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Strafprozess
Bei widersprüchlichen Angaben wird erhöhter Aufwand abgegolten
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LeserforumHaupt- und einstweiliges Anordnungsverfahren: VKH-Vergütung für Mehrvergleich auch ohne gesonderte Wertfestsetzung?
| FRAGE: Wir haben den Mandanten M wegen seines laufenden Kindesunterhalts sowohl im gleichzeitig anhängig gemachten einstweiligen Anordnungsverfahren (Mindestunterhalt) als auch im Hauptsacheverfahren (voller Unterhalt) als Antragsteller beim FamG vertreten. M wurde in beiden Verfahren VKH bewilligt und wir ihm als Anwälte beigeordnet. In beiden Verfahren wurde mündlich verhandelt. In der Hauptsache konnten wir einen Vergleich schließen, mit dem auch das einstweilige Anordnungsverfahren mit erledigt wurde. Das FamG hat im Anschluss daran in beiden Verfahren den Verfahrenswert festgesetzt: im Hauptsacheverfahren auf 12.000 EUR und im einstweiligen Anordnungsverfahren auf 6.000 EUR. Obwohl im Hauptsacheverfahren das einstweilige Anordnungsverfahren mitverglichen worden ist, wurde kein Wert für den Mehrvergleich festgesetzt. Zu Recht? Müssen wir Verfahrenswertbeschwerde einlegen oder einen gesonderten Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts stellen? |
Antwort von Wolf Schulenburg, geprüfter Rechts- und Notarfachwirt (Berlin): Nach Ansicht des Kostenbeamten sei nach §§ 45, 49 RVG wie folgt abzurechnen:
Hauptsacheverfahren aus Sicht des Kostenbeamten | |
1,3-Verfahrensgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 12.000 EUR) | 460,20 EUR |
1,2-Terminsgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 12.000 EUR) | 424,80 EUR |
1,0-Einigungsgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 12.000 EUR) | 354,00 EUR |
Auslagenpauschale, §§ 1, 2 RVG, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., §§ 1, 2 RVG, Nr. 7008 VV RVG | 239,21 EUR |
1.498,21 EUR |
Einstweiliges Anordnungsverfahren aus Sicht des Kostenbeamten | |
1,3-Verfahrensgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) | 383,50 EUR |
1,2-Terminsgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG , Nr. 3104 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) | 354,00 EUR |
Auslagenpauschale, §§ 1, 2 RVG, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 % USt., §§ 1, 2, Nr. 7008 VV RVG | 143,93 EUR |
901,43 EUR |
Diese Abrechnung ist falsch. Richtig ist es dagegen, wie folgt abzurechnen:
Hauptsacheverfahren: korrekte Abrechnung (zum Wert vgl. OLG Karlsruhe FamRZ 11, 1813; OLG Koblenz FamRZ 08, 1969; OLG Düsseldorf AGS 06, 37) | ||
1,3-Verfahrensgebühr, §§ 1, 2, 13, 15 Abs. 3 RVG, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 12.000 EUR) 0,8-Verfahrensgebühr, §§ 1, 2, 13, 15 Abs. 3 RVG, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) | } | 499,20 EUR |
1,2-Terminsgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG (Wert:18.000 EUR) | 460,80 EUR | |
1,0-Einigungsgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nr. 1000, 1003 VV RVG (Wert: 18.000 EUR) | 384,00 EUR | |
Auslagenpauschale, §§ 1, 2 RVG, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
19 % USt., §§ 1, 2 RVG, Nr. 7008 VV RVG | 259,16 EUR | |
1.623,16 EUR |
Einstweiliges Anordnungsverfahren: korrekte Abrechnung (zur Anrechnung: BGH AGS 24, 22) | ||
1,3-Verfahrensgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) | 383,50 EUR | |
abzgl. Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG | - 39,00 EUR | |
1,2-Terminsgebühr, §§ 1, 2, 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 6.000 EUR) | 354,00 EUR | |
abzgl. Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG | - 36,00 EUR | |
Auslagenpauschale, §§ 1, 2 RVG, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
19 % USt., §§ 1, 2 RVG , Nr. 7008 VV RVG | 129,68 EUR | |
812,18 EUR |
Dem Anwalt stehen damit insgesamt nicht nur 2.399,64 EUR (= 1.498,21 EUR Hauptsacheverfahren + 901,43 EUR einstweiliges Anordnungsverfahren), sondern 2.435,34 EUR (= 1.623,16 EUR Hauptsacheverfahren + 812,18 EUR einstweiliges Anordnungsverfahren) Vergütung zu. Bei der Berechnung muss der Anwalt Folgendes beachten:
1. Hauptsache
a) Es gibt eine zusätzliche 0,8-Verfahrensgebühr
Aufgrund der Verhandlung bzw. des Vergleichs über die in dem Hauptsacheverfahren nicht rechtshängigen Unterhaltsansprüche des einstweiligen Anordnungsverfahrens ist neben der 1,3-Verfahrenswert aus dem Wert des Hauptsacheverfahrens (= 12.000 EUR) eine zusätzliche 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG aus dem Wert des einstweiligen Anordnungsverfahrens (= 6.000 EUR) entstanden.
