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UmsatzsteuerReichweite der Steuerbefreiung bei Kostenteilungsgemeinschaften – BFH setzt neue Maßstäbe
| Zum 01.01.2020 trat mit § 4 Nr. 29 UStG eine neue Umsatzsteuerbefreiung für Leistungen in Kraft, die von Zusammenschlüssen bzw. Gemeinschaften an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke bestimmter dem Gemeinwohl dienender Umsätze erbracht werden. Der Gesetzgeber setzte damit Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL in nationales Recht um. Mit Beschluss vom 04.09.2024 musste der BFH über einen älteren Fall entscheiden; dabei setzte er auch grundlegende Maßstäbe an den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 29 UStG und widersprach der engen Auslegung der Finanzverwaltung. |
Leistungen einer Praxisgemeinschaft vor dem BFH
Sowohl Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL als auch § 4 Nr. 29 UStG haben zum Ziel, bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten von der Umsatzsteuer zu befreien, um den Zugang zu diesen Leistungen unter Vermeidung von höheren Kosten zu erleichtern, die entstehen würden, wenn diese Leistungen umsatzsteuerpflichtig wären.
Im BFH-Fall klagte eine Praxisgemeinschaft, die aus zwei Ärzten bestand. Die Ärzte nutzten gemeinschaftlich Praxisräume, medizinische Ausstattung und Personal. Die Ärzte selbst übten ihre ärztlichen Tätigkeiten in eigenem Namen und auf eigene Rechnung aus. Zur Deckung der rein auf Kostendeckung arbeitenden Praxisgemeinschaft leisteten die Gemeinschafter monatliche Beiträge. Die Geschäftsführung der Praxisgemeinschaft stand einem Arzt allein zu, der dafür von der Praxisgemeinschaft eine Vergütung erhielt. Die Praxisgemeinschaft übernahm medizinische Fachangestellte sowie eine Büro- und Rezeptionskraft, die zuvor beim geschäftsführenden Arzt beschäftigt waren. Sie beschäftigte ferner eine Reinigungskraft. Für sie arbeitete eine Krankengymnastin, eine Heilpraktikerin und eine Diplompsychologin jeweils auf „Freier-Mitarbeiter-Basis“. Für ihre Leistungen erhielten sie von der Praxisgemeinschaft einen prozentualen Anteil der Erlöse. Die Abrechnungen gegenüber den Krankenversicherungen sollte „durch die Geschäftsführung der Praxis“ vorgenommen werden.
Im Rahmen einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, dass die Praxisgemeinschaft als Unternehmerin anzusehen sei und steuerbare und auch steuerpflichtige Leistungen gegen Entgelt an ihre Mitglieder erbringe. Dies sahen sowohl das FG Niedersachsen als auch der BFH anders (BFH, Beschluss vom 04.09.2024, Az. XI R 37/21, Abruf-Nr. 245807):
BFH präzisiert Steuerbefreiung bei Praxisgemeinschaft
Der BFH entschied mit Blick auf die Umsatzsteuerbefreiung Folgendes:
- 1. Eine zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks nach außen auftretende Praxisgemeinschaft ist Unternehmerin.Praxisgemeinschaft ist Unternehmerin
- 2. Eine aus Ärzten bestehende Praxisgemeinschaft, die Leistungen für die Führung ihrer eigenen Geschäfte bezieht, erbringt nicht zwangsläufig gleichzeitig Geschäftsführungsleistungen an ihre Mitglieder.
- 3. Für eine aus Ärzten bestehende Praxisgemeinschaft, die mit einer bei ihr angestellten Arbeitnehmerin Reinigungsleistungen an ihre Mitglieder ausführt und steuerfreie Leistungen von Subunternehmern bezieht, um die bezogenen Leistungen unmittelbar an ihre Mitglieder für die Ausübung von deren ärztlicher Tätigkeit weiterzuleiten, gilt: Sie kann sich für Besteuerungszeiträume vor Einführung des § 4 Nr. 29 UStG erfolgreich auf die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL berufen, wenn die Praxisgemeinschaft hierfür lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert und aufgrund der Gewährung der Steuerbefreiung keine Wettbewerbsverzerrungen drohen.Reinigungs- leistungen können Steuerbefreiung genießen
BFH: Geschäftsführungsleistungen dienen lediglich Innenorganisation
Trotz der Bezeichnung als Gemeinschaft zur Verfolgung eines gemeinsamen Zwecks tritt die Gemeinschaft nach außen auf und erbringt als Unternehmerin (§ 2 Abs. 1 S. 3 letzter Halbs. UStG) steuerbare Umsätze an die Ärzte, so der BFH. Bei Leistungen, zu deren Ausführung sich die Vertragsparteien in einem gegenseitigen Vertrag verpflichtet haben, liegt grundsätzlich ein Leistungsaustausch vor. Auch ist die Nutzung von Gegenständen des Gesellschaftsvermögens oder anderer Leistungen der Gesellschaft für eigene Zwecke der Gesellschafter als entgeltliche Leistung bereits dann steuerbar, wenn die Gesellschaft hierfür (nur) Aufwendungsersatz erhält. Sie verschafft ihren Gesellschaftern den konkreten (verbrauchsfähigen) Vorteil, Praxisräume, Einrichtungen und Personal etc. nutzen zu können.
