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PersonalmanagementPersonalsuche in Zeiten des Fachkräftemangels: Stellenausschreibungen „AGG-gerecht“ gestalten

Abo-Inhalt02.08.2023174 Min. LesedauerVon RA, FA Arbeitsrecht Alexander Schlicht, Osborne Clarke

| Zahnarztpraxen suchen händeringend nach guten MitarbeiterInnen (m/w/d) – im Folgenden „Mitarbeiter“ genannt. Sie sollen „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ anfangen können. Dementsprechend sind die Stellenanzeigen gestaltet und verstoßen häufig gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Machen Sie Ihre Stellenausschreibungen „AGG-gerecht“ und vermeiden Sie teure Auseinandersetzungen mit sog. AGG-Hoppern (m/w/d). |

Hintergrund und Ziel des AGG

Das AGG soll noch in dieser Legislaturperiode angepasst werden, ein genauer Zeitpunkt steht noch nicht fest. Bis die Neuerungen kommen, lohnt sich ein Blick in das derzeitige AGG. Es hat sich zum Ziel gesetzt, Diskriminierungen im Zivilrechtsverkehr, besonders im Arbeitsrecht, zu vermeiden. Schon in der Bewerbungsphase, speziell in der Stellenausschreibung (§ 11 AGG), ist es Ihnen daher untersagt, BewerberInnen – im Folgenden „Bewerber“ genannt – aus einem der folgenden Gründe zu benachteiligen:

  • Rasse oder ethnische Herkunft
  • Geschlecht
  • Religion oder Weltanschauung
  • Behinderung
  • Alter
  • Sexuelle Identität

Das AGG hat leider auch dazu geführt, dass sich in der deutschen Arbeitswelt ein neues (selbstständiges) Berufsbild etabliert hat: Der AGG-Hopper (m/w/d). Dieser bewirbt sich auf eine Vielzahl von Stellen, mit dem Ziel, mögliche Entschädigungsansprüche einzuklagen. Vermeiden Sie deshalb typische Fehler in Stellenanzeigen – und mögliche Entschädigungszahlungen.

Zwingende Formalien kennen und beachten

Stellenausschreibungen müssen keine bestimmten Informationen enthalten. Auch ein Hinweis, dass Bewerbungen von schwerbehinderten Personen besonders erwünscht sind, ist nicht erforderlich (Landesarbeitsgericht [LAG] Köln, Urteil vom 21.01.2009, Az. 3 Sa 1369/08). Sie kämen in der Zahnarztpraxis ohnehin nur für Abrechnungs- oder Rezeptionskräfte infrage.

Praxistipp | Vor diesem Hintergrund können Sie im Anforderungsprofil daher konkrete Kenntnisse nennen und verlangen, die für die ausgeschriebene Stelle tatsächlich vonnöten sind (z. B. Fortbildung Prothetische Assistenz und/oder KFO-Assistenz, Abrechnungswissen etc.).

Keine Regel ohne Ausnahme: Bitte prüfen Sie, ob die angebotene Stelle auch für eine Tätigkeit in Teilzeit geeignet ist. Wenn ja, dann haben Sie dies in der Stellenausschreibung von Gesetzes wegen zu kennzeichnen (§ 7 Abs. 1 Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge [TzBfG]). Die gute Nachricht ist, dass Sie größtenteils selbst entscheiden können, ob die offene Stelle auch in Teilzeit ausgeübt werden kann.

Typische Verstöße gegen das AGG in Stellenanzeigen

Sie haben ein sehr genaues Bild Ihres Wunschbewerbers? Malen Sie dieses besser nicht schon in der Stellenausschreibung. Gerade kleinere Unternehmen (zu denen auch Zahnarztpraxen i. d. R. zählen) verstoßen häufig gegen dieses Gebot. Das zeigt, dass sie für die Gefahr von nicht sorgfältig verfassten Ausschreibungen noch nicht ausreichend sensibilisiert sind.