b) Kappungsgrenze des § 15 Abs. 3 RVG beachten
Beide Verfahrensgebühren sind nach § 15 Abs. 3 RVG abzugleichen: Die Summe von insgesamt 696,20 EUR aus der 1,3-Verfahrensgebühr aus 12.000 EUR (= 460,20 EUR) und der 0,8-Verfahrensgebühr aus 6.000 EUR (= 236,00 EUR) darf nicht höher als eine 1,3-Verfahrensgebühr aus der Summe beider Werte von 18.000 EUR (= 499,20 EUR) sein.
c) Verfahrensgebühr im Parallelverfahren anrechnen
Da der sich hier nach § 15 Abs. 3 RVG ergebende Gesamtbetrag der Verfahrensgebühren die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG übersteigt, gilt die Anrechnung nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG. Der Anwalt muss den übersteigenden Betrag auf eine Verfahrensgebühr anrechnen, die wegen desselben Gegenstands in einer anderen Angelegenheit entsteht. Derselbe Gegenstand in einer anderen Angelegenheit ist hier der im einstweiligen Anordnungsverfahren geltend gemachte Unterhaltsanspruch.
Der Gesamtbetrag der Verfahrensgebühren von 499,20 EUR übersteigt die 1,3-Verfahrensgebühr Nr. 3100 VV von 460,20 EUR um 39 EUR. Diesen Betrag muss der Anwalt somit auf seine Verfahrensgebühr im einstweiligen Anordnungsverfahren anrechnen.
d) Terminsgebühr entsteht aus beiden Werten
Wie sich aus der Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG ergibt, ist die Terminsgebühr nicht nur aus dem Wert des Hauptsacheverfahrens von 12.000 EUR, sondern auch aus dem Wert der nicht rechtshängigen Gegenstände entstanden. Die nicht rechtshängigen Gegenstände sind hier die im einstweiligen Anordnungsverfahren geltend gemachten Unterhaltsansprüche, deren Wert mit 6.000 EUR festgesetzt worden ist. Die Terminsgebühr berechnet sich daher aus dem addierten Wert von 18.000 EUR.
e) Terminsgebühr im Parallelverfahren wird angerechnet
Der Anwalt muss hierbei die Anrechnung nach Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG beachten: In dem Termin zur Hauptsache sind auch Verhandlungen über die in diesem Verfahren nicht rechtshängigen Unterhaltsansprüche des einstweiligen Anordnungsverfahrens geführt worden. Deshalb ist die Terminsgebühr, soweit sie den sich ohne Berücksichtigung der nicht rechtshängigen Ansprüche ergebenden Gebührenbetrag übersteigt, auf eine Terminsgebühr anzurechnen, die wegen desselben Gegenstands in einer anderen Angelegenheit entsteht.
Die Folge ist: Ohne Berücksichtigung der Unterhaltsansprüche des einstweiligen Anordnungsverfahrens beträgt der Wert der Terminsgebühr lediglich 12.000 EUR und der sich daraus ergebende Betrag 424,80 EUR. Damit übersteigt der Betrag der Terminsgebühr aus 18.000 EUR von 460,80 EUR die Terminsgebühr aus lediglich 12.000 EUR um 36 EUR. Dieser Betrag ist auf die Terminsgebühr im einstweiligen Anordnungsverfahren anzurechnen.
f) Es fällt nur eine einzige Einigungsgebühr an
Die Einigungsgebühr ist für den Mehrvergleich entstanden, mit dem nicht nur das Hauptsache-, sondern auch das einstweilige Anordnungsverfahren mit erledigt wurde. Beide Verfahren waren erstinstanzlich beim FamG anhängig – damit war i. S. d. Nr. 1003 VV RVG über den jeweiligen Gegenstand „ein anderes gerichtliches Verfahren als ein selbstständiges Beweisverfahren anhängig“. Dafür ist die Einigungsgebühr gemäß Nr. 1000 VV RVG nach Nr. 1003 VV RVG mit einem Gebührensatz von 1,0 entstanden, allerdings nach § 15 Abs. 2 RVG allein nur im Hauptsacheverfahren, und zwar aus der Summe beider Werte (vgl. z. B. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., Nrn. 1003, 1004 VV Rn. 71 ff.).