Geschäftsführungsleistungen des geschäftsführenden Arztes an die Gemeinschaft gehören nach Ansicht des BFH allerdings nicht dazu. Die Geschäftsführungsleistungen dieses Arztes dienen der Innenorganisation der Praxisgemeinschaft. Sie führen nicht ohne weiteres zugleich zu einer Leistungsabgabe durch die Praxisgemeinschaft. Dadurch, dass die Praxisgemeinschaft (möglicherweise steuerbare) Geschäftsführungsleistungen von einem Gesellschafter bezieht, verschafft sie weder diesem noch etwaigen Mitgesellschaftern einen Vorteil. Sie ist insofern Leistungsempfängerin und nicht Leistende, so der BFH.
Praxistipp | Das bedeutet:
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Reinigungsleistungen und Tätigkeiten der freien Mitarbeiterinnen
Der BFH befand ausdrücklich, dass die Reinigungsleistungen der Praxisgemeinschaft und die Tätigkeiten der freien Mitarbeiterinnen unmittelbar für Zwecke der Ausübung der steuerfreien Tätigkeiten der Gesellschafter erbracht worden sind. Hätten die Gesellschafter z. B. Reinigungsleistungen durch eine bei ihnen jeweils angestellte Reinigungskraft ausführen lassen, hätten sie keine Umsatzsteuer entrichten müssen. Der Umstand, dass die Praxisgemeinschaft die Verträge übernommen bzw. abgeschlossen hat, rechtfertigt insoweit keine andere Beurteilung. Entsprechendes gilt für die mit der Praxisgemeinschaft in vertraglichen Beziehungen stehenden freien Mitarbeiterinnen, mit denen die Praxisgemeinschaft die für die Tätigkeit maßgeblichen Verträge abgeschlossen hat.
Ob die durch eine Bürokraft erbrachten Leistungen trotz der unmittelbaren Berufung der Praxisgemeinschaft auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL umsatzsteuerpflichtig sind, bedurfte keiner Entscheidung durch den BFH. Das FG hatte der Klage bereits mit der Begründung stattgegeben, dass die Kleinunternehmerregelung (§ 19 UStG) Anwendung findet.
BFH sorgt für neuen Maßstab für den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 29 UStG Fazit | Die Entscheidung des BFH präzisiert die Auslegung zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL und damit auch des § 4 Nr. 29 UStG und stellt sich zugleich gegen die enge Sicht der Finanzverwaltung zum Merkmal „Unmittelbarkeit“. Nach dem BMF-Schreiben vom 19.07.2022 (Az. III C 3 – S 7189/20/10001 :001, Abruf-Nr. 230404) fallen Tätigkeiten, die lediglich mittelbar der Ausführung von nicht steuerbaren oder steuerfreien Umsätzen der Mitglieder dienen, nicht unter die Befreiung, weil sie diese allenfalls fördern. Mittelbare Leistungen in diesem Sinne sind aus Sicht der Finanzverwaltung auch allgemeine Reinigungsleistungen. Hier hat der BFH nun explizit klargestellt, dass diese Leistungen ebenfalls als unmittelbare Leistungen unter die Befreiungsvorschrift des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL fallen, der den Rahmen des § 4 Nr. 29 UStG bildet. Der BFH begründet dies damit, dass die Gesellschafter keine Umsatzsteuer hätten entrichten müssen, wenn sie die Reinigungsleistungen durch eine bei ihnen jeweils angestellte Reinigungskraft hätten ausführen lassen. Sollte dies der (künftige) Maßstab für den Anwendungsbereich des § 4 Nr. 29 UStG sein, was einzig folgerichtig wäre, dürfte eine Vielzahl weiterer, bisher als mittelbar eingestufter, Leistungen künftig steuerfrei sein. Ein neues BMF-Schreiben täte hier Not. |
AUSGABE: SB 6/2025, S. 103 · ID: 50372652