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LeserforumGibt es für Mehrvergleiche in eA-Verfahren nur den halben Wert?
| Frage: Vor dem Familiengericht ist ein einstweiliges Anordnungsverfahren (eA-Verfahren) wegen des Sorgerechts anhängig. Im Termin werden eine Einigung erzielt und zugleich eine einvernehmliche und abschließende Umgangsregelung getroffen. Das Gericht hat den Verfahrenswert für die elterliche Sorge mit 2.000 EUR und für den Umgang ebenfalls mit 2.000 EUR bestimmt. M. E. ist für den Mehrvergleich wegen des Umgangsrechts der Hauptsachewert von 4.000 EUR festzusetzen. Was ist korrekt? |
Antwort von Wolf Schulenburg, geprüfter Rechts- und Notarfachwirt (Berlin): Der Wert eines Hauptsacheverfahrens wegen des Sorgerechts (§ 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG) oder des Umgangsrechts (§ 45 Abs. 1 Nr. 2 FamGKG) beträgt (jeweils) 4.000 EUR, und zwar auch, wenn mehrere Kinder betroffen sind (§ 45 Abs. 2 FamGKG). Lediglich im Einzelfall und bei besonderen Umständen kann das Gericht davon sowohl „nach oben“ als auch „nach unten“ abweichen, wenn die 4.000 EUR insoweit nicht angemessen erscheinen (§ 45 Abs. 3 FamGKG). Nach § 41 FamGKG beträgt der Wert im eA-Verfahren in der Regel unter Berücksichtigung der geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache die Hälfte des für die Hauptsache bestimmten Werts.
Im vorliegenden Fall wurde ein eA-Verfahren nur wegen des Sorgerechts geführt. Ohne erkennbare besonderen Umstände ist das Gericht zu Recht vom Regelfall des hälftigen Werts in Höhe von 2.000 EUR ausgegangen. Das gilt allerdings nur für den Wert des anhängigen Sorgerechts. Wird in einem eA-Verfahren ein Mehrvergleich geschlossen, unterfällt dessen Wert nicht der Regelung des § 41 FamGKG. Vielmehr ist hierfür grundsätzlich der volle Hauptsachewert für den mitverglichenen Gegenstand anzusetzen (vgl. OLG Brandenburg AGS 15, 230). Das gilt in den Fällen, in denen nicht nur eine vorläufige, sondern tatsächlich eine endgültige Regelung getroffen wird (OLG Bremen FamRZ 20, 2025; OLG Nürnberg FamRZ 11, 756; Staudinger/Dürbeck, BGB, Neubearbeitung 2019, § 1684 Rn. 485 m. w. N.).
Beachten Sie | Der Vergleich über den Umgang ist nur wirksam, wenn er vom Familiengericht gebilligt wird, weil und soweit seine Regelung dem Kindeswohl nicht widerspricht (BGH FK 19, 205). Deshalb meint die neuere Kostenrechtsprechung, dass wegen der notwendigen gerichtlichen Billigung von Amts wegen automatisch ein Umgangsverfahren eingeleitet wird. Folglich wird der mitverglichene Umgang gerichtlich anhängig. Das wiederum führe dazu, dass im Sorgerechtsverfahren bei einer Regelung auch zum Umgang kein Mehrvergleich (mehr) vorliege, sondern sich allenfalls der Wert des Verfahrens erhöhe.
Das OLG Nürnberg (AGS 20, 137, m. Anm. N. Schneider) und ihm folgend das OLG Zweibrücken (AGS 21, 236, m. abl. Anm. N. Schneider) gehen davon aus, dass der Umgang bereits mit der Aufnahme der Einigungsgespräche zum Umgangsrecht, spätestens jedoch mit der gerichtlichen Billigung gerichtlich anhängig wird – allerdings nicht in einem gesonderten (zu verbindenden) Verfahren. Vielmehr würde das Sorgerechtsverfahren um den Umgang erweitert. Daher seien die Gegenstandswerte von Sorgerecht und Umgangsrecht gemäß § 33 Abs. 1 FamGKG zu addieren (OLG Nürnberg, a. a. O.) bzw. der Wert des bisherigen Sorgerechtsverfahrens gemäß § 45 Abs. 3 FamGKG zu erhöhen (OLG Zweibrücken, a. a. O.).