Keine geschlechtsneutrale Berufsbezeichnung

Zugegebenermaßen der Klassiker unter den diskriminierenden Stellenanzeigen: die männliche Berufsbezeichnung. Hier kommt es nicht darauf an, ob die angegebene Berufsbezeichnung ebenfalls als Oberbegriff für den ausgeschriebenen Beruf dient. Es kommt allein darauf an, ob die Berufsbezeichnung geschlechtsneutral formuliert ist. Ist dies nicht der Fall, sind abgelehnte Bewerberinnen meist im Recht. Denn hier nehmen die Gerichte eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts an (Oberlandesgericht [OLG] Karlsruhe, Urteil vom 13.09.2011, Az. 17 U 99/10).

Neben der geschlechtsneutralen Berufsbezeichnung sollte der Zusatz (m/w/d) stets hinzugefügt werden. Es wird mittlerweile vonseiten der Gerichte erwartet, dass eine solche Bezeichnung bekannt und somit ausreichend ist, um eine Diskriminierung auszuschließen (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.01.2016, Az. 19 Sa 27/15).

Nicht nur bei den gängigen Anlaufstellen für Stellenanzeigen, sondern auch bei einer Stellenausschreibung auf (ehemals ebay-)Kleinanzeigen muss auf eine diskriminierungsfreie Formulierung geachtet werden. Die Suche nach einer „Sekretärin“ auf (ebay-)Kleinanzeigen stellt insofern eine Diskriminierung dar (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, Az. 2 Sa 21/22). Speziell bei Zahnarztpraxen sollte also auf die Suche nach einer „Empfangsdame“ oder „Sekretärin“ verzichtet werden. Die vorzugswürdige Formulierung ist die Suche nach einer „Fachkraft im Sekretariat (m/w/d)“.

Das „junge Team“

Die Stellenanzeige enthält nebenbei noch eine weitere Passage, die zwar auf Ihre Zahnarztpraxis zutreffen könnte, in einer Ausschreibung jedoch fehl am Platz ist: Die Arbeit „in einem jungen Team“. Auch wenn Sie jetzt an ein dynamisches und kreatives Arbeitsklima denken, bezieht die Rechtsprechung hier eine ganz andere Position. Die Formulierung kann negativ gemeint sein. Ältere Interessenten könnten sich noch einmal überlegen, ob sie sich denn wirklich auf die ausgeschriebene Stelle bewerben sollten. Im Ergebnis diskriminiert die Anzeige daher wegen des Alters (Bundesarbeitsgericht [BAG], Urteil vom 11.08.2016, Az. 8 AZR 406/14, Abruf-Nr. 191390).

In einem anderen Fall beurteilte der gleiche Senat des BAG die Bezeichnung eines „jungen und dynamischen Unternehmens“ nicht als Altersdiskriminierung, da es sich um eine unternehmensbezogene Information handelte, die sich nicht auf die Belegschaft oder die erwünschten Bewerber beziehe (Urteil vom 23.11.2017, Az. 8 AZR 604/16).

„Young“ = jung?

Fragen Sie sich einmal selbst: Verstehen Sie unter einem „Young Professional“ einen Arbeitnehmer, der keinesfalls älter als 30 ist? Wohl nicht. Sie stellen sich eher jemanden vor, bei dem die Berufsausbildung erst wenige Jahre zurückliegt. Das BAG sieht dies aber anders. Nach seiner Auffassung knüpft das Wort „Young“ (deutsch „jung“) unmittelbar ans Alter an und diskriminiert damit ältere Bewerber (BAG, Urteil vom 24.01.2013, Az. 8 AZR 429/11).

Nicht länger als ... zurückliegende(r) Ausbildung/Hochschulabschluss

Auch bei der Formulierung, dass die Ausbildung bzw. der Hochschulabschluss nur eine gewisse Zeitspanne zurückliegen soll, ist Vorsicht geboten! Das BAG nimmt hier nämlich ebenfalls eine mittelbare Diskriminierung wegen des höheren Lebensalters an (BAG, Urteil vom 26.01.2017, Az. 8 AZR 848/13, Abruf-Nr. 194415). Gleiches gilt nach der Auffassung des BAG auch für den Zusatz in einer Stellenausschreibung, dass Hochschulabschluss oder Ausbildung erst „… innerhalb der nächsten Monate“ erfolgen soll. Mit dieser Vorgabe sprechen Sie nämlich letztlich doch gezielt jüngere Bewerber an. Die Folge: Ältere Personen sind benachteiligt und mittelbar diskriminiert.

