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ArbeitsrechtDiskriminierende Absage eines Stellenbewerbers kann teuer werden!

Abo-Inhalt19.06.20235721 Min. LesedauerVon RA, FA MedR, ArbR und HGR, Benedikt Büchling, Kanzlei am Ärztehaus, Hagen

| Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechtes liegt vor, wenn einem männlichen Bewerber für eine Stelle abgesagt wird mit der Begründung, „unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände“. Für die vorgenannte unzulässige Benachteiligung ist eine Entschädigung in Höhe des 1,5-fachen des mit der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsentgelts angemessen. Dies entschied das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg mit Urteil vom 13.12.2022 ( Az. 7 Sa 168/22). |

Arbeitgeber suchte „flinke Frauenhände“ ...

Mitte April 2019 bewarb sich ein männlicher Interessent auf folgende Stellenanzeige eines Unternehmens: „Für unsere filigranen Automodelle im Maßstab 1/87 H0 suchen wir Mitarbeiter (m/w/d) für unsere Digitaldruckmaschine. Die Teile müssen in die Maschine eingelegt und entnommen werden. Anforderungen:

  • Fingerfertigkeit/Geschick
  • Deutschkenntnisse in Wort und Schrift
  • Zuverlässiges, sorgfältiges und konzentriertes Arbeiten
  • Teamorientierung, Belastbarkeit und ausgeprägte Motivation
  • Fachkenntnisse sind nicht zwingend notwendig. Wir freuen uns auf Ihre Bewerbung!“

Die in der Ausschreibung genannten Teile sind sehr klein und müssen teilweise bei der Montage der Modelle mithilfe von Pinzetten positioniert werden. Die Stelle war für eine Vollzeitbeschäftigung vorgesehen und sollte mit dem gesetzlichen Mindestlohn vergütet werden. Noch am Tag der Bewerbung sagte die Gesellschafterin und Prokuristin dem Bewerber die Stelle mit folgendem Text ab: „Sehr geehrter Herr D…, vielen Dank für Ihre Bewerbungsunterlagen. Unsere sehr kleinen, filigranen Teile sind eher etwas für flinke Frauenhände. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Sie für diese Stelle nicht in Frage kommen. Ich wünsche Ihnen für Ihren weiteren Berufs- und Lebensweg alles Gute.“

Der abgelehnte Bewerber machte daraufhin schriftlich Anfang Juni 2019 Entschädigungsansprüche in Höhe von mindestens drei Monatsgehältern geltend. Das Unternehmen bot dem zunächst abgelehnten Bewerber „Probearbeiten“ an, was dieser nicht annahm, weil er zwischenzeitlich eine neue Stelle gefunden hatte. Er erhob später erfolgreich Klage zum Arbeitsgericht. Mit der Berufung des Unternehmens hatte sich nun das LAG zu beschäftigen.

... der männliche Bewerber fühlte sich benachteiligt

Auch das LAG sprach dem Bewerber eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) in Höhe von 2.500 Euro zu.

Die Benachteiligung bestehe hier in einer Absage mit Bezug auf die Geschlechtlichkeit. Die unterschiedliche Behandlung sei auch nicht zulässig wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder den Bedingungen ihrer Ausübung. Eine Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsverlangens durch den Bewerber (Anm. d. Red.: sog. „AGG-Hopper“) sei ebenfalls nicht ersichtlich.

Bei der Festsetzung der angemessenen Entschädigung durch das Arbeitsgericht seien alle Umstände des Einzelfalls, wie Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalls zu berücksichtigen. Vorliegend habe der abgelehnte Bewerber kurze Zeit nach der Absage einen Arbeitsvertrag bei einem anderen Arbeitgeber unterschrieben. Insoweit sei eine Entschädigung in Höhe von 2.500 Euro angemessen. Dieser Betrag entspreche dem 1,5-fachen des mit der ausgeschriebenen Stelle erzielbaren Bruttomonatsentgelts.

Praxistipps

Die Entscheidung zeigt, dass rechtswidrige Formulierungen in Stellenanzeigen oder Ablehnungsschreiben schnell zu Problemen führen können. Arbeitgeber sind daher gut beraten, sich für die Gestaltung einer AGG-konformen Stellenausschreibung in beratende Hände zu begeben. Lesen Sie zum Thema auch den Beitrag „Personalsuche in Zeiten des Fachkräftemangels: Stellenausschreibungen ‚AGG-gerecht‘ gestalten“ in dieser Ausgabe.

Eine Stellenanzeige muss insbesondere frei von Diskriminierung sein, sonst drohen Entschädigungszahlungen für Arbeitgeber. Die Diskriminierungsverbote sind in den § 7 Abs. 1 AGG i. V. m. § 1 AGG hinterlegt. Danach darf nicht wegen Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt werden. Nach den §§ 8-10 AGG kann eine Benachteiligung u. U. gerechtfertigt sein, wobei der Arbeitgeber insoweit gemäß § 22 AGG die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot vorliegt.

Der abgelehnte Bewerber muss gemäß § 15 Abs. 4 AGG die von ihm behaupteten Ansprüche nach dem AGG auf Entschädigung und Schadenersatz innerhalb einer Frist von 2 Monaten schriftlich gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen.

Nach § 15 Abs. 1 AGG hat der Arbeitgeber den materiellen Schaden zu ersetzen, wenn er den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot zu vertreten hat. Der Schaden ist in Geld zu ersetzen. Wäre der Anspruchsteller auch bei benachteiligungsfreier Auswahl eingestellt worden, gilt die Höchstgrenze von drei Monatsentgelten (Begrenzung auf den hypothetisch ersten Kündigungstermin). Hat der Bewerber an der Begründung eines Arbeitsverhältnisses indes überhaupt kein Interesse (sog. „AGG-Hopper), scheidet ein Entschädigungsanspruch nach AGG aus.

AUSGABE: ZP 10/2023, S. 9 · ID: 49455257

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