Doch nach der neueren Rechtsprechung scheidet eine Werterhöhung im vorliegenden Fall aus: Das eA-Verfahren wegen des Sorgerechts kann hier nicht um den Verfahrensgegenstand zum Umgangsrecht erweitert werden. Die abschließende Regelung zum Umgangsrecht schließt ein von Amts wegen einzuleitendes eA-Verfahren (§ 156 Abs. 3. S. 1 FamFG) aus. Allenfalls wäre ein von Amts wegen einzuleitendes Hauptsacheverfahren zur Billigung des Umgangsvergleichs möglich. Dieses könnte aber nicht zum eA-Verfahren verbunden werden. Eine Verbindung des eA-Verfahrens mit dem Hauptsacheverfahren ist verfahrensrechtlich nicht zulässig (OLG Nürnberg, a. a. O.; OLG Köln FamRZ 12, 1968; OLG Stuttgart FamRZ 10, 1678; Sternal/Giers, FamFG, 20. Aufl., § 51 Rn. 23), weil sich die Verfahrensordnungen wesentlich voneinander unterscheiden. In der Folge könnten aus den verfahrensrechtlichen Unterschieden eine Vielzahl von Problemen folgen (OLG Bremen FamRZ 21, 1278 – keine Verbindung einer Familien- mit einer Familienstreitsache).
Daraus folgt, dass die einverständliche und abschließende Regelung zum Umgang im eA-Verfahren wegen des Sorgerechts nicht zur Erhöhung des dortigen Werts führen kann. Vielmehr entstehen (bis auf die Terminsgebühr) getrennte Gebühren aus den Einzelwerten (unter Beachtung der Regelungen von § 15 Abs. 3 RVG). Insofern bleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung zur Abrechnung eines Mehrvergleichs.
Beispiel: Abrechnung des Mehrvergleichs | |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (aus 2.000 EUR) | 215,80 EUR |
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV RVG (aus 4.000 EUR) | 222,40 EUR |
§ 15 Abs. 3 RVG: maximal 1,3 aus 6.000 EUR = 507,00 EUR | |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (aus 6.000 EUR) | 468,00 EUR |
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (aus 2.000 EUR) | 166,00 EUR |
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV RVG (aus 4.000 EUR) | 417,00 EUR |
§ 15 Abs. 3 RVG: maximal 1,5 aus 6.000 EUR = 585,00 EUR | |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 286,75 EUR |
1.795,95 EUR |
Im weiteren Verlauf sind nun die neueren Auffassungen des OLG Nürnberg und des OLG Zweibrücken problematisch und verfahrensrechtlich nicht konsequent: Danach soll spätestens durch die gerichtliche Billigung automatisch ein Umgangsverfahren von Amts wegen eingeleitet worden sein. Würde man dieser (von N. Schneider abgelehnten) Auffassung folgen, handelt es sich dabei um ein selbstständiges Verfahren, in dem nicht nur die Gerichts-, sondern auch die Anwaltskosten gesondert entstehen. Das Gericht müsste das neue Verfahren wegen des Umgangs aufrufen und ein neues Aktenzeichen vergeben. Dieses müsste ggf. zum Sorgerechtsverfahren verbunden werden. Es würden auch neue Gerichtskosten entstehen. Doch mit alledem setzen sich beide OLG nicht auseinander.
An sich kann es keine zwei widerstreitende Meinungen zur konkreten Abrechnung geben. Die Problematik folgt nicht aus der Abrechnung, sondern vielmehr aus dem Verfahrensrecht, welche beide OLG bei ihrer Entscheidung offenbar nicht konsequent zu Ende gedacht haben. Würde man die neue Rechtsprechung konsequent anwenden, müsste der Rechtsanwalt wie folgt abrechnen:
Beispiel: Abrechnung zweier selbstständiger Verfahren | ||
Das wären die Folgen der neueren OLG-Rechtsprechung I. eA-Verfahren Sorgerecht | ||
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (aus 2.000 EUR) | 215,80 EUR | |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (aus 2.000 EUR) | 199,20 EUR | |
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (aus 2.000 EUR) | 166,00 EUR | |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 114,19 EUR | |
715,19 EUR | ||
II. Umgangsrecht | ||
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (aus 4.000 EUR) | 361,40 EUR | |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (aus 4.000 EUR) | 333,60 EUR | |
1,0-Einigungsgebühr, Nrn. 1000, 1003 VV RVG (aus 4.000 EUR) | 278,00 EUR | |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG | 20,00 EUR | |
19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG | 188,67 EUR | |
1.181,67 EUR |
Beachten Sie | Die Einigungsgebühr würde hier gesondert aus dem Wert des Umgangs und nicht als Mehrvergleich im eA-Verfahren zum Sorgerecht entstehen. Denn die Einigungsgebühr wegen des Umgangs fällt nur an, wenn ein wirksamer Vergleich geschlossen worden ist. Das setzt hier seine gerichtliche Billigung voraus (§ 156 Abs. 2 FamFG).
AUSGABE: RVGprof 5/2024, S. 77 · ID: 49980820