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ProzesskostenhilfeUmfasst die PKH die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren?
| Die Zahl der beantragten Regelinsolvenzverfahren ist im Januar 2024 um 26,2 Prozent gegenüber Januar 2023 und die Zahl der Verbraucherinsolvenzen um 1,1 Prozent von Januar bis November 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum gestiegen (vgl. ZInsO 24, S. III, IV). Damit steigt auch der Beratungsbedarf von Gläubigern. In diesem Zusammenhang stellt sich daher immer öfter die Frage, ob Gläubiger für die Anmeldung ihrer Forderung zum Insolvenzverfahren PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts erhalten können. Ebenso fraglich ist, ob sich eine bereits allgemein bewilligte PKH für die Zwangsvollstreckung auf die anwaltliche Tätigkeit einer Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren erstreckt. |
1. PKH wurde bereits pauschal für ZV bewilligt
Hat das Vollstreckungsgericht bereits einem Gläubiger PKH für die Zwangsvollstreckung pauschal bewilligt, gilt: Die Bewilligung umfasst alle Vollstreckungshandlungen in das bewegliche Vermögen im Bezirk des Vollstreckungsgerichts, einschließlich des Verfahrens auf Abgabe der Vermögensauskunft und der eidesstattlichen Versicherung (§ 119 Abs. 2 ZPO).
§ 119 Abs. 2 ZPO spricht von „Vollstreckungshandlungen im Bezirk des Vollstreckungsgerichts“. Dessen örtliche Zuständigkeit ist im Bereich der Mobiliarzwangsvollstreckung in den § 764 Abs. 2, § 828 Abs. 2 ZPO geregelt. Für das Insolvenzverfahren gilt jedoch die Zuständigkeitsregel des § 2 Abs. 1 InsO. Danach ist das AG, in dessen Bezirk ein LG seinen Sitz hat, als Insolvenzgericht für den Bezirk dieses LG ausschließlich zuständig. Weitere abweichende Regelungen ergeben sich darüber hinaus aus § 2 Abs. 2, 3 InsO. Folglich gilt die Pauschalbewilligung der PKH nach § 119 Abs. 2 ZPO nicht für die Tätigkeiten vor dem Insolvenzgericht.
Beispiel |
Gläubiger G ist für die Zwangsvollstreckung wegen Unterhaltsansprüchen PKH durch das Vollstreckungsgericht bewilligt und Rechtsanwalt R beigeordnet worden. Im Rahmen der Vollstreckung stellt sich heraus, dass über das Vermögen des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. R meldet daraufhin die Forderung des G beim Insolvenzverwalter an. Die PKH-Bewilligung erstreckt sich allerdings nicht auf die Forderungsanmeldung (§ 119 Abs. 2 ZPO). |
2. Insolvenzverfahren: PKH muss gesondert beantragt werden
Nach § 4 InsO gelten für das Insolvenzverfahren wiederum die Vorschriften der ZPO entsprechend, soweit die InsO nichts anderes bestimmt. Damit sind die PKH-Regelungen gemäß §§ 114 ff. ZPO grundsätzlich anwendbar (LG Dresden 25.9.09, 5 T 647/09; AG Duisburg NZI 00, 237; BGH NJW 04, 3260). Der Antrag auf Bewilligung von PKH im Insolvenzverfahren ist bei dem für die Zwangsvollstreckung zuständigen Gericht, d. h. dem Insolvenzgericht, zu stellen (§ 117 Abs. 1 S. 3 ZPO).
Nach § 119 Abs. 1 S. 1 ZPO erfolgt die Bewilligung für jeden Rechtszug besonders. Der Begriff des Rechtszugs ist dabei kostenrechtlich zu verstehen (BGH, a. a. O.). Rechtszug ist somit jeder Verfahrensabschnitt, der besondere Kosten verursacht.
Übersicht: Gebühren des Gläubigeranwalts im Insolvenzverfahren |
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Übersicht: Gerichtskosten des Gläubigers im Insolvenzverfahren |
Für eine PKH-Bewilligung ist es notwendig, dass die
- persönlichen Voraussetzungen nach §§ 114, 115 ZPO vorliegen,
- die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat und
- nicht mutwillig erscheint (§ 114 ZPO).
Dies bedeutet, dass der Gläubiger mit einer Quote auf seine Forderung rechnen können muss (LG Freiburg ZInsO 03, 954; LG Potsdam ZInsO 02, 1149; BGH, a. a. O.). Etwas anderes gilt nur, wenn das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreicht, um die Kosten des Verfahrens zu decken, und kein Massekostenvorschuss durch einen Gläubiger nach § 26 Abs. 1 S. 2 InsO geleistet wird. Liegen die o. g. Voraussetzungen jedoch vor, erfolgt die PKH-Bewilligung für jeden Verfahrensabschnitt besonders (§ 119 Abs. 1 S. 1 ZPO), somit auch für das eröffnete Insolvenzverfahren und damit auch für eine Forderungsanmeldung.
