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RentenversicherungStatusfeststellungsverfahren ist auch nach beendeter Tätigkeit möglich
| Ein Antrag auf Statusfeststellung kann vor oder nach Aufnahme der Beschäftigung gestellt werden (PP 03/2022, Seite 3 ff.). Ist dies aber auch nach Beendigung der Tätigkeit noch möglich? Mit dieser Frage befasste sich das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen in seinem (Berufungs-)Urteil vom 18.11.2022 (Az. L 1 BA 91/19). Zwar betrifft der im Folgenden beschriebene Fall einen Steuerberater, der seine Kanzlei verkauft hatte und danach beim neuen Inhaber weiterarbeitete, bis es zum Streit kam. Er kann aber auch auf niedergelassene Physiotherapeuten übertragen werden. Das gilt insbesondere in den Fällen, in denen ein Physiotherapeut seine Praxis verkauft und dann als freier Mitarbeiter noch weiter mitarbeitet. |
Statusfeststellung entscheidet über Versicherungspflicht
Im Statusfeststellungsverfahren prüft die Deutsche Rentenversicherung (DRV), ob eine Tätigkeit als abhängig Beschäftigter oder Selbstständiger ausgeübt wird. Nach Prüfung wird durch Bescheid der „Erwerbsstatus“ des Beschäftigten festgestellt. Selbstständige und abhängige Beschäftigung werden nach den von der Rechtsprechung konkretisierten Kriterien voneinander abgegrenzt (vgl. PP 06/2020, Seite 12 ff.). Dabei werden alle Umstände des konkreten Auftrags-/Beschäftigungsverhältnisses berücksichtigt. Ist der Erwerbsstatus geklärt, wird anschließend die Frage der Versicherungspflicht oder -freiheit in der Renten- und Arbeitslosenversicherung geprüft. Sozialversicherungspflicht besteht grundsätzlich, wenn festgestellt wird, dass der Erwerbsstatus der eines abhängig Beschäftigten, also eines Arbeitnehmers, ist.
Was war passiert?
Steuerberater B verkaufte seine Kanzlei mit Mandantenstamm an K zum 01.10.2003. B und K schlossen neben dem Kaufvertrag einen freien Mitarbeitervertrag. Nach diesem Vertrag übernahm B ab 01.10.2003 für K „für dessen Mandanten“ steuerberatende Tätigkeiten. B war laut Vertrag u. a. nicht an bestimmte Arbeitszeiten gebunden, die Vergütung erfolgte umsatzabhängig. Aufwendungen, z. B. für Geschäftsreisen, wurden gesondert vergütet, nicht aber Fahrtkosten. B hatte bei den von ihm gefertigten Jahresabschlüssen ein Mitzeichnungsrecht und war berechtigt, diese im Namen des Auftraggebers zu unterzeichnen. B hatte eine eigene Vermögensschadenshaftpflichtversicherung nachzuweisen und seine Vergütung mit Rechnungen abzurechnen.
B arbeitete überwiegend in den Räumen des K, nutzte deren technische Ausstattung und das Personal des K (ohne unmittelbare Kostenbeteiligung). B betreute bisherige und neu gewonnene Mandanten, die Zuweisung erfolgte durch K abhängig von den jeweils freien Kapazitäten. B hatte einen Schlüssel zur Kanzlei und konnte diese auch außerhalb der Bürozeiten betreten.
In den Jahren 2003 bis 2013 erhielt B von K monatlich zwischen 3.000 und 3.500 Euro zzgl. Umsatzsteuer, ohne dass B Rechnungen stellte. Als die DRV für den Zeitraum von Januar 2009 bis Dezember 2012 bei K eine Betriebsprüfung durchführte, ergaben sich keine Beanstandungen bezüglich der Versicherungs- und Beitragspflicht im Sinne der Sozialversicherung. Die DRV sah B als Selbstständigen, für den keine Versicherungspflicht bestand.
Ab 2013 kam es zwischen K und B zu Unstimmigkeiten über die Höhe der B zustehenden Vergütung. 2014 reichte B gegen K Klage ein, die auf Auskunftserteilung über die Höhe der Umsatzerlöse gerichtet war. In dieser Klage behauptete B, er habe von K monatliche „Abschläge“ erhalten. B wurde letztmals am 07.11.2014 für K tätig. Am 24.03.2015 beendeten B und K das Klageverfahren durch Vergleich, nach dem K an B einen Betrag von 85.000 Euro zu zahlen hatte. Am 12.08.2016 – also rund zwei Jahre nach Ende der Tätigkeit – stellte B einen Antrag auf Statusfeststellung und es kam zu einem mehrere Jahre dauernden Hin und Her bezüglich der Versicherungspflicht.
- DRV sieht zunächst keine Versicherungspflicht: Mit Bescheid vom 12.01.2017 stellte die DRV fest, dass die Tätigkeit des B für K im Zeitraum vom 01.07.2004 bis 07.11.2014 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde und keine Versicherungspflicht besteht.DRV entscheidet sich im Verfahren um!
- Nach Widerspruch dann aber doch: Versicherungspflicht! B legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Nach erneuter Anhörung des K nahm die DRV die Bescheide vom 12.01.2017 zurück und stellte die Versicherungspflicht des B als Beschäftigter in der gesetzlichen Renten- und Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 01.07.2004 bis 31.08.2011 fest (Bescheid vom 20.09.2018).
