphobie,
- Allergien des Patienten gegen Lokalanästhetika,
- mangelnder Kooperation des Patienten bzw. fehlender Kooperationsfähigkeit aufgrund körperlicher oder geistiger Beeinträchtigungen u. Ä.
Neben Alternativen müssen Kontraindikationen wie das
- (zu junge oder zu hohe) Alter des Patienten,
- eine ausgeprägte Adipositas Grad 3,
- Allergien,
- Unverträglichkeiten etc.
- geprüft und explizit ausgeschlossen worden sein.
Das gesamte Vorgehen zur Indikationsstellung ist ordnungsgemäß zu dokumentieren.
Horizontale Organisation/Aufgabenteilung
Aufgaben- und Verantwortungsbereiche, die Leistungen des Zahnarztes und des Anästhesisten, sind voneinander abzugrenzen.
Bei Durchführung einer Vollnarkose unter Inanspruchnahme eines externen Anästhesisten kommen zwei separate Behandlungsverträge zustande:
- einer über die Erbringung der zahnärztlichen Leistungen zwischen Patient und Zahnarzt sowie
- ein weiterer über die Erbringung der anästhesiologischen Leistungen zwischen Patient und Anästhesisten.
Merke | Der Zahnarzt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Anästhesisten und umgekehrt. Ebenso wenig können Aufgaben an die jeweils andere Assistenz bzw. Fachkraft aufgrund der fehlenden Ausbildung und Erfahrung delegiert werden.
Dabei gilt der Grundsatz der horizontalen Arbeitsteilung: Der Zahnarzt ist für die zahnärztliche Maßnahme mit den sich daraus ergebenden Risiken, der Anästhesist für die Narkose zuständig. Jeder ist für Vorkommnisse und Komplikationen, die in seinem Aufgabenbereich entstehen, verantwortlich. Er muss sich, jedenfalls so lange keine offensichtlichen Qualifikationsmängel oder Fehlleistungen erkennbar werden, darauf verlassen dürfen, dass auch der Kollege des anderen Fachgebiets seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erfüllt. Eine gegenseitige Überwachungspflicht besteht insoweit nicht (Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 26.02.1991, Az. VI ZR 344/89).
Pflichten/Verantwortlichkeiten der Anästhesisten
Der Anästhesist ist danach für sämtliche Abläufe rund um die Narkose, das Setting inklusive Zeit und Ort, Verfahren, Überwachung und Komplikationen verantwortlich. Folglich ist es bei einer in Vollnarkose erfolgenden Zahnbehandlung Aufgabe des Anästhesisten, für die Führung der Narkose und die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der vitalen Parameter bei Patienten zu sorgen. Angesichts der sog. horizontalen Arbeitsteilung ist der Anästhesist zur ordnungsgemäßen Aufklärung über die Vollnarkose, Umfang, Art sowie deren Risiken verpflichtet. Zwischenfälle, die Bewältigung einer Notfallsituation, fallen demgemäß in die Verantwortlichkeit und Zuständigkeit des Anästhesisten. Nur der Anästhesist als Facharzt vermag Narkosezwischenfälle zu beherrschen oder, wenn dies nicht der Fall ist, ist er in erster Linie gehalten, sich notärztlicher Hilfe zu bedienen und die diesbezüglichen Maßnahmen zu veranlassen. Der Zahnarzt kann grundsätzlich auf die Fähigkeiten des Anästhesisten vertrauen. Auch die Durchführung der Reanimation fällt ausschließlich in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Anästhesisten (vgl. Oberlandesgericht [OLG] Köln, Urteil vom 02.07.1997, Az. 5 U 67/96).
Pflichten/Verantwortlichkeiten der Zahnärzte
Zahnärzte haften demgemäß nicht für Versäumnisse des Anästhesisten, die in dessen Verantwortungsbereich liegen. Allerdings wäre es ein falscher Rückschluss, dass der Zahnarzt keinerlei Verantwortung trägt!
Zahnärzte tragen die Verantwortung für die Gesamtabläufe in ihrer Praxis. Bietet eine Zahnarztarztpraxis die Behandlung in Narkose an, muss die Praxis über die erforderliche Infrastruktur verfügen und Sicherheitsstandards bzw. die räumlichen, apparativen und personellen Voraussetzungen geschaffen haben:
- Der Behandlungsraum muss geeignet sein. Das beinhaltet ausreichend Platz für das gesamte zahnmedizinische und anästhesiologische Personal und für die erforderlichen Geräte.