Beachten Sie | In diesem Zusammenhang sieht die InsO für die Forderungsanmeldung eine Erleichterung derart vor, dass die Gläubiger für die schriftliche Anmeldung beim Insolvenzverwalter innerhalb der im Eröffnungsbeschluss festgelegten Frist (vgl. §§ 29, 174 InsO) keine gerichtliche Gebühr entrichten muss. Nur für die nachträgliche Forderungsanmeldung (§ 177 InsO) fällt eine symbolische Gebühr von 22 EUR an (Nr. 2340 KV GKG). Bei dieser Gebührenlage ist die PKH-Bewilligung nicht erforderlich (AG Duisburg, a. a. O.).
Für die nachträglich entstandenen (Gerichts-)Kosten sowie die Anwaltskosten, die einem Insolvenzgläubiger durch seine Teilnahme am Insolvenzverfahren entstehen, beinhaltet § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO zudem eine Sonderregelung, die eine Anwendung der §§ 114 f. ZPO ausschließt: Nach § 39 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. §§ 53 bis 55 InsO sind die Kosten der Teilnahme eines Insolvenzgläubigers am Verfahren gegenüber den Masseverbindlichkeiten (§§ 53 bis 55 InsO) sowie den Insolvenzforderungen nach §§ 38, 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO nachrangig.
Die Folge ist: Der Insolvenzgläubiger kann eine Erstattung dieser Kosten aus der Insolvenzmasse nur verlangen, wenn die vorrangigen Forderungen in voller Höhe gedeckt sind. Wenn also bei einer Masseunzulänglichkeit schon die erstrangigen gerichtlichen Verfahrenskosten der Eröffnung und Durchführung des Verfahrens (§ 54 Nr. 1 InsO) nicht durch die Gewährung von PKH an einen antragstellenden Gläubiger gedeckt werden können, ist es umso weniger gerechtfertigt, einem Insolvenzgläubiger auf Kosten der Allgemeinheit die Teilnahme an dem eröffneten Verfahren zu ermöglichen. Es entspricht vielmehr dem Grundgedanken des § 39 Abs. 1 Nr. 2 InsO, dass Insolvenzgläubiger diese Kosten stets selbst vorschießen müssen. Sie können ihre Erstattung allenfalls aus der Insolvenzmasse beanspruchen, wenn diese ausreichende freie Mittel enthält. Eine Finanzierung durch PKH kommt deshalb nicht in Betracht.
3. Anwaltsbeiordnung scheidet eher aus
Dem Gläubiger kann im Insolvenzverfahren zwar auf Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt beigeordnet werden, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint (§ 4 InsO i. V. m.§ 121 Abs. 2 Alt. 1 ZPO). Im Insolvenzverfahren ist die Vertretung durch einen Anwalt jedoch nicht vorgeschrieben. § 121 Abs. 1 ZPO findet deshalb keine Anwendung.
Beachten Sie | Selbst wenn der Insolvenzschuldner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist, besteht nach Ansicht des BGH (a. a. O.) keine Veranlassung, einem Gläubiger deshalb ebenfalls einen Rechtsanwalt beizuordnen. Im Insolvenzverfahren gibt es keinen Gegner i. S. d. § 121 Abs. 2 Alt. 2 ZPO. Das Verfahren nach der InsO ist – anders als das kontradiktorische Verfahren nach der ZPO – vom Amtsermittlungsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 InsO) sowie von gerichtlichen Kontroll- und Fürsorgepflichten geprägt.
Nach Auffassung des BGH (a. a. O.) ist bei der Bewilligung von PKH und der Beiordnung eines Rechtsanwalts für Gläubiger zu prüfen, in welchem Stadium des Verfahrens die anwaltliche Vertretung notwendig ist. Dabei muss berücksichtigt werden, ob ein Gläubiger, der die Kosten eines Anwalts leisten kann, sich in der Lage als antragstellender Gläubiger ohne finanzielle Unterstützung vertreten ließe. Denn es ist nicht der Zweck der PKH, der unvermögenden Partei auf Staatskosten die Vertretung durch einen Rechtsanwalt zu ermöglichen, wenn eine vermögende Partei in dieser Lage vernünftigerweise von der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts absehen würde. Durch die Einsetzung eines Insolvenzverwalters und dessen Kontrolle durch das Insolvenzgericht (§ 58 InsO) wird in aller Regel jedenfalls ein ordnungsgemäßer und sachgerechter Verfahrenslauf sichergestellt – das genügt.