- Entscheidung der ersten Instanz: keine Versicherungspflicht. Gegen diesen Bescheid erhob K nun Klage beim Sozialgericht (SG) und vertrat weiter die Ansicht, B sei selbstständig tätig geworden. K gewann vor dem SG, das den Bescheid vom 20.09.2018 aufhob.
- Und Bestätigung durch die zweite Instanz: keine Versicherungspflicht. Gegen dieses Urteil legte B Berufung ein, weil er weiterhin als Arbeitnehmer eingestuft sein wollte. Das LSG wies im Ergebnis die Berufung des B als unbegründet zurück, mit der Folge, dass das Urteil des SG rechtskräftig und damit festgestellt ist, dass B für K als Selbstständiger tätig geworden war.
So begründete das LSG seine Entscheidung
Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Statusfeststellung ist § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV (in der bis zum 31.03.2022 gültigen Fassung vom 29.03.2017). Danach können die Beteiligten eine Entscheidung beantragen, ob eine (versicherungspflichtige) Beschäftigung vorliegt. Eine Statusfeststellung kann auch für eine bereits beendete Tätigkeit beantragt werden, ist allerdings nicht schrankenlos zulässig. Voraussetzung für ein nachgelagertes Statusfeststellungsverfahren ist, dass die von der Statusfeststellung erfasste Tätigkeit über die Beendigung hinaus noch eine gegenwärtige Wirkung erzeugt. Diese Voraussetzung ist von den Beteiligten des jeweiligen Tätigkeitsverhältnisses schlüssig darzulegen. Aufgrund welcher Motivation ein nachgelagertes Statusfeststellungsverfahren eingeleitet wird, ist dagegen unerheblich.
Die von B vorgelegten Schreiben des Finanzamts dokumentieren, dass dieses nicht vor Abschluss des Berufungsverfahrens entscheiden will und dem Ausgang des Statusfeststellungsverfahrens zumindest einiges Gewicht beimisst. Damit wirkte die beendete Tätigkeit auch noch in die Gegenwart hinein. Das von der DRV auf Antrag des B durchgeführte nachgelagerte Statusfeststellungsverfahren, bei dem auch K einbezogen war, war daher zulässig.
Nach Ansicht des LSG waren die getroffene Vereinbarung und die gelebte Beziehung zwischen B und K zu berücksichtigen und zu bewerten. Dabei überwogen für das LSG die Merkmale einer selbstständigen Beschäftigung:
Fazit | Auch wenn eine Tätigkeit schon beendet ist, kann grundsätzlich noch ein Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden, wenn einer der Beteiligten darlegen kann, dass der festzustellende Status noch Auswirkungen in der Gegenwart hat. Dies können z. B. Auswirkungen auf steuerliche Fragen sein. Der Status eines Erwerbstätigen wird anhand vertraglicher Vereinbarung und deren Umsetzung in die Praxis geprüft. Maßgebend sind immer alle Umstände des konkreten Einzelfalls, weil es Tätigkeiten gibt, die sowohl im Rahmen einer selbstständigen Tätigkeit als auch im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werden können. Dies gilt insbesondere für die freien Berufe (Steuerberater, Anwälte, Ärzte, Heilmittelerbringer). |
- Bezeichnung der Vereinbarung als „freier Mitarbeitervertrag“ und die gewählten Begriffe „freier Mitarbeiter“, „Auftraggeber“, „Gebühr“.Die Merkmale einer Selbstständigkeit überwogen
- Vertraglich vorgesehene (und gelebte) freie Zeiteinteilung und vertraglich vorgesehenes und gelebtes eigenständiges Handeln.
- B trug wesentliches Unternehmerrisiko, auch wenn er nicht selbst unternehmerisch am Markt auftrat. Denn er erbrachte Leistungen auch in eigenem Namen und trat gegenüber den Mandanten weiterhin wie ein (Mit-)Inhaber der Praxis auf. Außerdem war keine Mindestvergütung vereinbart, und es wurde auch keine solche bezahlt. Durch die vereinbarte Umsatzbeteiligung war B am wirtschaftlichen Erfolg des K eigenständig und weit überwiegend unabhängig vom Ausmaß des eigenen persönlichen Arbeitseinsatzes beteiligt.
- B nutzte zwar die technische Ausstattung und das Personal des K, ohne hierfür einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Es ist aber davon auszugehen, dass K und B dies bei der Kalkulation der Vergütungshöhe berücksichtigt hatten.
- B kam gesteigerte Unabhängigkeit zu. Er konnte seine Arbeitszeiten frei und auch außerhalb der Bürozeiten disponieren. Er war nicht zu Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen verpflichtet.
- Ist keine eigene Betriebsstätte vorhanden, spricht dies als Indiz für eine abhängige Beschäftigung, wenn eine solche Betriebsstätte bei Tätigkeiten der fraglichen Art zu erwarten oder notwendig ist. Nachdem B im Rahmen seiner Tätigkeit jedoch wie zuvor als Inhaber „schalten und walten“ konnte, war bei seiner Tätigkeit keine gesonderte eigene Betriebsstätte zu erwarten. Die Einrichtung eigener Betriebsräumlichkeiten wäre unter den hier gegebenen Bedingungen widersinnig gewesen.
- Die Tätigkeit des B war auch nicht fremdbestimmt organisiert, auch wenn er gewissen Weisungen des K unterworfen war. K hatte kein Weisungsrecht, das die Bestimmung von Inhalt, Ort und Zeit der Leistungserbringung beinhaltet hätte. B konnte unabhängig und eigenverantwortlich seine Tätigkeit erbringen.
AUSGABE: PP 2/2024, S. 3 · ID: 49836015