Merke | Lesen Sie zu diesem Thema auch die Beiträge „Stellenanzeigen: Merkmal ‚junges Team‘ ist Diskriminierung nach dem AGG“ (ZP 02/2011, Seite 10) und „Suche nach ‚jungen‘ Mitarbeitern kann entschädigungspflichtig sein“ (ZP 09/2010, Seite 7).

X Jahre Berufserfahrung

Eine weitere beachtenswerte, jedoch weitaus weniger kritische Forderung in einer Stellenausschreibung ist die nach der Berufserfahrung. Die Rechtsprechung sieht in der Forderung nach einer bestimmten Berufserfahrung eine mittelbare Anknüpfung an das Alter eines Bewerbers (BAG, Urteil vom 19.05.2016, Az. 8 AZR 470/14, Abruf-Nr. 189431). Hier wird jedoch regelmäßig ein sachliches Ziel vorliegen, das die Benachteiligung des Bewerbers rechtfertigt (§ 3 Abs. 2 AGG).

Praxistipp | Spezifizieren Sie die gewünschte Berufserfahrung hinsichtlich der Art der Tätigkeit. So liefern Sie schon in der Stellenanzeige einen sachlichen Grund für eine eventuelle – AGG-gerechte – Benachteiligung (Beispiel: Berufserfahrung in der Schmerzphysiotherapie).

Ansprache per „Du“ oder „Sie“

Um in Zeiten des Fachkräftemangels mehr Bewerber anzusprechen und von einer „lockeren“ Arbeitsatmosphäre zu überzeugen, wird immer häufiger die Ansprache per „Du“ gewählt. Hierin liegt kein hinreichendes Indiz für eine Altersdiskriminierung, sofern alle Personen gleich angesprochen werden. (LAG Köln, Urteil vom 10.09.2021, Az. 10 Sa 1264/20). Selbstverständlich ist auch die Bezeichnung „Sie“ gängig und möglich.

(Sehr) gute Deutschkenntnisse

Sollten Sie in Ihrer Stellenausschreibung sehr gute Deutsch- und/oder Englischkenntnisse verlangen, kann dies unter Umständen eine mittelbare Diskriminierung darstellen. Gibt es jedoch in Ihrer Praxis einen sachlichen Grund, warum die (sehr) guten Deutsch- und Englischkenntnisse für den Beruf erforderlich sind, ist die Forderung auch in einer Stellenausschreibung sachlich gerechtfertigt (§ 3 Abs. 2 AGG). Die Anforderung sehr guter Deutschkenntnisse kann dann gerechtfertigt sein, wenn ein wichtiger Tätigkeitsbestandteil der Kontakt mit deutschen Kunden ist (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.01.2016, Az. 19 Sa 27/15). Falls in Ihrer Zahnarztpraxis primär allein deutschsprachige Patienten behandelt werden, könnte diese Stellenanforderung also gerechtfertigt sein.

Vorsicht: Muttersprache

Kritisch ist es aber, wenn Sie nicht nur sehr gute, sondern sogar „muttersprachliche“ Deutschkenntnisse von den Bewerbern verlangen. Eine Muttersprache ist eine der wenigen Eigenschaften, die nicht erworben werden kann. Sie ist durch die Herkunft des Bewerbers bestimmt und damit ggf. durch die ethnische Herkunft, aufgrund derer ein Bewerber nicht diskriminiert werden darf (§ 1 AGG). So können Interessenten, die aufgrund ihrer Ethnie keine deutschen Muttersprachler sind, von einer Bewerbung abgehalten werden. Nach Ansicht der Gerichte liegt dann eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der ethnischen Herkunft vor (BAG-Urteil vom 29.06.2017, Az. 8 AZR 402/15).

Praxistipp | Ist es für die ausgeschriebene Stelle zwingend erforderlich, dass der Bewerber eine bestimmte Sprache beherrscht, sollten Sie nur die Kenntnis der Sprache in der Stellenausschreibung fordern, nicht aber nur Muttersprachler einstellen wollen.