- Zudem muss ein Raum zur postoperativen Überwachung vorhanden sein.
- Die Räumlichkeiten müssen im Notfall einen barrierefreien Liegendtransport ermöglichen.
- Schließlich müssen Zahnarzt und sein zahnmedizinisches Personal über theoretische und praktische Kenntnisse zur zahnmedizinischen Therapie in Allgemeinanästhesie verfügen.
- Die Verantwortung des Zahnarztes umfasst auch die Auswahl, Beauftragung und Einbindung eines qualifizierten Anästhesisten.
Zwar ist die Aufklärung des Patienten über die Risiken der Narkose Aufgabe des Anästhesisten. Der Zahnarzt muss indes sicherstellen, dass eine ausreichende und rechtzeitige Aufklärung stattgefunden hat. Die zahnärztliche Aufklärung entspricht zunächst dem Standard. Gesteigerte Aufklärungspflichten ergeben sich im Hinblick auf Alternativen, prä- und postoperative Maßnahmen und ggf. Kosten der Behandlung.
Unter Berücksichtigung der Arbeitsteilung ist der Zahnarzt auch vor, während und nach der Therapie für den Patienten mitverantwortlich. D. h., dass der Zahnarzt insbesondere verpflichtet ist, sich mit dem Anästhesisten zu jeder Zeit abzustimmen und diesen über eventuell auftretende Abweichungen vom besprochenen Verlauf sofort zu informieren. Zeichnet sich wider Erwarten z. B. eine längere Behandlungszeit ab, hat der Zahnarzt Rücksprache mit dem Anästhesisten zu halten, ob und in welchem Umfang eine moderate Verlängerung vertretbar ist. Ggf. hat er alle zahnmedizinischen Maßnahmen an der festgelegten Narkosedauer und Ausleitung der Narkose auszurichten.
Handlungsempfehlungen für Zahnärzte zur Risikobeherrschung
- Zwischen Zahnarzt und Anästhesist sind vertragliche Vereinbarungen zur Zusammenarbeit, insbesondere hinsichtlich Verantwortlichkeiten und Notfallmanagement, zu treffen. Damit wird das Prinzip der horizontalen Arbeitsteilung, die Trennung der Verantwortungsbereiche, manifestiert und Transparenz gewahrt.Mündliche Absprachen sind vor Gericht schwer nachweisbar
- Vollständige Aufklärung des Patienten und Dokumentation des gesamten prä-, intra- und postoperativen Behandlungsablaufs, der jeweiligen Leistungen sowie Vereinbarungen und Abrechnung mit dem Patienten müssen gesondert erfolgen.
- In der Zahnarztpraxis sollten klare Prozesse und Notfallpläne aufgestellt sowie regelmäßig Schulungen für das Personal zur Sicherstellung einer schnellen Reaktion auf Komplikationen durchgeführt werden.
- [1] Redaktion beck-aktuell, mam, 01.11.2024
- [2] vgl. Rahman/Hinrichs-Priller (2022), Ambulante zahnärztliche Behandlung von Kindern und Jugendlichen in Allgemeinanästhesie, Oralprophylaxe & Kinderzahnheilkunde 44(4):22-25)
- Die BZÄK hat auf ihrer Website eine umfangreiche Stellungnahme mit Materialien veröffentlicht: „Ambulante Vollnarkose zur zahnärztlichen Behandlung“, Stand Oktober 2024, iww.de/s12466
- Auf dem Portal AWMF online finden sich zudem einige einschlägige Leitlinien, teils in Fertigstellung, awmf.org
- Patientin stirbt nach Zahn-OP: Anästhesist zu zweijähriger Bewährungsstrafe verurteilt (iww.de/zp > Abruf-Nr. 50325554)
- Hypoxischer Hirnschaden nach Zahnbehandlung eines Kindes unter Narkose: Behandlungsfehler (ZP 07/2024, Seite 5)
- 4.000 Euro Schmerzensgeld wegen unterbliebener Aufklärung über Anästhesiealternativen (ZP 07/2016, Seite 4)
- Praxisinhaber hat Fehler des Anästhesisten nach zahnärztlichem Eingriff mit zu verantworten (ZP 10/2011, Seite 6)
AUSGABE: ZP 3/2025, S. 3 · ID: 50320377