4. Besonderheit: gesetzlicher Unterhalt und Deliktsforderung
Das Argument, dass Gläubiger in der Regel keine Probleme haben, die rechtliche Beratung erfordern, da sie kostenlose Beratung vom Insolvenzverwalter und Insolvenzgericht erhalten können, verkennt aber zumindest bei gesetzlichen Unterhalts- und Deliktsansprüchen die Realität. Denn bei solchen Ansprüchen handelt es sich um sog. privilegierte Forderungen. Sie besitzen im Insolvenzverfahren eine bevorzugte Stellung dadurch, dass der Schuldner ggf. von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen wird (§ 302 Nr. 1 InsO). Hierüber muss das Insolvenzgericht den Schuldner belehren (§ 175 Abs. 2 InsO).
a) Vollstreckungsvorrecht bereits bei Forderungsanmeldung beachten
Um das Privileg der Bevorrechtigung nach §§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO zu erhalten, muss der Insolvenzgläubiger allerdings folgende Voraussetzungen bereits bei der Forderungsanmeldung erfüllen:
- Er muss gemäß § 174 Abs. 2 InsO bei der Anmeldung Grund und Betrag der Forderung sowie Tatsachen angeben, aus denen sich nach seiner Einschätzung ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung (Deliktsforderung) zugrunde liegt.
- Eine wirksame Anmeldung erfordert somit einen Tatsachenvortrag. Eine nur schlagwortartige Angabe eines Vorsatzdelikts genügt nicht. Der Tatbestand des Delikts muss vielmehr so beschrieben werden, dass die daraus hergeleitete Forderung in tatsächlicher Hinsicht zweifelsfrei bestimmt ist und der Schuldner erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird.
- Es bedarf dagegen keines Vortrags, der sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der behaupteten vorsätzlichen unerlaubten Handlung ausfüllt (BGH VE 14, 58).
Beachten Sie | Obwohl die BGH-Entscheidung (VE 14, 58) ausschließlich Deliktsforderungen anspricht, hat sie dieselben Auswirkungen auf festgestellte Forderungen aus einer vorsätzlich pflichtwidrig verletzten gesetzlichen Unterhaltspflicht des Schuldners. Denn auch bei solchen Forderungen muss das Insolvenzgericht den Schuldner über die Auswirkungen nach § 302 InsO ausdrücklich belehren (§ 175 Abs. 2 InsO). Es gibt keinen vernünftigen Grund, solche Unterhaltsgläubiger gegenüber Deliktsgläubigern im Rahmen einer sich anschließenden bevorrechtigten Vollstreckung gemäß § 850d ZPO schlechterzustellen.
In diesen Fällen ist die anwaltliche Vertretung notwendig |
b) PKH nebst Anwaltsbeiordnung hat bestimmte Voraussetzungen
Maßgeblich für eine PKH-Bewilligung und Anwaltsbeiordnung ist also, dass
- der Umfang,
- die Schwierigkeit und
- die Bedeutung der Sache
Anlass zu der Befürchtung geben, der Hilfsbedürftige werde nach seinen persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage sein, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen und die notwendigen Maßnahmen in mündlicher oder schriftlicher Form zu veranlassen (BGH 9.8.12, VII ZB 84/11, Abruf-Nr. 122792).
Danach hängt die Notwendigkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts einerseits von der Schwierigkeit der im konkreten Fall zu bewältigenden Rechtsmaterie und andererseits von den persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen des Antragstellers ab (BVerfG 24.3.11, 1 BvR 2493/10; BGH, NJW 03, 3136).
5. Anwaltlicher Vergütungsanspruch gegenüber Staatskasse
Beschränkt sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts auf die Anmeldung einer Insolvenzforderung, ist im Rahmen des anwaltlichen Erstattungsanspruchs gegenüber der Staatskasse (§ 48 RVG) der Zeitpunkt der Forderungsanmeldung entscheidend. Wird nämlich die Forderung durch den Anwalt bereits vor der Beantragung von PKH beim Insolvenzverwalter auftragsgemäß angemeldet, ist die 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3320 VV RVG bereits angefallen. Die Bewilligung von PKH und die Beiordnung eines Rechtsanwalts kommt rückwirkend nicht mehr in Betracht (LG Dresden, a. a. O.).
AUSGABE: RVGprof 6/2024, S. 104 · ID: 49980825