Weitere Formulierungen

Es gibt natürlich unzählige Möglichkeiten, um ein diskriminierendes Bild eines Bewerbers zu zeichnen. Sie minimieren deshalb das Risiko für Ihre Praxis, wenn Sie auf folgende Formulierungen verzichten:

Praxistipp | Zur Beurteilung einer Stellenbeschreibung gehören nicht nur die gewählten Formulierungen, sondern auch Vorgaben wie die Anforderung eines Lichtbilds. Bitte sehen Sie davon ab, ein solches gezielt zu fordern. Schicken Bewerber dieses von sich aus, ist das natürlich in Ordnung.

  • „dynamisch“
  • „adrettes Erscheinungsbild“
  • „körperlich belastbar“
  • „aus der Region“
  • „mit Erfahrung“

Social Media als neue Recruiting-Strategie

Immer beliebter in Sachen Personalgewinnung ist das Recruiting via Social Media beispielsweise mithilfe der App TikTok. Dabei nutzen kleine, mittelständische sowie große Unternehmen die Plattform, um Werbung für sich als Arbeitgeber zu machen. Diese Möglichkeit eröffnet neue Chancen, insbesondere jüngere Arbeitskräfte zu gewinnen bei geringem finanziellem Aufwand. Jedoch sollten hierbei keine anderen Maßstäbe als bei einer gewöhnlichen Stellenanzeige zugrunde gelegt werden. Wie das Beispiel einer Anzeige auf (ebay-)Kleinanzeigen zeigt, macht es für die Vorschriften des AGG keinen Unterschied, wo nach Arbeitskräften gesucht wird (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.06.2022, Az. 2 Sa 21/22).

Vorsicht: drohende Klagen!

Häufiger Gegenstand von Gerichtsverfahren ist die Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG). Sie ist sozusagen das „Schmerzensgeld“ für den diskriminierten Bewerber. Eine Grenze nach oben sehen jedoch weder das Gesetz noch die Rechtsprechung vor. Können Sie nachweisen, dass der Bewerber die Stelle auch ohne seine Diskriminierung nicht erhalten hätte, ist der Betrag „wenigstens“ bei drei Bruttomonatsgehältern gedeckelt. Für die konkrete Bemessung der Entschädigung hat das BAG folgende Kriterien aufgestellt (Urteil vom 18.03.2010, Az. 8 AZR 1044/08, Abruf-Nr. 103350):

Fazit | Arbeiten Sie bei Stellenanzeigen nach dem Grundsatz: Weniger ist mehr. Achten Sie darauf, nur die erforderlichen und unverzichtbaren Auswahlkriterien zu nennen. Sind Sie sich über die Rechtmäßigkeit Ihrer Ausschreibung unsicher, fragen Sie einen Spezialisten. Am Ende ist der Rat eines Rechtsanwalts deutlich günstiger als eventuell anstehende Klagen von abgelehnten Bewerbern.

  • Schwere und Art der Benachteiligung
  • Dauer und Folgen der Benachteiligung
  • Anlass und Motiv des Arbeitgebers
  • Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers
  • Vorliegen eines Wiederholungsfalls
  • Notwendige Summe, um eine abschreckende Wirkung für den Arbeitgeber zu erzielen
Weiterführende Hinweise
  • Diskriminierende Absage eines Stellenbewerbers kann teuer werden! (ZP 10/2023, Seite 9)
  • Stellenausschreibung: „Cool“ heißt nicht „jung“, „Typen“ sind nicht zwingend „männlich“ (ZP 10/2022, Seite 11)
  • Erfolgreich Personal suchen und finden (Teil 1): Schaffen Sie gute Rahmenbedingungen! (ZP 09/2016, Seite 1)
  • Erfolgreich Personal suchen und finden (Teil 2): Bewerbungen sichten und richtig auswählen (ZP 10/2016, Seite 12)
  • Drehen Sie den Spieß um: So bewerben Sie sich bei Ihren künftigen Mitarbeitern (ZP 09/2021, Seite 15)

AUSGABE: ZP 10/2023, S. 4 · ID: 49543618

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