2. Einstweiliges Anordnungsverfahren
Die Entstehung der Verfahrens- und der Terminsgebühr jeweils aus dem festgesetzten Verfahrenswert von 6.000 EUR ist unproblematisch: Die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG ist durch die Einreichung der Antragsschrift und die 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV RVG ist durch die Verhandlung im Termin der einstweiligen Anordnung entstanden.
Hier muss der Anwalt aber nun die beiden Anrechnungen nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 3101 VV RVG und Anm. Abs. 2 zu Nr. 3104 VV RVG beachten: Auf seine Verfahrensgebühr ist ein Betrag von 39 EUR, auf seine Terminsgebühr ein Betrag von 36 EUR anzurechnen (s. vorstehende Erläuterungen zum Hauptsacheverfahren).
3. Verfahrenswertbeschwerde
a) Bindungswirkung besteht bezüglich der Anwaltsgebühren
Wird der für die Gerichtsgebühren maßgebende Wert gerichtlich festgesetzt, ist die Festsetzung nach § 32 Abs. 1 RVG auch für die Gebühren des Anwalts maßgebend. Voraussetzung dafür ist, dass der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens mit dem Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit übereinstimmt.
b) Anwalt stehen eigene Rechte zu
Ist das der Fall, kann der Anwalt nach § 32 Abs. 2 RVG i. V. m. § 59 FamGKG aus eigenem Recht
- die Festsetzung des Verfahrenswerts (§ 55 FamGKG) beantragen,
- dagegen im eigenen Namen Beschwerde (§ 59 FamGKG) mit dem Ziel der Erhöhung führen sowie
- Rechtsbehelfe einlegen, wenn die Wertfestsetzung unterblieben ist.
c) Gesonderte Wertfestsetzung für Gerichtsgebühren erforderlich
Das FamG hier hat den Wert für die Gerichtsgebühren des gerichtlichen Hauptsacheverfahrens lediglich nach den dort anhängigen Unterhaltsansprüchen auf 12.000 EUR festgesetzt. Aufgrund des Vergleichs über beide Verfahren war der Anwalt aber auch wegen der im einstweiligen Anordnungsverfahren rechtshängigen Unterhaltsansprüche tätig. Weil das FamG wegen der mit verglichenen und im einstweiligen Anordnungsverfahren anhängigen Unterhaltsansprüche einen gesonderten Wert im Hauptsacheverfahren für die Gerichtsgebühren hätte festsetzen müssen, kann der Anwalt aus eigenem Recht Beschwerde einlegen.
Beachten Sie | Zwar kann für den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs beim FamG eine gesonderte 0,25-Gebühr nach Nr. 1500 KV FamGKG entstehen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Vergleich über nicht gerichtlich anhängige Gegenstände geschlossen wird. Die Unterhaltsansprüche im einstweiligen Anordnungsverfahren sind hier gerichtlich anhängig – das FamG war deshalb nicht verpflichtet, für die Gerichtsgebühren einen gesonderten Wert wegen der mit verglichenen Gegenstände des einstweiligen Anordnungsverfahren festzusetzen. Eine Beschwerde des Anwalts wäre aus diesen Gründen unzulässig.
4. Gesonderte Wertfestsetzung für die Anwaltsgebühren
Berechnen sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert oder fehlt es an einem solchen Wert, setzt das Gericht des Rechtszugs gemäß § 33 Abs. 1 RVG den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest.
Beachten Sie | Das FamG hat hier im einstweiligen Anordnungsverfahren den Wert bereits mit 6.000 EUR festgesetzt. Insoweit bindet diese Wertfestsetzung gemäß § 32 Abs. 1 RVG den Anwalt in seinen Gebühren für den Mehrvergleich (vgl. z. B. HK-FamGKG/N. Schneider, 4. Aufl., Nr. 1500 KV Rn. 22).Eine gesonderte Wertfestsetzung nach § 33 Abs. 1 RVG für den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wäre also unzulässig.
AUSGABE: RVGprof 2/2025, S. 25 · ID: 50275231