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PraxisangebotIch glaub’, ich seh’ nicht richtig! – Augentraining in der Physiotherapie
| In unserer zunehmend digitalisierten Welt verbringen viele Menschen einen Großteil ihres Tages vor dem Bildschirm – sei es im Büro oder am Handy. Das überfordert unsere Augen auf Dauer und kann langfristig zu Problemen wie Kopfschmerzen, Augentrockenheit, Nackenverspannungen sowie Kurzsichtigkeit führen. Augentraining bietet eine wirkungsvolle Möglichkeit, die Sehkraft zu stabilisieren und die Augenmuskulatur zu entlasten. Auch entsprechend fortgebildete Physiotherapeuten dürfen Augentraining als Selbstzahlerleistung anbieten. |
Augen werden über Muskeln gesteuert
Augentraining umfasst gezielte Übungen, mit denen die Augenbeweglichkeit, die Fähigkeit zur Akkommodation (Scharfstellung von Objekten in unterschiedlicher Entfernung), die Koordination beider Augen sowie die Wahrnehmungsverarbeitung verbessert werden sollen. Ziel ist es, die Augen zu entspannen, die Sehkraft zu erhalten und Sehstress vorzubeugen oder zu reduzieren.
Das ist deshalb wichtig, weil unsere Augenfunktionen größtenteils über Muskeln gesteuert werden. Und genauso wie unser Bizeps ist auch diese Muskulatur trainierbar. In einer Welt, in der Bildschirmarbeit, künstliche Beleuchtung und ein Mangel an natürlichem Fokuswechsel den Alltag prägen, werden diese Muskeln aber meist einseitig belastet, was zu visueller Ermüdung, verminderter Konzentration und einer wachsenden Abhängigkeit von Sehhilfen führen kann und auch als Digital Eye Strain (DES) bekannt ist (digitaler Augenstress). Das belastet aber nicht nur die Augen alleine, denn es besteht eine starke funktionelle Verbindung zwischen Augen- und Nackenmuskulatur. Sind erstere also chronisch angespannt, überträgt sich das auf Dauer auf die Muskeln der Halswirbelsäule. Folge: Spannungskopfschmerzen und ein steifer Nacken. Ein Augentraining hilft also nicht nur den Augen alleine, sondern hat weitreichende Auswirkungen.
Gezieltes Training fördert nachweislich die Augenentspannung
Die Ursprünge des modernen Sehtrainings gehen auf den amerikanischen Augenarzt Dr. William Bates zurück, der Anfang des 20. Jahrhunderts die These aufstellte, dass viele Sehprobleme nicht anatomisch bedingt, sondern funktionell seien und durch gezieltes Training verbessert werden könnten. Seine ursprüngliche Methode steht heutzutage in der Kritik, insbesondere die These, dass Kurz- oder Weitsichtigkeit durch Sehtraining signifikant verbessert oder sogar geheilt werden könnten. Allerdings ist nachgewiesen, dass bestimmte Übungen die Augenentspannung fördern und damit helfen, Spannungskopfschmerzen oder Nackenschmerzen vorzubeugen oder diese zu reduzieren. Insbesondere der durch PCs und Handys hervorgerufene sogenannten Digital Eye Strain kann durch gezielte Augenübungen offenbar gelindert werden (z. B. Studienergebnisse online unter iww.de/s12967, iww.de/s12368 oder iww.de/s12969).
Der ganze Körper ist dabei
Ein ganzheitlich aufgebautes Augentraining umfasst isolierte Bewegungsübungen für die Augenmuskulatur (z. B. Blicksprünge oder kreisende Augenbewegungen). Um die Akkommodationsfähigkeit zu fördern, kommen Fokussierungsübungen zum Einsatz. Ergänzend werden entspannende Techniken wie Palmieren, bewusstes Blinzeln oder visuelle Meditation eingebaut, um die Regeneration der Augen zu unterstützen. Zusätzliche Koordinationsübungen fördern das Zusammenspiel beider Augen. Auch der restliche Körper kann über Haltungs-, Atmungs- und Bewegungsübungen mit einbezogen werden, da diese sich maßgeblich auf die visuelle Wahrnehmung auswirken können.
Fortbildungsmöglichkeiten für Physiotherapeuten sind rar
Aus- oder Fortbildungen zum Sehtrainer sind in Deutschland nicht staatlich geregelt. Theoretisch kann sich also jeder Augen- oder Sehtrainer nennen, unabhängig von einer Fortbildung oder deren Inhalten. Wer Augentraining anbieten möchte, muss zurzeit noch suchen, denn Fortbildungsangebote sind rar:
- Eine Ausbildung zum Sehtrainer/AugenCoach bietet etwa die Seh- Akademie an (sehakademie.de), in Kooperation mit dem Institut für Sehtraining (institut-fuer-sehtraining.de) und der Akademie Gesundes Leben (akademie-gesundes-leben.de). Drei Module, verteilt über jeweils fünf Tage kosten hier 1.790 Euro.
- Wer es kürzer mag, kann z. B. am MFZ Leipzig auch eine eintägige Fortbildung „Augenschule“ für 460 Euro buchen (mfz-leipzig.de).
- Wer Augentraining auf therapeutischer Basis mit Patienten durchführen möchte, etwa nach Schlaganfall oder Kopfverletzungen allgemein, kann sich an Dynmaic Eye wenden (dynamic-eye.de). Diese bietet u. a. den Kurs „Neurooptometrisches Reha-Training“ an, der sich speziell an Therapeuten wendet. Das eintägige Seminar kostet 160 Euro.
Augentraining ist keine Therapie
Physiotherapeuten dürfen ein Augentraining grundsätzlich als Selbstzahlerleistung anbieten, unter der Prämisse, dass es sich um keine medizinische Therapie handelt oder eine solche ersetzt. Für Personen mit bestehenden Augen- oder Sehproblemen ist ein Angebot nur dann geeignet, wenn keine Kontraindikationen bestehen, es ärztlicherseits freigegeben wurde und die Symptome sich im Laufe des Trainings nicht verschlechtern.
Praxistipp | Geeignet ist das Augentraining für kleine Gruppen mit drei bis sechs Personen oder auch im Rahmen von Einzelcoachings. Equipment, wie Farbbrillen, Vision-Sticks oder Brock-Schnüre, sind u. a. bei Anbietern wie Arzt erhältlich (artztneuro.com) und kosten in der Gesamtausstattung rund 100 Euro. Entsprechend sollte ein Kurs auch so kalkuliert werden, dass man als Trainer auf ein Brutto-Stundenhonorar von mindestens 75 Euro kommt. |
AUSGABE: PP 6/2025, S. 6 · ID: 50424997